Urteil des BGH vom 25.05.2010

BGH (schwerer fall, strafkammer, menge, verletzung, stpo, gegenstand, annahme, rauschgift, haschisch, schuldspruch)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 59/10
vom
25. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Mai 2010 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Bayreuth vom 2. November 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine an-
dere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Die Strafkammer hat folgendes festgestellt:
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Der Angeklagte verkaufte aus einem Vorrat von etwas mehr als einem Ki-
logramm Haschisch, den er, wie er angibt, von einem inzwischen verstorbenen
und aus „Pietätsgründen“ nicht benannten Lieferanten erhalten hatte, an
B. zwischen Ende November und kurz vor Weihnachten 2008 zweimal je
100 Gramm Haschisch und einmal 200 Gramm Haschisch. Bei der dritten Liefe-
rung erklärte er, er könne erst wieder im Januar liefern. Am 13. Februar 2009
wollte er dann vereinbarungsgemäß 300 Gramm Haschisch liefern, wurde aber
vor der Übergabe festgenommen. Er hatte drei Haschischplatten mit einem Ge-
wicht von zusammen 291,3 Gramm dabei, außerdem in seiner Hosentasche ein
Springmesser. Bei diesem springt die Klinge seitlich aus dem Griff heraus, der
aus dem Griff herausragende Klingenteil ist nicht länger als 8,5 cm. Es ist nicht
zweiseitig geschliffen, aus „starkem“ Material und spitz zulaufend. Der Angeklag-
te erklärte hierzu, er habe das Messer nicht einsetzen wollen, sondern es wegen
seiner Tätigkeit als Hausmeister in der Hosentasche gehabt. In seiner Wohnung
wurden vier Haschischplatten mit einem Gesamtgewicht von 387,50 Gramm ge-
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funden. Diese hatten etwa den gleichen Wirkstoffgehalt wie das bei der Fest-
nahme sichergestellte Rauschgift.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
(§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) in drei Fällen sowie bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) zu vier
Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, ein Geldbetrag wur-
de für verfallen erklärt. Für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht ge-
ringer Menge wurden zweimal je ein Jahr und sechs Monate und einmal zwei
Jahre Freiheitsstrafe verhängt; das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmit-
teln in nicht geringer Menge wurde als minder schwerer Fall (§ 30a Abs. 3 BtMG)
bewertet, die Strafe von drei Jahren und drei Monaten jedoch dem Strafrahmen
des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision
des Angeklagten, wobei eine Gesamtschau der Revisionsbegründungen vom
2. und 11. Dezember 2009 ergibt, dass auch der Schuldspruch angefochten sein
soll.
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Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
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Möglicherweise sind sämtliche Taten im Blick auf eine Bewertungseinheit
tateinheitlich verbunden (1.a), eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs
durch den Senat ist jedoch nicht möglich (1.b). Außerdem ist die für eine Verur-
teilung gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erforderliche Feststellung, dass das
Messer zur Verletzung von Personen bestimmt war, bisher nicht rechtsfehlerfrei
getroffen (2.). Auf der Grundlage der Annahme eines minder schweren Falles
gemäß § 30a Abs. 3 BtMG ist die Strafkammer von einer unzutreffenden Höchst-
strafe ausgegangen (3.). Sollte von einer Bewertungseinheit auszugehen sein,
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hätte die Bewertung eines Teilaktes des Geschehens als bewaffnetes Handel-
treiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Einfluss auf den Schuld-
spruch insgesamt, die Bewertung als minder schwerer Fall Einfluss auf den ins-
gesamt anzuwendenden Strafrahmen (4.).
1. Mehrere Rauschgiftgeschäfte sind dann im Sinne von Tateinheit in einer
Bewertungseinheit verbunden, wenn sie in ein und demselben Güterumsatz in
einem Handlungsteil, etwa bei Erwerb, Lieferung oder Bezahlung des Kaufprei-
ses in einer Gesamtmenge oder in einem Geldbetrag zusammentreffen (st.
Rspr.; vgl. BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; Körner BtMG 6.
Aufl. § 29 Rdn. 846 f. m.w.N.). Die Strafkammer hat diesen hier möglicherweise
einschlägigen Gesichtspunkt nicht erörtert.
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a) Die Menge von verkauftem und sichergestelltem Rauschgift entspricht
der von dem Unbekannten gelieferten Menge. Zudem hatte sowohl das bei der
Festnahme als auch das in der Wohnung sichergestellte Rauschgift etwa den
gleichen Wirkstoffgehalt. Daher ergeben die Urteilsgründe die Auffassung der
Strafkammer, der Angeklagte habe sämtliches Rauschgift, mit dem er Handel
getrieben hat, in einer Lieferung bezogen.
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b) Dennoch kann der Senat nicht, wie beantragt, den Schuldspruch (ent-
sprechend § 354 Abs. 1 StPO) auf Tateinheit umstellen. Dies setzte - abgesehen
von der nach Maßgabe des Einzelfalles zu beurteilenden Frage nach der Verein-
barkeit mit § 265 StPO - klare, erschöpfende und eindeutige Feststellungen vor-
aus; es ist dagegen nicht möglich, wenn eine neue Hauptverhandlung andere
oder ergänzende Feststellungen erwarten lässt, oder wenn eine dem Tatrichter
vorbehaltene Würdigung der Feststellungen erforderlich ist (vgl. BVerfG NStZ
2001, 187, 188; BGH, Urt. vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09 ;
BGH NStZ 2008, 213; NJW 1973, 1511, 1512; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO
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25. Aufl. § 354 Rdn. 18; Temming in HK-StPO 4. Aufl. § 354 Rdn. 12 jew.
m.w.N.). Hier sagte der Angeklagte im Dezember 2008 zu B. , er könne erst
im Januar 2009 wieder liefern. Dies spricht dagegen, dass er zum Zeitpunkt der
Äußerung weiteres Rauschgift besaß.
Einige Feststellungen sprechen also für eine Bewertungseinheit, andere
dagegen. Eine zusammenfassende Würdigung dieser Erkenntnisse (§ 261 StPO)
ist nicht vorgenommen, da die Strafkammer die Möglichkeit einer Bewertungs-
einheit nicht erwogen hat. Auf dieser Grundlage kommt eine Schuldspruchände-
rung durch den Senat nicht in Betracht. Der Senat weist vorsorglich darauf hin,
dass im Hinblick auf den Zweifelssatz getroffene Feststellungen keine tragfähige
Grundlage für die Annahme einer Bewertungseinheit sein können (st. Rspr.; vgl.
zuletzt BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; zusammenfassend
Körner aaO § 29 Rdn. 855 m.w.N.).
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2. Während alle sonstigen Voraussetzungen von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG
ohne den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler bejaht sind, geht die Straf-
kammer ohne weiteres davon aus, die Bestimmung des geschilderten Messers
zur Verletzung von Personen folge aus seiner Beschaffenheit. Dies trifft so nicht
zu.
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a) Eine Bestrafung gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der
Täter bei der Tat eine Schusswaffe - hier nicht einschlägig - oder einen Gegen-
stand mit sich führt, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet
und bestimmt ist. Daran, dass das in Rede stehende Messer seiner Art nach zur
Verletzung von Personen geeignet ist, besteht kein Zweifel. Hinzukommen muss
eine subjektive Zweckbestimmung durch denjenigen, der den Gewahrsam an
dem Gegenstand hat, hier also den Angeklagten. Diese Zweckbestimmung, die
von dem Bewusstsein, den Gegenstand gebrauchsbereit mit sich zu führen, zu
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unterscheiden ist, braucht nicht im Hinblick auf die konkret beabsichtigte Straftat
getroffen worden zu sein, da § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG insoweit keine Verwen-
dungsabsicht erfordert; es reicht aus, wenn die genannte Zweckbestimmung zu
irgendeinem Zeitpunkt vor der Tatbegehung erfolgt ist (st. Rspr.; vgl. zusammen-
fassend Franke/Wienroeder BtMG 3. Aufl. § 30a Rdn. 16 m.w.N.).
b) Vielfach ergibt sich diese Zweckbestimmung ohne weiteres aus den
äußeren Umständen; hierzu können etwa die Beschaffenheit des Gegenstandes
ebenso zählen, wie seine sonstigen Verwendungsmöglichkeiten oder Ort und Art
seiner Aufbewahrung (vgl. zusammenfassend Weber BtMG 3. Aufl. § 30a
Rdn. 116 m.w.N.). Fehlt ein nachvollziehbarer Grund dafür, dass der Täter einen
objektiv gefährlichen Gegenstand griffbereit mit sich führt, ohne dass er ihn je zur
Verletzung von Menschen bestimmt hätte, bedarf die Annahme einer entspre-
chenden Zweckbestimmung durch ihn regelmäßig keiner besonderen Begrün-
dung (vgl. BGHSt 43, 266, 269; BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 5; Körner
aaO § 30a Rdn. 57, 58; Weber aaO Rdn. 117, 124 jew. m.w.N.). Kommt dage-
gen bei einem gängigen Gebrauchsgegenstand (vgl. die Beispiele bei Weber
aaO Rdn. 118) nach den Umständen des Falles die Möglichkeit in Betracht, dass
ihn der Täter aus sonstigen Gründen mit sich führte, so ist die Annahme, er habe
ihn zur Verletzung von Menschen bestimmt, konkret zu begründen; der Hinweis,
dass dieser Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit zur Verletzung
von Menschen geeignet sei, genügt dann nicht (st. Rspr.; vgl. d. N. bei Weber
aaO Rdn. 118).
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c) So verhält es sich hier. Der Angeklagte war zur Tatzeit als Hausmeister
tätig. Er hat erklärt, er habe das Messer - keinen unter § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b
WaffG fallenden verbotenen Gegenstand (vgl. Anlage 2 zum WaffG Abschnitt 1
Unterpunkt 1. 4. 1, Satz 2) - deswegen bei sich gehabt. Die Unrichtigkeit dieser
Einlassung versteht sich weder von selbst, noch hat die Strafkammer hierzu Aus-
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führungen gemacht. Es fehlt daher an einer tragfähigen Grundlage für die An-
nahme, der Angeklagte habe das Messer (auch) zur Verletzung von Menschen
bestimmt.
3. Die Strafkammer nimmt mit eingehender Begründung einen minder
schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge an, § 30a Abs. 3 BtMG.
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a) Zutreffend führt sie unter Hinweis auf BGH NJW 2003, 1679, 1680 aus,
der zugleich erfüllte § 29a Abs. 1 BtMG trete zwar hinter § 30a BtMG zurück,
entfalte aber im Falle des § 30a Abs. 3 BtMG hinsichtlich der Mindeststrafe eine
Sperrwirkung. Darüber hinaus ist die Strafkammer der Auffassung, hier sei ins-
gesamt der Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG anzuwenden, sodass die Min-
deststrafe ein Jahr, die Höchststrafe 15 Jahre betrage. Die Bejahung eines min-
der schweren Falles gemäß § 30a Abs. 3 BtMG dürfe (auch hinsichtlich der
Höchststrafe) nicht dazu führen, dass dem bewaffneten Täter eine geringere
Strafe drohe, als dem unbewaffneten Täter.
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b) Diese Auffassung entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs (BGH NJW 2003, 1679, 1680; vgl. auch BGHSt 30, 166, 167 f.). Da-
nach gilt vielmehr in derartigen Fällen die Höchststrafe der für den Schuldspruch
maßgeblichen Bestimmung, mag dies auch (wie, nach der Bejahung eines min-
der schweren Falles, hier) „als systemwidrig und unbefriedigend empfunden“
(BGH NJW 2003, 1679, 1680) werden, was „auf die wenig geglückte Harmonie
der Strafrahmen des Betäubungsmittelstrafrechts zurückzuführen“ ist (BGH
aaO). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Im Übrigen wurde inzwi-
schen die Höchststrafe des § 30a Abs. 3 BtMG von fünf Jahren auf zehn Jahre
erhöht (Art. 5 Nr. 7 AMGuaÄndG
und anderer Vorschriften> vom 17. Juli 2009, BGBl. I 1990, 2010). Dies ist in den
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Gesetzesmaterialien damit begründet, dass der vom Bundesgerichtshof (aaO)
aufgezeigte Wertungswiderspruch beseitigt werden soll (BT-Drucks. 16/ 12256 S.
61; BR-Drucks. 171/09 S. 102 f.). Die verschärfte Neufassung von § 30a Abs. 3
BtMG ist allerdings hier nicht anwendbar, weil sie zur Tatzeit noch nicht galt, § 2
Abs. 1 und 3 StGB.
4. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer insgesamt von
einer Bewertungseinheit ausgehen (vgl. oben 1.) und das Geschehen vom
13. Februar 2009 als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge ansehen (vgl. oben 2), würde diese Bewertung eines Teilaktes
eines im Rechtssinne einheitlichen Geschehens (vgl. Franke/Wienroeder aaO
§ 29 Rdn. 68) dazu führen, dass es sich bei der Tat insgesamt um bewaffnetes
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge handeln würde
(vgl. Körner aaO § 30a BtMG Rdn. 73 m.w.N.). Würde die Strafkammer insge-
samt von einem minder schweren Fall ausgehen, wäre die Strafe dem aufgezeig-
ten, zur Tatzeit geltenden Strafrahmen zu entnehmen (vgl. oben 3.), wobei die im
aufgehobenen Urteil gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und
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sechs Monaten im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz
2 StPO) nicht überschritten werden dürfte. Hinsichtlich der Strafhöhe würde ent-
sprechendes gelten, wenn ein minder schwerer Fall verneint würde, sodass die
an sich in § 30a Abs.1 BtMG vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren unter-
schritten werden müsste.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander