Urteil des BGH vom 03.02.2004
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 95/03
Verkündet am:
3. Februar 2004
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
BGB § 823 Dc
Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht bei einer Wasserrutsche (Röhrenrutsche)
in einem Schwimmbad.
BGH, Urteil vom 3. Februar 2004 - VI ZR 95/03 - OLG Dresden
LG Görlitz
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Februar 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Dresden vom 25. Februar 2003 wird auf Kosten des Klä-
gers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der damals 9-jährige Kläger besuchte am 20. Oktober 1999 gemeinsam
mit seiner Mutter und Bekannten das Hallenbad der Beklagten in G. Im Außen-
bereich dieses Bades befindet sich eine 46 m lange Wasserrutsche in Form
einer komplett geschlossenen Röhre. Der Zugang erfolgt über eine in einem
Rutschenturm gelegene Treppe. Der Auslauf mündet im Innenbereich des Ba-
des. Am unteren Eingang zum Rutschenturm und oben etwa 4 m vor dem Ein-
stieg zur Rutsche befinden sich Tafeln mit Benutzungshinweisen. Für im Ein-
gangsbereich der Rutsche stehende Badegäste ist der weitere Rutschenbereich
nicht einsehbar. Die Rutsche ist mit einer sensorgesteuerten Ampelanlage aus-
gestattet. Der Benutzer passiert unmittelbar nach dem Start eine Lichtschranke
und schaltet damit die am Rutscheneingang installierte Ampel von Grün auf
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Rot. Kurz vor dem Ende der Rutsche befindet sich eine zweite Lichtschranke,
bei deren Passieren die Ampel wieder auf Grün geschaltet wird. Der Einstieg
und der Auslauf der Rutsche können von der Schwimmeisterzentrale aus über
eine Video-Überwachungsanlage eingesehen werden, die wahlweise Bilder des
Rutscheneinstiegs, des Ausstiegs oder anderer Überwachungskameras zeigt.
Die Schwimmeister können den Bereich der Rutsche persönlich aufsuchen oder
mit Lautsprecherdurchsagen erreichen.
Der Kläger, der die Rutsche nach seiner Behauptung bei Grün betreten
und ordnungsgemäß benutzt hat, kollidierte innerhalb der Röhre mit einem an-
deren Badegast, einer älteren Dame. Er schlug nach dem Aufprall mit dem Ge-
sicht auf der Rutsche auf. Dabei wurden zwei seiner bleibenden Schneidezähne
mit den Wurzeln herausgerissen. Ein weiterer Schneidezahn brach ab.
Die auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von minde-
stens 15.000 DM und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich materieller und
weiterer immaterieller Schäden gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg.
Die Berufung der Beklagten führte zur Klageabweisung. Mit der vom Oberlan-
desgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe die ihr oblie-
gende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt. Die Anlage der Rutsche ent-
spreche der maßgeblichen DIN-Norm. Bei ordnungsgemäßer Benutzung durch
alle Badegäste gewährleiste die sensorgesteuerte Ampel, daß sich immer nur
eine Person in der Rutsche befinde, eine Kollisionsgefahr also ausgeschlossen
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sei. Die Einhaltung der Regeln könne von den Bademeistern überwacht wer-
den. Weitergehende Maßnahmen zur Vermeidung von Kollisionen seien der
Beklagten nicht zuzumuten. Zum einen resultiere nach allgemeiner Lebenser-
fahrung bei weitem nicht aus jeder Kollision eine ernstzunehmende Verletzung.
Zum anderen würden mechanisch wirkende Einrichtungen, die so beschaffen
sein müßten, daß sie von Badegästen, insbesondere von Kindern, nicht über-
wunden werden könnten, ihrerseits Unfallgefahren bergen (zum Beispiel durch
Quetschungen). Zudem seien sie - ebenso wie eine weitergehende Beaufsichti-
gung der Badegäste - mit dem Charakter des Schwimmbades als Freizeitein-
richtung und dem Badebetrieb als Freizeitvergnügen nicht zu vereinbaren.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Beklagte als
Betreiberin des Schwimmbades verpflichtet ist, ihre Badegäste vor Gefahren zu
schützen, denen diese beim Besuch des Hallenbades und bei der Benutzung
der Einrichtungen des Bades ausgesetzt sein können. Dies entspricht dem all-
gemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, ver-
pflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine
Schädigung anderer möglichst zu verhindern (st. Rspr.; vgl. Senatsurteile vom
19. Dezember 1989 - VI ZR 182/89 - VersR 1990, 498, 499 und vom
4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - VersR 2002, 247, 248; jeweils m.w.N.; vgl.
auch BGHZ 121, 367, 375 und BGH, Urteile vom 17. Dezember 1992
- III ZR 99/90 - VersR 1993, 586, 587 m.w.N. und vom 13. Juni 1996
- III ZR 40/95 - VersR 1997, 109, 111). Die rechtlich gebotene Verkehrssiche-
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rung umfaßt danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständi-
ger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausrei-
chend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung ist daher,
daß sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr
ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können (Senatsurteil vom
15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - VersR 2003, 1319 m.w.N.).
Auf der Grundlage dieser allgemeinen Maßstäbe bestimmt sich auch das
Maß der Verkehrssicherungspflicht für Schwimmbäder. Die Anlagen einer Ba-
deanstalt müssen so beschaffen sein, daß die Benutzer vor vermeidbaren Ge-
fahren bewahrt bleiben. Das bedeutet, daß die Badegäste vor den Gefahren zu
schützen sind, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinaus-
gehen, von ihnen nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind
(vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 1980 - VI ZR 11/79 - VersR 1980, 863, 864).
Dem Betreiber eines Freibades obliegt neben seiner Verpflichtung zur Erfüllung
der von den Besuchern abgeschlossenen Benutzungsverträge auch die delikti-
sche (Garanten-)Pflicht, dafür zu sorgen, daß keiner der Besucher beim Bade-
betrieb durch solche Risiken zu Schaden kommt (Senatsurteil vom 21. März
2000 - VI ZR 158/99 - VersR 2000, 984). Wird das Schwimmbad - wie im
Streitfall - nicht nur von Erwachsenen besucht, ist für den Umfang der erforder-
lichen Sicherheitsvorkehrungen zudem in Betracht zu ziehen, daß insbesondere
Kinder und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu
beachten und sich unbesonnen zu verhalten; daher kann die Verkehrssiche-
rungspflicht auch die Vorbeugung gegenüber solchem mißbräuchlichen Ver-
halten umfassen (Senatsurteile vom 21. Februar 1978 - VI ZR 202/76 - VersR
1978, 561 f. und vom 29. Januar 1980 - VI ZR 11/79 - aaO; BGH, Urteil vom
28. Juni 1962 - III ZR 37/61 - VersR 1962, 825, 826 f.).
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2. Der Betrieb einer Wasserrutsche bringt vielfältige Gefahren mit sich.
Neben Stürzen aus nach oben offenen Röhrenrutschen (vgl. OLG München,
VersR 1974, 200) kommt es im Bereich der Wasserrutschen immer wieder da-
durch zu Unfällen, daß Badegäste die Rutsche in falscher Körperlage benutzen
(vgl. OLG Hamm, VersR 1979, 943; OLG Karlsruhe, VersR 1993, 709; OLG
Saarbrücken mit NA-Beschluß des Senats vom 24. September 1996
- VI ZR 15/96 - VersR 1997, 377; vgl. auch Fritzweiler/Scheffen, SpuRt 1998,
148, 150 f.) oder aber in der Rutsche selbst oder am Rutschenauslauf mit ande-
ren Benutzern zusammenstoßen (vgl. OLG Köln, VersR 1989, 159; KG, VersR
1990, 168; OLG Karlsruhe, aaO; OLG Hamm, ZfS 1999, 50; OLG Köln mit NA-
Beschluß des Senats vom 26. Juni 2001 - VI ZR 309/00 - VersR 2002, 859;
OLG Stuttgart, NJW-RR 2003, 1531; OLG Celle, NJW-RR 2004, 20; LG Berlin,
VersR 1994, 998; LG Aachen, ZfS 1995, 323; AG Friedberg, NJW-RR 1989,
738). Ursächlich hierfür können unterschiedliche Rutschtechniken und die damit
einhergehenden voneinander abweichenden Rutschgeschwindigkeiten sein.
Begünstigt werden Kollisionen häufig aber auch durch einen zu geringen Ab-
stand zum Vordermann zu Beginn des Rutschvorgangs (vgl. Tücks, VersR
2000, 422, 423).
3. Es begegnet keinen Bedenken, daß das Berufungsgericht zur Fest-
stellung von Inhalt und Umfang der die Beklagte bezüglich der Wasserrutsche
treffenden Verkehrssicherungspflichten die DIN EN 1069-2 mit herangezogen
hat. Auch wenn es sich bei DIN-Normen nicht um mit Drittwirkung versehene
Normen im Sinne hoheitlicher Rechtssetzung, sondern um auf freiwillige An-
wendung ausgerichtete Empfehlungen des "DIN Deutschen Instituts für Nor-
mung e.V." handelt (vgl. Senatsurteil vom 10. März 1987 - VI ZR 144/86 -
VersR 1987, 783, 784), so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen
Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Be-
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stimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in be-
sonderer Weise geeignet (vgl. Senatsurteile BGHZ 103, 338, 341 f. und vom
11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - VersR 1980, 380, 382). Wie das Beru-
fungsgericht von der Revision unbeanstandet festgestellt hat, entspricht die
Anlage der Rutsche den Anforderungen der hier maßgeblichen DIN-Norm. Da-
mit ist allerdings die Frage noch nicht geklärt, ob die Beklagte alle erforderli-
chen Maßnahmen zum Schutz der Badegäste getroffen hat. Anerkannt ist näm-
lich, daß Bestimmungen wie Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossen-
schaften oder DIN-Normen im allgemeinen keine abschließenden Verhaltens-
anforderungen gegenüber den Schutzgütern enthalten (vgl. Senatsurteile vom
15. April 1975 - VI ZR 19/74 - VersR 1975, 812 f. und vom 13. März 2001
- VI ZR 142/00 - VersR 2001, 1040, 1041, jeweils m.w.N.).
4. Welche Maßnahmen zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht er-
forderlich sind, hängt stets von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls ab.
Das gilt auch für den Schutz der Besucher von Schwimmbädern (vgl. Senats-
urteil vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99 - aaO, S. 984 f.). So richten sich Art
und Umfang der gebotenen Sicherungsvorkehrungen u.a. nach der Größe und
der Lage des Bades, der Überschaubarkeit der Anlage, dem Einsatz techni-
scher Hilfsmittel (z.B. Videokameras), der Anzahl der Besucher und der hier-
durch bedingten "Spitzenbelastungen" (vgl. Senatsurteil vom 2. Oktober 1979
- VI ZR 106/78 - VersR 1980, 67) und auch nach den Gefahren, die von einer
besonderen Einrichtung wie hier der Röhrenrutsche deswegen ausgehen, weil
ihre Benutzer beim Betreten den weiteren Rutschenverlauf nicht einsehen kön-
nen. Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß für den in die Rutsche ein-
steigenden Badegast die Gefahr eines Zusammenstoßes mit einem noch in der
Rutsche befindlichen anderen Badegast nicht vorhersehbar und auch nicht be-
herrschbar ist, weil er den Vordermann gegebenenfalls erst unmittelbar vor der
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Kollision bemerkt; zu diesem Zeitpunkt ist ihm im allgemeinen ein Abbremsen
nicht oder kaum mehr möglich, weil er in der Rutsche keinen Halt findet. Für
den zuerst eingestiegenen Badegast ist die Gefahr eines Aufpralls des Hinter-
mannes erst recht nicht vorhersehbar und kontrollierbar. Dieses Gefahrenpo-
tential erfordert besondere Sicherungsvorkehrungen.
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte eine
Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um ihrer besonderen Verkehrssicherungs-
pflicht im Bereich der Wasserrutsche zu genügen. Die sowohl am unteren Ein-
gang zum Rutschenturm als auch oben etwa 4 m vor dem Einstieg ausge-
hängte Rutschanleitung enthält eine Reihe von Verhaltensaufforderungen. So
signalisiert eines der auf den Tafeln zu sehenden Piktogramme das - auch text-
lich wiedergegebene - Gebot, beim Rutschen Abstand zu halten. Kindern im
Alter bis zu sechs Jahren ist die Benutzung untersagt. Ein weiteres Piktogramm
fordert zusammen mit einem entsprechenden Text dazu auf, den Bereich des
Rutschenauslaufs nach dem Rutschen unverzüglich zu verlassen. Neben der
Anordnung von Verhaltensmaßregeln hat die Beklagte technische Vorkehrun-
gen getroffen, die es den Schwimmeistern ermöglichen, von ihrer Zentrale aus
den Rutscheneinstieg mittels einer Video-Kamera zu beobachten und die sich
dort aufhaltenden Badegäste über Lautsprecher anzusprechen. Alle diese
Maßnahmen zielen auf eine ordnungsgemäße und damit möglichst gefahrlose
Benutzung der Wasserrutsche ab. Um deren Verkehrssicherheit noch weiter zu
erhöhen und einen zeitlichen und räumlichen Abstand zwischen den Benutzern
der Rutsche zu gewährleisten, hat die Beklagte diese mit einer sensorgesteu-
erten Ampelanlage ausgestattet, die so angelegt ist, daß die Freigabe (bei ord-
nungsgemäßer Benutzung) jeweils dann erfolgt, wenn der jeweilige Benutzer
den Rutschenauslauf erreicht. Damit wird zum einen dem Umstand Rechnung
getragen, daß die am Rutscheneingang wartenden Benutzer den weiteren Ver-
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lauf der Röhre nicht einsehen können und deshalb für die Einhaltung eines aus-
reichenden Rutschabstandes ohne Ampel auf eine bloße Schätzung der seit
dem Einstieg des Vordermannes verstrichenen Zeit angewiesen wären (vgl.
OLG Köln, VersR 2002, aaO). Zum anderen werden mit dieser Technik - im
Unterschied zu zeitgesteuerten Signalanlagen (vgl. dazu KG, aaO und AG
Friedberg, aaO) - die für den Zeitpunkt der Freigabe der Rutsche bedeutsamen
unterschiedlichen Rutschgeschwindigkeiten der Badegäste berücksichtigt.
b) Die vorhandenen Sicherungsvorkehrungen gewährleisten im Zusam-
menwirken ein relativ hohes Maß an Verkehrssicherheit. Sie können - wie der
Streitfall zeigt - Unfälle durch Zusammenstöße in der Rutsche allerdings nicht
gänzlich verhindern. Wenn ein Badegast bei Rot in die Rutsche einsteigt, wird
nicht nur der erforderliche Sicherheitsabstand zu dessen Vordermann unter-
schritten, sondern gleichzeitig auch die Funktion der Signalgebung aufgehoben,
denn die Ampel schaltet in diesem Fall schon in dem Moment auf Grün, in dem
der Vordermann den Rutschenauslauf erreicht. Tatsächlich ist die Rutsche zu
diesem Zeitpunkt aber noch nicht frei, weil sich der "Rotlichtsünder" noch in der
Röhre befindet. Der nächste Badegast läuft deshalb Gefahr, in der Rutsche mit
dem "Rotlichtsünder" zu kollidieren. Betritt er die Rutsche zudem sehr schnell
nach Aufleuchten des Grünlichts, und zwar bevor der "Rotlichtsünder" den Rut-
schenauslauf erreicht, kommt es ein weiteres Mal zu einer irreführenden Wir-
kung der Ampel, weil diese schon in dem Moment wieder auf Grün umschaltet,
in dem der "Rotlichtsünder" die Lichtschranke am Rutschenauslauf passiert,
während der nachfolgende Badegast sich noch in der Röhre befindet. Auf diese
Weise kann bei einer entsprechend raschen Folge der Rutschenden das sinn-
volle Funktionieren der Signalanlage infolge eines einzigen Rotlichtverstoßes
theoretisch auf Dauer beeinträchtigt sein. Dazu bedarf es allerdings einer Ver-
kettung unglücklicher Umstände. Ob der Verkehrssicherungspflichtige Vorkeh-
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rungen zur Abwehr einer solchen doch eher fernliegenden Gefahr zu treffen
hat, erscheint zweifelhaft. Anerkannt ist nämlich, daß nicht jeder abstrakten
Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden kann. Ein allgemei-
nes Verbot, andere zu gefährden, wäre unrealistisch (vgl. Senatsurteil vom
15. April 1975 - VI ZR 19/74 - aaO). Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst
dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit er-
gibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können (Senatsurteile vom
15. April 1975 - VI ZR 19/74 - aaO, vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98 + 99/77 -
VersR 1978, 1163, 1164 und vom 5. Mai 1987 - VI ZR 181/86 - VersR 1987,
1014, 1015).
Im Streitfall ist indessen nicht eine mehrfache, sondern nur eine einmali-
ge Fehlfunktion festgestellt. Die Gefahr, daß es dazu kommt, ist weniger fern-
liegend, denn hierzu bedarf es lediglich eines einzigen Rotlichtverstoßes. Mit
der Möglichkeit, daß irgendwann einmal ein Badegast das Signal der Ampel
mißachtet und zu früh in die Rutsche einsteigt, kann und muß der Verkehrssi-
cherungspflichtige rechnen. Das gilt erst recht, wenn die Wasserrutsche - wie
hier - nicht allein von Erwachsenen, sondern auch - oder sogar vorwiegend -
von Kindern und Jugendlichen benutzt wird, die erfahrungsgemäß dazu neigen,
Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu ver-
halten, eine Erscheinung, die gerade in Schwimmbädern häufig zu beobachten
ist. Deshalb gebietet die Verkehrssicherungspflicht, im Rahmen des Möglichen
und Zumutbaren Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß ein Badegast bei Rot-
licht in die Rutsche einsteigt und auf diese Weise sich und andere gefährdet.
c) Indessen gab es nach den vom Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei
getroffenen Feststellungen für die Beklagte jedenfalls im Zeitpunkt des Unfalls
keine geeignete und zumutbare Möglichkeit, dieser Gefahr zu begegnen.
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aa) Die Installation einer mechanisch wirkenden Sperre hat das Beru-
fungsgericht mit Recht als nicht sachdienlich erachtet. Eine solche Einrichtung
könnte nur dann verlangt werden, wenn sie die Sicherheit der Badegäste tat-
sächlich erhöhen würde. Das aber ist nicht gewährleistet, da eine solche Ein-
richtung, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist, ihrerseits neue Un-
fallgefahren mit sich bringen würde. Es liegt zum Beispiel nicht fern, daß Kinder
versuchen könnten, die Sperre zu überwinden, um - vorschriftswidrig - zu meh-
reren gemeinsam zu rutschen. Dabei könnten sie sich an der Sperre klemmen
oder auf andere Weise (z.B. durch Quetschungen) verletzen, womit die Unfall-
gefahr im Ergebnis lediglich verlagert würde.
bb) Eine geeignete Maßnahme, mit der sich Unfälle im Bereich der Rut-
sche weitgehend verhindern ließen, könnte eine lückenlose Beaufsichtigung der
Badegäste am Rutscheneinstieg durch einen dort präsenten Bademeister sein.
Die Gewährleistung einer solchen ununterbrochenen direkten Aufsicht „vor Ort“
war der Beklagten aber nicht zumutbar. Eine lückenlose Aufsicht in Schwimm-
bädern ist nicht üblich und nach ständiger Rechtsprechung auch nicht erforder-
lich (vgl. Senatsurteil vom 2. Oktober 1979 - VI ZR 106/78 - aaO; OLG Hamm,
VersR 1979, 943; OLG Köln, VersR 1989, 159; KG, aaO, S. 168 f.; Tücks, aaO,
S. 424). Dieser für die allgemeine Badeaufsicht entwickelte Grundsatz gilt auch
für die Aufsicht an besonderen Einrichtungen des Bades, wie Sprungbrettern,
Sprungtürmen und Wasserrutschen. In Schwimmbädern drohen an vielen Stel-
len Gefahren. Ihnen durch eine allgegenwärtige Aufsicht zu begegnen, ist we-
der geboten noch möglich. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 1
S. 2 BGB), deren Verletzung zur deliktischen Haftung führen kann (§ 823 Abs. 1
BGB), umfaßt nicht jede denkmögliche Sicherheitsmaßnahme. Ihr ist vielmehr
genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem
entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich er-
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achtet (Senatsurteile vom 16. Februar 1972 - VI ZR 111/70 - VersR 1972, 559,
560 und vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - aaO). Der Besucher eines
Schwimmbades kann eine Badeaufsicht, aber keine lückenlose "Rundum"-
Kontrolle erwarten. Sie wird deshalb auch nicht geschuldet.
cc) Ein Unterlassen anderer denkbarer Sicherungsvorkehrungen kann
der Beklagten im Streitfall nicht zum Vorwurf gereichen. Ohne Erfolg macht die
Revision geltend, die Beklagte hätte die Ampelanlage mit einem "Gedächtnis"
ausstatten müssen, um sicherzustellen, daß sie nur auf Grün schaltet, wenn
ebenso viele Personen, wie oben eingestiegen, unten aus der Röhre herausge-
kommen sind. Ob dies technisch möglich und mit zumutbarem Aufwand zu be-
werkstelligen wäre, kann hier dahinstehen. Die Revision vermag nämlich weder
Vortrag in den Tatsacheninstanzen dazu aufzuzeigen, daß eine solche Ampel-
schaltung oder anderweitige technische Sicherheitsvorkehrungen für Rutschen
vor dem Unfall des Klägers, also im Jahre 1999, überhaupt zur Verfügung ge-
standen hätte, noch, daß der Beklagten ein Nachrüsten der Signalanlage mit
einer solchen "intelligenten" Technik seinerzeit finanziell zumutbar gewesen
wäre. Das Maß der im Streitfall erforderlichen Verkehrssicherheit bestimmt sich
nicht nach dem heute Möglichen und eventuell Zumutbaren, sondern richtet
sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Schädigung. Ob eine sensorge-
steuerte Ampelschaltung, wie sie hier installiert war, heute noch den Sicher-
heitserfordernissen genügt, ist deshalb nicht zu entscheiden.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller
Greiner
Wellner
Pauge
Stöhr