Urteil des BGH vom 30.10.2003

Produktvermarktung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 59/00
Verkündet am:
30. Oktober 2003
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ
: nein
BGHR : ja
Produktvermarktung
EuGVÜ Art. 17
Zur Begründung der Zuständigkeit aus einer Gerichtsstandsvereinbarung i.S.
des Art. 17 des Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Han-
delssachen (EuGVÜ) ist die schlüssige Darlegung des Anspruchs, auf welchen
sich die Vereinbarung bezieht, erforderlich, aber auch ausreichend (im An-
schluß an BGHZ 124, 237, 240 f.; 133, 240, 243).
BGH, Urt. v. 30. Oktober 2003 - I ZR 59/00 - OLG Hamm
LG Essen
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung
vom
30. Oktober
2003
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm,
Pokrant und Dr. Schaffert
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden die Urteile des 13. Zivil-
senats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. Dezember 1999
und der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen
vom 27. November 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht Essen
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die in Essen ansässige Klägerin und die in Madrid ansässige Beklagte
erheben und verarbeiten Daten, insbesondere für die Automobilindustrie. Sie
stehen seit rund 15 Jahren in engen Geschäftsbeziehungen zueinander.
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Mit schriftlichem Vertrag vom 1. März 1996 räumte die Klägerin der Be-
klagten das ausschließliche Recht ein, im einzelnen aufgeführte Produkte der
Klägerin sowie jedwede von dieser in der Zukunft entwickelten neuen Produkte
und Studien in Spanien und Portugal zu vermarkten. Die Verteilung der Ein-
nahmen sollte Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung sein. Die Parteien
vereinbarten die Anwendung des deutschen Rechts und bestimmten Essen als
Gerichtsstand.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1996 akquirierten die Parteien gemein-
sam einen Großauftrag der spanischen Ölgesellschaft R. über ein für den
Tankstellenbereich neu zu entwickelndes Computerprogramm. Dieses sollte auf
dem von der Klägerin für die Automobilindustrie bereits vor dem 1. März 1996
entwickelten, aber nicht in die zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene Vereinba-
rung einbezogenen Programm "A. " aufbauen. Das Programm sollte von
der Klägerin entwickelt und von der Beklagten bei dem Kunden installiert wer-
den.
Im März 1997 erteilte R. der Beklagten Aufträge über insgesamt
161.988.000 Pta. Die Parteien korrespondierten in der Folgezeit darüber, wie
diese Vergütung zwischen ihnen aufzuteilen sei. Von den von R. im April
und August 1997 geleisteten Abschlagszahlungen leitete die Beklagte insge-
samt 44.392.024 Pta an die Klägerin weiter. Die abschließende Installation des
von der Klägerin entwickelten Programms bei R. ist nicht erfolgt. Statt des-
sen installierte die Beklagte dort ein anderes Programm.
Mit der Behauptung, die Parteien hätten sich auf eine entsprechende
Aufteilung geeinigt, hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 55 % der von
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R. zu zahlenden Vergütung abzüglich der erhaltenen Beträge in Anspruch
genommen.
Die Klägerin hat daher beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 44.701.376 Pta
nebst 8,25 % Zinsen seit dem 1. Dezember 1997 zu zahlen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung
der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt
die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit verneint.
Hierzu hat es ausgeführt:
Die internationale Zuständigkeit könne sich allein aus der in dem Vertrag
vom 1. März 1996 getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung ergeben. Diese
gelte aber nicht für die Klageforderung. Die Klägerin mache mit der Klage aus-
drücklich nur einen vertraglichen Erfüllungsanspruch geltend. Für die Bejahung
der internationalen Entscheidungszuständigkeit sei mindestens die schlüssige
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Behauptung der sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der
Klage erheblichen (doppelrelevanten) Tatsachen erforderlich. Das von der Be-
klagten bei R. installierte Programm gehöre nicht zu den in dem Vertrag
vom 1. März 1996 ausdrücklich genannten Produkten und stelle, wie die Kläge-
rin selbst vorgetragen habe, auch kein von dieser neu entwickeltes System dar.
Die nach dem Klagevortrag vorgesehene Lieferung eines entweder von der
Klägerin oder von beiden Parteien gemeinsam zu entwickelnden Programms
könne einen Erfüllungsanspruch aus der Vereinbarung vom 1. März 1996 nicht
tragen. Ein solcher Anspruch könne auch nicht auf die Behauptung gestützt
werden, die Beklagte habe bei der Entwicklung des bei R. installierten Pro-
gramms die gleiche Technologie verwandt wie die Klägerin; denn die solchen-
falls möglicherweise gegebenen Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche
ergäben sich nicht aus dem Vertrag vom 1. März 1996. Dasselbe gelte für An-
sprüche aus einer zwischen den Parteien etwa getroffenen gesonderten Ver-
einbarung über eine Vergütung für das bei R. installierte Programm.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß sich die inter-
nationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Streitfall allein aus Art. 17
Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a des gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO zeitlich
noch anwendbaren Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zu-
ständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (EuGVÜ) vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II S. 774) in
der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29. September 1996
(BGBl. 1998 II S. 1411) ergeben kann.
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2. Das Berufungsgericht ist mit Recht auch davon ausgegangen, daß für
die Zulässigkeit der Klage die schlüssige Darlegung des Anspruchs durch die
Klägerin ausreicht.
Die Auslegung der nach dem EuGVÜ zu beurteilenden Gerichtsstands-
vereinbarung zur Bestimmung der in deren Anwendungsbereich fallenden
Rechtsstreitigkeiten ist Sache des angerufenen nationalen Gerichts (EuGH, Urt.
v. 10.3.1992 - Rs. C-214/89, Slg. 1992, I-1745, 1769, 1778 Tz. 37 = NJW 1992,
1671 - Powell Duffryn; Urt. v. 3.7.1997 - Rs. C-269/95, Slg. 1997, I-3767, 3788,
3798 Tz. 31 = WM 1997, 1549 - Benincasa; Kropholler, Europäisches Zivilpro-
zeßrecht, 7. Aufl. 2002, Art. 23 EuGVVO Rdn. 69). Die sich dabei gegebenen-
falls - wie auch im Streitfall - stellende Frage, nach welchen Grundsätzen der
Sachvortrag der Klage bei der Prüfung ihrer Zulässigkeit zu beurteilen ist, war
bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäi-
schen Gemeinschaften (vgl. die Darstellung bei Ost, Doppelrelevante Tatsa-
chen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, S. 170 bis 183). Ihnen ist zu
entnehmen, daß sich die gebotene Prüfungsintensität grundsätzlich nicht nach
dem EuGVÜ bestimmt, sondern nach dem anwendbaren nationalen Recht (vgl.
EuGH, Urt. v. 7.3.1995 - Rs. C-68/93, Slg. 1995, I-415, 450, 463 f. Tz. 35 bis 40
= NJW 1995, 1881 - Shevill ./. Presse Alliance; vgl. auch EuGH, Urt. v.
29.6.1994 - Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913, 2949, 2956 f. Tz. 19 f. = NJW
1995, 183 - Custom Made Commercial ./. Stawa Metallbau). Danach ist für die
Zulässigkeit der Klage die schlüssige Darlegung des Anspruchs durch die Klä-
gerin erforderlich, aber auch ausreichend (vgl. BGHZ 124, 237, 240 f.; 133, 240,
243; KG NJW-RR 2001, 1509, 1510; MünchKomm.ZPO/Patzina, 2. Aufl., § 12
Rdn. 56, jeweils m.w.N.).
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3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, die
Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, daß ihr der mit der Klage geltend ge-
machte Anspruch aus der Vermarktung einer Produktneuentwicklung im Sinne
der am 1. März 1996 geschlossenen Vereinbarung zustehe.
Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung maßgeblich darauf ab-
gestellt, daß das von der Beklagten bei R. installierte Programm nach dem
eigenen Vortrag der Klägerin nicht von dieser entwickelt worden war. Weiter hat
es ausgeführt, die nach dem Vorbringen der Klägerin vorgesehene Lieferung
eines entweder von dieser oder von beiden Parteien gemeinsam zu entwickeln-
den Programms trage den Klageanspruch ebenfalls nicht. Das Berufungsgericht
hat dabei jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, den Vortrag der Klägerin un-
berücksichtigt gelassen, wonach deren Programm auch nach der in der Wei-
terleitung der 44.392.024 Pta sowie in den Schreiben der Beklagten vom 4. Juli
und 11. August 1997 zum Ausdruck gebrachten Auffassung der Beklagten be-
reits vermarktet worden war und es sich damit entsprechend dem Vortrag der
Klägerin auch hinsichtlich der geltend gemachten Forderung um einen An-
spruch auf Erfüllung der getroffenen vertraglichen Absprache handelt. Die Revi-
sionserwiderung hält dem ohne Erfolg entgegen, auch unter Berücksichtigung
dieser Umstände habe seinerzeit noch keine Produktvermarktung vorgelegen,
sondern lediglich eine Tätigkeit, die auf die Vermarktung eines von der Klägerin
erst noch zu entwickelnden Produkts gerichtet gewesen sei. Soweit sich die
Beklagte entsprechend verteidigt hat, läßt dies die nach dem zu vorstehend 2.
Ausgeführten für die Zulässigkeit der Klage ausreichende Schlüssigkeit des
Klagevortrags hinsichtlich einer bereits erfolgten Produktvermarktung unberührt.
Auf die sachliche Richtigkeit des Verteidigungsvorbringens kommt es erst im
Rahmen der Prüfung an, ob die Klage begründet ist.
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III. Danach konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
war ebenso aufzuheben wie das Urteil des Landgerichts (vgl. § 538 Abs. 1 Nr. 2
ZPO a.F.). Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an das Landgericht zurückzuverweisen.
Dieses wird nunmehr im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der
Klage die zwischen den Parteien streitige Frage zu prüfen haben, ob die Be-
klagte das im Hinblick auf den ihr von R. erteilten Auftrag von der Klägerin
erstellte Programm "A. " im Sinne der Rahmenvereinbarung vom 1. März
1996 bereits vermarktet hat. Sollte dies der Fall sein, wird das Landgericht des
weiteren zu untersuchen haben, inwieweit die Klägerin gemäß der von ihr be-
haupteten, die Rahmenvereinbarung vom 1. März 1996 ausfüllenden Vereinba-
rung den Klagebetrag von der Beklagten zu beanspruchen vermag.
Ullmann
v. Ungern-Sternberg
Bornkamm
Pokrant
Schaffert