Urteil des BGH vom 23.01.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 68/12
Verkündet am:
23. Januar 2013
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 564
Wird das Mietverhältnis nach dem Tod des Mieters gemäß § 564 Satz 1 BGB mit
dem Erben fortgesetzt, sind die nach dem Erbfall fällig werdenden Forderungen je-
denfalls dann reine Nachlassverbindlichkeiten, wenn das Mietverhältnis innerhalb der
in § 564 Satz 2 BGB bestimmten Frist beendet wird.
BGH, Urteil vom 23. Januar 2013 - VIII ZR 68/12 - LG Nürnberg-Fürth
AG Nürnberg
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen
Dr. Milger, Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der 7. Zivilkammer
des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Februar 2012 - auch im Kosten-
punkt - aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom
15. Juni 2010 geändert, soweit bezüglich der Klage zum Nachteil der Be-
klagten entschieden worden ist.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Anschlussrevision des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die in der ersten und zweiten Instanz entstandenen au-
ßergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten sowie 1/20 der weiteren
Kosten der ersten und zweiten Instanz zu tragen. Im Übrigen fallen die
Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zur Last.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der Kläger und die Drittwiderbeklagten sind Gesellschafter der
S. Vermietungs-GbR, die dem Vater der Beklagten im Jahr 1994 eine
Wohnung in N. vermietet hatte. Der Kläger macht gegen die Beklagte als
Erbin nach ihrem am 8. Oktober 2008 verstorbenen Vater aus abgetretenem
Recht der Vermieterin Ansprüche aus dem mit Ablauf des Monats Januar 2009
beendeten Mietverhältnis geltend. Die Beklagte hat die Erbschaft mit einer beim
Nachlassgericht am 30. Januar 2009 eingegangenen notariellen Erklärung aus-
geschlagen und im Übrigen die Dürftigkeitseinrede erhoben.
Der Kläger begehrt Zahlung der Miete für die Monate November 2008 bis
Januar 2009, ferner Schadensersatz wegen unvollständiger Räumung, nicht
durchgeführter Schönheitsreparaturen und Beschädigung der Mietsache, ins-
gesamt 7.721,54 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten. Im Wege
der Widerklage hat die Beklagte Abrechnung über die vom Erblasser in Höhe
von 1.533,87 € (3.000 DM) erbrachte Kaution verlangt. Das Amtsgericht hat der
Klage stattgegeben, die Widerklage abgewiesen und der Beklagten die Be-
schränkung der Haftung auf den Nachlass vorbehalten. Das Landgericht hat
das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen, so-
weit die Beklagte zur Zahlung von
mehr als 2.512,48 € nebst Zinsen und vorge-
richtlichen Anwaltskosten in Höhe
von 311,19 € verurteilt worden ist. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die voll-
ständige Abweisung der Klage. Der Kläger erstrebt mit der Anschlussrevision
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils bezüglich der Klage.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hat Erfolg; die Anschlussrevision des Klägers
ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit
für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte sei als Miterbin und Rechtsnachfolgerin des Erblassers
gemäß §§ 564, 1922 BGB in den Mietvertrag eingetreten, weil sie die Erbschaft
nicht fristgemäß ausgeschlagen habe. Die sechswöchige Ausschlagungsfrist
habe mit Kenntnis der Beklagten vom Tod des Vaters am 9. Oktober 2008 zu
laufen begonnen und sei daher im Zeitpunkt der Ausschlagung (30. Januar
2009) bereits abgelaufen gewesen.
Die Beklagte sei deshalb zur Zahlung der Miete für den Zeitraum No-
vember 2008 bis Januar 2009 (insgesamt
2.262,48 €) verpflichtet. Insoweit haf-
te sie auch persönlich, denn es handele sich um sogenannte Nachlasserben-
schulden. Zwar werde teilweise die Auffassung vertreten, dass die bis zur ers-
ten Kündigungsmöglichkeit entstandenen Verbindlichkeiten aus einem Dauer-
schuldverhältnis reine Nachlassverbindlichkeiten seien. Diese Auffassung be-
rücksichtige indes nicht, dass § 564 BGB den Eintritt des Erben in das Mietver-
hältnis in einer über die normalen Erbwirkungen hinausgehenden Weise selb-
ständig anordne. Hier komme außerdem hinzu, dass die Beklagte ihre eigenen
Möbel zumindest zeitweise in der Wohnung untergestellt habe. Es wäre unbillig,
wenn bei einem überschuldeten Nachlass für den Erben die Möglichkeit be-
stünde, die Wohnung unentgeltlich zu nutzen, ohne dass er im Gegenzug vom
Vermieter persönlich in Anspruch genommen werden könnte. In gleicher Weise
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hafte die Beklagte für die Entsorgungskosten (250 €), die wegen der unzu-
reichend durchgeführten Räumung des Mietobjektes entstanden seien.
Bei den Schadensersatzansprüchen wegen unterlassener Schönheitsre-
paraturen und Beschädigungen der Mietsache handele es sich hingegen um
Nachlassverbindlichkeiten; insoweit sei die Klage aufgrund der von der Beklag-
ten erhobenen Dürftigkeitseinrede abzuweisen, da die Unzulänglichkeit des
Nachlasses feststehe. Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsverfolgungs-
kosten stehe dem Kläger für die außergerichtliche Geltendmachung der Miet-
forderung durch seine Rechtsanw
älte ein Betrag in Höhe von 311,19 € zu.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind sämtliche mit der
Klage erhobenen Ansprüche (reine) Nachlassverbindlichkeiten, so dass die
Klage jedenfalls mit Rücksicht auf die von der Beklagten erhobene Dürftigkeits-
einrede und die vom Berufungsgericht zutreffend festgestellte Erschöpfung des
Nachlasses insgesamt unbegründet ist. Der Eintritt des Erben in das Mietver-
hältnis nach § 564 BGB führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
nicht dazu, dass der Erbe für die weiteren Forderungen aus dem Mietverhältnis
auch persönlich ("als Mieter") haften würde.
A. Revision der Beklagten
1. Die
Revision ist (insgesamt) zulässig, auch soweit sich die Beklagte
gegen die Verurteilung zum Ersatz von Räumungskosten wendet. Entgegen der
Auffassung der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht die Revision
nicht nur beschränkt - soweit der Kläger rückständige Miete begehrt - zugelas-
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sen. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil es der Frage, ob
der Erbe wegen des Eintritts in das Mietverhältnis gemäß § 564 BGB für die
weiteren Forderungen aus dem Mietverhältnis persönlich haftet, grundsätzliche
Bedeutung beigemessen hat. Da das Berufungsgericht eine solche persönliche
Haftung der Beklagten auch für die Räumungskosten bejaht hat, ist die Revisi-
on auch insoweit zugelassen.
2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Beklagte die Erbschaft rechtzei-
tig ausgeschlagen hat. Denn der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung der
Miete für die Monate November 2008 bis Januar 2009 und auf Ersatz der Räu-
mungskosten auch dann nicht zu, wenn die Beklagte, wie das Berufungsgericht
angenommen hat, mangels rechtzeitiger Erbausschlagung Erbin ihres Vaters
geworden sein sollte.
a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich bei den
nach dem Erbfall fällig gewordenen Mieten und den Kosten der Räumung nicht
um sogenannte Nachlasserbenschulden, für die die Beklagte mit dem eigenen
Vermögen und nicht nur beschränkt auf den Nachlass haften würde.
aa) Die Einordnung derartiger Forderungen ist allerdings umstritten.
Nach einer in der mietrechtlichen Literatur teilweise vertretenen Auffassung, der
auch das Berufungsgericht folgt, haftet der Erbe für die nach dem Erbfall ent-
stehenden mietrechtlichen Verbindlichkeiten aufgrund seiner Stellung als Mieter
auch persönlich (Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 10. Aufl., § 564 BGB Rn. 3;
Kinne in Kinne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 6. Aufl., § 564
Rn. 3; wohl auch MünchKommBGB/Häublein, 6. Aufl., § 564 Rn. 6).
bb) Nach der Gegenmeinung handelt es sich jedenfalls dann, wenn das
Mietverhältnis durch Kündigung nach § 564 BGB beendet wird, um reine Nach-
lassverbindlichkeiten (KG, NJW 2006, 2561, 2562; OLG Düsseldorf, ZMR 1994,
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114; LG Wuppertal, MDR 1997, 34; Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1967
Rn. 2, 11; Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2011, § 564 Rn. 7), so dass der
Erbe seine Haftung durch Erhebung der Dürftigkeitseinrede auf den Nachlass
beschränken kann.
cc) Der Senat hat die Frage, ob und inwieweit der Erbe für Forderungen
aus dem übergegangenen Dauerschuldverhältnis auch persönlich haftet, bis-
lang offen gelassen (Senatsurteil vom 21. Dezember 1988 - VIII ZR 277/87,
NJW 1989, 2133 unter III 1 a). Er beantwortet sie nunmehr dahin, dass auch die
nach dem Tod des Erblassers fällig werdenden Forderungen aus dem Mietver-
hältnis jedenfalls dann reine Nachlassverbindlichkeiten sind, wenn das Mietver-
hältnis - wie hier - innerhalb der in § 564 Satz 2 BGB bestimmten Frist beendet
wird.
(1) Als sogenannte Nachlasserbenschulden werden im Allgemeinen Ver-
bindlichkeiten bezeichnet, die durch Rechtsgeschäfte des Erben bei der Verwal-
tung des Nachlasses entstehen und die deshalb sowohl Eigenverbindlichkeiten
des Erben als auch - soweit sie auf ordnungsgemäßer Verwaltung des Nach-
lasses beruhen - Nachlassverbindlichkeiten sind (vgl. BGH, Urteil vom
31. Januar 1990 - IV ZR 326/88, BGHZ 110, 176, 179). Unter diesem Blickwin-
kel lässt sich eine persönliche Haftung der Beklagten nicht begründen, denn ein
rechtsgeschäftliches Handeln der Beklagten zur Fortsetzung des Mietverhält-
nisses liegt nicht vor.
(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich auch aus
§ 564 Satz 1 BGB keine persönliche Haftung der Beklagten. Diese Vorschrift
knüpft den Eintritt in das Mietverhältnis an die Erbenstellung an; der Wortlaut
der gesetzlichen Bestimmung bietet somit keine Anhaltspunkte für eine zusätz-
liche persönliche Haftung des in das Mietverhältnis eintretenden Erben. Auch
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aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift lässt sich nichts dafür
entnehmen, dass dem Erben im Hinblick auf das Wohnraummietverhältnis des
Erblassers eine über die allgemeine Rechtsnachfolge (§ 1922 BGB) hinausge-
hende und mit einer persönlichen Haftung verbundene Sonderstellung zuge-
wiesen wäre. Denn die Regelung des § 564 Satz 1 BGB erklärt sich aus der
Besonderheit, dass im Falle des Todes eines Mieters von Wohnraum vorrangig
der Eintritt von Familien- und Haushaltsangehörigen oder Mitmietern des Erb-
lassers in Betracht kommt (§§ 563, 563a BGB) und es deshalb einer Regelung
dahin bedarf, dass der Erbe (nur) dann in das Mietverhältnis eintritt, wenn das
Mietverhältnis nicht nach §§ 563, 563a BGB fortgesetzt wird. Dies ändert indes
nichts daran, dass das Mietverhältnis als Dauerschuldverhältnis nach §§ 1922,
1967 BGB auf den Erben übergeht und die daraus resultierenden Verbindlich-
keiten den Erben nur als solchen treffen. Zutreffend weist die Revision in die-
sem Zusammenhang darauf hin, dass § 580 BGB für sonstige Mietverhältnisse
lediglich eine dem § 564 Satz 2 BGB entsprechende außerordentliche Kündi-
gungsmöglichkeit vorsieht und somit den Übergang des Mietverhältnisses auf
den Erben (nach §§ 1922, 1967 BGB) voraussetzt.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte
auch nicht "aus Billigkeitsgründen" für die Mieten von November 2008 bis Ja-
nuar 2009. Eine Anspruchsgrundlage, aus der sich eine persönliche Verpflich-
tung der Beklagten zur Zahlung der Miete mit Rücksicht darauf ergäbe, dass
sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zeitweise noch einige der Beklagten
gehörende, dem Erblasser zur Benutzung überlassene Möbelstücke in der
Wohnung befanden, ist nicht ersichtlich.
d) Da es sich somit bei den Mietschulden um (reine) Nachlassverbind-
lichkeiten handelt, haftet die Beklagte nur beschränkt auf den Nachlass. Zutref-
fend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die auf Erfüllung einer
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Nachlassverbindlichkeit gerichtete Klage abzuweisen ist, wenn der Erbe die
Dürftigkeitseinrede erhoben hat und die Erschöpfung des Nachlasses feststeht
(vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1983 - IVa ZR 211/81, NJW 1983, 2378 unter 2).
Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Ent-
gegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der Anspruch auf Rückge-
währ der Kaution wertlos, weil bereits die rückständigen Mietforderungen die
Kaution übersteigen.
B. Anschlussrevision des Klägers
Die Anschlussrevision bezieht sich ausschließlich auf Nachlassverbind-
lichkeiten und ist somit schon deshalb unbegründet, weil - wie oben ausge-
führt - die Beklagte die Dürftigkeitseinrede erhoben hat und der Nachlass er-
schöpft ist.
III.
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts im Kostenpunkt und
insoweit keinen Bestand haben, als hinsichtlich der Klage zum Nachteil der Be-
klagten entschieden worden ist; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1
ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da es keiner weiteren Fest-
stellungen bedarf (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Abänderung des erstin-
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stanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage insgesamt. Die Anschlussrevi-
sion des Klägers ist zurückzuweisen.
Ball
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 15.06.2010 - 29 C 5423/09 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 07.02.2012 - 7 S 5446/10 -