Urteil des BGH vom 16.04.2014

BGH: auslieferung, beihilfe, abholung, arbeitsentgelt, beweisantrag, verfügung, rüge, geschäftsführer, befragung, express

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 3 8 / 1 3
vom
16. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
16. April 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener
und der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Landshut vom 22. Juli 2013 im Straf-
ausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird ver-
worfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Wirt-
schaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbe-
zeichnete Urteil wird verworfen.
5. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten insoweit
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur „Beitragsvor-
enthaltung“ in 187 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verur-
teilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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Die auf mehrere Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch erfolglos, hat
aber zum Strafausspruch Erfolg. Die auf die näher ausgeführte Sachrüge ge-
stützte Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten ist auf
den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie bleibt erfolglos.
I.
Der Verurteilung liegt im Kern Folgendes zugrunde:
Der gesondert verfolgte Be. hat als Geschäftsführer einer GmbH (vgl.
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 187 Fällen Sozialversicherungsbeiträge für Fahrer,
die als Arbeitnehmer bei der GmbH beschäftigt waren, nicht bzw. nicht voll-
ständig abgeführt. Hierdurch wurden den Sozialversicherungsträgern im Zeit-
raum Januar 2003 bis August 2006 Sozialversicherungsbeiträge in einem Um-
fang von 238.578,34 Euro vorenthalten. Der Angeklagte hat Be. hierbei in
Kenntnis aller Umstände unterstützt. Im Jahr 2013 wurden durch eine von Be.
vertretene GmbH 41.000 Euro auf die Beitragsrückstände gezahlt.
1. Im Einzelnen ist zu den (Haupt-)Taten Be. s Folgendes festgestellt:
Be. war im Tatzeitraum Geschäftsführer der W. Transport-
gesellschaft mbH (nachfolgend: W. GmbH). Diese hatte sich als Subunter-
nehmerin gegenüber den Kurier-Express-Dienstleistern G.
GmbH & Co. OHG (nachfolgend: G. ) sowie P. GmbH (nach-
folgend: P. ) zur Abholung und Auslieferung von Sendungen in ei-
nem bestimmten Gebiet verpflichtet. Die Verträge enthielten detaillierte Rege-
lungen zur Durchführung der Transportaufträge - z.B. zum technischen Ablauf
der Auslieferung und Abholung der Pakete, zu Auftreten und Kleidung der Fah-
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rer sowie zur Beschriftung, Reinigung und Wartung der Fahrzeuge -, deren
Einhaltung im Einverständnis mit Be. durch die Auftraggeber überwacht wur-
de.
Obwohl die W. GmbH nach dem Vertrag mit der G. ihrerseits keine
Subunternehmer heranziehen durfte, schloss die W. GmbH mit zahlreichen
Fahrern als Subunternehmerverträge bezeichnete Verträge ab. Um dies zu ver-
schleiern, beschäftigte die W. GmbH die für G. tätigen Fahrer zusätzlich
als Paketsortierer und meldete sie insoweit mit einem Bruttolohn von 600 Euro
zur Sozialversicherung an. Darüber hinaus schloss Be. als Geschäftsführer
einer weiteren GmbH - der B. GmbH (nachfolgend: B. GmbH) - mit
allen Fahrern
„Subunternehmerverträge“ ab. Auch dies diente der Verschleie-
rung der wahren Verhältnisse. Die B. GmbH stand in keinen vertraglichen
Beziehungen zu der G. und der P. . Die Fahrer erhielten als Ge-
genleistung für die Abholung und Auslieferung der Sendungen für die genann-
ten Kurier-Express-Dienstleister Vergütungen scheinbar sowohl von der W.
GmbH als auch von der B. GmbH. Gründe, die diese Aufteilung objektiv
nachvollziehbar erscheinen lassen könnten, ergaben sich nicht.
2. Zu den Arbeitsabläufen ist Folgendes festgestellt:
Be. organisierte und koordinierte die Fahrer untereinander. Er teilte
die übernommenen Einsatzgebiete in kleinere Zustellbezirke und wies den Fah-
rern jeweils eine feste Route zu. Zudem hielt er Springer vor, die bei Verhinde-
rung oder Überlastung eines Fahrers zum Einsatz kamen. Neben dem Zustell-
gebiet bestimmte Be. Start- und Endpunkt der Tour sowie Arbeitsbeginn und
Arbeitsende. Den Fahrern wurde in der Regel aufgrund von Kfz-Nutzungs-
verträgen gegen Entgelt ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt. Während der
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Fahrt mussten die Fahrer telefonisch sowohl für Be. als auch für die G.
bzw. die P. erreichbar sein. Die Vorgaben von G. bzw. P.
zur Durchführung der Transportaufträge reichte Be. an die Fahrer weiter,
Verstöße dagegen wurden mit Vertragsstrafen sanktioniert. Die Fahrer waren
durch ihre Tätigkeit für die W. GmbH bzw. scheinbar die B. GmbH voll
ausgelastet. Mit Ausnahme zweier Fahrer, die gelegentlich Kleinaufträge für
Dritte ausführten, boten die Fahrer ihre Leistungen keinem Dritten an und be-
dienten keine weiteren Auftraggeber. Die Abrechnung mit den Fahrern erfolgte
monatlich mittels Gutschriften mit Umsatzsteuerausweis der W. GmbH bzw.
der B. GmbH in Abhängigkeit von der Anzahl der ausgelieferten und abge-
holten Pakete bzw. der Anzahl der Stopps, wobei das für die Fahrzeugnutzung
anfallende Entgelt sowie weitere Beträge - etwa für Vertragsstrafen - in Abzug
gebracht wurden.
Nach Auffassung der Strafkammer handelte es sich bei den Fahrern
nicht um selbständige Subunternehmer, sondern um abhängig beschäftigte
Arbeitnehmer. Als Arbeitgeberin sei - trotz der weitgehenden Überlagerung des
Vertragsverhältnisses durch die detaillierten Regelungen zur Durchführung der
Transporte in den Verträgen mit G. bzw. P. - die W. GmbH an-
zusehen, die gegenüber G. und P. zur Durchführung der Trans-
porte verpflichtet war. Der Schadensberechnung hat die Strafkammer die in
den Gutschriften ausgewiesenen „Nettoumsätze“ (gemeint: ohne Umsatzsteu-
er) ohne Berücksichtigung der vorgenommenen Abzüge für die Fahrzeugnut-
zung, Vertragsstrafen u.a. zugrunde gelegt und diese gemäß § 14 Abs. 2 Satz
2 SGB IV auf ein Bruttoentgelt hochgerechnet.
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3. Zu den Beihilfehandlungen durch den Angeklagten ist Folgendes fest-
gestellt:
Der Angeklagte stellte der W. GmbH bzw. der B. GmbH Büroräume
in seinem Wohnhaus in F. zur Verfügung, von wo aus die Ge-
schäfte geführt wurden. Während Be. das operative Geschäft übernahm,
kümmerte sich der Angeklagte um die kaufmännischen Angelegenheiten. Er
hielt sich täglich in den Büroräumen auf und war über alle Abläufe vor Ort in
den Depots von G. und P. informiert. Be. stimmte sich mit dem
Angeklagten ab und traf keine wichtigen Entscheidungen ohne dessen Zustim-
mung. Der Angeklagte führte gemeinsam mit Be. die Vertragsverhandlungen
mit G. und P. , sprach regelmäßig bei G. und P. vor
und sorgte für die reibungslose Durchführung der Verträge. Außerdem verhan-
delte er in Einzelfällen die Verträge mit den Fahrern. Bei Verhinderung Be. s
übernahm er vollumfänglich dessen Aufgabengebiet und kümmerte sich auch
um das operative Geschäft.
II.
Unbeschadet der Frage, ob eine Beihilfehandlung des Angeklagten
rechtsfehlerfrei festgestellt ist, könnte das Urteil schon dann keinen Bestand
haben, wenn die (Haupt-)Taten Be. s rechtlich fehlerhaft gewertet wären.
Dies ist jedoch nicht der Fall.
1. Die Strafkammer ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es
sich bei der W. GmbH um eine Arbeitgeberin i.S.v. § 266a StGB handelte, zu
der die Fahrer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis
(vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) standen.
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a) Wer Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB ist, richtet sich nach dem
Sozialversicherungsrecht, das seinerseits diesbezüglich auf das Dienstvertrags-
recht der §§ 611 ff. BGB abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem ge-
genüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist
und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, das sich
vor allem durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeit-
gebers ausdrückt. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses
zum Arbeitgeber bestimmt sich dabei nach den tatsächlichen Gegebenheiten,
die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. In diese Gesamt-
betrachtung sind vor allem das Vorliegen eines umfassenden arbeitsrechtlichen
Weisungsrechts, die Gestaltung des Entgelts und seiner Berechnung (etwa
Entlohnung nach festen Stundensätzen), Art und Ausmaß der Einbindung in
den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebes sowie die Festlegung des tägli-
chen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen. Die Ver-
tragsparteien können aus einem nach den tatsächlichen Verhältnissen beste-
henden Beschäftigungsverhältnis resultierende sozialversicherungsrechtliche
Abführungspflichten nicht durch eine abweichende Vertragsgestaltung beseiti-
gen(insgesamt st. Rspr. vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Beschluss vom
4. September 2013 - 1 StR 94/13, wistra 2014, 23 mwN).
b) An diesen Maßstäben gemessen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei
das Bestehen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zwi-
schen der W. GmbH und den Fahrern angenommen. Sie hat die betriebli-
chen Abläufe sowohl hinsichtlich der Durchführung der Transporte für die G.
(UA S. 11 ff.) als auch für die P. (UA S. 18 ff.) im Einzelnen festge-
stellt und dabei insbesondere die betriebliche Arbeitsorganisation, das Beste-
hen von Weisungsrechten Be. s im Hinblick auf die detaillierten Regelungen
zur Durchführung der Transporte in den Verträgen mit den Auftraggebern G.
bzw. P. sowie das Fehlen weiterer Auftraggeber der Fahrer in Be-
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dacht genommen. Sie hat in ihre Betrachtungen aber auch gegenläufige Ge-
sichtspunkte einbezogen, nämlich dass die Vergütung der Fahrer aufgrund der
Bemessung nach der Anzahl der Pakete bzw. Anzahl der Stopps monatlich va-
riierte, die Fahrer die Kosten für die Nutzung der Fahrzeuge selbst trugen, die
Fahrer die Reihenfolge der Auslieferung bzw. Abholung innerhalb der ihnen
zugeteilten festen Route selbst bestimmen konnten und dass die Fahrer jeweils
ein Gewerbe angemeldet und Umsatzsteuer abgeführt hatten. Die auf Grundla-
ge der festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten erfolgte Bewertung als sozi-
alversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis ist nach alledem nicht zu beanstan-
den.
c) Der Senat hat erwogen, ob die Fahrer im Wege einer - dann ersicht-
lich unerlaubten - Arbeitnehmerüberlassung bei der G. und der P.
tätig waren. Allerdings wäre die W. GmbH auch in diesem Fall Arbeitgeberin
und der Angeklagte damit tauglicher Täter. Gemäß § 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Nr. 1
AÜG wäre ein Arbeitsverhältnis zwischen der G. bzw. der P. als
Entleiherinnen und den Fahrern entstanden. Da jedoch die W. GmbH als
Verleiherin das Entgelt an die Fahrer gezahlt hat, würde sie neben den Entlei-
herfirmen G. bzw. P. als Arbeitgeberin gelten und mit diesen als
Gesamtschuldnerin haften soweit sich die Sozialversicherungsbeiträge auf das
von ihr gezahlte Entgelt beziehen (vgl. § 28e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB IV).
Dies hätte allerdings gegebenenfalls Auswirkungen auf die Bestimmung der
subjektiven Tatseite oder auch auf die Strafzumessung wegen der dann im In-
nenverhältnis möglicherweise primären Haftung der G. und der P. .
Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, weil kein Fall der Arbeitnehmerüber-
lassung vorliegt.
(1) Eine Überlassung zur Arbeitsleistung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt wer-
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den, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Wei-
sungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen (vgl. BAG, Urteile
vom 18. Januar 2012 - 7 AZR 723/10, EzA AÜG § 1 Nr. 14, und vom 6. August
2003 - 7 AZR 180/03, EzA AÜG § 1 Nr. 13).
Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit ei-
nes Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstver-
trags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Der Un-
ternehmer organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwen-
digen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für
die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung
des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die
zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer un-
terliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehil-
fen. Der Werkbesteller kann jedoch dem Werkunternehmer selbst oder dessen
Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Ent-
sprechendes gilt für Dienstverträge. Über die rechtliche Einordnung eines Ver-
trags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien ge-
wünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt tat-
sächlich nicht entspricht (vgl. BAG aaO).
(2) Gegenstand des Vertrages zwischen der W. GmbH und der G.
bzw. der P. war die Auslieferung und Abholung von Sendungen in
einem bestimmten Gebiet.Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer
im Rahmen der auch hier gebotenen Gesamtbewertung - auch unter Berück-
sichtigung des genannten Inhalts der Verträge zwischen W. und den Ex-
press-Kurier-Dienstleistern und den Vorgaben zu deren Einhaltung - insbeson-
dere im Hinblick auf die eigenständige Organisation der Touren und des Ein-
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satzes der Fahrer von der Erteilung arbeitsrechtlicher Weisungen durch Be.
und nicht durch G. bzw. P. ausgegangen ist.
(3) Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, der Be-
weisantrag auf Vernehmung von Wa. zum Beweis der Tatsache,
dass G. die Arbeitsbedingungen bestimmt und umfassend kontrolliert habe,
sei rechtsfehlerhaft als völlig ungeeignetes Beweismittel abgelehnt worden,
bleibt aus den vom Generalbundesanwalt schon in der Antragsschrift vom
3. Dezember 2013 zutreffend dargelegten Gründen ohne Erfolg.
d) Die Annahme der Strafkammer, Be. habe zumindest billigend in
Kauf genommen, dass es sich bei den Fahrern auch hinsichtlich der Ausliefe-
rung der Pakete um Arbeitnehmer handelte, so dass diese mit ihrem Gesamt-
entgelt gegenüber den Sozialversicherungsträgern anzumelden und entspre-
chend Sozialversicherungsbeiträge abzuführen waren, wird von den Feststel-
lungen getragen.
2. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei eine Beihilfe des Angeklagten zu
den (Haupt-)Taten Be. s festgestellt.
a) Die Verfahrensrüge, das Konfrontationsrecht des Angeklagten aus
Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK sei verletzt, bleibt ohne Erfolg.
(1) Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Eine Vernehmung des nicht rechtskräftig abgeurteilten Be. war nicht
möglich, nachdem dieser sich auf sein umfassendes Auskunftsverweigerungs-
recht nach § 55 StPO berufen hatte. Die Strafkammer hat die Aussagen, die er
in seiner eigenen Hauptverhandlung gemacht hatte, durch Vernehmung der
damaligen Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft festgestellt und hinsicht-
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lich der Tätigkeit des Angeklagten zu dessen Nachteil in ihre Erwägungen ein-
bezogen.
(2) Der Vortrag der Revision, der Angeklagte habe Be. nicht befragen
können, trifft zwar zu, kann hier aber den Bestand des Urteils nicht gefährden.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die den Angeklagten belas-
tenden Angaben Be. s im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet hat.
Zwar hat der Angeklagte als besondere Ausformung des Grundsatzes
der Verfahrensfairness ein Recht, Belastungszeugen unmittelbar zu befragen
oder befragen zu lassen. Belastungszeuge in diesem Sinn kann auch der
(frühere) Mitangeklagte sein, der in dem gegen ihn gerichteten Verfahren als
Angeklagter Angaben gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005
- 2 StR 4/05, NStZ-RR 2005, 321). Wenn ein Belastungszeuge nur außerhalb
der Hauptverhandlung vernommen worden ist, muss dem Beschuldigten dieses
Recht zur konfrontativen Befragung entweder bei der Vernehmung oder zu ei-
nem späteren Zeitpunkt eingeräumt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom
8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925; BGH, Beschluss vom
17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 74 jeweils mwN). Die konfrontati-
ve Befragung Be. s war dem Angeklagten nicht möglich, da dieser von sei-
nem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht hat
(UA S. 74). Dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft als mittelbare
Zeugin befragt werden konnte, reicht zur Wahrung des Konfrontationsrechts
nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, NStZ-RR 2005,
321).
Der Ausschluss des Befragungsrechts führt hier jedoch nicht zur Unver-
wertbarkeit der belastenden Aussage, da das Verfahren in seiner Gesamtheit
einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung den Ge-
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boten der Verfahrensfairness genügt (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009
- 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Beschluss vom 17. März 2010
- 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 74 f. jeweils mwN). Der Umstand, dass der An-
geklagte keine Möglichkeit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, ist
der Justiz nicht zuzurechnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009
- 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Beschluss vom 29. November
2006 - 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155). Den Bemühungen der Strafkammer
um eine Sicherstellung des Konfrontationsrechts waren im Hinblick auf den
Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit von vornherein Grenzen gesetzt, da
Be. von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch
gemacht hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 461/08, NStZ
2009, 581; EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 - 29881/07, JR 2013, 170; Meyer-
Goßner, StPO, 57. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 22c). Die Strafkammer hat zudem im
Rahmen der Beweiswürdigung hinreichend berücksichtigt, dass Be. vom An-
geklagten nicht befragt werden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober
2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000
- 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 104 f.). Die Strafkammer, die sich ersichtlich
bewusst war, dass die Angaben Be. s in dem gegen ihn gerichteten Verfah-
ren nur über die damalige Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in die
Hauptverhandlung eingeführt wurden, hat seine Aussage einer umfassenden
Beweiswürdigung unterzogen (UA S. 97 f.). Die Feststellungen zu der Aufga-
benverteilung zwischen dem Angeklagten und Be. stützt die Kammer dabei
nicht nur auf die Angaben Be. s, sondern auch auf die Angaben weiterer
Zeugen sowie die in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden.
b) Sachlich-rechtlich ist die Bewertung des festgestellten Verhaltens des
Angeklagten als vorsätzliche Beihilfe zu den (Haupt-)Taten Be. s nicht zu be-
anstanden ohne dass dies näherer Ausführungen bedürfte.
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III.
Dagegen war der Strafausspruch auf die Revision des Angeklagten auf-
zuheben. Die Strafkammer hat den Schuldumfang der (Haupt-)Taten, zu denen
der Angeklagte Beihilfe geleistet hat, nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.
1. Allerdings bleiben sämtliche hierauf bezogene Verfahrensrügen erfolg-
los.
a) Die Rüge der Verletzung von § 393 Abs. 2 AO greift nicht durch.
Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Rahmen einer Außenprüfung des zuständigen Finanzamts bei der
B. GmbH wurden Kontrollmitteilungen über an Kurierfahrer gezahlte Vergü-
tungen erstellt. Die Strafkammer hat die Außenprüferin Gr. als Zeugin
vernommen und die Kontrollmitteilungen im Selbstleseverfahren in die Haupt-
verhandlung eingeführt. Sowohl die Aussage der Zeugin als auch den Inhalt der
Urkunden hat sie für die Feststellung der an die Fahrer gezahlten Beträge her-
angezogen, die die Grundlage der Schadensberechnung bilden. Der Angeklag-
te hatte der Verwertung der Kontrollmitteilungen sowie der Zeugeneinvernahme
der Außenprüferin widersprochen. Die Strafkammer hat den Widerspruch mit
der Begründung zurückgewiesen, eine Verwendung sei nicht durch § 393 Abs.
2 AO ausgeschlossen, da der Angeklagte nicht an der gegen die B. GmbH
gerichteten Außenprüfung beteiligt gewesen sei und insbesondere keine Anga-
ben gegenüber den Steuerbehörden gemacht habe.
Grundlage von im Rahmen einer Außenprüfung (§ 193 AO) gefertigten
Kontrollmitteilungen sind regelmäßig Unterlagen, die aufgrund gesetzlicher,
nicht ausschließlich der Sicherstellung der Besteuerung dienender Aufzeich-
nungspflichten (z.B. Buchführungspflicht gemäß § 140 AO i.V.m. § 238 HGB)
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erstellt und in Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus § 200 AO vorgelegt wer-
den. Solche gesetzlichen Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den
Kernbereich der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbelastungsfreiheit auch
dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur
Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. April 2010 - 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341
[zu § 393 Abs. 2 AO], vom 22. Oktober 1980 - 2 BvR 1172/79, 2 BvR 1238/79,
BVerfGE 55, 144, und vom 7. Dezember 1991 - 2 BvR 1172/81, NJW 1982,
568). Eine Tatsachengrundlage dafür, dass der Inhalt der Kontrollmitteilungen
hier ausnahmsweise auf Angaben Be. s als gesetzlichem Vertreter der B.
GmbH, die dieser im Rahmen der Außenprüfung gemacht hat, und damit auf
von ihm offenbarten Tatsachen beruhen, hat die Revision nicht vorgetragen.
Ebenso wenig lässt sich ihrem Vortrag entnehmen, welche konkreten Tatsa-
chen auf den Angaben Be. s beruhen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich we-
der aus den Urteilsgründen, wonach die Betriebsprüferin Gr. die Kon-
trollmitteilungen auf Grundlage der in der Buchhaltung der B. GmbH vorhan-
denen Gutschriften und Belege erstellt hat, noch aus sonstigen Umständen.
b) Auch die Rüge, die Strafkammer habe den Beweisantrag vom 21. Mai
2013 auf Neuberechnung der durch die Firmen W. und B. abzuführenden
Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich an die Fahrer ausgezahlten
Beträge unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO zu Unrecht abgelehnt, greift
nicht durch. Die Strafkammer hat den Antrag zu Recht mit der Begründung ab-
gelehnt, es seien keine Tatsachen unter Beweis gestellt worden.
Bei dem Antrag handelt es sich nämlich weder um einen Beweisantrag,
der nur unter den in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO genannten Voraussetzungen ab-
gelehnt werden könnte, noch um einen nach Maßgabe von § 244 Abs. 2 StPO
zu bescheidenden Beweisermittlungsantrag. Er ist vielmehr auf eine abwei-
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chende rechtliche Würdigung bereits bekannter Tatsachen - nämlich den Inhalt
der an die Fahrer gerichteten Gutschriften und den sich daraus ergebenden
Abzügen für Fahrzeugnutzung u.a. - gerichtet und betrifft damit eine von der
Strafkammer zu entscheidende Rechtsfrage.
c) Die Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung des Beweisantrags auf
Vernehmung eines Zeugen zur fiktiven Höhe der Vergütung eines angestellten
Paketfahrers als bedeutungslos beanstandet wird, bleibt aus den vom General-
bundesanwalt auch schon in der Antragsschrift vom 3. Dezember 2013 zutref-
fend dargelegten Gründen ohne Erfolg.
2. Jedoch erweist sich die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversi-
cherungsbeiträge als rechtsfehlerhaft.
a) Allerdings ist die Strafkammer entgegen der Auffassung der Revision
zutreffend davon ausgegangen, dass „illegale Beschäftigungsverhältnisse“
i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorlagen und eine Hochrechnung auf ein Brut-
toentgelt vorzunehmen war. Die Urteilsfeststellungen ergeben nämlich objektiv
eine Verletzung von zentralen arbeitgeberbezogenen Pflichten des Sozialversi-
cherungsrechts durch die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (vgl.
§ 28d, 28e SGB IV) und die Verletzung von Meldepflichten (vgl. § 28a SGB IV)
sowie subjektiv einen auf die Verletzung dieser Arbeitgeberpflichten gerichteten
(bedingten) Vorsatz (vgl. zu den Voraussetzungen der Annahme eines illegalen
Beschäftigungsverhältnisses BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 R
18/09 R, BSGE 109, 254).
b) Die konkrete Bemessungsgrundlage für die Hochrechnung hat die
Strafkammer aber nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.
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Grundlage der Beitragsbemessung ist das Arbeitsentgelt aus der versi-
cherungspflichtigen Tätigkeit (vgl. §§ 223, 226 SGB V, §§ 161, 162 SGB VI,
§§ 341, 342 SGB III sowie §§ 54, 57 SGB XI). Arbeitsentgelt sind nach § 14
Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Be-
schäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob
sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt
werden.
Auf dieser Grundlage ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegan-
gen, dass die von der W. GmbH an die Fahrer ausgezahlte und von diesen
abgeführte Umsatzsteuer nicht Teil des Arbeitsentgelts ist, da diese zu keiner
spürbaren, nachhaltigen Bereicherung bei den Fahrern geführt hat (Werner in
jurisPK-SGB IV, 2. Aufl., § 14 Rn. 45, 46).
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die Abzüge für
Vertragsstrafen bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts unberücksichtigt gelas-
sen hat. Die Entstehung der Beitragspflicht hängt nicht davon ab, ob das ge-
schuldete Arbeitsentgelt gezahlt und dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Ge-
genforderungen eines Arbeitsgebers können unabhängig von der Art ihrer Aus-
gestaltung im Einzelnen nicht dazu führen, dass ein Arbeitnehmer zwar arbeitet
und dabei uneingeschränkt versichert ist, der hierfür der Versichertengemein-
schaft zustehende Anspruch sich aber (im Extremfall auf Null) reduziert (vgl.
näher dazu BSG, Urteil vom 21. Mai 1996 - 12 RK 64/94, BSGE 78, 224; Roß-
bach in Kreikebohm, Sozialrecht, 3. Aufl., § 22 SGB IV Rn. 4, 5).
Die Auffassung der Strafkammer, dass auch die Beträge, die für die
Überlassung der Fahrzeuge und sonstige Fahrzeugkosten in Abzug gebracht
wurden, Teil des Arbeitsentgelts sind, beruht dagegen auf einer lückenhaften
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Beweiswürdigung. Es liegt nahe und wäre daher zu erörtern gewesen, dass die
gewählte vertragliche Konstruktion - Abschluss eines
„Subunternehmervertra-
ges
“ einerseits, Abschluss eines gesonderten Kfz-Nutzungsvertrages anderer-
seits - hier der Verschleierung des Bestehens eines sozialversicherungspflichti-
gen Arbeitsverhältnisses diente. Wäre hiervon auszugehen, wäre zwischen der
W. GmbH und den Fahrern lediglich ein Entgelt in Höhe der um die Fahr-
zeugnutzung und die Kosten für den Erhalt des Fahrzeugs gekürzten Beträge
vereinbart gewesen.
3. Die rechtsfehlerhafte Bemessung der Höhe der vorenthaltenen Sozi-
alversicherungsbeiträge und damit des Schuldumfangs zieht die Aufhebung
des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich.
IV.
Die auch vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
Das Vorbringen der Staatsanwaltschaft beschränkt sich im Kern letztlich
auf die Darlegung, die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von einem
Jahr sei nicht tat- und schuldangemessen; die Strafkammer habe den Strafmil-
derungsgründen zu hohes Gewicht beigemessen. Insoweit handelt es sich le-
diglich um den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch, rechtsfehlerfreie tat-
richterliche Strafzumessungserwägungen durch eigene zu ersetzen. Darüber
hinaus macht die Staatsanwaltschaft geltend, die Strafkammer habe nicht zu-
gunsten des Angeklagten berücksichtigen dürfen, dass Be. über eine von
ihm vertretene GmbH einen Teil des Schadens in Höhe von 41.000 Euro wie-
dergutgemacht hat. Dies trifft nicht zu. Wie auch der Generalbundesanwalt zu-
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treffend ausgeführt hat, ist die strafmildernde Berücksichtigung der Schadens-
wiedergutmachung durch den Haupttäter -
der die Strafkammer ohnehin „kein
hohes Gewicht“ beigemessen hat - unter dem Gesichtspunkt der Verringerung
der verschuldeten Auswirkung der Tat nicht zu beanstanden.
RiBGH Dr. Graf ist im
Urlaub und deshalb an
der Unterschriftsleistung
gehindert.
Raum Wahl Raum
Cirener Radtke