Urteil des BGH vom 17.07.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VIII ZR 64/01
Verkündet am:
17. Juli 2002
Kirchgeßner,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
BGB § 242 A
Zum
Auskunftsanspruch
eines
Vertragshändlers
gegen
den
Hersteller
über Verträge, welche die mit diesem verbundenen Unternehmen im Bezirk des Ver-
tragshändlers über die Produkte des Herstellers geschlossen haben.
BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 - VIII ZR 64/01 - OLG Hamburg
LG Hamburg
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Juli 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter
Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst und Dr. Frellesen
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats
des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 23. Februar
2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung
der Klägerin gegen das Teilurteil der Kammer 018 für Handelssa-
chen des Landgerichts Hamburg vom 11. November 1999 hin-
sichtlich des Hilfsantrags zu dem Klageantrag zu I. auf Erteilung
einer Auskunft über diejenigen Verträge zurückgewiesen worden
ist, welche die mit der Beklagten im Sinne der §§ 15 ff. AktG ver-
bundenen Unternehmen auf Veranlassung der Beklagten ge-
schlossen haben.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisi-
onsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die in H. ansässige Beklagte, die über ihre Muttergesellschaft in
L. mit deren anderen Tochtergesellschaften verbunden ist, produziert und
verkauft Anti-Virus-Software. Am 23. Juni 1995 schloß sie mit der Klägerin, ei-
ner Schweizer Firma, einen "Distributionsvertrag". Darin verpflichtete sich die
Klägerin, die Produkte der Beklagten im eigenen Namen und auf eigene Rech-
nung zu vermarkten. Im Gegenzug übernahm die Beklagte die Verpflichtung,
die Klägerin "als exklusiven Vertriebspartner für das Vertragsgebiet", die
Schweiz und Liechtenstein, einzusetzen. Zugleich behielt sie sich "allerdings
auch für die vertragsgegenständlichen Produkte - unter jeweiliger Abstimmung
mit der
[
Klägerin
]
- im Einzelfall das Recht vor, direkt oder mit einem anderen
Vertriebspartner im Vertragsgebiet vertrieblich zu agieren" (§ 3 Nr. 2). Weiter
wurde in dem Vertrag unter anderem vereinbart, daß der Vertrag deutschem
Recht unterliegt.
In der Folgezeit nahm die Beklagte mit mehreren Kunden in der Schweiz
unmittelbar Verbindung auf. Einen Kunden, die S. B. , ver-
wies die Beklagte mit Schreiben vom 11. März 1997 an "unsere englischen
Kollegen". Die Klägerin sieht darin eine Verletzung des Distributionsvertrages,
die die Beklagte zum Schadensersatz und zwecks dessen Berechnung zur
Auskunft über alle derartigen Vorgänge verpflichte.
Dementsprechend nimmt die Klägerin die Beklagte in dem vorliegenden
Rechtsstreit im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Schadensersatz in An-
spruch. Auf einen Hilfsantrag der Klägerin zu dem Auskunftsbegehren hat das
Landgericht die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, der Klägerin in einem näher
bestimmten Umfang Auskunft darüber zu erteilen, welche Kauf-, Werk-,
Dienstleistungs-, Lizenz- oder Supportverträge sie, die Beklagte, in der Zeit vom
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1. Januar 1997 bis zur Rechtshängigkeit der Klage am 23. März 1999 mit Kun-
den mit Sitz in der Schweiz oder Liechtenstein bezüglich im einzelnen bezeich-
neter Produkte abgeschlossen hat. Im übrigen hat das Landgericht nicht nur
den weitergehenden Hauptantrag der Klägerin zu dem Auskunftsbegehren ab-
gewiesen, sondern auch ihren Hilfsantrag insoweit, als die Klägerin damit Aus-
kunft über die betreffenden Verträge der mit der Beklagten im Sinne der
§§ 15 ff. AktG verbundenen Unternehmen verlangt hat. Gegen dieses Urteil
haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat sowohl die
Berufung der Beklagten als auch die der Klägerin, mit der diese lediglich den
abgewiesenen Teil ihres Hilfsantrags weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Mit
der Revision wendet sich die Klägerin gegen die Zurückweisung ihrer Berufung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht, zu dem die
Beklagte ordnungsgemäß geladen worden ist, ist für diese niemand erschienen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision, über die durch Versäumnisurteil zu entscheiden ist, hat
teilweise Erfolg. Die Entscheidung beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säum-
nis der Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81 f).
I.
Das Berufungsgericht hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Inter-
esse, im wesentlichen ausgeführt:
Der Klägerin stehe - gemäß der vertraglichen Vereinbarung in Anwen-
dung deutschen Rechts - nach § 242 BGB ein Auskunftsanspruch gegen die
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Beklagte zu. Die Klägerin könne von der Beklagten Schadensersatz wegen
Verletzung des Distributionsvertrages durch die direkte Belieferung Schweizer
Kunden verlangen. Keiner Entscheidung bedürfe, ob sich das Verbot des Di-
rektvertriebs bereits aus § 3 Nr. 2 des Vertrages ergebe. Jedenfalls sei die Klä-
gerin als Vertragshändlerin rechtlich und tatsächlich in einem solchen Maß in
die Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden gewesen, daß sich ein
Direktvertrieb der Beklagten im Vertragsgebiet als Verstoß gegen die Pflicht
darstelle, die berechtigten Geschäftsinteressen der Klägerin zu wahren. Dem
stehe der Vorbehalt der Beklagten in § 3 Nr. 2 des Vertrages nicht entgegen,
denn die danach erforderliche Abstimmung mit der Klägerin habe unstreitig
nicht stattgefunden. Der von der Beklagten selbst eingeräumte Direktkontakt mit
der S. B. mache weitere Direktvertriebsfälle wahrschein-
lich. Die Beklagte sei deswegen insoweit zur Auskunft verpflichtet, weil sie die-
se Fälle ohne weiteres feststellen könne, während die Klägerin hierüber nicht
unterrichtet sei.
Die von der Beklagten geschuldete Auskunft erstrecke sich jedoch nicht
auf Direktvertriebsgeschäfte der mit ihr verbundenen Unternehmen. Der Aus-
kunftsanspruch diene nicht dazu, die Grundlage für die Inanspruchnahme Drit-
ter zu schaffen. Der Auskunftsanspruch sei insoweit auch nicht durch eine ei-
gene Haftung der Beklagten für Direktvertriebsgeschäfte der mit ihr verbunde-
nen Unternehmen begründet. Eine solche Haftung bestehe nicht allein aufgrund
der konzernrechtlichen Verbundenheit. Eine Zurechnung von Drittverhalten auf-
grund einer Abschirmungspflicht komme ebenfalls nicht in Betracht. Die Be-
klagte habe zwar gegen § 3 des Distributionsvertrages verstoßen, wenn sie
- konzernrechtlich mit ihr verbundene oder andere - Dritte unter Umgehung der
Klägerin zum Direktvertrieb im Vertragsgebiet veranlaßt und dabei aktiv unter-
stützt habe. Daß die Beklagte ihre englische Muttergesellschaft nach dem
Schreiben vom 11. März 1997 möglicherweise zu Direktvertriebsgeschäften
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habe veranlassen wollen und veranlaßt habe, genüge jedoch nicht für die Un-
terstellung, daß die Beklagte jeden eventuellen Direktvertrieb durch weitere ihr
verbundene Unternehmen veranlaßt und aktiv unterstützt habe. Eine Abschir-
mungspflicht gehe im übrigen nicht so weit, daß der Pflichtige mögliche Direkt-
vertreiber aufzuspüren und dem Vertragshändler namhaft zu machen habe.
Insgesamt sei daher ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Aus-
kunft über Direktgeschäfte der mit dieser verbundenen Unternehmen zu vernei-
nen. Die Berufung der Klägerin sei daher zurückzuweisen.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung in dem
maßgeblichen Punkt nur teilweise stand. Nach dem in der Revisionsinstanz
zugrunde zu legenden Sachverhalt wendet sich die Revision zu Recht dagegen,
daß das Berufungsgericht wie schon das Landgericht die in dem Hilfsantrag der
Klägerin näher bezeichneten Verträge, welche die mit der Beklagten im Sinne
der §§ 15 ff. AktG verbundenen Unternehmen abgeschlossen haben, insoweit
von der Auskunftspflicht der Beklagten ausgenommen hat, als diese Verträge
auf Veranlassung der Beklagten zustande gekommen sind.
1. Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen,
daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Auskunftsan-
spruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gegeben ist, wenn die
zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen,
daß der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder
den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der
Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewißheit erforderliche Aus-
kunft zu erteilen (zuletzt z.B. Senatsurteil vom 22. November 2000 - VIII ZR
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40/00, WM 2001, 686 unter II 1 m.w.Nachw.). Soll die begehrte Auskunft einen
vertraglichen Schadensersatzanspruch belegen, muß dieser nach allgemeiner
Meinung nicht bereits dem Grund nach feststehen; vielmehr reicht schon der
begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung aus (Palandt/Heinrichs,
BGB, 61. Aufl., §§ 259 ff. Rdnr. 10; Soergel/Manfred Wolf, BGB, 12. Aufl., § 260
Rdnr. 25 und 28; teilweise kritisch, jedoch für den hier vorliegenden Fall eines
Dauerschuldverhältnisses zustimmend MünchKomm/Krüger, BGB, 4. Aufl.,
§ 260 Rdnr. 16, jew. m. Verweis auf BGH, Urteil vom 22. Januar 1964 - Ib ZR
199/62, LM § 242 (Be) BGB Nr. 19, sowie die ständige Rechtsprechung des
BAG, zuletzt z.B. Urteil vom 18. Januar 1996 - 6 AZR 314/95, DB 1996, 2182
unter I 2 a m.w.Nachw.).
2. Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt aus hat das Berufungsgericht
unangegriffen - und auch zu Recht - den geltend gemachten Auskunftsan-
spruch hinsichtlich der von der Beklagten selbst abgeschlossenen Verträge
bejaht, weil aufgrund eines unstreitigen Falles der begründete Verdacht beste-
he, daß die Beklagte unter Verletzung der durch den Distributionsvertrag der
Parteien begründeten Pflicht zur Wahrung der berechtigten Geschäftsinteres-
sen der Klägerin (vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 1993 - VIII ZR 47/92, WM
1993, 1464 unter B II 2) Direktbelieferungen von Schweizer Kunden vorge-
nommen und sie sich deswegen der Klägerin aus positiver Vertragsverletzung
schadensersatzpflichtig gemacht habe.
3. Dagegen hat das Berufungsgericht einen Auskunftsanspruch der Klä-
gerin zu denjenigen Verträgen verneint, welche die mit der Beklagten im Sinne
der §§ 15 ff. AktG verbundenen Unternehmen abgeschlossen haben. Nach den
bisher getroffenen Feststellungen kann dem nicht zu allen diesen Verträgen der
verbundenen Unternehmen gefolgt werden.
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Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, ein solcher Anspruch
bestehe nicht zu dem Zweck, die Grundlage für die Inanspruchnahme Dritter zu
schaffen, stimmt die Revision dem ausdrücklich zu. Sie verweist darauf, daß die
Klägerin stets nur einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte selbst
verfolgt habe. Ein solcher bestehe deswegen, weil die Beklagte zum einen die
Vertriebsaktivitäten der mit ihr verbundenen Unternehmen aktiv unterstützt und
zum anderen die Klägerin nicht vor solchen Vertriebsaktivitäten abgeschirmt
habe. Im ersten Punkt ist der Revision zuzustimmen, im zweiten dagegen nicht.
a) Das Berufungsgericht hat aufgrund tatrichterlicher Vertragsauslegung
angenommen, daß die Beklagte gegen § 3 des Distributionsvertrages versto-
ßen hätte, wenn sie - konzernrechtlich mit ihr verbundene oder andere - Dritte
unter Umgehung der Klägerin zum Direktvertrieb der Vertragsware im Vertrags-
gebiet veranlaßt hätte. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies im Widerspruch
dazu steht, daß das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob sich das Verbot
des Direktvertriebs bereits aus § 3 Nr. 2 des Distributionsvertrages ergebe. Je-
denfalls wäre ein solches Verhalten der Beklagten auch als Verstoß gegen ihre
vom Berufungsgericht zutreffend bejahte Pflicht zur Wahrung der berechtigten
Geschäftsinteressen der Klägerin anzusehen (vgl. dazu oben unter II 2). Eine
derartige Pflichtverletzung ist zwar nicht festgestellt. Jedoch hat das Berufungs-
gericht unter Hinweis auf das Schreiben der Beklagten vom 11. März 1997 an
die S. B. ausdrücklich offengelassen ("möglicherweise"),
ob die Beklagte ihre englische Muttergesellschaft zu Direktvertriebsgeschäften
veranlassen wollte und veranlaßt hat. Hiervon ist in der Revisionsinstanz zu-
gunsten der Klägerin auszugehen. Trotz dieses revisionsrechtlich zu unterstel-
lenden Vorgehens der Beklagten hat das Berufungsgericht indessen gemeint,
das genüge nicht als Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte einen eventuellen
Direktvertrieb durch weitere ihr verbundene Unternehmen veranlaßt habe. Dies
ist, wie die Revision zu Recht beanstandet, rechtsfehlerhaft. Es widerspricht
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dem vom Berufungsgericht selbst angeführten Grundsatz, daß ein begangener
Vertragsverstoß auf weitere Vertragsverstöße schließen läßt (vgl. BGH, Urteil
vom 6. Februar 1962 - VI ZR 193/61, NJW 1962, 731; vgl. auch BGHZ 95, 274,
280). Daher kann die Klägerin nach dem in der Revisionsinstanz zugrunde zu
legenden Sachverhalt von der Beklagten auch Auskunft hinsichtlich solcher
Verträge verlangen, welche die mit der Beklagten verbundenen Unternehmen
auf Veranlassung der Beklagten abgeschlossen haben.
b) Einen darüber hinausgehenden Auskunftsanspruch der Klägerin hin-
sichtlich solcher Verträge, welche die mit der Beklagten verbundenen Unter-
nehmen ohne Veranlassung der Beklagten abgeschlossen haben, hat das Be-
rufungsgericht dagegen zu Recht verneint. Wie auch die Revision einräumt,
stellt der Konzernverbund für sich allein keinen Grund dar, einem abhängigen
Unternehmen selbständige Aktivitäten verbundener Unternehmen zuzurechnen.
Dahingestellt bleiben kann, ob die von der Klägerin geltend gemachte vertragli-
che "Abschirmpflicht" der Beklagten anzuerkennen ist, die darauf gerichtet sein
soll, sie, die Klägerin, vor selbständigen Eingriffen Dritter in ihr Vertriebsrecht im
Rahmen des Zumutbaren und Möglichen zu schützen. Denn es ist weder fest-
gestellt noch dargetan, daß ein derartiger Eingriff, der eine Auskunftspflicht der
Beklagten insoweit rechtfertigen könnte, stattgefunden hat.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil insoweit keinen Bestand ha-
ben, als der Klägerin ein Auskunftsanspruch wegen solcher Verträge der mit
der Beklagten verbundenen Unternehmen versagt worden ist, die auf Veranlas-
sung der Beklagten zustande gekommen sind. Der Rechtsstreit ist nicht zur
Endentscheidung reif, da es noch weiterer Feststellungen dazu bedarf, ob die
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Beklagte im Fall der S. B. ihre englische Muttergesell-
schaft zu Direktvertriebsgeschäften veranlaßt hat. Daher sind das Berufungs-
urteil in dem oben bezeichneten Umfang aufzuheben und die Sache zur ander-
weiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen.
Dr. Deppert
Dr. Beyer
Wiechers
Dr. Wolst
Dr. Frellesen