Urteil des BGH vom 14.10.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
RiZ(R) 2/12
Verkündet am:
14. Oktober 2013
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
DRiG § 80 Abs. 1 Satz 1; VwGO § 137 Abs. 2
Die Feststellung des Inhalts einer dienstlichen Beurteilung eines Richters und die
Würdigung der darin verwendeten Formulierungen ist grundsätzlich Sache der Tatsa-
chengerichte und unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Überprü-
fung.
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2013
– RiZ (R) 2/12 – Dienstgericht für Richter bei dem
Landgericht Leipzig
- 2 -
in dem Prüfungsverfahren
des Richters am Arbeitsgericht
Antragsteller, Revisionskläger und Revisionsbeklagter,
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
-
gegen
Antragsgegner, Revisionsbeklagter und Revisionskläger,
wegen Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
- 3 -
Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 11. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesge-
richtshof Prof. Dr. Bergmann, die Richterin am Bundesgerichtshof Safari Cha-
bestari, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher sowie die Richter am
Bundesarbeitsgericht Reinfelder und Dr. Spinner
für Recht erkannt:
Die Revisionen des Antragstellers und des Antragsgegners gegen
das Urteil des Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht
Leipzig vom 3. April 2012 werden zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat ¾, der Antragsgegner ¼ der Kosten des Re-
visionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller durch Formulierun-
gen in der dienstlichen Beurteilung vom 2. Januar 2009 in seiner richterlichen
Unabhängigkeit beeinträchtigt ist.
Der Antragsteller steht seit 1991 im richterlichen Dienst des Antragsgeg-
ners. Seit dem 1. März 2000 ist er Vorsitzender einer Kammer am Arbeitsge-
richt L. ; vorher war er vor allem am Arbeitsgericht Z. tätig.
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Unter dem 5. Juli 2000 fertigte der damalige Präsident des Sächsischen
Landesarbeitsgerichts eine Anlassbeurteilung für die Zeit vom 1. Januar 1998
bis 29. Februar 2000. Die nachgehende Regelbeurteilung für die Zeit vom
1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2001 wurde mit Urteil des Verwaltungsge-
richts Leipzig vom 2. Februar 2006 aufgehoben; die zugelassene Berufung
wies das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. September
2008 zurück.
Unter dem 2. Januar 2009 fertigte der jetzige Präsident des Sächsischen
Landesarbeitsgerichts erneut eine dienstliche Beurteilung für den Zeitraum von
1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2001, in der hinsichtlich des Beurteilungszeit-
raums vom 1. Januar 1998 bis 29. Februar 2000 auf die Anlassbeurteilung vom
5. Juli 2000 verwiesen wird.
Die Beurteilung schließt mit dem Gesamturteil „Er entspricht nicht den
Anforderungen“. Im Übrigen hat sie u.a. folgenden Wortlaut:
„…
Die Feststellungen, die der Präsident des Sächsischen
Landesarbeitsgerichts in jener Anlassbeurteilung getroffen
hat, konnte der zu beurteilende Richter am Arbeitsgericht
T. während des Beurteilungszeitraumes vom
1. März 2000 bis zum 31. Dezember 2001 beim Arbeitsge-
richt L. weitgehend nicht bestätigen.
Herr T. hatte in der Zeit vom 1. März 2000 bis zum
31. Dezember 2000 530 eingegangene Verfahren zu be-
arbeiten. Er erledigte in diesem Zeitraum 560 Verfahren,
davon 39 durch Urteil und 237 durch Vergleich. Im Jahre
2001 hatte Herr T. 689 eingehende Verfahren zu
bearbeiten. Er erledigte 598 Verfahren, davon 67 durch
Urteil und 222 durch Vergleich. Der Bestand erhöhte sich
von 186 auf 277 Verfahren zum Ende des Jahres 2001.
Herrn T. s Kammer war nicht mehr belastet als die
anderen Kammern des Arbeitsgerichts L. . Zwar hatte
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Herr T. bereitwillig die Fachkammer für Eingrup-
pierungsfeststellungsklagen gegen Arbeitgeber des öffent-
lichen Dienstes zu Beginn seiner Tätigkeit beim Arbeitsge-
richt L. übernommen. Diese Streitigkeiten führten
regelmäßig zu einer höheren Zahl von Urteilen. Aus die-
sem Grunde wurden allerdings alle sogenannten Eingrup-
pierungsfeststellungsstreitigkeiten doppelt gezählt und
Herr T. entsprechend entlastet. Dies führte dazu,
dass Herr T. im Vergleich zu anderen Kammern
die geringsten Eingänge hatte und auch unter Berücksich-
tigung seiner Fachzuständigkeit nicht überbelastet war.
Herr T. terminiert zügig. Dass Kündigungsschutz-
verfahren entsprechend § 61 Absatz 2 ArbGG bevorzugt
terminiert werden, lässt sich nicht feststellen. Entspre-
chend § 54 Absatz 4 ArbGG bestimmt Herr T. ei-
nen Kammertermin in der gescheiterten Güteverhandlung.
Konkrete Auflagen- und Hinweisbeschlüsse erfolgen bis
zu sechs Wochen danach. Entsprechend § 56 Absatz 1
ArbGG bereitet Herr T. die Kammerverhandlungen
so vor, dass sie regelmäßig in einer Verhandlung der Ent-
scheidungsreife zugeführt werden können.
(…)
Von den 107 Urteilen (einschließlich eines Teilurteils), die
Herr T. in den zweiundzwanzig Monaten vom
1. März 2000 bis zum 31. Dezember 2001 verkündete,
lagen 18 innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 60 Absatz
4 bzw. Absatz 1 ArbGG in vollständig abgesetzter Form
der Geschäftsstelle vor. In 20 Verfahren bestimmte Herr
T. Verkündungstermine. In einigen dieser Verfah-
ren lagen die Entscheidungen entgegen § 60 Absatz 4
Satz 2 ArbGG zum Zeitpunkt ihrer Verkündung nicht ab-
gesetzt vor. Seit Beginn der Aufnahme seiner Tätigkeit
beim Arbeitsgericht L. stieg die Zahl nicht abgesetz-
ter Urteile schnell an. Bereits am 1. Juni 2000 hatte Herr
T. drei Urteile aus dem Monat März 2000 nicht
abgesetzt. Im Folgenden werden diejenigen Urteile aufge-
führt, die bis zum Ende des übernächsten der Verkündung
folgenden Monats nicht abgesetzt worden sind. Insgesamt
lagen 89 Urteile nicht innerhalb von drei Wochen nach
ihrer Verkündung in abgesetzter Form vor.
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Am 1. Februar 2001 waren zehn Urteile nicht abgesetzt,
deren Verkündungstag bis zu mehr als sieben Monate
zurück lag.
(…)
Ende Dezember 2001 waren 23 Urteile nicht abgesetzt,
deren Verkündungstag bis zu mehr als 14 Monate zurück
lag. (…)
Obwohl Herr T. ein entscheidungsfreudiger Rich-
ter ist, schafft er es in der Regel nicht, seine Urteile inner-
halb der gesetzlich vorgegebenen Fristen abzusetzen.
Möglicherweise fehlt Herrn T. die innere Einstel-
lung oder die erforderliche Selbstdisziplin dazu, oder er ist
nicht in der Lage, seine Arbeitsabläufe effektiv - unter Be-
achtung der gesetzlichen Vorgaben - zu gestalten. Diese
ganz erheblichen Verzögerungen sowohl bezüglich der
Anzahl nicht abgesetzter Urteile als auch bezüglich der
Dauer des Nichtabsetzens mit den damit verbundenen
nachteiligen Folgen für die Prozessparteien begründen
- auch unter Berücksichtigung der Anlassbeurteilung vom
5. Juli 2000 - Herrn T. s Nichtverwendbarkeit im
Richteramt. Diese gravierende Fehlleistung des Herrn
T. in einem Kernbereich der zu beurteilenden Tä-
tigkeit gleicht Herr T. nicht durch Leistungen auf
anderen Gebieten aus.“
Die Beurteilung wurde dem Antragsteller am 3. Februar 2009 eröffnet.
Sein hiergegen gerichteter Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom
20. August 2009, zugestellt am 17. September 2009, zurückgewiesen. Mit dem
am 12. Oktober 2009 beim Dienstgericht für Richter eingegangenen Antrag be-
gehrt der Antragsteller die Feststellung der Unzulässigkeit bestimmter Formulie-
rungen in der angegriffenen Beurteilung. Daneben hat er die Beurteilung mit
einer Klage vor dem Verwaltungsgericht L. angefochten.
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Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, die Beurteilung enthalte
unzulässige Maßnahmen der Dienstaufsicht, die ihn in seiner richterlichen Un-
abhängigkeit beeinträchtigten. Die im Antrag bezeichneten Ausführungen des
Dienstvorgesetzten zielten auf eine Änderung seines Verhaltens im Kernbe-
reich richterlicher Tätigkeit, die er nicht hinzunehmen bereit sei.
Der Antragsteller hat beantragt,
festzustellen, dass es sich bei den folgenden Ausführun-
gen in der dienstlichen Beurteilung des Präsidenten des
Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 02. Januar 2009
um unzulässige Maßnahmen der Dienstaufsicht handelt:
-
Der Bestand erhöhte sich von 186 auf 277 Verfahren
zum Ende des Jahres 2001.
-
Dass Kündigungsschutzklagen entsprechend § 61
Absatz 2 ArbGG bevorzugt terminiert werden, lässt
sich nicht feststellen.
-
Konkrete Auflagen- und Hinweisbeschlüsse erfolgen
bis zu sechs Wochen danach.
-
In 20 Verfahren bestimmte Herr T. Verkün-
dungstermine. In einigen dieser Verfahren lagen die
Entscheidungen entgegen § 60 Absatz 4 Satz 2
ArbGG zum Zeitpunkt ihrer Verkündung nicht abge-
setzt vor.
Der Antragsgegner hat die Zurückweisung des Antrags beantragt. Er ist
der Auffassung, die Beurteilung gebe lediglich tatsächliche Handlungsweisen
des Antragstellers wieder.
Das Dienstgericht für Richter hat den Antrag für zulässig und teilweise
auch für begründet gehalten. Die Passage „Dass Kündigungsschutzklagen ent-
sprechend § 61 Abs. 2 ArbGG bevorzugt terminiert werden, lässt sich nicht
feststellen“ sei missverständlich. Sie könne in Verbindung mit den vorherigen
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Ausführungen so verstanden werden, dass Kündigungsschutzklagen noch zü-
giger als andere Streitigkeiten zu terminieren seien. Dies betreffe den Kernbe-
reich richterlicher Tätigkeit und nehme mindestens psychologisch Einfluss auf
die Reihenfolge der Bearbeitung der Amtsgeschäfte. Bei den übrigen angegrif-
fenen Passagen handele es sich hingegen um bloße Feststellungen, die keine
Wertungen oder Weisungen enthielten.
Der Antragsteller verfolgt mit seiner Revision den ursprünglichen Antrag
weiter, soweit er ohne Erfolg geblieben ist. Der Antragsgegner erstrebt mit sei-
ner Revision die vollständige Zurückweisung des Antrags.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässigen Revisionen beider Beteiligter sind unbegründet. Die an-
gegriffene Entscheidung hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
1. Zutreffend hat das Dienstgericht für Richter die angefochtene dienstli-
che Beurteilung ausschließlich daraufhin überprüft, ob sie den Antragsteller in
seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt. Ob die Beurteilung im Übri-
gen rechtmäßig ist, hat es nicht zu entscheiden.
a) Nach § 26 Abs. 1 DRiG untersteht der Richter einer Dienstaufsicht
nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Nach § 26 Abs. 2
DRiG umfasst die Dienstaufsicht vorbehaltlich des Absatzes 1 auch die Befug-
nis, dem Richter die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäftes
vorzuhalten und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsge-
schäfte zu ermahnen. Demgemäß sieht § 6 Abs. 1 und 2 SächsRiG die periodi-
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sche Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung von Rich-
tern auf Lebenszeit vor, mit dem Hinweis, dass bei der Beurteilung richterlicher
Amtsgeschäfte die sich aus § 26 Abs. 1 und 2 DRiG ergebenden Beschrän-
kungen zu beachten sind und eine Stellungnahme zum Inhalt richterlicher Ent-
scheidungen unzulässig ist.
b) Soweit die richterliche Unabhängigkeit durch den Inhalt einer dienstli-
chen Beurteilung beeinträchtigt wird, ist diese unzulässig. Das ist allerdings
nicht schon dann der Fall, wenn darin die richterliche Amtsführung und spezi-
fisch richterliche Fähigkeiten bewertet werden. Das entspricht vielmehr ihrem
Zweck. Eine dienstliche Beurteilung verletzt die richterliche Unabhängigkeit nur
dann, wenn sie auf eine direkte oder indirekte Weisung hinausläuft, wie der
Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. In dieser Richtung muss die
dienstliche Beurteilung eines Richters sich auch jeder psychologischen Ein-
flussnahme enthalten. Sie ist unzulässig, wenn die in ihr enthaltene Kritik den
Richter veranlassen könnte, in Zukunft eine andere Verfahrens- oder Sachent-
scheidung als ohne diese Kritik zu treffen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom
4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268 Rn. 15; Urteil vom 25. September
2002 - RiZ(R) 4/01, NJW-RR 2003, 492, 493; Urteil vom 10. August 2001
- RiZ(R) 5/00, NJW 2002, 359, 360 f.).
c) Zum Schutzbereich der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehö-
ren in erster Linie die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden
Sach- und Verfahrensentscheidungen, einschließlich nicht ausdrücklich vorge-
schriebener, dem Interesse der Rechtsuchenden dienender richterlicher Hand-
lungen, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht
zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (sog.
Kernbereich; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08,
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BGHZ 181, 268 Rn. 16 mwN). Sie sind dienstaufsichtlichen Maßnahmen
grundsätzlich entzogen, es sei denn, es liegt ein offensichtlicher, jedem Zweifel
entrückter Fehlgriff vor (BGH, Urteil vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96,
DRiZ 1997, 467, 468). Dementsprechend ist auch die Verhandlungsführung
einer Dienstaufsicht weitgehend entzogen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2006
- RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn. 21).
d) Hingegen unterliegt die richterliche Amtsführung insoweit der Dienst-
aufsicht, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs,
die äußere Form der Erledigung eines Dienstgeschäftes oder um solche Fra-
gen geht, die dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit so weit entrückt
sind, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig angesehen werden
können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08, BGHZ
181, 268 Rn. 17; Urteil vom 22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674
Rn. 20). So kann etwa der Vorhalt unangemessen langer Urteilsabsetzungsfris-
ten eine zulässige Ausübung von Dienstaufsicht sein (BGH, Urteil vom
27. Januar 1995 - RiZ(R) 3/94, DRiZ 1995, 352, 353; Urteil vom 22. März 1985
- RiZ(R) 2/84, DRiZ 1985, 394, 395; Urteil vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 3/83,
BGHZ 90, 41, 45 f.).
2. Die Feststellung des Inhalts einer dienstlichen Beurteilung und die
Würdigung der darin im Einzelfall verwendeten Formulierungen ist grundsätz-
lich Sache der Tatsachengerichte und unterliegt im Revisionsverfahren nur ei-
ner eingeschränkten Überprüfung (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 137
Abs. 2 VwGO). Sofern keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben wer-
den, ist das Revisionsgericht grundsätzlich an die im Urteil getroffenen tatsäch-
lichen Feststellungen gebunden (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom
14. Januar 1998
– 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115, 123 mwN). Die tatrichterli-
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che Würdigung einer Äußerung oder Erklärung, auch in einer Beurteilung, ist
nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen anerkannte Auslegungsregeln, Denk-
gesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ob wesentlicher Tatsachen-
stoff, der für die Auslegung von Bedeutung sein kann, außer Betracht gelassen
wurde oder ob sie sonst auf Rechtsfehlern beruht (vgl. BGH, Urteil vom
22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn. 23; Urteil vom 14. April
1997
– RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 469; BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011
– 1 C 1.10, BVerwGE 138, 371 Rn. 15).
3. Gemessen daran ist die Würdigung der dienstlichen Beurteilung durch
das Dienstgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen
haben die Beteiligten nicht erhoben, sonstige Rechtsfehler lässt die Entschei-
dung des Dienstgerichts nicht erkennen.
a) Die Revision des Antragstellers zeigt Rechtsfehler nicht auf, soweit
das Dienstgericht den Prüfungsantrag für unbegründet erachtet hat.
aa) Das Dienstgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Formu-
lierung „Der Bestand erhöhte sich von 186 auf 277 Verfahren zum Ende des
Jahres 2001“ den Antragsteller nicht in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt.
Das Dienstgericht hat diese Formulierung dahin gewürdigt, es handele
sich um eine bloße Darstellung der tatsächlichen Gegebenheiten ohne Wertung
oder Weisung. Das ist nicht zu beanstanden. In der Beurteilung werden zu-
nächst die Eingangszahlen der Kammer in den zu beurteilenden Zeiträumen
genannt und dem wird gegenübergestellt, wie viele Verfahren erledigt wurden.
Dies ist zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2001 - RiZ(R) 5/00, NJW
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2002, 359, 361) und wird vom Antragsteller auch nicht angegriffen. Im Folgen-
den wird die Belastung der Kammer, die der Antragsteller inne hatte, in ein
Verhältnis zur Belastung anderer Kammern am Arbeitsgericht L. gesetzt.
Auch hiergegen bestehen keine Bedenken. Die angegriffene Formulierung er-
spart lediglich dem Leser, selbst zu berechnen, welche Auswirkungen das Ver-
hältnis von Eingangs- und Erledigungszahlen auf den Kammerbestand hatte.
Die dafür notwendigen Zahlen enthält die Beurteilung. Ein Eingriff in die Unab-
hängigkeit des Antragstellers ist mit dieser Darstellung
– auch unter Berück-
sichtigung ihres Kontextes - nicht verbunden. Er wird dadurch nicht zu einer
bestimmten Art der Behandlung und Erledigung der eingehenden Rechtsstreite
veranlasst. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Dienstgericht bei
seiner Wertung den Inhalt des Schreibens des Präsidenten des Landesarbeits-
gerichts an das Sächsische Staatsministerium der Justiz vom 16. April 2009
außer Betracht lassen
Weder wird in der dienstlichen Beurteilung ein Bezug zu
einem solchen Schreiben hergestellt noch enthält diese selbst entsprechende
Formulierungen.
bb) Die Annahme des Dienstgerichts,
die Formulierung „Konkrete Aufla-
gen-
und Hinweisbeschlüsse erfolgen bis zu sechs Wochen danach“ sei nicht
geeignet, den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit zu beein-
trächtigen, hält ebenfalls der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Das Dienstgericht nimmt an, diese Formulierung sei ausschließlich be-
schreibend und stelle dar, in welcher Zeitspanne nach einer Güteverhandlung
Auflagen- und Hinweisbeschlüsse vom Antragsteller verfasst würden. Weder
sei darin die Aufforderung zu sehen, solche Beschlüsse bereits in der Gütever-
handlung zu verkünden, noch eine Bewertung dieser Zeitspanne als zu lang.
Rechtsfehler zeigt die Revision im Hinblick auf diese Auslegung nicht auf. Viel-
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mehr meint sie, in der angegriffenen Formulierung liege eine Missbilligung und
ein Verbot, außerhalb der Güteverhandlung Auflagenbeschlüsse zu erlassen.
Dies stellt aber lediglich eine andere Wertung durch den Antragsteller dar, ohne
dass er Anhaltspunkte für Auslegungsfehler des Dienstgerichts benennt. Im
Übrigen weist die Revision zutreffend darauf hin, dass das Gesetz keine zwin-
genden, für alle Verfahren gleichermaßen geltenden Vorgaben zum Zeitpunkt
des Erlasses entsprechender Beschlüsse macht. Gemäß § 54 Abs. 4 ArbGG ist
im Fall der gescheiterten Güteverhandlung Termin zur streitigen Verhandlung
zu bestimmen, wenn diese sich - wie regelmäßig in der Praxis - nicht unmittel-
bar anschließt. Eine entsprechende gesetzeskonforme Handhabung wird dem
Antragsteller in der Beurteilung ausdrücklich bescheinigt. Die streitige Verhand-
lung ist nach § 56 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sodann so vorzubereiten, dass sie
möglichst in einem Termin erledigt werden kann. Dabei sollen nach Satz 2
- soweit erforderlich - Auflagen und Hinweise an die Parteien erfolgen. Konkrete
Vorgaben zum Zeitpunkt macht die Norm nicht. Hingegen bestimmt § 61a
Abs. 3 ArbGG, dass in Rechtsstreitigkeiten über den Bestand eines Arbeitsver-
hältnisses im Fall der erfolglosen Güteverhandlung dem Beklagten eine ent-
sprechende Frist zu setzen ist, wenn er noch nicht oder nicht ausreichend auf
die Klage erwidert hat. Diese Vorschrift dient der besonderen Beschleunigung
von Verfahren über Bestandsstreitigkeiten (GMP/Germelmann, ArbGG, 8. Aufl.,
§ 61a Rn. 8). Ob dem Kläger gleichzeitig eine Frist zur Replik gesetzt wird, ist
nach Absatz
4 in das Ermessen des Vorsitzenden gestellt („kann“). Die Darstel-
lung in der Beurteilung in der vom Dienstgericht vorgenommenen Auslegung
entspricht damit der prozessualen Lage nach dem Arbeitsgerichtsgesetz.
cc) Gleiches gilt hinsichtlich der For
mulierung „In 20 Verfahren bestimm-
te Herr T. Verkündungstermine. In einigen dieser Verfahren lagen die
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Entscheidungen entgegen § 60 Abs. 4 Satz 2 ArbGG im Zeitpunkt ihrer Ver-
kündung nicht abgesetzt vor“.
Das Dienstgericht nimmt insoweit an, der erste Satz gebe rein beschrei-
bend wieder, in wie vielen Fällen Verkündungstermine gemäß § 60 Abs. 1
Satz 1 ArbGG bestimmt worden seien. Auch aus dem Kontext könne eine ne-
gative Wertung, die geeignet wäre, auf das Verhalten des Antragstellers Ein-
fluss zu nehmen, nicht entnommen werden. Deshalb komme es auch nicht da-
rauf an, dass die Bestimmung eines Verkündungstermins nicht durch den Vor-
sitzenden alleine, sondern durch die Kammer erfolge. Damit hat das Dienstge-
richt alle für die Auslegung relevanten Umstände berücksichtigt. Die Revision
stellt dieser Auslegung lediglich ihre Auslegung und Wertung als Missbilligung
gegenüber, ohne einen Rechtsfehler aufzuzeigen.
Hinsichtlich des zweiten Satzes der angegriffenen Textpassage geht das
Dienstgericht rechtsfehlerfrei davon aus, dass eine nach § 26 Abs. 2 DRiG auf
Tatsachen bezogene zulässige Wertung vorliegt. Diese bezieht sich auf das
Absetzen der Urteile nach den gesetzlichen Vorgaben im Fall der Bestimmung
eines Verkündungstermins. § 60 Abs. 4 Satz 2 ArbGG bestimmt, dass das Ur-
teil dann, wenn es in einem gesonderten Termin verkündet wird, „bei der Ver-
kündung in vollständiger Form abgefasst sein muss“. Die Vorschrift wird ent-
sprechend ihrem Wortlaut nach allgemeiner Auffassung als zwingend angese-
hen (BCF/Creutzfeldt, ArbGG, 5. Aufl., § 60 Rn. 12; Düwell/Lipke/Kloppenburg,
ArbGG, 3. Aufl., § 60 Rn. 18; ErfK/Koch, ArbGG, 13. Aufl., § 60 Rn. 6;
GMP/Germelmann, ArbGG, 8. Aufl., § 60 Rn. 31). Umstritten ist lediglich, ob
der Verkündungstermin zu verlegen ist, wenn das Urteil zum ursprünglichen
Termin nicht vorliegt (vgl. Düwell/Lipke/Kloppenburg, ArbGG, 3. Aufl., § 60
Rn. 18; ErfK/Koch, ArbGG, 13. Aufl., § 60 Rn. 6; GMP/Germelmann, ArbGG,
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8. Aufl., § 60 Rn. 31), oder ob nach § 60 Abs. 4 Satz 3 und 4 ArbGG zu verfah-
ren ist (so BCF/Creutzfeldt, ArbGG, 5. Aufl., § 60 Rn. 12). Im Übrigen betrifft
diese Norm nicht den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit, sondern nur den
„äußeren Ordnungsbereich“. Es geht nicht um den Inhalt der getroffenen Ent-
scheidungen oder die Art ihrer Vorbereitung, sondern um die äußere Form der
Erledigung abgeschlossener richterlicher Geschäfte (BGH, Urteil vom
6. Oktober 2011 - RiZ(R) 3/10, NJW 2012, 939 Rn. 21 = NZA 2012, 391). Eine
Verletzung des § 60 Abs. 4 Satz 2 ArbGG durfte dem Antragsteller damit vor-
gehalten werden, ohne dass darin ein unzulässiger Eingriff in seine Unabhän-
gigkeit zu sehen wäre.
b) Die Revision des Antragsgegners ist ebenfalls unbegründet.
Das Dienstgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, die Formulierung
„Dass Kündigungsschutzklagen entsprechend § 61 Absatz 2 ArbGG bevorzugt
terminiert werden, lässt sich nicht feststellen“ sei geeignet, den Antragsteller in
seiner Unabhängigkeit zu beeinträchtigen.
aa) Das Dienstgericht geht davon aus, diese Formulierung könne so ver-
standen werden, dass in dem beurteilten Zeitraum keine bevorzugte Terminie-
rung von Bestandsstreitigkeiten bei der Festsetzung des Gütetermins erfolgt
sei. Es stützt diese Annahme insbesondere auf eine Wertung der Formulierung
im Zusammenhang mit dem vorhergehenden Satz, wonach der Antragsteller
zügig terminiere. Die angegriffene Passage könne vom Beurteilten so verstan-
den werden, dass er trotz insgesamt zügiger Terminierung Kündigungsschutz-
verfahren generell noch zügiger zu terminieren habe. Damit sei die Formulie-
rung geeignet, den auch im Rahmen des § 61a Abs. 2 ArbGG noch bestehen-
den richterlichen Spielraum in unzulässiger Weise einzuschränken und den
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Antragsteller anzuhalten, in einer bestimmten, vom Gesetz nicht für alle Fallge-
staltungen zwingend vorgegebenen Reihenfolge vorzugehen.
bb) Die Revision des Antragsgegners wendet sich gegen diese Ausle-
gung und vertritt die Auffassung, die angegriffene Formulierung erschöpfe sich
ohne jede Wertung oder gar Missbilligung in der Feststellung von Tatsachen.
Sie zeigt aber nicht auf, dass die Würdigung des Dienstgerichts, die Formulie-
rung könne im Zusammenhang mit der vorangehenden Feststellung, dass der
Antragsteller zügig terminiere, dahin verstanden werden, Kündigungsschutzkla-
gen seien noch zügiger als die anderen Streitigkeiten zu terminieren, auf
Rechtsfehlern beruht, also gegen anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze
oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder wesentlichen Tatsachenstoff
unberücksichtigt lässt. Solche Rechtsfehler sind auch nicht erkennbar.
cc) Die Entscheidung des Dienstgerichts ist auch im Hinblick auf die
rechtliche Wertung, die Formulierung könne daher als Einflussnahme auf den
Kernbereich richterlicher Tätigkeit verstanden werden und beeinträchtige die
richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers, frei von Rechtsfehlern.
Nach § 61a Abs. 2 ArbGG soll die Güteverhandlung in Bestandsstreitig-
keiten innerhalb von zwei Wochen nach Klageerhebung stattfinden. Für andere
Verfahren gibt es hingegen keine konkrete Bestimmung darüber, wann die Gü-
teverhandlung zu erfolgen hat. Wieweit die Verpflichtung aus § 61a
Abs. 2 ArbGG reicht, insbesondere in welchen Fällen hiervon abgewichen wer-
den kann und ob etwa vorsorglich Termine für Bestandsschutzstreitigkeiten
freigehalten
werden
müssen,
ist
umstritten
(vgl.
etwa
einerseits
GMP/Germelmann,
ArbGG,
8.
Aufl.,
§ 61a
Rn. 9 f.,
andererseits
BCF/Creutzfeldt, ArbGG, 5. Aufl., § 61a Rn. 9; zur entgegenstehenden Ge-
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richtspraxis auch Düwell/Lipke/Kloppenburg, ArbGG, 3. Aufl., § 61a Rn. 5
Bei
Vorliegen unabänderlicher Gründe wird eine spätere Durchführung des Güte-
termins für zulässig erachtet, beispielsweise wenn die Klage öffentlich zuzustel-
len, bei Krankheit oder Urlaub des Vorsitzenden keine Vertretung vorhanden
oder eine Vielzahl von Bestandsschutzstreitigkeiten zu terminieren ist (vgl.
GMP/Germelmann, ArbGG, 8. Aufl., § 61a Rn. 10; Düwell/Lipke/Kloppenburg,
ArbGG, 3. Aufl., § 61a Rn. 5; Schwab/Weth/Korinth, ArbGG, 3. Aufl., § 61a
Rn. 5). Deshalb bedarf es im Einzelfall unter Beachtung des § 61a Abs. 2
ArbGG der wertenden Entscheidung des Richters, wann ein Gütetermin anzu-
setzen ist. Die Terminierung des einzelnen Rechtsstreits und damit die Frage,
wann welches Verfahren durch den Richter erledigt wird, gehört zum Kernbe-
reich der richterlichen Tätigkeit und unterliegt dem Schutz vor Eingriffen im
Rahmen der Dienstaufsicht (BGH, Urteil vom 15. November 2007 - RiZ(R) 4/07,
NJW 2008, 1448 Rn. 31 f.). Zwar ist der Dienstvorgesetzte im Rahmen dienst-
aufsichtlicher Maßnahmen berechtigt, auf eine offensichtlich und zweifelsfrei
bestehende Rechtslage hinzuweisen (BGH, Urteil vom 15. November 2007
- RiZ(R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 31) oder den Richter zur unverzögerten
Erledigung von Rechtsstreitigkeiten anzuhalten, solange damit kein unzulässi-
ger Erledigungsdruck ausgeübt wird (BGH, Urteil vom 8. November 2006
- RiZ(R) 2/05, NJW-RR 2007, 281 Rn. 18). Allerdings darf kein unzulässiger
Einfluss auf die Reihenfolge der Bearbeitung der Amtsgeschäfte genommen
werden (BGH, Urteil vom 8. November 2006 - RiZ(R) 2/05, NJW-RR 2007, 281
Rn. 18),
solange diese nicht durch gesetzliche Regelungen ohne jeden richter-
lichen Entscheidungsspielraum vorgegeben ist. Eine solche zwingende Vorga-
be, in welcher Reihenfolge Güteverhandlungen zu terminieren sind, enthält
§ 61a Abs. 2 ArbGG nicht.
- 18 -
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG in Ver-
bindung mit § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festge-
setzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG).
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Vorinstanzen:
Dienstgericht für Richter beim LG Leipzig, Entscheidung vom 03.04.2012
- 66 DG 20/09 -
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