Urteil des BGH vom 14.03.2017

BGH (gerichtliche zuständigkeit, zivilrechtliche ansprüche, stpo, stgb, sache, stv, 1995, baden, vollstreckung, verfall)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 23/06
vom
11. Mai 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2006 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Baden-Baden vom 5. Juli 2005 im Ausspruch über den
Verfall mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 80 Fällen so-
wie wegen Unterschlagung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun
Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Verfall eines Geldbetrages in
Höhe von 96.001,25 Schweizer Franken angeordnet. Die dagegen gerichtete
Revision des Angeklagten, die die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet,
ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2
StPO. Soweit sie sich gegen die Verfallsanordnung richtet, hat sie hingegen
Erfolg.
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1. Die Verfallsanordnung kann von Rechts wegen keinen Bestand haben,
weil den Geschädigten der abgeurteilten Taten zivilrechtliche Ansprüche er-
wachsen sind, die der Verfallsanordnung zu Gunsten des Staates grundsätzlich
vorgehen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das Landgericht hat dies nicht verkannt,
aber gemeint, durch eine Verfallsanordnung sicherstellen zu dürfen, dass auf
das auf dem Konto des Angeklagten bei der Schweizerischen Postfinanz lie-
gende Guthaben "mit rangwahrender Wirkung" Zugriff genommen werden kön-
ne und auf diese Weise eine - gesetzlich nicht geregelte - nachträgliche Vertei-
lung unter den Verletzten in die Wege geleitet werden könne.
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Damit hat das Landgericht - wie die Revision und der Generalbundesan-
walt zu Recht ausführen - die verfahrensrechtliche Rückgewinnungshilfe ins
materielle Recht übertragen, obgleich dies einer gesetzlichen Grundlage ent-
behrt. Auch der gegenwärtig noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche Ent-
wurf, der einen Auffangrechtserwerb des Staates vorsieht, ist noch nicht Gesetz
(vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 16/700).
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Die Voraussetzungen der Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von
Wertersatz lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die zivilrechtlichen
Ansprüche der im Urteil namentlich festgestellten Geschädigten genießen
grundsätzlich Vorrang (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB
§ 73 Tatbeute 1; BGH StV 1995, 301; NStZ 2003, 533; siehe auch LK-Schmidt,
12. Aufl. § 73 Rdn. 34). Anders kann es dann liegen, wenn die Geschädigten
keinen Anspruch geltend machen und darauf verzichten, dem Angeklagten also
keine doppelte Inanspruchnahme droht und den Geschädigten auch keine Er-
satzmöglichkeit entzogen wird (BGH NStZ-RR 2004, 54, 55; BGH, Beschluss
vom 31. März 2004 - 1 StR 482/03 - insoweit in NStZ 2005, 213 nicht abge-
druckt). Dazu verhält sich das Urteil nicht ausdrücklich.
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2. Der Senat hat davon abgesehen, die Verfallsanordnung - wie vom
Generalbundesanwalt beantragt - lediglich in Wegfall zu bringen (vgl. dazu
BGH, Beschluss vom 3. November 1999 - 3 StR 346/99). Er erachtet es für
sachgerecht, den Verfallsausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu
neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Auf diese Weise be-
steht die Möglichkeit, Feststellungen darüber zu treffen, ob etwa die Geschädig-
ten auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichtet haben (zu solcher Fall-
gestaltung vgl. BGH NStZ-RR 2004, 54, 55; BGH, Beschluss vom 31. März
2004 - 1 StR 482/03 - insoweit in NStZ 2005, 213 nicht abgedruckt). Sollte das
nicht der Fall sein, sieht § 111i StPO die Möglichkeit vor, eine angeordnete Be-
schlagnahme zu Gunsten der Verletzten zu verlängern und diesen den Weg zu
öffnen, ihre Ansprüche zivilrechtlich durchzusetzen (siehe weiter zur Rückge-
winnungshilfe: § 111b Abs. 5 i.V.m. § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO; BGH StV 1995,
301; NStZ 2003, 533; BGH, Beschluss vom 6. Februar 1996 - 4 StR 727/95;
KK-Nack, 5. Aufl. § 111b Rdn. 17 ff.). Dies erscheint nicht von vornherein aus-
sichtslos, weil die Schweiz Vertragspartner des sog. Lugano-Übereinkommens
zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ist
(VollstrZustÜbk 1988 = Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ge-
schlossen in Lugano am 16. September 1988, BGBl. 1994 II 2658, ber. 1994 II
3772).
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Sollte bis zur Neuverhandlung der Sache der bezeichnete Gesetzentwurf
zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei
Straftaten (BTDrucks. 16/700) in Kraft getreten sein (vgl. § 111i StPO Abs. 2
und Abs. 5 i.d.F. des Entwurfs), wird § 2 Abs. 5 StGB zu beachten sein.
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Nack Wahl Schluckebier
Elf Graf