Urteil des BGH vom 09.06.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Xa ZR 99/06 Verkündet
am:
9. Juni 2009
Anderer
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 651g Abs. 1
Der Sozialversicherungsträger, der es schuldhaft versäumt hat, auf ihn überge-
gangene reisevertragliche Schadensersatzansprüche innerhalb eines Monats
nach der vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstal-
ter geltend zu machen, ist auch dann mit seinen Ansprüchen ausgeschlossen,
wenn der Reisende bei ihm verbliebene Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht
hat (Fortführung von BGHZ 159, 350).
BGH, Urteil vom 9. Juni 2009 - Xa ZR 99/06 - OLG Celle
LG
Hannover
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Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 9. Juni 2009 durch den Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richte-
rin Mühlens und die Richter Dr. Lemke, Gröning und Dr. Berger
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Celle vom 27. Juli 2006 wird auf Kosten der Klägerin zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die klagende Krankenkasse nimmt die beklagte Reiseveranstalterin aus
übergegangenem Recht ihrer Versicherten wegen eines Reisemangels auf Er-
satz von Heilbehandlungskosten und auf Feststellung in Anspruch, dass die
Beklagte ihr auch zukünftig noch entstehenden Schaden ersetzen muss.
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Die bei der Klägerin versicherten Eheleute T. buchten bei der Be-
klagten für die Zeit vom 18. März bis 2. April 2004 eine Reise nach Mexiko.
Zum gebuchten Leistungsumfang gehörte eine Mexiko-Rundreise per Bus.
Während der Rundreise wurden die Reisenden am 24. März 2004 bei einem
Verkehrsunfall schwer verletzt, als der Reisebus von der Fahrbahn abkam. Die
Beklagte organisierte daraufhin ein Sanitätsflugzeug, mit dem die Reisenden
nach Deutschland zurücktransportiert wurden.
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Mit Schreiben vom 29. März 2004 minderte die Beklagte den Reisepreis
um 100% und erstattete ihn zugleich durch Übersendung eines Schecks. Mit
weiterem Schreiben vom 7. April 2004 bat sie die Eheleute um Mitteilung noch
nicht ausgeglichener materieller Schäden. Die Beklagte zahlte ihnen in der
Folgezeit Schmerzensgeld und ersetzte Haushaltsführungskosten. Während
die Reisende T. keine Ansprüche anmeldete, machte ihr Ehemann mit
Schreiben vom 13. Mai 2004 bei der Beklagten eigene Ansprüche geltend, oh-
ne dass ihm eine frühere Anmeldung möglich war.
Die klagende Krankenversicherung nahm die Beklagte erstmals unter
dem 8. September 2004 durch Übersendung einer Rechnung über Heilbehand-
lungskosten für den Reisenden T. in Anspruch. Hinsichtlich der Reisenden
T. meldete die Klägerin ihre Ansprüche erstmals unter dem 2. Februar
2005 an. Für die nach dem Rücktransport der Eheleute in Deutschland durch-
geführte Heilbehandlung entstanden in der Zeit vom 28. März bis zum 30. Sep-
tember 2004 Kosten in Höhe von insgesamt 136.649,67 €, welche die Klägerin
getragen hat und mit ihrer Klage geltend macht.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Berufungsgericht hat
sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelas-
senen Revision verfolgt die Klägerin die erhobenen Schadensersatzansprüche
weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das Berufungsgericht an-
genommen, dass reisevertragliche Gewährleistungsansprüche der Klägerin
aus übergegangenem Recht durch Versäumung der Ausschlussfrist für die
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Anmeldung (§ 651g Abs. 1 BGB) verloren gegangen sind und übergegangene
Ansprüche aus deliktischer Haftung nicht bestehen.
I.
Das Berufungsgericht hat sein Urteil (veröffentlicht in RRa 2006,
212) im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 2004
(BGHZ 159, 350) müsse der Sozialversicherungsträger, auf den ein Schadens-
ersatzanspruch des Reisenden nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegan-
gen sei, seinen Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist des § 651g Abs. 1 BGB
selbst gegenüber dem Reiseveranstalter anmelden. Diese Frist habe die Klä-
gerin versäumt. Selbst wenn, was der Bundesgerichtshof offengelassen habe,
die rechtzeitige Anmeldung des übergegangenen Anspruchs durch den Sozial-
versicherungsträger entbehrlich sein sollte, wenn der Reisende selbst rechtzei-
tig bei ihm verbliebene Teilansprüche geltend mache, stehe der Klägerin ein
Anspruch auf Erstattung von Heilbehandlungskosten für die Reisende T.
nicht zu. Die Klägerin behaupte selbst nicht, dass diese jemals Ansprüche bei
der Beklagten angemeldet habe.
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Auch die Anspruchsanmeldung durch den Ehemann vom 13. Mai 2004
habe die Klägerin nicht von ihrer Anmeldeobliegenheit befreien können. Verfol-
ge der Reisende wie im Streitfall ausschließlich seine eigenen Ansprüche, be-
dinge das gerade nicht auch die Anmeldung anderer Ansprüche und gebe dem
Reiseveranstalter mithin auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass nach Ablauf der
Ausschlussfrist noch weitere, bislang nicht geltend gemachte Ansprüche Dritter
auf ihn zukommen könnten. Im Gegenteil müsse die beschränkte Geltendma-
chung dem Reiseveranstalter ein Hinweis darauf sein, das ein Sozialversiche-
rungsträger für die Heilbehandlungskosten aufkomme und deshalb mit Ansprü-
chen auf ihn zutreten könnte. Melde sich der Sozialversicherungsträger aber
nicht, könne der Reiseveranstalter davon ausgehen, dass Ansprüche auch
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nicht geltend gemacht würden. Da die Ausschlussfrist dazu diene, dem Reise-
veranstalter sichere Kenntnis der auf ihn zukommenden Ansprüche zu ver-
schaffen, habe die Beklagte aufgrund der Umstände sicher davon ausgehen
können, mit Heilbehandlungskosten nicht konfrontiert zu werden.
Die Klägerin könne auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Be-
klagte des Schutzes des § 651g BGB nicht bedürfe, weil die gesetzgeberischen
Gründe für diese Vorschrift im Streitfall nicht vorlägen. Der Umstand, dass die
schnellere Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen Hauptziel des Gesetz-
gebers gewesen sei, bedeute nicht, dass die Ausschlussfrist deshalb bei un-
streitigem Reisemangel nicht zum Tragen kommen könne. Sie gelte nach dem
Wortlaut des Gesetzes ausnahmslos für alle Ansprüche nach den §§ 651c bis
651f BGB. Die Berufung auf die Ausschlussfrist in Fällen, in denen Sachaufklä-
rung betrieben und der Versicherer eingeschaltet worden sei, sei schließlich
auch nicht rechtsmissbräuchlich.
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Übergegangene Ansprüche der Klägerin aus § 831 BGB bestünden
nicht, da das Busunternehmen als Leistungsträger der Beklagten wegen feh-
lender Abhängigkeits- und Weisungsgebundenheit nicht als deren Verrich-
tungsgehilfe angesehen werden könne. Auch habe die Klägerin keine durch-
greifenden Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Beklagte eine eigene Ver-
kehrssicherungspflicht verletzt haben und deshalb deliktisch haften könnte.
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II.
Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.
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1.
Der Klägerin stehen vertragliche Ansprüche aus übergegange-
nem Recht gegen die Beklagte nicht zu.
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a)
Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, dass
die Klägerin, auf die schon zum Zeitpunkt des Unfalls gemäß § 116 Abs. 1
SGB X die Gewährleistungsansprüche der Reisenden übergegangen waren,
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ihre Ansprüche selbst innerhalb der Ausschlussfrist bei der Beklagten hätte
anmelden müssen. Denn die Obliegenheit des "Reisenden" nach § 651g Abs. 1
Satz 1 BGB, die Ansprüche innerhalb der Monatsfrist geltend zu machen, trifft
den jeweiligen Anspruchsinhaber (BGHZ 159, 350, 354) und damit auch den
Zessionar, auf den die Ansprüche durch Abtretung oder gesetzlichen Forde-
rungsübergang übergegangen sind.
b)
Dem Berufungsgericht ist auch darin beizutreten, dass die recht-
zeitige Anmeldung der übergegangenen Ansprüche durch den Zessionar auch
dann nicht entbehrlich ist, wenn der Reisende rechtzeitig eigene Schadenser-
satzansprüche erhoben hat (ebenso OLG Koblenz, Urt. v. 16.05.2008
- 10 U 1165/07; vgl. auch Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., § 651g Rdn. 2;
MünchKomm./Tonner, BGB, 5. Aufl. § 651g Rdn. 26; krit.: Erman/Seiler, BGB,
12. Aufl., § 651g Rdn. 2; a.A. Führich, Urteilsanm. zu BGH, Urt. v. 22.06.2004
- X ZR 171/03, LMK 2004, 204; Brüning, Probleme des Reisevertrags- und Rei-
seversicherungsrechts, Diss. Hamburg 2008, S. 68 f.).
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aa)
Sinn und Zweck der Ausschlussfrist ist es, dem Reiseveranstalter
Gewissheit darüber zu verschaffen, ob und in welchem Umfang Gewährleis-
tungsansprüche auf ihn zukommen, damit er unverzüglich die notwendigen
Beweissicherungsmaßnahmen treffen, etwaige Regressansprüche gegen seine
Leistungsträger geltend machen und gegebenenfalls seinen Versicherer be-
nachrichtigen kann (vgl. BGHZ 90, 363, 367, 369; 97, 255, 262; 102, 80, 86;
145, 343, 349; Urt. v. 11.01.2005 - X ZR 163/02, NJW 2005, 1420). Wie der
Bundesgerichtshof bereits im Urteil vom 22. Juni 2004 (BGHZ 159, 350, 354)
ausgeführt hat, erlangt der Reiseveranstalter sichere Kenntnis der auf ihn zu-
kommenden Gewährleistungsansprüche allerdings nur durch eine Anmeldung
des Anspruchsinhabers. Daher hat der Bundesgerichtshof jedenfalls in jenem
Fall, in dem lediglich eine vom Reisenden vorgenommene Anmeldung des für
ihn fremden, weil auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Teilan-
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spruchs auf Ersatz der Heilbehandlungskosten in Frage gestanden hat, die ei-
gene rechtzeitige Anmeldung des Anspruchsinhabers aus übergegangenem
Recht für unentbehrlich erachtet.
Der Schutzzweck der Ausschlussfrist des § 651g Abs. 1 Satz 1 BGB,
dem Reiseveranstalter möglichst bald Sicherheit hinsichtlich der auf ihn zu-
kommenden Ansprüche zu verschaffen, kann indes gleichermaßen nicht hin-
reichend erfüllt sein, wenn lediglich der Reisende die ihm selbst zustehenden
Ansprüche geltend macht. Denn damit steht für den Reiseveranstalter noch
keineswegs sicher fest, ob weitere Ansprüche aufgrund übergegangenen
Rechts gegen ihn erhoben werden und in welchem Umfang sich hierdurch sei-
ne Inanspruchnahme entwickeln könnte. Während für den Reiseveranstalter
bei einer Anspruchsanmeldung durch einen Dritten offenbleiben kann, ob der
Anspruchsinhaber selbst überhaupt einen Anspruch erheben wird (vgl. BGHZ
159, 350, 355), kann bei der Anmeldung lediglich eigener Ansprüche durch den
Reisenden für den Reiseveranstalter unklar bleiben, welche weiteren Forde-
rungen Dritter noch auf ihn zukommen können. Auch hier sind Fallgestaltungen
denkbar, bei denen der Reiseveranstalter zunächst noch keinen hinreichenden
Anlass hat, sich umfassend um die Aufklärung des Sachverhalts und um die
Beweissicherung zu kümmern, etwa weil die Höhe der von dem Reisenden
selbst angemeldeten Forderungen gering ist oder schon Kulanzgründe deren
Begleichung nahelegen oder im Verhältnis zur Höhe der angemeldeten An-
sprüche die Durchsetzung von Regressforderungen unwirtschaftlich erscheint.
Das von der Rechtsprechung als schützenswert angesehene Interesse des
Reiseveranstalters, seine Überprüfungs- und Beweissicherungstätigkeiten nicht
vergeblich in Gang zu setzen (BGHZ 145, 343, 349; 159, 350, 355), ist auch
bei solchen Fallgestaltungen anzuerkennen. Müsste der Reiseveranstalter
nach der Anmeldung von Forderungen eines Anspruchsinhabers zeitlich unbe-
grenzt mit der Geltendmachung weiterer Ansprüche in unbekannter Höhe
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durch ihm bislang unbekannte Anspruchsinhaber rechnen, würde der von
§ 651g Abs. 1 Satz 1 BGB verfolgte Schutzzweck insoweit verfehlt.
bb) Überdies würde es zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit füh-
ren, wenn die Entscheidung, ob der Inhaber eines Anspruchs aus
übergegangenem Recht sich auf die Anmeldung des Reisenden berufen kann,
davon abhängig wäre, ob dem Reisenden (noch) eigene Forderungen in einer
Höhe zustehen, die ohnehin das Erfordernis einer schnellen Beweissicherung
begründen. Diese Unsicherheit bestünde nicht nur bei dem vom Normzweck
geschützten Reiseveranstalter, sondern auch auf Seiten des Anspruchsinha-
bers aus übergegangenem Recht, der im Einzelfall zu prüfen hätte, ob bereits
die Anmeldung des Reisenden rechtzeitig und von ihrem Inhalt geeignet wäre,
eine eigene fristgemäße Anmeldung entbehrlich zu machen. Auch der als Aus-
legungsmaßstab heranzuziehende Normzweck des § 651g Abs. 1 Satz 1 BGB,
eine notwendige Beweissicherung sicherzustellen, rechtfertigt es nicht, bei der
Gesetzesanwendung jeweils im Einzelfall zu fragen, ob die Einhaltung der ge-
rade auch der Rechtssicherheit dienenden Ausschlussfrist durch den Zessionar
ausnahmsweise entbehrlich ist.
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cc)
Der Zessionar wird durch die für ihn bestehende Pflicht, seinen
Anspruch innerhalb der Frist des § 651g Abs. 1 BGB anzumelden, auch nicht
im Hinblick darauf unzumutbar belastet, dass er gegebenenfalls erst bei Ab-
rechnung seiner Leistungen und damit erst nach Ablauf der Ausschlussfrist von
seinem Anspruch gegen den Reiseveranstalter Kenntnis erlangt. Auch für ihn
gilt die der Vermeidung von Härtefällen dienende Regelung in § 651g Abs. 1
Satz 3 BGB, wonach der Anspruchsinhaber nach Ablauf der Monatsfrist seine
Ansprüche noch geltend machen kann, wenn er ohne Verschulden an der Ein-
haltung der Frist verhindert war.
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c)
Entgegen der Auffassung der Revision scheitert eine schuldhafte
Versäumung der Ausschlussfrist des § 651g Abs. 1 BGB auch nicht daran,
dass die Klägerin die Frist nicht gekannt hat und nicht hat kennen müssen.
Die zum Schutz des Verbrauchers bei Reisen bestehende Pflicht des
Reiseveranstalters nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BGB-InfoV, einen Vertragspartner bei
Vertragsschluss über die nach § 651g Abs. 1 BGB einzuhaltende Frist zu be-
lehren, erstreckt sich nur auf den Reisenden, nicht jedoch auf den ihm Leistun-
gen gewährenden Dienstherrn oder Sozialversicherungsträger. Daher lässt
sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach zugunsten eines
Reisenden eine widerlegbare Vermutung besteht, dass dieser die Ausschluss-
frist nicht gekannt und damit nicht schuldhaft versäumt hat, wenn der Reise-
veranstalter ihn pflichtwidrig nicht belehrt hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2007
- X ZR 87/06, NJW 2007, 2549, 2552), von vornherein nicht auf Dritte übertra-
gen, die gegen den Reiseveranstalter aus übergegangenem Recht mit eigen-
ständigen Forderungen vorgehen.
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Sonstige Gründe für eine unverschuldete Unkenntnis der Klägerin von
der Ausschlussfrist werden auch von der Revision nicht geltend gemacht.
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d)
Auch das von der Revision herangezogene und als Anerkenntnis
gewertete eigene Verhalten der Beklagten gegenüber den Reisenden, für die
sie von sich aus die erforderlichen Rettungsmaßnahmen einschließlich der
Erstversorgung übernommen hat, denen sie den Reisepreis erstattet hat und
die sie von sich aus um Bekanntgabe der noch nicht ausgeglichenen Schäden
gebeten hat, begründet keine ausnahmsweise Entbehrlichkeit einer Anmeldung
der Ansprüche durch die Klägerin. Die Annahme der Revision, dass es auch
zugunsten des Sozialversicherungsträgers wirke, wenn der Reisende seinen
Anspruch nicht mehr anmelden müsse, verkennt, dass die dem Geschädigten
verbleibenden Ansprüche und die auf einen Sozialversicherungsträger überge-
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gangenen Ansprüche selbständige Forderungen sind, die unterschiedliche
Schicksale erleiden können. Zu Recht hat das Berufungsgericht in dem Um-
stand, dass die Beklagte ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Rei-
senden ernst genommen und sich umgehend um deren Belange und eine
Schadensregulierung gekümmert hat, noch keine rechtsgeschäftliche Erklärung
gegenüber weiteren Anspruchsgegnern gesehen. Ohnehin hat die Klägerin
nicht behauptet, eine rechtzeitige Anmeldung eigener Ansprüche wegen einer
Kenntnis vom Verhalten der Beklagten den Reisenden gegenüber unterlassen
zu haben. Damit ist auch für die Annahme rechtsmissbräuchlicher Berufung auf
den Fristablauf kein Raum. Denn Voraussetzung für rechtsmissbräuchliches
Verhalten ist, dass derjenige, zu dessen Gunsten eine Verjährungs- oder Aus-
schlussfrist eingreift, durch sein Verhalten dem Anspruchsberechtigten gegen-
über einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen hat, dass er auf die
Einhaltung der Frist verzichte (vgl. zur ähnlichen Problematik treuwidrigen Be-
rufens auf eine Fristversäumung bei der ehemals in § 12 Abs. 3 VVG geregel-
ten Ausschlussfrist Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 Rdn. 52). Im Streitfall
kann die Revision auf kein entsprechendes Verhalten der Beklagten gegenüber
der Klägerin verweisen.
2.
Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass
das Berufungsgericht eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten unter dem
Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1
BGB) verneint hat.
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Das Berufungsgericht hat dabei die ständige Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs zugrunde gelegt, wonach den Reiseveranstalter bei der Vorbe-
reitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen eigene Verkehrs-
sicherungspflichten treffen. Der Reiseveranstalter hat diejenigen Sicherheits-
vorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und
gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend hal-
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ten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die ihm den Um-
ständen nach zuzumuten sind. Dabei gehört es zu den Grundpflichten eines
Reiseveranstalters, die Personen, deren er sich zur Ausführung seiner vertrag-
lichen Pflichten bedient, hinsichtlich ihrer Eignung und Zuverlässigkeit sorgfältig
auszuwählen und seine Leistungsträger und deren Leistung regelmäßig den
jeweiligen Umständen entsprechend zu überwachen (BGHZ 103, 298, 305;
BGH, Urt. v. 12.03.2002 -
X
ZR
226/99, NJW-RR 2002, 1056; Urt. v.
18.07.2006 - X ZR 142/05, RRa 2006, 206).
Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass an diesen Grundsät-
zen gemessen der Beklagten ein Organisationsverschulden nicht anzulasten
ist. Denn auch unter Berücksichtigung der der revisionsrechtlichen Beurteilung
zugrunde zu legenden Behauptung der Klägerin, der Busfahrer sei wegen
Übermüdung von der Fahrbahn abgekommen, erweist sich die Annahme des
Berufungsgerichts als rechtsfehlerfrei, es lasse sich nicht feststellen, dass das
Unfallgeschehen durch eine Kontrolle des Fahrpersonals in der konkreten Situ-
ation oder durch von der Beklagten zu erwartende Kontrollen vorausgehender
Fahrt- und Ruhezeiten zu verhindern gewesen wäre. Nach den von der Revisi-
on nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem sechs-
stündigen Ausflugsprogramm am Vortage des Unfalls, an dem der Busfahrer
angemessene Lenkzeiten nicht überschritten hat, und zu dem Ablauf der Reise
am Tage des Unfalls, der sich rund eine Stunde nach einer längeren Mittags-
pause ereignet hat, sind für die Beklagte keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich
gewesen, dass der Fahrer hätte übermüdet sein können. Insoweit konzediert
auch die Revision für den Unglückstag eine „minimale Belastung“ des Fahrers.
Sonstige konkrete, auf eine Übermüdung des Busfahrers hindeutende Um-
stände, die für einen verständigen und sorgfältigen Reiseveranstalter nahege-
legen und durch entsprechende Kontrollen hätten aufgedeckt werden können,
waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu erkennen und
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werden auch von der Revision nicht aufgezeigt. Insbesondere ist hinsichtlich
der von der Revision aus dem Unfallgeschehen gefolgerten Vermutung, der
Fahrer müsse die gebotene Nachtruhe nicht eingehalten oder gesundheitliche
Probleme gehabt haben, nicht ersichtlich, woher der Reiseleiter der Beklagten
derartige Erkenntnis gewinnen und daraus auf eine Übermüdung des Fahrers
hätte schließen können. Zu Recht hat das Berufungsgericht insoweit ange-
nommen, dass die beklagte Reiseveranstalterin, die umsichtig dem Busfahrer
in demselben Hotel wie den Reisenden eine Übernachtungsmöglichkeit zur
Verfügung gestellt hat, nicht hat davon ausgehen müssen, dass der Fahrer am
Folgetag übermüdet sein könnte. Zu der von der Revision für geboten erachte-
ten Belehrung des - nicht von ihr angestellten - Fahrers über die Notwendigkeit,
die Nachtruhe einzuhalten, war die Beklagte nicht verpflichtet.
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27
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Mühlens
Lemke
Gröning
Berger
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 12.09.2005 - 20 O 57/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 27.07.2006 - 11 U 263/05 -