Urteil des BGH vom 05.06.2013

BGH: kokain, unterbringung, polizei, überwachung, strafzumessung, gesamtstrafe, sicherstellung, telekommunikation, verfall, untersuchungshaft

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 169/13
vom
5. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
hier: Revision des Angeklagten Z. J.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 5. Juni 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO, § 357 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten Z. J. wird das
Urteil des Landgerichts Essen vom 30. November 2012 auf-
gehoben
a)
– auch soweit es die Mitangeklagte L. J. be-
trifft
– in den Aussprüchen über die im Fall II. 5 der
Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe und die Gesamt-
strafe, wobei die Feststellungen aufrechterhalten bleiben,
b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit es den An-
geklagten Z. J. betrifft und eine Entscheidung
zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblie-
ben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
- 3 -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten Z. J. wegen unerlaubter
Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit uner-
laubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verur-
teilt. Gegen die nicht revidierende Mitangeklagte L. J. wurde wegen
Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht ge-
ringer Menge in fünf Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf
Monaten verhängt. Ferner hat das Gericht den gesamtschuldnerischen Verfall
von Wertersatz in Höhe von 20.000
€ angeordnet.
Die Revision des Angeklagten Z. J. erzielt mit der Sachrüge
– gemäß § 357 StPO auch hinsichtlich der ehemaligen Mitangeklagten L.
J.
– den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen in den Fällen II. 1 bis II. 4 der
Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
(§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Dagegen hat der Einzelstrafausspruch im Fall II. 5 keinen Bestand;
dies führt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
a) Nach den zu Fall II. 5 getroffenen Feststellungen erwarb der Ange-
klagte Z. J. am 16. Juli 2012 in V. (Niederlande) 300 Gramm
1
2
3
4
5
- 4 -
Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 98,1 % zum gewinnbringenden Weiter-
verkauf. Nachdem er das Rauschgift in seinem Pkw versteckt hatte, trat er die
Rückfahrt nach G. an. Da der Drogentransport durch die Polizei
observiert und zugleich die Telekommunikation überwacht wurde, konnte der
Angeklagte gegen 18.00 Uhr auf einem Rastplatz in B. festgenommen
werden. Das gekaufte Kokain wurde vollständig sichergestellt. Der Angeklagte
Z. J. handelte auf Grund eines gemeinsamen Tatplans mit der Mit-
angeklagten, die von G. aus die telefonische Verbindung aufrecht-
erhielt und den geplanten Verkauf der Drogen vorbereitete.
Die Überwachung durch die Polizei und die Sicherstellung der Betäu-
bungsmittel hat die Strafkammer weder bei der Prüfung eines minder schweren
Falles noch bei der konkreten Strafzumessung angesprochen.
b) Dies ist rechtsfehlerhaft.
Zwar hat der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 StPO nur die be-
stimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte mitzuteilen. Mit der Überwachung
des Drogentransports und der Telekommunikation durch die Polizei sowie der
vollständigen Sicherstellung der Betäubungsmittel sind jedoch wesentliche
Strafmilderungsgründe unerwähnt geblieben, deren Berücksichtigung sich auf-
drängen musste (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2004
– 5 StR 173/04, NStZ
2004, 694; vom 9. Dezember 2008
– 5 StR 561/08; vom 28. Oktober 2009
– 5 StR 443/09, Rn. 16; vom 7. Februar 2012 – 4 StR 653/11, NStZ-RR 2012,
153; Weber, BtMG, 4. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 965 ff. mwN). Dies führt zur Auf-
hebung der im Fall II. 5 gegen den Angeklagten Z. J. verhängten Ein-
zelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie der Gesamtstrafe,
auch wenn die Einzelstrafe trotz einer erheblichen Kokainmenge mit einem sehr
6
7
8
- 5 -
hohen Wirkstoffgehalt nur wenig über der Strafrahmenuntergrenze des § 30
Abs. 1 BtMG liegt. Denn das Landgericht hat im ebenfalls 300 Gramm Kokain
betreffenden Fall II. 3 der Urteilsgründe, in dem weder eine Überwachung noch
eine Sicherstellung erfolgt ist, auch eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren
und sechs Monaten verhängt.
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich insoweit
nur um einen Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen, die den bis-
her getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
Die Aufhebung des Urteils war gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die Mit-
angeklagte L. J. zu erstrecken, da der Wertungsfehler des Land-
gerichts auch der Strafzumessung hinsichtlich der Nichtrevidentin zugrunde
liegt und nicht nur in der Person des Beschwerdeführers vorliegt (Meyer-
Goßner, StPO, 55. Aufl., § 357 Rn. 15).
3. Das Urteil kann ferner keinen Bestand haben, soweit eine Entschei-
dung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten Z. J. in einer
Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist.
a) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte während des
Tatzeitraums in nicht unerheblichem Umfang Kokain. Er steigerte seinen Kon-
sum seit dem Jahr 2010 und nahm kurz vor seiner Festnahme nahezu täglich
bis zu einem Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von etwa 50 % zu sich.
Die Kammer ist davon ausgegangen, dass bei den abgeurteilten monatlichen
Einfuhrfahrten jeweils eine Menge von 15 Gramm nahezu reinen Kokains für
den Eigenbedarf des Angeklagten bestimmt war. Zu Beginn der Untersu-
chungshaft litt er unter Entzugssymptomen (Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen,
9
10
11
12
- 6 -
Schweißausbrüche). Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht ihm
zugute
gehalten, dass er „möglicherweise auch unter einem gewissen Sucht-
dr
uck gehandelt haben mag“ (UA S. 13).
b) Vor diesem Hintergrund hätte sich das Landgericht zu der Prüfung ge-
drängt sehen müssen, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-
hungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen ist. Denn die getroffenen Feststel-
lungen legen nahe, dass der Angeklagte einen Hang zum übermäßigen Betäu-
bungsmittelkonsum hat, die abgeurteilten Taten jedenfalls auch auf seinen
Hang zurückgehen und die Gefahr besteht, dass er infolge des Hanges weitere
erhebliche rechtswidrige Taten begeht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012
– 4 StR 173/12; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12; vom 12. September 2012
– 4 StR 294/12).
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Ent-
ziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen
(§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Dabei wird ge-
gebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten sein.
c) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nach-
holung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH,
Urteil vom 10. April 1990
– 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer
hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom
Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992
– 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
d) Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung
der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in den Fällen II. 1 bis II. 4 mildere
13
14
15
16
- 7 -
Einzelstrafen verhängt hätte. Diese Strafaussprüche können deshalb bestehen
bleiben.
4. Zu der Verfallsanordnung bemerkt der Senat ergänzend:
Da die Angeklagten eingeräumt haben, aus den verfahrensgegenständ-
lichen Taten Mindesteinkünfte in Höhe von 20.000
€ erzielt zu haben, begegnet
die Anordnung des Verfalls von Wertersatz nach § 73a StGB keinen Bedenken.
Der erweiterte Verfall nach § 73d StGB musste deshalb nicht in Betracht gezo-
gen werden.
Mutzbauer
Cierniak
Franke
Quentin
Reiter
17
18