Urteil des BGH vom 11.02.2000

BGH (verkäufer, auslegung, verzug, stadt, kaufpreis, kaufvertrag, forderung, höhe, annahme, betrag)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 61/99
Verkündet am:
11. Februar 2000
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
Richter Dr. Vogt, Schneider, Prof. Dr. Krüger und Dr. Klein
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des
14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in
Augsburg, vom 3. Dezember 1998 aufgehoben und das Urteil des
Landgerichts Augsburg vom 11. April 1997 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die H. A. AG erwarb 1991 einen größeren Grundbesitz in
Sch. , von dem sie eine Teilfläche von rund 38.000 qm mit notariellem
Vertrag vom 16. Juni 1993 für rund 6,8 Mio. DM an die spätere Gemeinschuld-
nerin (im folgenden: Gemeinschuldnerin) verkaufte. Für die Gemeinschuldnerin
wurde eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Die zugrundeliegende Forde-
rung wurde später an die Commerzbank verpfändet, die sich für die Kaufpreis-
zahlung verbürgt hatte.
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In dem Kaufvertrag heißt es unter "IX. Erschließungsmaßnahmen" wie
folgt:
"Der Erschließungsaufwand im Sinne der §§ 127, 128 BBauG,
die Kosten für Ver- und Entsorgungsleitungen, die Anschluß-
und Herstellungsbeiträge gemäß kommunalen Satzungen sind
nicht bezahlt.
Die anfallenden Kosten aufgrund kommunaler Satzungen oder
aufgrund eines Vorhaben- und Erschließungsplanes werden
vom Käufer getragen, auch wenn die Bescheide und Abrech-
nungen noch an den Verkäufer adressiert sein sollten. Der Ver-
käufer verpflichtet sich, die Verhandlungen im Rahmen des Vor-
verfahrens zum Vorhaben- und Erschließungsplan mit der Stadt
Sch. zum Abschluß eines Erschließungsvertrages zwi-
schen der Stadt Sch. und dem Käufer zu führen.
Die Kosten der Erschließung sowie die anstehende Erdverka-
belung der Hochspannungsleitung werden entsprechend der
Größe des in Ziff. I bezeichneten Gesamtgrundbesitzes von den
Vertragsteilen flächenanteilig getragen.
Ungeachtet von der vorstehenden Regelung übernimmt der
Verkäufer die Kosten der Erdverkabelung bis zu höchstens
350.000,--; ein etwa überschießender Betrag geht zu Lasten
des Käufers.
Hierzu erforderliche Verträge sind gesondert abzuschließen."
Am 16. Mai 1995 schlossen die H. A. AG und die Gemein-
schuldnerin einen privatschriftlichen "Konsortialvertrag", dessen Zweck die Er-
stellung und Verwirklichung eines Vorhaben- und Erschließungsplans war und
der auch im einzelnen festlegte, wer jeweils die Kosten tragen sollte.
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Die Commerzbank zahlte als Bürgin den vollständigen Kaufpreis. Zah-
lungen auf die Erschließungskosten, die die Stadt Sch. zum Teil von der
H. A. AG gefordert hatte, leistete die Gemeinschuldnerin nicht.
Mit Schreiben vom 6. und vom 16. August 1996 an den Beklagten stellte
die H. A. AG eine Berechnung auf, die mit einer Forderung von
rund 3,1 Mio. DM abschloß und die sie als restlichen Kaufpreis bis zum
20. August 1996 einforderte, verbunden mit der Androhung, die Erfüllung des
Kaufvertrages abzulehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend
zu machen. Der Berechnung der Forderung lag zugrunde, daß die H.
A. AG den von der Commerzbank gezahlten Betrag auf verschiedene ihr
angeblich zustehende Forderungen verrechnete, u.a. auf Erstattungsansprü-
che wegen der Erschließungskosten in Höhe von rd. 1,4 Mio. DM sowie auf
Verzugszinsen.
Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht der H. A. AG
Löschung der Auflassungsvormerkung. Land- und Oberlandesgericht haben
der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Abwei-
sungsantrag weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmit-
tels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kaufvertrag zwischen der
H. A. AG und der Gemeinschuldnerin sei nach § 326 Abs. 1 BGB in
ein Abwicklungsverhältnis umgewandelt worden. Die Gemeinschuldnerin sei
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zwar nicht mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug geraten; denn diesen
habe die Commerzbank als Bürgin gezahlt, und der Gläubigerin sei es wegen
der eindeutigen Leistungsbestimmung verwehrt gewesen, die Zahlung auf an-
dere Forderungen zu verrechnen. Eine Auslegung des Vertrages ergebe aber,
daß auch die von der Gemeinschuldnerin übernommene Pflicht zur Tragung
der Erschließungskosten eine Hauptleistungspflicht gewesen sei, die sie nicht
erfüllt habe. Von den angefallenen Kosten sei sie mit einem Betrag von wenig-
stens 1.333.392,32 DM in Verzug gewesen, so daß die H. A. AG
insoweit die Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB habe geltend machen können. In-
folgedessen sei der - an den Kläger abgetretene - Anspruch auf Löschung der
Auflassungsvormerkung berechtigt.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der sich aus ei-
nem Abwicklungsverhältnis nach § 326 Abs. 1 BGB ergebende schuldrechtli-
che Anspruch auf Löschung der Auflassungsvormerkung abtretbar ist, von dem
Kläger also geltend gemacht werden kann. Es bejaht indes rechtsfehlerhaft die
Voraussetzungen dieser Norm im konkreten Fall.
1. § 326 Abs. 1 BGB ist im Rahmen eines Kaufvertrages nur anwendbar,
wenn der Schuldner mit einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Lei-
stungspflicht im Verzug ist. Ob eine Pflicht im Gegenseitigkeitsverhältnis steht,
richtet sich - wenn es sich nicht um die vertragstypischen Pflichten des Kauf-
vertrages handelt - nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der
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Parteien. Dies hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Seine Auffassung, die
Parteien hätten die Verpflichtung, die Erschließungskosten zu tragen, als
Hauptleistungspflicht vereinbart und sie den Regeln der §§ 320 ff BGB unter-
stellt, ist jedoch rechtsfehlerhaft und damit für den Senat nicht bindend.
a) Die Annahme, es habe sich im vorliegenden Fall nicht um einen "ein-
fachen Kaufvertrag über ein Grundstück, ... sondern um eine Projektentwick-
lung" gehandelt, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Das
Berufungsgericht stützt seine Auffassung in erster Linie darauf, daß die Ver-
tragsparteien am 16. Mai 1995 einen Konsortialvertrag abgeschlossen haben
und dann gegenüber der Stadt Sch. als Maßnahmenträger aufgetreten
sind. Dabei handelt es sich aber um Umstände, die sich zwei Jahre nach dem
Abschluß des Kaufvertrages zugetragen haben, für die Auslegung dieses Ver-
trages somit nicht herangezogen werden können. Damit entfällt die wesentliche
Grundlage für die Auffassung des Berufungsgerichts.
Das Berufungsgericht meint allerdings, auch im notariellen Kaufvertrag,
nämlich unter IX Abs. 2, komme zum Ausdruck, daß die Vertragsparteien eine
"Projektentwicklung" vereinbart hätten. Diese, vom Gericht auch nicht weiter
dargelegte, Annahme berücksichtigt nicht ausreichend die für die Auslegung
bedeutsamen Umstände. Daß in einem Grundstückskaufvertrag eine Regelung
darüber getroffen wird, wer die noch nicht bezahlten Erschließungskosten zu
tragen hat, stellt keine Besonderheit dar, die den vom Berufungsgericht gezo-
genen Schluß rechtfertigt. Eine solche Vereinbarung wird mit Rücksicht auf das
zunächst noch beim Verkäufer verbleibende Eigentum und die damit mögliche
Inanspruchnahme durch die Kommune in vielen Kaufverträgen in gleicher Wei-
se geschlossen. Abweichend von diesen Üblichkeiten haben die Vertragspar-
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teien hier lediglich eine Verpflichtung des Verkäufers begründet, "die Ver-
handlungen im Rahmen des Vorverfahrens zum Vorhaben- und Erschlie-
ßungsplan mit der Stadt Sch. zum Abschluß eines Erschließungsvertrages
zwischen der Stadt Sch. und dem Käufer zu führen". Das läßt den Schluß
darauf zu, daß ein solches Vorhaben beabsichtigt war, nicht aber, daß der
Käufer irgendwelche Pflichten gegenüber dem Verkäufer im Sinne einer "Pro-
jektentwicklung" übernehmen sollte. Nur der Verkäufer verpflichtete sich, näm-
lich Verhandlungen zu führen. Weiteres enthält der Vertrag nicht.
Wenn das Berufungsgericht demgegenüber meint, der Erschließungsre-
gelung komme eine wesentliche Bedeutung zu, der Kaufpreis und der abzu-
schließende Erschließungsvertrag sowie die Kostentragung stünden auf glei-
cher Stufe, so stützt es seine Auslegung auf Umstände, die zum Zeitpunkt des
Kaufvertragsschlusses noch nicht gegeben waren. Die Frage, wann und in
welcher Höhe Erschließungskosten bei wem anfallen würden, war zu diesem
Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Für die Verkäuferin entstand ein Interesse an
einer vertraglichen Übernahme der Erschließungskosten durch die Gemein-
schuldnerin erst durch den Konsortialvertrag, der für sie insoweit eine Mithaf-
tung vorsah. Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen können da-
her das Auslegungsergebnis nicht rechtfertigen.
b) Auch eine dem Senat - weil weitere Sachverhaltsfeststellungen nicht
zu erwarten sind - mögliche eigene Vertragsauslegung führt nicht zu dem vom
Berufungsgericht angenommenen Vertragsinhalt. Ohne hinreichende Anhalts-
punkte im Vertragstext liegt eine dahingehende Auslegung ohnehin fern. Sie
wird aber auch von den Interessen der Vertragsparteien nicht gefordert.
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Wenn das Berufungsgericht meint, für die H. A. AG als Ver-
käuferin sei es von existentieller Bedeutung gewesen, daß die Käuferin ihre
Erschließungsverpflichtungen erfüllte, da sie "über Erschließungsvertrag und
Konsortialvertrag" mitgehaftet habe, so übersieht es, daß die H. A.
AG gerade nicht aufgrund des Kaufvertrages mithaftete. Sie lief allenfalls Ge-
fahr, öffentlich-rechtlich als Nocheigentümerin für von der Kommune durchge-
führte - aber nicht im Raum stehende - Maßnahmen in Anspruch genommen zu
werden. Ihre Mithaftung wegen der gesamten Erschließungskosten ergab sich
erst aus dem zwei Jahre später geschlossenen Konsortialvertrag und aus den
darauf beruhenden Erschließungsverträgen. Für die Interessenlage der Kauf-
vertragsparteien sind diese Umstände daher ohne Bedeutung.
Mit den Interessen vom Verkäufer und Käufer läßt es sich im Regelfall
zudem nicht vereinbaren, daß die Vertragsabwicklung über längere Zeit in der
Schwebe bleibt. Der auf den Austausch von Leistung und Gegenleistung aus-
gerichtete Kaufvertrag soll schnell abgewickelt werden, damit der Käufer mit
der Kaufsache, der Verkäufer mit dem Kaufpreis wirtschaften kann. Ausdruck
dessen ist u.a. die relativ kurze Frist für die Verjährung von Gewährleistungs-
rechten. Angesichts dessen kann - ohne hier nicht ersichtliche Ausnahmegrün-
de - nicht angenommen werden, daß die Parteien eine Leistungspflicht zur
Hauptpflicht erheben, deren Umfang und Entwicklung im Zeitpunkt des Ver-
tragsschlusses noch völlig ungeklärt ist und von weiteren, nicht allein in der
Macht der Vertragspartner stehenden Umständen abhängt. So lag es hier. Die
Frage, wann und in welcher Höhe Erschließungskosten anfallen und von dem
Käufer zu tragen sein würden, war bei Abschluß des Kaufvertrages nicht ver-
läßlich abzusehen. Hätten die Parteien gleichwohl die Verpflichtung des Käu-
fers, diese Kosten zu tragen, zur Hauptpflicht erhoben, so hätte es zu unange-
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messenen, den dargelegten Interessen zuwiderlaufenden Folgen kommen
können. Noch nach langer Zeit könnte eine Vertragsrückabwicklung nach
§ 326 BGB drohen, obwohl der Käufer in das Kaufgrundstück erheblich inve-
stiert hat (und das nach den Vorstellungen beider Parteien auch sollte) und
obwohl es im Interesse beider Parteien lag, das Bauvorhaben alsbald zu ver-
markten.
2. Unabhängig davon, daß die Pflicht zur Tragung der Erschließungsko-
sten keine im Gegenseitigkeitsverhältnis des Kaufvertrages stehende Pflicht
darstellt, ist auch die Annahme des Berufungsgerichts zu beanstanden, der
Beklagte sei mit der Erfüllung dieser Pflicht in Verzug gesetzt worden. Das als
Mahnung allein in Betracht kommende Schreiben vom 16. August 1996 war
nicht geeignet, diese Rechtsfolge herbeizuführen.
a) Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß die H. A.
AG die Kaufpreiszahlung seitens der Commerzbank angesichts der ein-
deutigen Leistungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) nicht anderweit verrechnen
konnte. Infolgedessen hat sie, als sie einen von ihr als noch offen bezeichne-
ten Kaufpreis in Höhe von 3.183.606,75 DM anmahnte, eine nicht existierende
Forderung geltend gemacht. Schon aus diesem Grund konnte Verzug mit einer
möglicherweise noch bestehenden Erschließungskostenforderung nicht ein-
treten.
b) Wenn das Berufungsgericht meint, infolge der unzulässigen Verrech-
nung habe sich die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung - richtigerweise
geht es zunächst um die Mahnung - nur auf die noch ausstehende Erschlie-
ßungskostenforderung beziehen können und habe sich daher "eindeutig" dar-
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auf bezogen, so übersieht es die entgegenstehende klare Bezeichnung in dem
vorgenannten Schreiben. Es ist ein "Restkaufpreis", kein Erschließungskosten-
beitrag angemahnt worden. Die Erschließungskosten sollten gerade nicht ein-
gefordert, sondern durch Verrechnung erledigt werden. Wenn aber der Gläubi-
ger die "falsche" Forderung geltend macht, muß der Schuldner nicht damit
rechnen, mit der "richtigen" in Verzug zu geraten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Wenzel
Vogt
Schneider
Krüger
Klein