Urteil des BGH vom 12.02.2009

BGH (stgb, unterbringung, anordnung, sicherungsverwahrung, wahrscheinlichkeit, therapie, sucht, wohnung, beschränkung, aufhebung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 569/08
vom
12. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
der Richter am Bundesgerichtshof
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-
gerichts Mönchengladbach vom 16. Juni 2008 im Maßregelaus-
spruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, auch so-
weit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten H. in
der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an ei-
ne andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tat-
einheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die Unterbringung in ei-
ner Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass fünf Jahre Freiheitsstra-
fe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Staatsanwaltschaft wendet sich
mit ihrer auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revision gegen das
Urteil, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das
Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Maßregelausspruchs.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der vielfältig sucht-
kranke Angeklagte im November 2007 einen Überfall auf eine Apotheke, um
Benzodiazepine zu erlangen. Unter Vorhalt einer geladenen Gaspistole er-
zwang er die Herausgabe von Medikamenten. Anfang Dezember 2007 überfiel
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er zusammen mit seiner ebenfalls drogenabhängigen Lebensgefährtin, der Mit-
angeklagten S. , einen ihnen bekannten Drogenhändler in dessen
Wohnung. Sie wollten ihm gewaltsam Heroin wegnehmen. Um den Widerstand
des ihnen körperlich überlegenen Opfers auszuschalten, nahmen sie ein Mes-
ser mit, mit dem der Angeklagte dem ahnungslosen Opfer unmittelbar nach Be-
treten der Wohnung unvermittelt in die Brust stach und dabei dessen Tod zu-
mindest billigend in Kauf nahm. Obwohl durch einen Stich in die Herzgegend
lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Überfallenen, dem Angeklagten das
Messer zu entwinden, worauf beide Angeklagte flüchteten.
Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfä-
higkeit des Angeklagten bei dem Raub aus Angst vor unmittelbar bevorstehen-
den Entzugserscheinungen sowie bei dem Mordversuch wegen einer akuten
Intoxikation erheblich vermindert war. Es hat deshalb einen minder schweren
Fall des Raubes angenommen und eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren
sowie wegen des Mordversuchs aus dem zweifach gemilderten Strafrahmen
des § 211 StGB eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Daraus hat
es die Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren gebildet.
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Wegen des Hangs des Angeklagten zum Betäubungsmittelmissbrauch,
auf dem die verfahrensgegenständlichen Taten beruhen und der mit allergröß-
ter, nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zu weiteren erheblichen Ta-
ten des Angeklagten führen wird, hat das Landgericht die Unterbringung in der
Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) angeordnet. Deren Erfolgsaussicht (§ 64
Satz 2 StGB) hat es angesichts der Therapiemotivation des Angeklagten als
günstig angesehen.
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Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht im Hin-
blick auf § 72 Abs. 1 StGB abgelehnt und dies damit begründet, dass nach den
Ausführungen des gehörten Sachverständigen, denen es sich angeschlossen
hat, "mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen" sei, die Unterbrin-
gung in der Entziehungsanstalt sei ausreichend, um die von dem Angeklagten
ausgehende Gefahr zu beseitigen. Dass der Angeklagte in der Vergangenheit
mehrfach Therapien auf der Grundlage von § 35 BtMG abgebrochen habe, ste-
he dem nicht entgegen, da diese nicht unter Rahmenbedingungen stattfänden,
die für eine erfolgreiche Behandlung des Angeklagten erforderlich seien. Die
Möglichkeit, eine Therapie leicht und jederzeit abzubrechen, bestehe bei einer
Unterbringung nach § 64 StGB nicht.
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1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Nichtanordnung der Si-
cherungsverwahrung ist unwirksam. Vorliegend kann die Anordnung der Maß-
regel nach § 66 StGB nicht getrennt von derjenigen nach § 64 StGB geprüft
werden, denn nach den Gründen des angefochtenen Urteils liegt es mehr als
nahe, dass allein die vom Landgericht angenommene hohe Wahrscheinlichkeit
des Therapieerfolgs der Unterbringung nach § 64 StGB der Anordnung der Si-
cherungsverwahrung gegen den Angeklagten entgegenstand. Die Revision er-
fasst deshalb den Maßregelausspruch insgesamt. Darüber hinaus bestehen
gegen die Beschränkung indes keine Rechtsbedenken; denn eine Abhängigkeit
der Strafhöhe vom Maßregelausspruch ist hier zu verneinen (vgl. BGHR StGB §
66 Strafausspruch 1).
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2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-
hungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist
nur zulässig, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklag-
ten durch die Behandlung zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall
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in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger
Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Das Landgericht hat seine
Überzeugung von der Erfolgsaussicht auf den gehörten Sachverständigen ge-
stützt. Dieser hat ausgeführt, der Angeklagte sei in der Lage, "eine Therapie mit
der Zielsetzung einer dauerhaft abstinenten Lebensführung oder zumindest in
Bezug auf Suchtmittelkonsum streng kontrollierten Lebensführung unter Ver-
meidung eines unkontrollierten und anhaltenden Suchtmittelkonsums zu bewäl-
tigen". Er sei "nicht intellektuell beeinträchtigt und weise, abgesehen von seiner
Sucht, keine persönlichen Strukturdefizite entsprechend einer Persönlichkeits-
veränderung auf" (UA S. 59 f.). Dies widerspricht den Darlegungen des Landge-
richts zur erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum
Zeitpunkt des Mordversuchs. Insoweit hat das Landgericht - ebenfalls den Dar-
legungen des Sachverständigen folgend - ausgeführt, die Polytoxikomanie des
Angeklagten habe zu einer "Persönlichkeitsveränderung" geführt. Der "langjäh-
rige Drogenkonsum habe die Lebenssituation des Angeklagten erheblich ge-
prägt und beeinflusst." Dieser befinde sich "seit Jahrzehnten in den Stadien ei-
ner Drogenbindung und Drogenkonditionierung." Bei ihm sei aufgrund von "Epi-
lepsieanfällen bei Benzodiazepinentzug … von einer Hirnschädigung auszuge-
hen." Zudem bestehe bei ihm "ein erhebliches persönliches Strukturdefizit" (UA
S. 50).
Der Widerspruch entzieht der Feststellung einer Erfolgsaussicht im Sinne
von § 64 Satz 2 StGB die Grundlage. Über die Verhängung dieser Maßregel ist
neu zu entscheiden. Der Wegfall der Unterbringung nach § 64 StGB führt dazu,
dass auch über die Frage einer Anordnung der Sicherungsverwahrung noch-
mals entschieden werden muss (s. oben 1.).
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3. Sollte der neue Tatrichter nach Beratung durch einen - sinnvollerweise
anderen - Sachverständigen (vgl. § 246 a StPO) erneut zur Anordnung der Un-
terbringung nach § 64 StGB kommen, wird er zu prüfen haben, ob auch die
Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorliegen.
Diese sind vom Landgericht bislang nicht ausdrücklich festgestellt worden, in-
des - wie ausgeführt - naheliegend. Das Absehen von der Anordnung der Si-
cherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsan-
stalt würde ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraussetzen, dass
allein mit der Maßregel nach § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Ge-
fahr beseitigt werden kann (BGH NStZ 2000, 587 [1 StR 263/00]; 2007, 328
[3 StR 360/06]; NStZ-RR 2008, 336 [4 StR 152/08]). Dabei werden nicht nur die
vielfachen Therapieabbrüche in der Vergangenheit (nach den bisherigen Fest-
stellungen mindestens acht), sondern auch der Umstand zu beachten sein,
dass der Angeklagte, soweit dies im Urteil mitgeteilt wird, auch mehrfach wegen
anderer, mit seiner Polytoxikomanie nicht erkennbar in Zusammenhang ste-
hender Straftaten verurteilt worden und es deswegen als möglich erscheint,
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dass die Gefährlichkeit des Angeklagten auch von Umständen jenseits seiner
Sucht ausgeht.
Sofern erneut eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB zu treffen sein
wird, verweist der Senat insoweit auf die Gründe seines heutigen, auf die Revi-
sion des Angeklagten ergangenen Beschlusses.
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Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert