Urteil des BGH vom 10.07.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 258/06
Verkündet
am:
10. Juli 2007
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 249 Hb
Liegen die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeugs
mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung
in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig und der Geschädigte kann vom
Schädiger nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen (Bestätigung des
Senatsurteils BGHZ 115, 375).
BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06 - LG Bochum
AG Bochum
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach
Schriftsatzfrist bis zum 5. Juni 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den
Richter Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Bochum vom 21. November 2006 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall
vom 15. März 2005, bei dem der Beklagte zu 1 mit einem bei der Beklagten
zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug auf das bereits verkehrsbedingt zum Still-
stand gekommene Kraftfahrzeug des Klägers aufgefahren ist. Die Haftung der
Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig, sie streiten im
Revisionsverfahren nur noch über die Höhe des dem Kläger durch den Unfall
entstandenen Fahrzeugschadens.
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Der vom Kläger nach dem Unfall mit der Begutachtung des Kraftfahr-
zeugschadens beauftragte Sachverständige ermittelte voraussichtliche Repara-
turkosten in Höhe von 11.488,93 € brutto, einen Wiederbeschaffungswert des
Fahrzeuges von 4.700 € brutto sowie einen Restwert von 500 €.
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Der Kläger ließ das Fahrzeug bei der Firma W. zum Preis von 6.109,80 €
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also innerhalb der 130
%-Grenze des Wiederbeschaffungswertes von
6.110 € - reparieren. Die Beklagte zu 2 zahlte vorgerichtlich an den Kläger le-
diglich den Wiederbeschaffungswert von 4.700 €, allerdings ohne Abzug des
Restwertes. Mit seiner Klage macht der Kläger die Differenz von 1.409,80 €
zwischen den angefallenen Reparaturkosten und dem Wiederbeschaffungswert
nebst Zinsen geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung
des Klägers hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsge-
richt zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus, der Kläger könne bei
den Reparaturkosten den sog. Integritätszuschlag von 30 % über dem Wieder-
beschaffungswert nicht verlangen, weil die tatsächlich vorgenommene Repara-
tur nicht zu einer fachgerechten und vollständigen Wiederherstellung des vor
dem Unfall bestehenden Zustandes geführt habe.
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II.
Diese Beurteilung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung
stand.
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1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lagen die voraussicht-
lichen Reparaturkosten nach der Schadensschätzung des vom Kläger beauf-
tragten Sachverständigen ca. 245 % über dem Wiederbeschaffungswert des
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unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs. Liegen die (voraussichtlichen) Kosten der
Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungs-
wert, so ist die Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig. In ei-
nem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist,
kann der Geschädigte vom Schädiger nur die Wiederbeschaffungskosten ver-
langen (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 375). Lässt der Geschädigte sein Fahr-
zeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen vom Schädiger
auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis zu 130 % des Wiederbe-
schaffungswertes) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaft-
lich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (Senat aaO).
2. Es kann im Streitfall offen bleiben, ob der Geschädigte gleichwohl Er-
satz von Reparaturkosten verlangen kann, wenn es ihm tatsächlich gelingt, ent-
gegen der Einschätzung des Sachverständigen die von diesem für erforderlich
gehaltene Reparatur innerhalb der 130 %-Grenze durchzuführen, denn nach
der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann Ersatz von Reparaturauf-
wand bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nur ver-
langt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durch-
geführt worden sind, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kosten-
schätzung gemacht hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 162, 161; 154, 395). Dies ist
jedoch dem Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gerade
nicht gelungen.
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a) Setzt der Geschädigte nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug nicht voll-
ständig und fachgerecht in Stand, ist regelmäßig die Erstattung von Reparatur-
kosten über dem Wiederbeschaffungswert nicht gerechtfertigt. Im Hinblick auf
den Wert der Sache wäre eine solche Art der Wiederherstellung im Allgemeinen
unvernünftig und kann dem Geschädigten nur ausnahmsweise im Hinblick dar-
auf zugebilligt werden, dass der für ihn gewohnte und von ihm gewünschte Zu-
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stand des Fahrzeuges auch tatsächlich wie vor dem Schadensfall erhalten
bleibt bzw. wiederhergestellt wird (Senatsurteile BGHZ 162, 161, 168; vom
20. Juni 1972 - VI ZR 61/71 - VersR 1972, 1024 f.; vom 5. März 1985 - VI ZR
204/83 - VersR 1985, 593, 594). Stellt der Geschädigte lediglich die Fahrbereit-
schaft, nicht aber den früheren Zustand des Fahrzeuges wieder her, so beweist
er dadurch zwar ein Interesse an der Mobilität durch sein Fahrzeug, das jedoch
in vergleichbarer Weise auch durch eine Ersatzbeschaffung befriedigt werden
könnte. Der für die Zubilligung der "Integritätsspitze" von 30 % ausschlagge-
bende weitere Gesichtspunkt, dass der Geschädigte besonderen Wert auf das
ihm vertraute Fahrzeug legt, verliert bei einer unvollständigen und nicht fachge-
rechten Reparatur eines total beschädigten Fahrzeuges in entscheidendem
Maß an Bedeutung. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den
Wiederbeschaffungswert übersteigt, ist deshalb mit dem Wirtschaftlichkeitsge-
bot und Bereicherungsverbot nur zu vereinbaren, wenn er den Zustand des ihm
vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wieder herstellt. Nur zu diesem
Zweck wird die "Opfergrenze" des Schädigers erhöht. Andernfalls wäre ein sol-
cher erhöhter Schadensausgleich verfehlt. Er hätte eine ungerechtfertigte Auf-
blähung der Ersatzleistung zur Folge und führte zu einer vom Zweck des Scha-
densausgleichs nicht gebotenen Belastung des Schädigers. Deshalb kann Er-
satz von Reparaturkosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des
Fahrzeuges nur dann verlangt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und
in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grund-
lage seiner Kostenschätzung gemacht hat.
b) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts ist
das Kraftfahrzeug des Klägers durch die bei der Firma W. vorgenommene Re-
paratur nicht vollständig in einen Zustand wie vor dem Unfall versetzt worden.
Vielmehr sind in Teilbereichen nicht unerhebliche Beanstandungen und Repa-
raturdefizite verblieben, die einer vollständigen und insoweit fachgerechten In-
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standsetzung und insbesondere einer Wiederherstellung eines mit dem unbe-
schädigten Fahrzeug vergleichbaren Zustandes entgegenstehen. Der Sachver-
ständige - so das Berufungsgericht - habe insbesondere am Rahmenlängsträ-
ger hinten rechts, im Bereich des Kühlers, wo überhaupt kein Austausch statt-
gefunden habe, am vorderen Querträger sowie im Heckbereich insgesamt
Restmängel in Form von Stauchungen und verbliebenen Verformungen festge-
stellt, die zumindest einer vollständigen Instandsetzung entgegenstünden.
c) Entgegen der Auffassung der Revision kommt es insoweit nicht darauf
an, ob die verbliebenen Defizite den Geschädigten selbst überhaupt nicht stö-
ren und von diesem nicht beanstandet werden, denn im Rahmen der Ver-
gleichsbetrachtung kommt es allein auf den erforderlichen, d.h. nach objektiven
Kriterien zu beurteilenden und deshalb auch unschwer nachzuprüfenden Repa-
raturaufwand an und nicht darauf, was der Geschädigte für erforderlich hält (vgl.
Senatsurteil BGHZ 115, 375, 381).
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3. Der Kläger kann sich unter den Umständen des vorliegenden Falles
auch nicht - wie die Revision meint - auf das so genannte Prognoserisiko beru-
fen. Zwar geht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein vom Ge-
schädigten nicht verschuldetes Werkstatt- oder Prognoserisiko, wenn er den
Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wählt,
zu Lasten des Schädigers (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 364, 370). Dies gilt je-
doch nicht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der vom Kläger mit der
Schadensschätzung beauftragte Sachverständige zu Reparaturkosten von ca.
245 % über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeu-
ges gelangt, die eine Reparatur wirtschaftlich unvernünftig machen. Lässt der
Geschädigte unter diesen Umständen sein Fahrzeug gleichwohl auf einem "al-
ternativen Reparaturweg" reparieren, und gelingt es ihm dabei nicht, das Fahr-
zeug zu Kosten innerhalb der 130 %-Grenze vollständig und fachgerecht in ei-
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nen Zustand wie vor dem Unfall zurückzuversetzen, kann er sich jedenfalls
nicht zur Begründung seiner Reparaturkostenforderung auf ein unverschuldetes
Werkstatt- oder Prognoserisiko berufen.
III.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Wellner
Diederichsen
Stöhr
Zoll
Vorinstanzen:
AG Bochum, Entscheidung vom 24.05.2006 - 70 C 308/05 -
LG Bochum, Entscheidung vom 21.11.2006 - 9 S 108/06 -