Urteil des BGH vom 18.12.2008

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZR 200/06
vom
18. Dezember 2008
in dem Rechtsstreit
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den Richter Dr. Kuffer, die Richterin
Safari Chabestari, den Richter Halfmeier und den Richter Leupertz
beschlossen:
Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision wird stattgegeben.
Das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Mün-
chen, Zivilsenate in Augsburg, vom 4. Oktober 2006 wird
gemäß § 544 Abs. 7 ZPO insoweit aufgehoben, als zum
Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Ver-
fahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 115.978,05 €
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten restlichen Werklohn; die Beklag-
ten rechnen hiergegen mit einem Vorschussanspruch für Mängelbeseitigungs-
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arbeiten auf und verlangen den überschießenden Betrag im Wege der Wider-
klage.
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Die Klägerin wurde von den Beklagten im Frühjahr 1998 u.a. damit be-
auftragt, einen flüssigkeitsdichten Betonbelag (Bodenplatten) zum einen für ei-
nen Schrottplatz des Beklagten zu 1 ("nördliche Fläche") und zum anderen für
eine Altautoverwertung des Beklagten zu 2 ("südliche Fläche") neu herzustel-
len.
Das Landgericht hat die Beklagten unter teilweiser Klageabweisung zur
Zahlung von 57.978,05 € als Gesamtschuldner verurteilt. Die Widerklage hat es
abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass der Klägerin noch ein Restwerk-
lohnanspruch in Höhe von 114.915,50 € zugestanden habe. In Höhe von
56.937,45 € hätten die Beklagten hiergegen wirksam mit einem Anspruch auf
Vorschusszahlung für Mängelbeseitigungskosten aufgerechnet. Auf die Beru-
fung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der weiter-
gehenden Berufung die Klage insgesamt abgewiesen und die Klägerin auf die
Widerklage zur Zahlung eines Kostenvorschusses von 58.000 € verurteilt. Die
Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der
Klägerin, die mit einer Revision weiterhin die vollständige Zurückweisung der
Berufung erreichen will.
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II.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat
Erfolg. Das Berufungsurteil beruht, wie die Klägerin zu Recht rügt, auf einer
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist
deshalb aufzuheben, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist. In-
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soweit ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7
ZPO.
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1. a) Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der Betonplatte des Schrott-
platzes (nördliche Fläche) angenommen, dass die Klägerin nicht die gebotene
risikominimierende Ausführungsart, sondern eine Konstruktion mit zu vielen Fu-
gen gewählt habe und deshalb keine flüssigkeitsundurchlässige Fläche herge-
stellt worden sei. Daher sei der Betonboden des Schrottplatzes mangelhaft. Aus
diesem Grund bestehe Mängelbeseitigungsbedarf nicht nur - wie vom Landge-
richt angenommen - durch Nachbearbeitung des Fugenbereichs einschließlich
der umgebenden Betonausbrüche. Andererseits sei die vorhandene Bodenplat-
te auch nicht vollständig untauglich. Die Mängel könnten und müssten durch
das Aufbringen einer weiteren, 20 cm starken, fugenlosen Platte auf die vor-
handene Platte entsprechend den Ausführungen des gerichtlichen Sachver-
ständigen R. beseitigt werden. Dies sei zur Erreichung des geschuldeten
Zwecks die vergleichbar günstigste Lösung.
Zu dieser Einschätzung, dass die Fläche grundsätzlich zu viele Fugen
enthalte, ist das Berufungsgericht aufgrund der Ergebnisse des ergänzend ein-
geholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. G. vom 19. Juni 2006 sowie
dessen Erläuterungen in der letzten mündlichen Verhandlung vom 28. Juni
2006 gelangt. Zuvor war in dem seit 1999 anhängigen Rechtsstreit die Frage
der Anzahl der notwendigen oder zulässigen Fugen nicht angesprochen wor-
den.
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b) Das Berufungsgericht durfte die mündliche Verhandlung nicht ohne
weiteres schließen, nachdem erstmals durch das wenige Tage vor der mündli-
chen Verhandlung zugegangene schriftliche Gutachten des Sachverständigen
Dr. G. und dessen mündliche Ausführungen im Termin vom 28. Juni 2006 die
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Frage der Eignung einer Betonfläche mit zahlreichen Fugenausbildungen für
den hier in Rede stehenden Zweck thematisiert worden war. Im Hinblick darauf,
dass die Parteien zuvor jahrelang über andere Punkte gestritten hatten und die
bereits zuvor erstatteten Gutachten den neu eingeführten Streitpunkt nicht prob-
lematisiert hatten, konnte das Berufungsgericht von der Klägerin eine umfas-
sende sofortige Äußerung auf diesen veränderten Gesichtspunkt nicht erwarten.
In einem solchen Fall muss das Gericht die mündliche Verhandlung vertagen,
ins schriftliche Verfahren übergehen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht er-
scheint, oder auf Antrag der betreffenden Partei gemäß § 139 Abs. 5 i.V.m.
§ 296 a ZPO eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Partei die Stellungnah-
me in einem Schriftsatz nachbringen kann. Unterlässt das Gericht die derart
gebotenen prozessualen Reaktionen und verkennt es dabei, dass die Partei
sich offensichtlich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklä-
ren können, so verletzt es deren Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbe-
schluss vom 13. März 2008 - VII ZR 204/06, BauR 2008, 1029 = NZBau 2008,
445 = ZfBR 2008, 472; BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05,
NJW-RR 2007, 412; Urteil vom 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW 1999,
2123).
2. a) Das Berufungsgericht hat weiter gemeint, die Höhe des Vorschuss-
anspruchs sei mit den vom Sachverständigen R. errechneten Mängelbeseiti-
gungskosten von netto 63.000 € und 90.000 €, zuzüglich der Mehrwertsteuer
insgesamt 177.480 €, anzusetzen. Eine Anrechnung von Sowieso-Kosten erge-
be sich nicht, weil hiermit im Wesentlichen lediglich die geschuldete Leistung
nachgeholt werde. Allerdings sei eine Vorteilsausgleichung durchzuführen, weil
die durchzuführende Verstärkung eine erhöhte Traglast, Dauerhaftigkeit sowie
Gebrauchstauglichkeit der Fläche zur Folge habe; diese schätze das Gericht
auf 30 %, so dass sich der reduzierte Vorschuss noch auf 124.236 € belaufe.
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b) Auch zu dieser Berechnung, die auf der vom Sachverständigen Dr. G.
für notwendig erachteten Konstruktion der Bodenplatte mit weniger Fugen be-
ruht, hätte das Berufungsgericht der Klägerin weitere Gelegenheit zur Stellung-
nahme geben müssen. Denn ihm musste sich aufdrängen, dass die Klägerin
von dem oben dargelegten neuen Gesichtspunkt in Bezug auf die Mangelhaf-
tigkeit ihrer Leistung überrascht war und zu den Konsequenzen nicht sofort um-
fassend Stellung nehmen konnte.
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3. Diese Gehörsverletzungen sind entscheidungserheblich.
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Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht unter Berücksich-
tigung des Vortrags der Klägerin, wie sie ihn im nicht nachgelassenen Schrift-
satz vom 11. Juni 2006 gehalten hat, und des Vorbringens aus der Nichtzulas-
sungsbeschwerdebegründung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
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Das betrifft zum einen die Frage, in welcher Ausführung die Klägerin die
Bodenplatte schuldete. In Betracht kommt aber auch, dass die Beklagten eine
Mitverantwortlichkeit trifft, wenn von ihnen Vorgaben zur Ausbildung der Fugen
gemacht worden sein sollten. Schließlich könnte der Einwand der Klägerin Er-
folg haben, dass Sowieso-Kosten in Abzug zu bringen sind. Denn der Abzug
von Sowieso-Kosten kommt in Betracht, wenn die nach dem Vertrag vereinbar-
te Funktionstauglichkeit durch die im Vertrag bestimmte Ausführungsart nicht
erreicht wird und der Auftraggeber den begehrten Vorschuss nach den Kosten
der Herstellung eines funktionstauglichen Werkes berechnet (BGH, Urteil vom
16. Juli 1998 - VII ZR 350/96, BGHZ 139, 244, 247; Beschluss vom 25. Januar
2007 - VII ZR 41/06, Rdn. 17, BauR 2007, 700 = NZBau 2007, 243 = ZfBR
2007, 340). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Abrechnung nach Ein-
heitspreisen vereinbart war. Die ausschließlich angebotene und abgerechnete
Position mit Stahlfaserbeton war nach der Behauptung der Klägerin ungeeignet
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für die Herstellung einer Platte mit weniger Fugen, da bei einer Ausführung mit
Stahlfaserbeton Scheinfugen notwendig seien. Eine Platte mit weniger Fugen
hätte eine stärkere Bewehrung benötigt. Daher kommt es in Betracht, dass die
vom Berufungsgericht angesetzten Kosten für Stahlbetonmatten von vornherein
angefallen wären.
Kniffka Kuffer
Safari
Chabestari
Halfmeier
Leupertz
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Entscheidung vom 30.04.2004 - 2 O 3812/99 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 04.10.2006 - 27 U 396/04 -