Urteil des BGH vom 29.06.2010

BGH (aufschiebende wirkung, beschwerde, vergabeverfahren, ermessen, hauptsache, zpo, abschluss, gestattung, einleitung, zuschlagserteilung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 15/08
vom
29. Juni 2010
in der Beschwerdesache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Gröning, Dr. Berger,
Dr. Grabinski und Hoffmann
beschlossen:
Die Antragstellerin trägt die im Vollstreckungsverfahren vor der
Vergabekammer entstandenen Kosten und die Gerichtskosten des
Beschwerdeverfahrens. Sie hat den Antragsgegnerinnen deren zur
zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwen-
dungen - wobei die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig
erklärt wird - und außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I. Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin untersagte die
2. Vergabekammer des Bundes den Antragsgegnerinnen mit Beschluss vom
15. November 2007, in dem von ihnen durchgeführten Vergabeverfahren "Arz-
neimittel-Rabattverträge 2008/2009" hinsichtlich einer Vielzahl aufgeführter
Wirkstoffe auf der Grundlage der in der Ausschreibung festgelegten Bedingun-
gen den Zuschlag zu erteilen. Gegen diese Entscheidung erhoben die Antrags-
gegnerinnen am 29. November 2007 Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht
Stuttgart und beantragten zugleich, die aufschiebende Wirkung dieser Klage
anzuordnen und ihnen, den Antragsgegnerinnen, zu gestatten, das Vergabever-
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fahren fortzusetzen und auf die hinsichtlich der namentlich genannten Wirkstof-
fe jeweils wirtschaftlichsten Angebote den Zuschlag zu erteilen.
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Gegen die Entscheidung der Vergabekammer vom 15. November 2007
legten die Antragsgegnerinnen außerdem am 30. November 2007 beim Ober-
landesgericht Düsseldorf sofortige Beschwerde ein, die sie zurücknahmen,
nachdem sich das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 19. Dezember 2007
für zuständig erklärt hatte.
Mit Blick auf die beim Sozialgericht Stuttgart begehrte Anordnung der
aufschiebenden Wirkung und Gestattung des Zuschlags hat die Antragstellerin
am 13. Dezember 2007 bei der Vergabekammer beantragt,
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1. den Antragsgegnerinnen die Festsetzung eines Zwangsgeldes
anzudrohen und zu vollstrecken an den Personen ihrer Vertre-
ter, um sie zur sofortigen Befolgung des Beschlusses der Ver-
gabekammer anzuhalten,
2. erforderlichenfalls gegenüber den Antragsgegnerinnen ein
Zwangsgeld in angemessener Höhe (maximal jeweils
3.165.907,68 €) festzusetzen.
Mit Beschlüssen vom 20. Dezember 2007 erließ das Sozialgericht Stutt-
gart die von den Antragsgegnerinnen begehrten einstweiligen Anordnungen
und bejahte die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten für die hier
in Rede stehenden Ausschreibungen von Rabattvereinbarungen nach § 130a
Abs. 8 SGB V.
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Mit Beschluss vom 16. Januar 2008 hat die 2. Vergabekammer des Bun-
des die von der Antragstellerin gestellten Vollstreckungsanträge zurückgewie-
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sen. Dagegen hat die Antragstellerin form- und fristgerecht sofortige Beschwer-
de zum Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt, welches die Sache dem Senat
nach § 124 Abs. 2 GWB vorgelegt hat.
Mit Beschluss vom 27. Februar 2008 hob das Landessozialgericht Ba-
den-Württemberg auf die Beschwerde unter anderem der hiesigen Antragstelle-
rin die vom Sozialgericht Stuttgart angeordnete aufschiebende Wirkung der
eingereichten Klage und die Gestattung der Zuschlagserteilung auf und wies
die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
zurück. In der Folge hoben die Antragsgegnerinnen die dem vorliegenden Ver-
fahren zugrunde liegende Ausschreibung auf und setzten die Antragstellerin
davon in Kenntnis. Unter Hinweis auf diese Aufhebungsentscheidung hat die
Antragstellerin das Vollstreckungsverfahren in der Hauptsache für erledigt er-
klärt; die Antragsgegnerinnen haben sich dem angeschlossen.
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II. Nachdem die Antragstellerin und die Antragsgegnerinnen das Be-
schwerdeverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt ha-
ben, war in entsprechender Anwendung von § 91a ZPO (vgl. BGHZ 146, 202,
216) unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billi-
gem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Für die Entscheidung nach
§ 91a ZPO ist der Ausgang des Verfahrens von ausschlaggebender Bedeutung,
soweit er bei der in diesem Rahmen allein angezeigten summarischen Prüfung
mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann (vgl. BGHZ 67, 343,
346; BGH, Beschl. v. 16.11.1999 - KVR 10/98 - Erledigte Beschwerde).
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So verhält es sich hier und es entspricht hiernach billigem Ermessen, die
Antragstellerin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang mit den Kosten zu
belasten. Ihrem mit der sofortigen Beschwerde weiterverfolgten Vollstreckungs-
antrag hätte von Anfang an kein Erfolg beschieden sein können.
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1. Die Verwaltungsvollstreckung kann im Falle von - wie hier - Unterlas-
sungen eingeleitet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen gegenwärti-
gen oder künftigen Verstoß gegen die durchsetzbare Unterlassungspflicht vor-
liegen (vgl. Engelhardt/App, VwVG, 8. Aufl., 2008, Vorbem. zu §§ 6 bis 18
Rdn. 12). Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall von Anfang an nicht
erfüllt.
a) Die Antragstellerin hat ihre gegenteilige Annahme eines bevorstehen-
den Verstoßes der Antragsgegnerinnen gegen das von der Vergabekammer
ausgesprochene Zuschlagsverbot, wie sich aus ihrer Antragsbegründung ergibt,
im Wesentlichen daraus hergeleitet, dass die Antragsgegnerinnen im Zusam-
menhang mit der von ihnen erhobenen Klage beim Sozialgericht auf der Grund-
lage von § 86b SGG einstweilige Anordnungen mit dem Ziel zu erwirken ver-
sucht haben, im Vergabeverfahren vor dem rechtskräftigen Abschluss des
Nachprüfungsverfahrens Rabattverträge abschließen zu können.
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b) In der Verfolgung dieses Begehrens kann ebenso wenig ein die Einlei-
tung der Verwaltungsvollstreckung rechtfertigender Tatbestand gesehen wer-
den, wie etwa in dem vergleichbaren Fall, dass ein öffentlicher Auftraggeber,
dem die Auftragserteilung durch die Vergabekammer untersagt worden ist und
der gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht
eingelegt hat, einen Antrag auf Vorabentscheidung über den Zuschlag nach
§ 121 GWB stellt. Macht eine Seite von der in der einschlägigen Prozessord-
nung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, beim angerufenen Gericht der
Hauptsache einstweilige Anordnungen in Bezug auf den Streitgegenstand zu
erwirken, kann dies von einem anderen Beteiligten grundsätzlich nicht in der
Weise bekämpft werden, dass dem Antragsteller das Handeln, dessen gerichtli-
che Gestattung mittels des Eilantrags herbeigeführt werden soll, durch Vollstre-
ckungsmaßnahmen aus dem angefochtenen Verwaltungsakt untersagt wird,
der zudem zur Überprüfung durch das Gericht der Hauptsache steht. Vielmehr
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ist das Eilverfahren selbst die richtige Plattform, auf der andere Beteiligte ihren
Standpunkt und ihre Interessen in Bezug auf die begehrte einstweilige Anord-
nung zur Geltung zu bringen haben.
c) Ob etwas anderes gelten kann, wenn der Vollstreckungsschuldner für
die Überprüfung des Verwaltungsakts, aus dem vollstreckt werden soll, ein be-
stimmtes Gericht aus sachfremden und rechtlich zu missbilligenden Gründen
angegangen hat, kann dahinstehen, weil - entgegen den in diese Richtung wei-
senden Vorwürfen der Antragstellerin - weder ein solcher Fall gegeben ist, noch
die Streitsache vorliegend zuerst beim Vergabesenat rechtshängig geworden
war. Vielmehr ist zuerst Klage zum Sozialgericht erhoben worden. Die Antrag-
stellerin konnte sich danach grundsätzlich nicht als berechtigt ansehen, den
Eilanträgen der Antragsgegnerinnen mit Maßnahmen der Verwaltungsvollstre-
ckung zu begegnen. Zwar ist der beschließende Senat in einem Parallelverfah-
ren später zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen Entscheidungen einer Verga-
bekammer, die das Vergabeverfahren für den Abschluss von Rabattvereinba-
rungen nach § 130a Abs. 8 SGB V zum Gegenstand hat, allein das Rechtsmit-
tel der sofortigen Beschwerde zu dem für den Sitz der Vergabekammer zustän-
digen Oberlandesgericht gegeben ist (Sen.Beschl. v. 15.7.2008 - X ZB 17/08
- Rabattvereinbarungen). Jedoch war die bei Einleitung des vorliegenden Voll-
streckungsverfahrens und noch zur Zeit der Einlegung der sofortigen Be-
schwerde geltende Gesetzeslage im Hinblick darauf, dass Absatz 9 des durch
das Beitragssicherungsgesetz vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4637) neu
eingeführten § 130a SGB V bestimmte, das bei Streitigkeiten in Angelegenheit
dieser Vorschrift der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
gegeben ist, zumindest nicht eindeutig. Dementsprechend hat auch das Bun-
dessozialgericht später den umgekehrten Standpunkt eingenommen und ent-
schieden, dass Streitigkeiten über eine den Abschluss von Rabattvereinbarun-
gen betreffende Entscheidung einer Vergabekammer auf dem Sozialgerichts-
weg auszutragen sind; eine Auffassung, der sich allerdings der Gesetzgeber bei
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der Neuregelung der die sozialrechtlichen Vergabeverfahren betreffende Nach-
prüfung im Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der
gesetzlichen Krankenversicherung vom 15. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2426)
nicht angeschlossen hat.
d) Nicht beurteilt zu werden braucht ferner, ob die Voraussetzungen für
eine Einleitung der Vollstreckung aus dem instanzbeendenden Verwaltungsakt
der Vergabekammer vom 15. November 2007 dann hätten bejaht werden kön-
nen, wenn es Anzeichen dafür gegeben hätte, dass die Antragsgegnerinnen
das Vergabeverfahren mit der Zielrichtung der Zuschlagserteilung selbst unter
der Voraussetzung fortzusetzen gewillt wären, dass das Sozialgericht Stuttgart
ihre Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abschlägig beschei-
den würde. Dafür bestehen jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte. Die Ver-
lautbarungen, insbesondere Presseerklärungen vonseiten der Antragsgegne-
rinnen, auf die die Antragstellerin zur Untermauerung ihres Begehrens insoweit
hinweisen, rechtfertigen nichts, was darüber hinausginge, als dass die Antrags-
gegnerinnen die vorzeitige Zuschlagserteilung auf der Grundlage einer entspre-
chenden Entscheidung herbeiführen wollten. Die weitere Entwicklung bestätigt
das, denn die Antragsgegnerinnen haben die Ausschreibung sogar aufgeho-
ben, nachdem das Landessozialgericht ihr Eilbegehren im Rechtsmittelzug zu-
rückgewiesen hatte.
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2. Der Vollstreckungsantrag war entgegen der Ansicht des vorlegenden
Oberlandesgerichts auch nicht teilweise, nämlich im Umfang der Androhung
des Zwangsgeldes begründet. Das Oberlandesgericht hat insoweit die Ansicht
vertreten, dass die Androhung von Zwangsmitteln unabhängig davon ist, ob die
Gefahr der Zuwiderhandlung besteht bzw. bevorsteht. Das mag für die gemäß
§ 167 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 890 Abs. 2 ZPO betriebene Zwangsvollstreckung
zutreffen. Diese Bestimmungen gelten jedoch nicht für die aus einem Verwal-
tungsakt betriebene Zwangsvollstreckung, für die allein das Verwaltungsvoll-
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streckungsgesetz des Bundes bzw. die jeweils entsprechende Regelung auf
Landesebene maßgeblich ist (vgl. Schmidt-Kötters in Posser/Wolf, BeckOK
VwGO, § 167 Vor Rdn. 1).
Wäre dem Vollstreckungsbegehren nach allem ohne die Erledigungser-
klärung kein Erfolg beschieden gewesen, entspricht es billigem Ermessen, der
Antragstellerin entsprechend dem Tenor der Entscheidung der Vergabekammer
die Kosten des erstinstanzlichen Vollstreckungsverfahrens und die notwendigen
Auslagen der Antragsgegnerinnen, deren Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
notwendig war (§ 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG), sowie die Gerichtskosten des Be-
schwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin-
nen aufzuerlegen. Der Antragstellerin etwaige außergerichtliche Kosten der
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Beigeladenen aufzuerlegen entspräche, wie auch das Bundessozialgericht in
Parallelverfahren entschieden hat, mit Blick darauf nicht billigem Ermessen i.S.
von § 91a ZPO, dass diese keine Anträge gestellt und das Verfahren nicht we-
sentlich gefördert haben.
Scharen
Gröning
Berger
Grabinski
Hoffmann
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 30.04.2008 - VII-Verg 3/08 -