Urteil des BGH vom 23.10.2003
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 249/02
Verkündet am:
23. Oktober 2003
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGB § 249 Satz 1 a.F. Cb; ZPO § 287; EStG § 16 Abs. 2, 3 Satz 1
Rät der steuerliche Berater dem Mandanten pflichtwidrig zur Aufgabe des Gewer-
bebetriebs und führt diese zur Aufdeckung stiller Reserven, stellt die hierauf ent-
fallende Einkommensteuer grundsätzlich einen Schaden dar.
BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02 - OLG Hamm
LG Münster
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Vill
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlan-
desgerichts Hamm vom 6. September 2002 wird auf Kosten des
Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die klagenden Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt
werden, sind Eigentümer eines mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten
Grundstücks, das betrieblich und privat genutzt wird. Bis zum 30. Juni 1995 be-
trieb der Kläger zu 2) dort einen Einzelhandel mit Schuhen nebst Reparatur-
werkstatt. Zum 1. Juli 1995 verpachtete er die betrieblich genutzten Räume an
seine Tochter, der er auch den Warenbestand und das Inventar verkaufte. Die-
se führt das Schuhgeschäft fort. Später beauftragten die Kläger den beklagten
Steuerberater zu prüfen, ob der Kläger zu 2) die Betriebsaufgabe erklären kön-
ne. Der Beklagte errechnete anstatt des tatsächlich gegebenen Aufgabege-
winns einen Aufgabeverlust von 402.940,19 DM und belehrte die Kläger dahin,
daß im Falle der Betriebsaufgabe keine Steuerlast anfalle. Daraufhin ent-
schlossen sich diese zur Betriebsaufgabe, die der Kläger zu 2) mit Schreiben
des Beklagten vom 12. März 1997 rückwirkend zum 31. Dezember 1996 er-
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klärte. Nach dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkom-
mensteuerbescheid für das Jahr 1996 hatten die Kläger keine Einkommensteu-
er zu zahlen.
Anläßlich einer im Jahre 1998 durchgeführten Betriebsprüfung ermittelte
das Finanzamt unter Aufdeckung stiller Reserven einen Aufgabegewinn in Hö-
he von 610.241 DM und setzte eine Steuerschuld nebst Nachzahlungszinsen in
Höhe von 139.888,44 DM gegen die Kläger fest. Diese glichen die Steuerschuld
später mit Hilfe eines von ihnen aufgenommenen verzinslichen Darlehens aus
(Gesamtbetrag: 142.362,44 DM). Vorprozessual nahmen sie die Hilfe eines
Rechtsanwalts in Anspruch, der für seine Bemühungen eine Besprechungsge-
bühr in Rechnung stellte.
Die Kläger begehren von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe der
erbrachten Steuernachzahlung nebst Zinsen und Säumniszuschlägen in Höhe
von insgesamt 142.362,44 DM sowie der vorprozessual entstandenen Rechts-
verfolgungskosten. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der
zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht sieht die schuldhaft begangene Pflichtverletzung
des Beklagten darin, daß er den Entnahmegewinn abweichend von § 16 Abs. 2
EStG berechnet habe. Er habe die nach der Bilanz vom 31. Dezember 1996
bestehenden Schulden der Kläger von dem Verkehrswert des anteilig bilan-
zierten Grundstücks abgezogen, was zu dem rechnerischen Aufgabeverlust
geführt habe. Gemäß § 16 Abs. 2 EStG hätte er dagegen die Differenz zwi-
schen dem Aufgabeendvermögen (Aktivvermögen des Betriebes abzüglich
Schulden) und dem Aufgabeanfangsvermögen (Kapital laut Bilanz vom 31. De-
zember 1996) berechnen und - wie später das Finanzamt - einen Entnahmege-
winn ermitteln müssen. Wegen des der Einkommensteuer unterliegenden Ent-
nahmegewinns hätte er von der Betriebsaufgabe abraten müssen. In diesem
Fall hätte der Kläger zu 2) den ruhenden Gewerbebetrieb auf Dauer nicht auf-
gegeben. Dafür spreche schon der Grundsatz beratungsgerechten Verhaltens.
Die stillen Reserven wären dann nicht realisiert worden.
Die entstandene steuerliche Belastung durch die erklärte Betriebsaufga-
be stelle einen ersatzfähigen Vermögensschaden dar. Dem stehe nicht entge-
gen, daß die Vorschriften über den Verzicht auf eine sofortige Realisierung stil-
ler Reserven keine endgültige Befreiung von der Versteuerung bedeuteten,
sondern nur deren Aufschub. Daß der Betrieb "latent" mit dieser Steuerschuld
belastet gewesen sei, lasse den Schaden grundsätzlich nicht entfallen, sondern
betreffe die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise
eine Schadenszurechnung ausscheide. Im Streitfall habe der Beklagte keinen
Umstand aufgezeigt, der gegen eine unbefristete Fortführung des (ruhenden)
Gewerbebetriebs des Klägers zu 2) spräche. Die Vermutung des Beklagten, die
Kläger hätten die stillen Reserven durch eine Veräußerung des Hausgrund-
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stücks ohnehin alsbald aufgedeckt, sei rein spekulativ und deshalb unbeacht-
lich.
Die Kläger könnten auch die Erstattung der von ihnen aufgewendeten
Anwaltsgebühren verlangen.
II.
Demgegenüber rügt die Revision:
Bei objektiver Gesamtbetrachtung der Vermögenslage mit und ohne Auf-
deckung der stillen Reserven werde der Steuerpflichtige durch die Aufdeckung
nicht schlechter gestellt. Sie führe nur zur Realisierung des vorhandenen Ver-
mögens, nicht zu dessen Schädigung. Der geforderte Schadensersatz wider-
spreche dem Steuerstundungseffekt. Die aufgrund der Zweckbindung des Wirt-
schaftsgutes im Betriebsvermögen gewährte vorläufige Steuervergünstigung
käme bei Annahme eines Schadens entgegen der gesetzlichen Zielsetzung
dem Steuerpflichtigen auf Kosten des Steuerberaters endgültig zu. Der Verlust
steuerlicher Vorteile sei deshalb nicht ersatzfähig.
Bei der Ermittlung des Schadens nach der Differenzhypothese dürfe
auch nicht allein auf die angefallene Einkommensteuer abgestellt werden. Die
Kläger hätten deshalb im einzelnen darlegen müssen, welche Umschichtungen
ihres Vermögens sie geplant hätten und durch welche Vorgänge es zur Aufdek-
kung der stillen Reserven gekommen wäre, wenn sie richtig beraten worden
wären. Ohne Offenlegung der beabsichtigten Dispositionen sei der Vortrag der
Kläger nicht schlüssig.
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Für eine Geltendmachung der vorprozessualen Anwaltskosten fehle den
Klägern das Rechtschutzinteresse; hierbei sei unerheblich, daß die Kosten im
Kostenfestsetzungsverfahren nach § 103 ff ZPO nicht erstattungsfähig seien.
Ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch scheide aus.
III.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
1. Die Aufgaben des Steuerberaters ergeben sich aus Inhalt und Umfang
des ihm erteilten Mandats; in den hierdurch gezogenen Grenzen hat er den
Auftraggeber umfassend zu beraten (vgl. BGHZ 128, 358, 361; 129, 386, 393 f).
Im Streitfall hatte der Beklagte auf der Grundlage des ihm von den Klägern er-
teilten Auftrags diese über die steuerlichen Auswirkungen einer zum 31. De-
zember 1996 in Erwägung gezogenen Betriebsaufgabe zu beraten, die steuer-
lich der Veräußerung des Betriebs gleichgestellt ist (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG)
und zu laufenden Einkünften aus Gewerbebetrieb führen kann (§ 16 Abs. 1
i.V.m. Abs. 2 EStG). Der Aufgabegewinn ist, was sich aus § 16 Abs. 2 EStG
ergibt, der Betrag, um den die Summe aus dem gemeinen Wert der ins Privat-
vermögen überführten Wirtschaftsgüter und aus den im wirtschaftlichen Zu-
sammenhang mit der Aufgabe angefallenen Erträgen nach Abzug der Aufgabe-
kosten den (Buch-)Wert des Betriebsvermögens im Zeitpunkt der Aufgabe
übersteigt (vgl. Schmidt, EStG 22. Aufl. § 16 Rn. 212). Eine Verrechnung der
stillen Reserven mit den betrieblichen Schulden findet sonach, was der Be-
klagte übersehen hat, nicht statt.
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Angesichts der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten und von der
Revision nicht in Zweifel gezogenen Höhe des Aufgabegewinns, der die Frei-
betragsgrenze von 360.000 DM für bestimmte Aufgabegewinne gemäß § 16
Abs. 4 EStG in der damals geltenden Fassung weit überstieg (vgl. Schmidt,
EStG 15. Aufl. § 16 Rn. 587), war die Empfehlung des Beklagten pflichtwidrig
und schuldhaft; sie war nach der Lebenserfahrung auch geeignet, Vermögens-
nachteile für die Mandanten auszulösen. Die nach § 286 ZPO festzustellende
haftungsbegründende Kausalität des Verhaltens des Beklagten wird von der
Revision auch hingenommen.
2. Der Ersatzpflichtige hat nach § 249 Satz 1 BGB den Zustand herzu-
stellen, der ohne seine Pflichtverletzung bestünde. Deshalb ist zu prüfen, wel-
chen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem (vertragsgemäßem) Verhalten des
steuerlichen Beraters genommen hätten, insbesondere wie der Mandant darauf
reagiert hätte, und wie dessen Vermögenslage dann wäre.
a) Das Berufungsgericht hat aus der wirtschaftlichen Unsinnigkeit der
Betriebsaufgabe zum 31. Dezember 1996 abgeleitet, daß der Beklagte den
Klägern hiervon hätte abraten müssen und daß die Kläger diesem Rat gefolgt
wären, wofür jedenfalls der Anscheinsbeweis für beratungsgerechtes Verhalten
spreche. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
aa) Die Ursächlichkeit einer von dem steuerlichen Berater begangenen
Pflichtverletzung für einen dadurch angeblich entstandenen Schaden gehört zur
haftungsausfüllenden Kausalität, für deren Nachweis die in § 287 ZPO vorge-
sehenen Beweiserleichterungen gelten (BGH, Urt. v. 30. März 2000 - IX ZR
59/99, WM 2000, 1351, 1352). Die Darlegungslast des Mandanten kann zu-
sätzlich noch durch die Grundsätze des Anscheinsbeweises erleichtert sein,
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nach denen die Vermutung gilt, der Mandant hätte beratungsgemäß gehandelt,
wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des (steuerli-
chen) Beraters lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte (BGHZ
123, 311, 315; BGH, Urt. v. 8. November 2001 - IX ZR 64/01, WM 2001, 2455,
2458; v. 23. Januar 2003 - IX ZR 180/01, WM 2003, 936, 937 f).
bb) Der Senat teilt die Erwägung des Berufungsgerichts, daß sich für
eine Betriebsaufgabe zum Jahresende 1996 keine steuerlichen Gründe anfüh-
ren lassen, der Beklagte hiervon hätte abraten müssen und die Kläger der
Empfehlung nach Anscheinsgrundsätzen gefolgt wären.
Nach unbeanstandeter tatrichterlicher Feststellung auf der Grundlage der
eingereichten Steuererklärungen und Einkommensteuerbescheide für die Jahre
1995 bis 1999 ist anzunehmen, daß die Kläger durch die zum Jahresende 1996
erklärte Betriebsaufgabe keinerlei steuerliche Vorteile hatten. Insbesondere hat
die für das Jahr 1996 angefallene Kirchensteuer, die bei der Zahlung der Ein-
kommensteuerschuld im Jahre 1999 als Sonderausgabe abgezogen und das zu
versteuernde Einkommen in diesem Jahr reduziert hat, keinen steuerlichen
Vorteil gebracht, weil die Einkünfte in diesem Jahr ohnehin unterhalb des steu-
erfreien Grundbetrages lagen. Angesichts der geringen Einkommenshöhe hät-
ten die Kläger auch ohne die Betriebsaufgabe in den Jahren 1996 bis 1998 kei-
ne Einkommensteuer gezahlt, weil sie den durch den Aufgabegewinn im Jahre
1996 verbrauchten Verlustvortrag von 99.866 DM in diesem Fall wie Sonder-
ausgaben ohne Begrenzung der Höhe nach vom Gesamtbetrag der Einkünfte
hätten abziehen können (vgl. § 10d EStG in der damals geltenden Fassung;
siehe hierzu Schmidt, EStG 15. Aufl. § 10d Rn. 20). Ab dem Jahre 1999 haben
die Kläger keine Einkommensteuer gezahlt.
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Der Vermutung steht auch nicht entgegen, daß der Aufgabegewinn steu-
erbegünstigt ist (§ 16 Abs. 4 EStG) und sein steuerpflichtiger Teil mit einem er-
mäßigten Steuersatz versteuert wird (vgl. § 34 EStG). Ohne diese Vergünsti-
gungen wäre die durch die Aufdeckung der stillen Reserven verursachte Ein-
kommensteuerlast noch höher ausgefallen. Schließlich brachten die durch die
Aufdeckung der stillen Reserven geschaffenen zusätzlichen Abschreibungs-
möglichkeiten für die Kläger ab dem Jahr 1997 keinen entscheidenden wirt-
schaftlichen Vorteil, weil die von ihnen erzielten Einkünfte so niedrig waren, daß
die Kläger in absehbarer Zeit auch ohne diesen Vorteil voraussichtlich nicht
oder nur in ganz geringer Höhe zur Zahlung von Einkommensteuer herangezo-
gen worden wären.
Der Beklagte hat Tatsachen, die für ein atypisches Verhalten der Kläger
sprechen, weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt. Die Reaktion der
Parteien auf das Ergebnis der Betriebsprüfung hat der Beklagte in seinem
Schreiben an das Finanzamt vom 5. November 1999 dahin zusammengefaßt,
daß der Kläger zu 2) der Betriebsaufgabe schon während der laufenden Be-
triebsprüfung widersprochen und er, der Beklagte, die Willenserklärungen im
Namen des Steuerpflichtigen angefochten habe, weil die Betriebsaufgabe "irr-
tümlich" erklärt worden sei. Das belegt zusätzlich, daß sich die Kläger bera-
tungstreu verhalten und die stillen Reserven im Falle einer drohenden Einkom-
mensteuernachzahlung nicht aufgedeckt hätten.
b) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, den Klägern sei in
Höhe der von ihnen nachgezahlten Einkommensteuer nebst Säumniszuschlä-
gen und Zinsen sowie der aufgewandten Anwaltskosten für die von ihnen in
Anspruch genommene vorprozessuale Beratung ein ersatzfähiger Schaden ent-
standen.
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aa) Nach dem - auch hier anzuwendenden - § 287 ZPO reicht eine deut-
lich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit,
daß ein Schaden entstanden sei, für die richterliche Überzeugungsbildung aus
(vgl. BGH, Urt. v. 8. November 2001 - IX ZR 64/01, WM 2001, 2455, 2458).
Hierbei ist grundsätzlich die gesamte Schadensentwicklung bis zum prozessual
spätest möglichen Zeitpunkt, nämlich dem der letzten mündlichen Verhandlung
in den Tatsacheninstanzen, in die Schadensberechnung einzubeziehen (BGHZ
133, 246, 252 f; 137, 142, 152; BGH, Urt. v. 26. Februar 1988 - V ZR 234/86,
WM 1988, 828, 830; v. 12. Juli 1996 - V ZR 117/95, NJW 1996, 2652, 2654;
MünchKomm-BGB/Oetker, 4. Aufl. § 249 Rn. 305; Zugehör/Fischer, Handbuch
der Anwaltshaftung Rn. 1088). Dabei sind künftige Entwicklungen nur zu be-
rücksichtigen, wenn sie aufgrund der vorgetragenen Tatsachen mit einer für die
Anwendung von § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit beurteilt werden
können (BGHZ 27, 181, 188; 137, 142, 153; Staudinger/Schiemann, BGB
Bearb. 1998 Vorbem. zu §§ 249 ff Rn. 79; Gottwald, Schadensberechnung und
Schadensschätzung 1979 S. 126 f).
bb) Im Streitfall sind Umstände weder behauptet noch festgestellt wor-
den, die mit Wahrscheinlichkeit auf eine Herabsetzung oder den Wegfall des
Steuerschadens schließen lassen. Die steuerliche Lage der Kläger hat sich
deshalb im Umfang der Nachforderung verschlechtert, weil - wie unter a) bb)
dargelegt - sonstige anrechenbare Steuervorteile weder eingetreten noch zu
erwarten sind.
Aus der steuerdogmatischen Einordnung der stillen Reserven als "Auf-
schub der Besteuerung" (vgl. Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung
3. Aufl. Rn. 557; Tipke/Lang, Steuerrecht 17. Aufl. § 9 Rn. 415) kann der Be-
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klagte nichts für sich herleiten. Die Befreiung von einer latenten Steuerlast ist
schadensrechtlich dem Schädiger unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsaus-
gleichs nur gut zu bringen, wenn der Geschädigte infolge dieser Befreiung
Vorteile erzielt, die ihm ohne die Aufdeckung nicht zugeflossen wären. Aus dem
Vortrag des Beklagten ergibt sich in dieser Hinsicht nichts. Deshalb gilt insoweit
das gleiche wie bei anderen ersparten Aufwendungen oder schadensbedingten
Steuerersparnissen.
(1) Der Hinweis auf die Steuerstundungsfunktion der steuerlichen Aner-
kennung stiller Reserven darf nicht dahin mißverstanden werden, daß der
Steuerpflichtige nach der jeweils maßgebenden steuerrechtlichen Regelung in
jedem Fall nur einen Aufschub erhält. Im Ergebnis kann dieser auch dazu füh-
ren, daß die im Betriebsvermögen gespeicherten stillen Reserven zu keinem
absehbaren Zeitpunkt versteuert werden (vgl. Tipke/Lang, aaO § 9 Rn. 438).
Dies gilt gerade im Anwendungsbereich des § 16 EStG, der eine zeitlich unbe-
fristete Betriebsunterbrechung zuläßt und diese nicht als Aufgabe des Gewer-
bebetriebs im Sinne des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG behandelt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs braucht ein Gewerbe-
treibender die in seinem Betriebsvermögen enthaltenen stillen Reserven auch
dann nicht aufzudecken, wenn er zwar selbst seine werbende Tätigkeit einstellt,
aber entweder den Betrieb im ganzen als geschlossenen Organismus oder zu-
mindest alle wesentlichen Grundlagen verpachtet und gegenüber den Finanz-
behörden nicht ausdrücklich die Aufgabe des Betriebes erklärt (vgl. BFH, Gr.S.
BStBl. 1964 III 124, 126 f; BFH BStBl. 1998 II 388, 390 f; BFH/NV 1999, 1198,
1199; 2001, 1106). Verfährt der Gewerbetreibende in dieser Weise, entfällt so-
gar seine Gewerbesteuerpflicht, weil die Gewerbesteuer nur "werbende" Betrie-
be erfaßt (BFH Gr.S., aaO S. 126; Schmidt, EStG 22. Aufl. § 16 Rn. 709;
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Schoor DStR 1997, 1, 2). Die Anerkennung der gewerblichen Verpachtung setzt
nach der Rechtsprechung nicht einmal voraus, daß sich der Steuerpflichtige
offenhält, selbst in das Erwerbsleben zurückzukehren, was im Streitfall im Blick
auf das festgestellte Rentenalter der in den Jahren 1935 und 1937 geborenen
Kläger zweifelhaft erscheint. Es reicht aus, wenn die Absicht von einem Ge-
samt- oder von einem Einzelrechtsnachfolger verwirklicht werden soll (vgl. BFH
BStBl. 1985 II 456, 457). Dem Verpächter muß nur objektiv die Möglichkeit
verbleiben, den "vorübergehend" eingestellten Betrieb als solchen wieder auf-
zunehmen (vgl. BFH BStBl. 1998 II aaO S. 391; BFH/NV 2001, 1107). Unmaß-
geblich ist auch, ob nach Veränderung des Leistungsangebots durch den Päch-
ter die Wiederaufnahme des Betriebs in seiner ursprünglichen Form wirtschaft-
lich sinnvoll erscheint (BFH/NV, aaO). Das Wahlrecht besteht sogar für den
Rechtsnachfolger fort, auf den der Betrieb unentgeltlich, insbesondere im Erb-
wege, übergegangen ist, ohne daß dieser den Betrieb zuvor geführt hat (vgl.
BFH BStBl. 1993 II 36, 39).
(2) Danach hatten die Kläger schon mit der Verpachtung des Betriebes
an die Tochter zum 1. Juli 1995 eine Regelung geschaffen, die eine Aufdek-
kung stiller Reserven in absehbarer Zeit nicht erwarten ließ. Die Kläger beab-
sichtigten, aus der Verpachtung des auf dem Grundstück betriebenen Schuh-
geschäfts ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Beklagte hat nicht vorgetra-
gen, daß sie ihre Entscheidung rückgängig machen wollten oder eine andere
Lebensplanung entwickelt hätten. Die Verpachtung gewährte nach der für das
hypothetische Ergebnis eines steuerrechtlichen Ausgangverfahrens grundsätz-
lich maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BGHZ 145, 256,
262) sogar Spielraum für eine Anpassung des übernommenen Gewerbebe-
triebs an die wirtschaftlichen Erfordernisse (vgl. BFH/NV 2001, 1107). Verfolg-
ten die Kläger, was der Beklagte in den Tatsacheninstanzen vermutet hat,
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schon im Jahre 1996 den Plan, das Betriebsgrundstück im Wege der vorweg-
genommenen Erbfolge (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG) auf eines ihrer
vier Kinder zu übertragen, so hätte auch dies nicht notwendig zur Aufdeckung
stiller Reserven geführt, weil der Betriebsübernehmer hinsichtlich der über-
nommenen positiven und negativen Wirtschaftsgüter die Buchwerte des Über-
gebers fortzuführen hat (vgl. Erlaß des BMF vom 13. Januar 1993, BStBl. 1993
I 80 unter Nr. 29 f; Wassermeyer BB 1994, 1, 2).
Derartige Pläne gehören deshalb im Streitfall nicht zu den von dem haf-
tungsbegründenden Ereignis betroffenen Vermögensdispositionen und mußten
von den Klägern weder aus dem Gesichtspunkt des Gesamtvermögensver-
gleichs (vgl. BGH, Urt. v. 21. Dezember 1989 - IX ZR 234/88, WM 1990, 695,
699; v. 30. Mai 2000 - IX ZR 121/99, WM 2000, 1596, 1597, insoweit in BGHZ
144, 343 nicht abgedruckt; Zugehör/Fischer, aaO Rn. 1087), noch nach den
Grundsätzen der sekundären Behauptungslast (vgl. BGH, Urt. v. 31. Januar
1991 - IX ZR 124/90, WM 1991, 814, 815; v. 18. Mai 1999 - X ZR 158/97,
NJW 1999, 2887, 2888) vorgetragen werden.
Damit erweist sich der Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts, die aus
den aufgedeckten stillen Reserven folgende Steuerlast im Streitfall als Schaden
im Rechtssinne zu werten, als zutreffend.
(3) Was gilt, wenn der steuerliche Schaden nach materiellem Recht in
dem Zeitraum zwischen der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung und
dem Zeitpunkt der Erfüllung in Wegfall geraten ist, ohne daß dies in den Tatsa-
cheninstanzen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit beurteilt werden konnte
(vgl. hierzu Staudinger/Schiemann, aaO Vorbem. zu §§ 249 ff BGB Rn. 79-85),
bedarf im Streitfall ebensowenig einer Entscheidung wie die Frage, welche
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Rechtsfolgen sich aus der weiteren Vermögensentwicklung der Kläger nach
Erhalt des im vorliegenden Rechtsstreit zugesprochenen Schadensersatzes
ergeben.
cc) Entgegen der Meinung der Revision ist den Klägern auch ein Scha-
den in Höhe der vorprozessual aufgewendeten Anwaltskosten entstanden. Bil-
det - wie hier - eine Vermögensverletzung den Haftungsgrund, sind diejenigen
adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten nach § 249 Abs. 1 BGB zu er-
setzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und
Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGHZ 30,
154, 157 f; BGH, Urt. v. 30. April 1986 - VIII ZR 112/85, NJW 1986, 2243,
2245). Daß die Geschädigten insoweit - möglicherweise - einen prozessualen
Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten aus §§ 91 ff ZPO haben,
steht der Verfolgung des auf Kostenersatz gerichteten materiellen Schadenser-
satzanspruchs im streitigen Verfahren wegen der insoweit ungewissen Rechts-
lage (vgl. BGHZ 66, 112, 114 f; Staudinger/Schiemann, aaO § 251 Rn. 115)
nicht entgegen (BGHZ 111, 168, 171 f).
Kreft Fischer Ganter
Kayser Vill