Urteil des BGH vom 14.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 214/05
Verkündet
am:
12. Januar 2006
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
ZPO § 1032 Abs. 1
Sind Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis einer Schiedsver-
einbarung unterstellt, dann schließt dies grundsätzlich neben der ordentlichen
Klage auch den gewöhnlichen Urkundenprozess vor dem staatlichen Gericht
aus (Abgrenzung zu Senatsurteil vom 28. Oktober 1993 - III ZR 175/92 = NJW
1994, 136).
BGH, Urteil vom 12. Januar 2006 - III ZR 214/05 - OLG Celle
LG Hannover
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Streck, Dr. Kapsa, Galke und Dr. Herrmann
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Celle vom 25. August 2005 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten restliche Vergütung für die
Verlegung von Kabeln vor der Küste von M. .
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Die Parteien haben in Nr. 31 ihres in englischer Sprache abgefassten
Vertrages vom 10./12. September 2001 die Geltung deutschen Rechts und,
dass die deutschen Gerichte "nicht ausschließlich" zuständig sein sollen, ver-
einbart. Nr. 35.2 des Vertrages enthält ferner eine Schiedsklausel.
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Die Klägerin fordert im Urkundenprozess Zahlung von 58.057,06 € nebst
Zinsen. Die Beklagte hat die Einrede der Schiedsvereinbarung erhoben.
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Das Landgericht hat abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der
Klage angeordnet; es hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Beru-
fungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der von dem
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbe-
gehren weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
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Die Klage sei unzulässig, weil nicht das staatliche Gericht, sondern das
Schiedsgericht zuständig sei. Die Parteien hätten in dem nach deutschem
Recht zu beurteilenden Vertrag eine wirksame Schiedsvereinbarung getroffen,
die der Klage im Urkundenprozess entgegengehalten werden könne.
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II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
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Die Klage ist gemäß § 1032 Abs. 1 ZPO als unzulässig abzuweisen, weil
sie in einer Angelegenheit erhoben worden ist, die Gegenstand einer Schieds-
vereinbarung ist und die Beklagte dies vor Beginn der mündlichen Verhandlung
zur Hauptsache gerügt hat.
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1.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Parteien in
Nr. 35.2 des Vertrages vom 10./12. September 2001, wo es laut der von der
Klägerin vorgelegten Übersetzung heißt:
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"Falls es den Parteien nicht gelingt, solche Streitigkeiten oder Dif-
ferenzen beizulegen, wird die Angelegenheit entsprechend den
Richtlinien des Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handels-
kammer einem Schiedsgericht vorgetragen. Ort des Schiedsge-
richts ist G. /Schweiz und die Schiedsgerichtsverhandlungen
sind in englischer Sprache zu führen."
eine Schiedsvereinbarung getroffen (§ 1029 Abs. 2 Alt. 2 ZPO). Das zieht die
Revision nicht in Zweifel. Sie rügt, die vorgenannte Schiedsvereinbarung sei
unwirksam, weil sie in unauflösbarem Widerspruch zu Nr. 31 des Vertrags ste-
he; Letztere lautet in der von der Klägerin vorgelegten Übersetzung:
"Dieser Vertrag unterliegt deutschem Recht und wird entspre-
chend den deutschen Gesetzen erstellt wie er auch der nicht aus-
schließlichen Zuständigkeit der deutschen Ge-
richte unterliegt."
a) Das Berufungsgericht hat - auf der Grundlage der von der Klägerin
vorgelegten Übersetzungen - einen Widerspruch zwischen den vorgenannten
Klauseln nicht gesehen; sie seien nebeneinander anwendbar. Trotz der
Schiedsgerichtsklausel (Nr. 35.2 des Vertrags) habe es Sinn gemacht, die Zu-
ständigkeit der deutschen Gerichte zu vereinbaren, etwa für den Fall, dass die
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Beklagte die Schiedseinrede nicht oder nicht rechtzeitig erhoben habe. Aus der
Vereinbarung, deutsches Recht solle gelten (Nr. 31 des Vertrages), ergebe sich
auch, dass der Streit um die Zulässigkeit - einer Klage vor dem staatlichen Ge-
richt oder einer Schiedsklage - vor den deutschen Gerichten auszutragen sei.
Im Übrigen habe die Vereinbarung deutschen Rechts Bedeutung für die mate-
riell-rechtliche Ausgestaltung des Vertrags.
b) Diese Auslegung des Vertrags vom 10./12. September 2001 kann im
Revisionsrechtszug nur darauf überprüft werden, ob gegen Auslegungsregeln,
Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze verstoßen worden ist oder gesetzliche
Vorschriften nicht beachtet worden sind (vgl. Senatsbeschluss vom 29. März
1990 - III ZR 158/89 - BGHR ZPO § 1025 Schiedsvereinbarung 1; BGHZ 24,
15, 19). Das ist indes nicht der Fall.
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Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach sich die beiden Klauseln
nicht widersprechen sondern ergänzen, ist möglich. Ungeachtet der Schieds-
vereinbarung bleiben die staatlichen Gerichte - nach dem unstreitig maßgebli-
chen deutschen Recht - unter anderem zuständig für die Feststellung der Zu-
lässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032
Abs. 2 ZPO), für die Entscheidung über einen die Zuständigkeit betreffenden
Zwischenentscheid des Schiedsgerichts (§ 1040 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO)
oder für die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen (§ 1033 ZPO).
Es liegt nahe, die Bestimmung der "nicht ausschließlichen" oder "einfachen"
Zuständigkeit der deutschen Gerichte (Nr. 31 des Vertrags) - im Zusammen-
hang mit der Schiedsklausel (Nr. 35.2 des Vertrags) - so zu verstehen, dass sie
die den staatlichen Gerichten verbleibenden Zuständigkeiten betrifft. Für eine,
die Zuständigkeit des Schiedsgerichts überhaupt in Frage stellende Verein-
barung einer alternativen Zuständigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und
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Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie von der Revision angenommen wird, besteht
kein Anhalt.
Mit dem vorbeschriebenen "Nebeneinander" von Schiedsgericht und
staatlichem Gericht steht entgegen der Auffassung der Revision ferner in Ein-
klang, dass - vereinbarungsgemäß - das Schiedsgericht den Richtlinien der In-
ternationalen Handelskammer unterliegt (vgl. § 1042 Abs. 3 ZPO) und im
Schiedsverfahren Englisch die Verhandlungssprache ist (Nr. 35.2 des Vertrags,
vgl. § 1045 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das - ausnahmsweise zuständige - staatliche
Gericht aber nach der Zivilprozessordnung und § 184 GVG verfährt.
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2.
Die von der Klägerin auf den Vertrag vom 10./12. September 2001 und
verschiedene, von der Beklagten angeblich anerkannte Nachträge gestützte
Restwerklohnforderung selbst ist unstreitig in die - weit gefasste (Nr. 35.2
Satz 1 des Vertrags: "Falls es den Parteien nicht gelingt, solche Streitigkeiten
oder Differenzen
trags> beizulegen, …") - Schiedsvereinbarung einbezogen. Zu Recht hat das
Berufungsgericht durch die Schiedsklausel auch den Urkundenprozess
(§§ 592 ff ZPO) für abbedungen angesehen.
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a) Zum Wechselprozess (§§ 602 ff ZPO), einem Unterfall des Urkunden-
prozesses, hat der Senat (Urteil vom 28. Oktober 1993 - III ZR 175/92 = NJW
1994, 136 m.w.N.; s. auch Czempiel/Kurth NJW 1987, 2118, 2120 ff) entschie-
den, dass bei einer umfassenden Schiedsklausel, die alle Streitigkeiten aus
dem abgeschlossenen Geschäft einem Schiedsgericht zuweist, Ansprüche aus
Wechseln, die im Zusammenhang mit dem Geschäft begeben wurden, grund-
sätzlich in die Schiedsvereinbarung einbezogen sind. Das bedeute allerdings
nicht, dass dem Kläger der Wechselprozess vor dem staatlichen Gericht mit der
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Möglichkeit, schnell zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen, verschlossen sei.
Der Wechselgläubiger habe sich im Regelfall ungeachtet der vereinbarten
Schiedsklausel das Recht auf ein Vorgehen im Wechselprozess - jedenfalls im
Urkundenverfahren - vorbehalten; die Schiedseinrede sei erst im Nachverfahren
erheblich (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 1993 aaO S. 137). Insoweit liege
es ähnlich wie bei den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest und
einstweilige Verfügung, §§ 916 ff ZPO); die Schiedsvereinbarung stehe vorläu-
figen oder sichernden Maßnahmen des staatlichen Gerichts in Bezug auf den
Streitgegenstand des in Aussicht genommenen oder bereits begonnenen
schiedsrichterlichen Verfahrens nicht entgegen (vgl. Senat aaO S. 136 f
alten Recht>; § 1033 ZPO n.F.; Begründung der Bundesregierung zu dem Ent-
wurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts BT-Drucks.
13/5274 S. 38 f).
b) Die dargestellten Grundsätze zum Wechselprozess können nicht, wie
die Revision meint, auf den (gewöhnlichen) Urkundenprozess übertragen wer-
den. Sind Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis einer Schieds-
vereinbarung unterstellt, dann schließt dies grundsätzlich die ordentliche Klage
und den Urkundenprozess (§§ 592 ff ZPO) vor dem staatlichen Gericht aus (vgl.
OLG Köln OLG-Report 2001, 227, 228; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 22. Aufl.
2002 § 1029 Rn. 23 a.E., s. ferner § 1032 Rn. 6; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl.
2005 Vor § 592 Rn. 3; Musielak/Voit, ZPO 4. Aufl. 2005 § 592 Rn. 15; Reichold
in Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. 2005 Vorb. § 592 Rn. 2 und § 1032 Rn. 1; Wolf
DB 1999, 1101, 1104; so wohl auch MünchKommZPO-Münch 2. Aufl. 2001
§
1032 Rn.
6 und MünchKommZPO-Braun 2. Aufl. 2000 § 597 Rn. 2a;
a.A.
OLG Düsseldorf OLG-Report 1995, 198, 199 und 1998, 225, 226 f; OLG Bam-
berg OLG-Report 2005, 79, 80; offen geblieben in dem die erst im Nachverfah-
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ren eines Urkundenprozesses erhobene Schiedseinrede betreffenden Senats-
urteil vom 4. Oktober 2001 - III ZR 281/00 - NJW-RR 2002, 387).
Dass wechsel- und scheckrechtliche Ansprüche in einem beschleunigten
und vereinfachten Verfahren (vgl. §§ 602 ff ZPO) durchgesetzt werden können,
hat seinen Grund darin, dass im Geschäftsverkehr Wechsel und Scheck den
Zahlungsmitteln weitgehend gleichgestellt werden. Die Möglichkeit eines Wech-
sel- oder Scheckprozesses ist gerade einer der Hauptvorteile, die ein Wechsel
oder Scheck bietet (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 1993 aaO S. 136; Wolf
aaO S. 1104). Ist die rasche Durchsetzbarkeit aber von so zentraler Bedeutung
für Wechsel und Scheck, kann in der Regel nicht angenommen werden, dass
eine Schiedsvereinbarung nicht nur die gewöhnliche Klage zum staatlichen Ge-
richt, sondern weiter den Wechsel- und Scheckprozess ausschließen sollte.
Beim gewöhnlichen Urkundenprozess liegt es anders: Zwar findet dort wie im
Wechsel- und Scheckprozess eine Beschränkung auf liquide Beweismittel statt
und ist die Widerklage ausgeschlossen (vgl. § 595 ZPO). Der gewöhnliche Ur-
kundenprozess ist indes nicht von den besonderen Bedürfnissen des Zahlungs-
verkehrs geprägt (vgl. Wolf aaO). Er ist im Gegensatz zum Wechsel- und
Scheckprozess (vgl. § 602, § 605a ZPO) nicht auf bestimmte Ansprüche, näm-
lich auf Ansprüche aus Wechseln oder Schecks, beschränkt. Die Möglichkeit
einer - der Wirkung des Wechsels oder Schecks wie Bargeldzahlung geschul-
deten (vgl. OLG Köln aaO S. 228; Wolf aaO) - außerordentlichen Beschleuni-
gung des Verfahrens durch die Verkürzung der Ladungsfrist auf eine (Mindest-
)Frist von 24 Stunden (vgl. § 604 Abs. 2 Satz 1 ZPO) kennt der gewöhnliche
Urkundenprozess nicht. Steht aber der Urkundenprozess ungeachtet gewisser
Besonderheiten dem ordentlichen Klageverfahren doch recht nahe, muss re-
gelmäßig davon ausgegangen werden, dass eine schiedsvertragliche Zustän-
digkeitsverlagerung vom staatlichen Gericht zum Schiedsgericht auch für die
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Klage im Urkundenprozess (§ 592 ZPO) gilt. Andernfalls, d.h. wenn die
Schiedseinrede der Urkundenklage grundsätzlich nicht entgegengesetzt werden
könnte, bestünde zudem die Gefahr, dass Schiedsvereinbarungen ohne weite-
res unterlaufen werden könnten; die "schiedsunwillige" Partei müsste nur einen
Urkundenprozess anstrengen.
c) Das Berufungsgericht hat besondere Anhaltspunkte, dass die Parteien
Klagen im Urkundenprozess von der Schiedsklausel hätten ausnehmen wollen,
nicht festzustellen vermocht. Die Schiedseinrede greift mithin durch.
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Schlick
Streck
Kapsa
Galke
Herrmann
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 12.04.2005 - 24 O 143/04 -
OLG Celle, Entscheidung vom 25.08.2005 - 5 U 86/05 -