Urteil des BGH vom 18.05.2006
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 279/06 Verkündet
am:
9. September 2008
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Dc
Zur Verkehrssicherungspflicht bei Fahrten mit einem Quad in einem Erlebnispark.
BGH, Urteil vom 9. September 2008 - VI ZR 279/06 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. September 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, die Richterin
Diederichsen und die Richter Pauge, Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Branden-
burgischen Oberlandesgerichts vom 18. Mai 2006 wird auf Kosten
der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche we-
gen der Verletzung von vertraglichen Schutzpflichten bzw. Verkehrssicherungs-
pflichten nach einem Unfall im Erlebnispark der Beklagten geltend.
1
Der Arbeitgeber der Klägerin veranstaltete dort am 7. Dezember 2002
ein Betriebsfest. Im Rahmen dieses Festes fand eine geführte Tour mit so ge-
nannten Quads, einsitzigen vierrädrigen, offenen Fahrzeugen, die ähnlich Mo-
torrädern zu fahren und zu bedienen sind, statt. Die Teilnehmer der Tour fuhren
nach einer Einweisung in die Bedienung der Fahrzeuge ohne Schutzhelme in
einer Kolonne, die von einem Mitarbeiter der Beklagten angeführt wurde. Die
Gruppe befuhr zunächst eine aus Sand künstlich hergestellte "Berglandschaft".
Sodann führte ein Weg auf unebenem Waldboden nach oben, links und rechts
davon befand sich eine Böschung. Die Klägerin kam vom Weg ab, fuhr in die
2
- 3 -
Böschung und stürzte. Dabei geriet sie unter das Fahrzeug und erlitt eine
schwere offene Nasenbeintrümmerfraktur sowie eine Septumtrümmerfraktur mit
einer stark blutenden Risswunde im Stirn-/Nasenwurzelbereich.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin
hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts besteht ein Schadensersatzan-
spruch weder aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem zwischen dem Ar-
beitgeber der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag betreffend die
Ausrichtung eines Betriebfestes noch aus § 823 Abs. 1 BGB.
4
Der Beklagten sei zwar die Verletzung einer vertraglichen Schutzpflicht
bzw. der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen, weil sie die
Teilnehmer der Tour nicht mit einem Schutzhelm ausgestattet habe. Bei der
Fahrt mit einem Quad im Gelände bestehe ein erhöhtes Risiko von Stürzen und
eine Verpflichtung des Veranstalters, die Auswirkungen von Stürzen möglichst
gering zu halten. Da bei einem Sturz mit einem offenen Geländefahrzeug der
Kopf des Fahrers besonders gefährdet sei, sei es erforderlich und zumutbar
gewesen, den Teilnehmern Schutzhelme zur Verfügung zu stellen. Es sei aber
nicht notwendig gewesen, diese mit Integralhelmen (Schutzhelm mit einem das
Gesicht bedeckenden Visier) auszustatten, auch wenn diese Art des Schutz-
helmes gegenüber einem offenen Helm eine zusätzliche Sicherheit biete.
5
- 4 -
Daher hafte die Beklagte im Ergebnis nicht. Es stehe nämlich nicht fest,
dass die der Beklagten vorzuwerfende Pflichtverletzung für die Verletzungen
der Klägerin kausal geworden sei. Nach dem Gutachten des Brandenburgi-
schen Landesinstituts für Rechtsmedizin wäre zwar möglicherweise bei einem
tief sitzenden offenen Helm die Nasenwurzelregion durch die Breite des Helms
geschützt oder zumindest die Schwere des Aufpralls vermindert worden, jeden-
falls soweit das anprallende Fahrzeugteil gleichzeitig Kontakt zum Helm gehabt
hätte. Die Gutachterin habe dazu mangels Angaben über das auftreffende
Fahrzeugteil sowie den genauen Bewegungsablauf jedoch keine weitergehen-
den Feststellungen treffen können und die Möglichkeit aufgezeigt, dass ein
Fahrzeugteil isoliert das Gesicht der Klägerin getroffen habe und auch durch
einen offenen Helm nicht auf Abstand gehalten worden wäre.
6
Eine Beweislastumkehr sei nicht geboten. Bei der Verletzung vertragli-
cher Schutzpflichten sei zwar bei verschiedenen Fallgruppen eine Beweislast-
umkehr anzuerkennen. Das vorliegende Geschehen sei jedoch keiner dieser
Fallgruppen zuzuordnen. Für einen Anscheinsbeweis fehle es an einem typi-
schen Geschehensablauf, aus dem gefolgert werden könne, dass der Eintritt
der erlittenen Verletzungen beim Tragen eines offenen Helmes verhindert wor-
den wäre.
7
II.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist oh-
ne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte weder wegen ei-
ner Verletzung vertraglicher Schutzpflichten noch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen
Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht für die der Klägerin durch den Unfall
entstandenen Schäden haftet.
8
- 5 -
1. Die vertraglichen Schutzpflichten zielen im Streitfall darauf ab, eine
Verletzung der Klägerin möglichst zu vermeiden und dadurch ihr Integritätsinte-
resse zu erhalten. Sie entsprechen mithin inhaltlich den Verkehrssicherungs-
pflichten, so dass die dazu entwickelten Grundsätze anwendbar sind.
9
10
Danach ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art -
schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrun-
gen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. etwa
Senat, Urteile vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - VersR 2002, 247, 248;
vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - VersR 2003, 1319; vom 5. Oktober 2004
- VI ZR 294/03 - VersR 2005, 279, 280; vom 8. November 2005 - VI ZR
332/04 - VersR 2006, 233, 234; vom 6. Februar 2007 - VI ZR 274/05 - VersR
2007, 659, 660; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07 - VersR 2008, 1083, Rn. 9,
jeweils m.w.N.). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen
Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen
vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schä-
den zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrak-
ten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere
nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädi-
gung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegrün-
dend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die na-
he liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vgl.
Senat, Urteile vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 -; vom 6. Februar 2007
- VI ZR 274/05 -; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07 -, jeweils aaO). Deshalb
muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge
getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeig-
net sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. Senat, Urteile vom
15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 -; vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 -; vom
6. Februar 2007 - VI ZR 274/05 -; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07 -, jeweils
- 6 -
aaO). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt,
wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem ent-
sprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl.
Senat, Urteile vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 -; vom 8. November 2005
- VI ZR 332/04 -; vom 6. Februar 2007 - VI ZR 274/05 -; vom 3. Juni 2008
- VI ZR 223/07 -, jeweils aaO). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejeni-
gen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vor-
sichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für
ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und
die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senat, Urteile vom 15. Juli
2003 - VI ZR 155/02 - aaO; vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - aaO; vom
16. Mai 2006 - VI ZR 189/05 - VersR 2006, 1083, 1084; vom 6. Februar 2007
- VI ZR 274/05 - aaO; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07 - aaO).
Der Betreiber einer Sport- und Spielanlage braucht demnach zwar nicht
allen denkbaren Gefahren vorzubeugen. Die Verkehrssicherungspflicht erfor-
dert jedoch regelmäßig den Schutz vor Gefahren, die über das übliche Risiko
bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer nicht vorhersehbar und
für ihn nicht ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Senat, Urteile vom 25. April
1978 - VI ZR 194/76 - VersR 1978, 739; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 223/07 - aaO,
Rn. 10; BGH, Urteil vom 12. Juni 2007 - X ZR 87/06 - NJW 2007, 2549, 2551;
OLG Köln, VersR 2002, 859, 860; OLG Celle, NJW 2003, 2544).
11
2. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht eine Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zu Recht bejaht, weil diese die
Teilnehmer der Quad-Tour nicht mit einem Schutzhelm ausgestattet hat. Dies
wird weder von Seiten der Revision noch der Revisionserwiderung in Frage ge-
stellt. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht aufgrund
der von ihm getroffenen Feststellungen aber auch ohne Rechtsfehler eine Not-
12
- 7 -
wendigkeit verneint, der Klägerin einen so genannten Integralhelm zur Verfü-
gung zu stellen.
13
a) Im Streitfall hat die Beklagte Quadfahrten im Gelände angeboten.
Auch wenn diese in Form einer geführten Gruppenausfahrt und grundsätzlich
mit einer relativ geringen Geschwindigkeit durchgeführt wurden, bestand für die
ungeübten Quadfahrer ein erhöhtes Risiko von Stürzen. Da bei einem solchen
Sturz mit einem offenen Geländefahrzeug der Kopf des Fahrers mangels Vor-
handenseins einer Knautschzone oder eines Rückhaltesystems besonders ge-
fährdet ist, handelte es sich dabei nicht um eine anlagentypische Gefahr, die
von Teilnehmern einer solchen Tour in einem "Fun-Park" in Kauf genommen
wird. Infolgedessen war die Beklagte verpflichtet, den Teilnehmern Schutzhel-
me zur Verfügung zu stellen, um Kopfverletzungen im Falle eines Unfalls mög-
lichst zu vermeiden.
b) Es war aber jedenfalls zum Zeitpunkt des Unfalls im Jahre 2002 nicht
erforderlich, die Fahrer mit Integralhelmen auszustatten, auch wenn diese Art
des Schutzhelms gegenüber einem offenen Helm eine zusätzliche Sicherheit
geboten hätte. Das Berufungsgericht hat zu Recht berücksichtigt, dass die Be-
klagte die Touren hat begleiten lassen, so dass zum einen die Fahrstrecke vor-
gegeben war und zum andern die Möglichkeit bestand, die Teilnehmer von dem
Eingehen zu großer Risiken abzuhalten und sie ggf. zu unterstützen. Daher be-
stand grundsätzlich nicht die Gefahr, dass aufgrund einer gefährlichen Gelän-
dewahl und einer zu hohen Geschwindigkeit eine besondere Verletzungsgefahr
bestand, der mit erhöhten Sicherheitsanforderungen hätte begegnet werden
müssen.
14
Unter diesen Umständen gewinnt bei der Abwägung Bedeutung, dass
der Gesetzgeber zum damaligen Zeitpunkt noch keine Notwendigkeit gesehen
15
- 8 -
hat, für Quads das Tragen eines Schutzhelms anzuordnen. Erst mit der am
1. Januar 2006 in Kraft getretenen Neufassung des § 21a Abs. 2 StVO durch
die Verordnung vom 22. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3716) wurden die Fahrer
von "Quads" in die Schutzhelmpflicht einbezogen. Dadurch sollte das Verlet-
zungsrisiko im Kopfbereich für die Benutzer von Quads entsprechend der bis-
herigen Regelung für Krafträder gemindert werden. Die Beklagte hat mithin zum
Unfallzeitpunkt nicht gegen Schutzvorschriften der Straßenverkehrsordnung
verstoßen, die der Gesetzgeber im Interesse der Vermeidung schwerer Verlet-
zungen erlassen hat.
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht wird freilich nicht alleine durch
gesetzliche Vorgaben bestimmt. Der zur Verkehrssicherung Verpflichtete hat
vielmehr grundsätzlich selbständig zu prüfen, ob und welche Sicherungsmaß-
nahmen zur Vermeidung von Schädigungen notwendig sind; er hat die erforder-
lichen Maßnahmen eigenverantwortlich zu treffen, auch wenn gesetzliche oder
andere Anordnungen, Unfallverhütungsvorschriften oder technische Regeln wie
DIN-Normen seine Sorgfaltspflichten durch Bestimmungen über Sicherheits-
maßnahmen konkretisieren. Solche Bestimmungen enthalten im Allgemeinen
keine abschließenden Verhaltensanforderungen gegenüber den Schutzgütern.
Sie können aber regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehen-
der Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden und sind deshalb für die
Bestimmung des Umfangs der Verkehrssicherungspflichten durchaus von Be-
deutung (vgl. Senat BGHZ 103, 338, 342; Urteile vom 29. November 1983
- VI ZR 137/82 - VersR 1984, 164, 165; vom 23. Oktober 1984 - VI ZR 85/83 -
VersR 1985, 64, 65; vom 7. Oktober 1986 - VI ZR 187/85 - VersR 1987, 102,
103; vom 13. März 2001 - VI ZR 142/00 - VersR 2001, 1040, 1041). Welche
Maßnahmen zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht erforderlich sind,
hängt von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Senat, Urteile
16
- 9 -
vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99 - VersR 2000, 984 f.; vom 3. Juni 2008
- VI ZR 223/07 - aaO, Rn. 18).
17
Auch unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes würde man indes die
Anforderung an die Beklagte überspannen, wenn man über die Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht wegen der nicht erfolgten Ausstattung mit offenen
Schutzhelmen hinaus für das Jahr 2002 die Ausstattung mit einem so genann-
ten Integralhelm verlangte. Immerhin hat sich der Gesetzgeber erst ca. drei
Jahre nach dem hier zu beurteilenden Unfall dazu entschlossen, Fahrer eines
Quads überhaupt der Schutzhelmpflicht zu unterwerfen. Im Hinblick darauf ist
nicht davon auszugehen und auch von der Revision nicht dargelegt, dass die
betroffenen Verkehrskreise schon im Jahre 2002 über die Notwendigkeit, einen
Schutzhelm zu tragen, hinaus auch die Ausstattung von Quadfahrern mit Integ-
ralhelmen als erforderlich angesehen haben. Bei einer geführten Tour im Ge-
lände bestand nämlich für die Teilnehmer jedenfalls kein größeres Risiko, als
dies wegen der höheren gefahrenen Geschwindigkeit und der Gefährdung
durch andere Straßenverkehrsteilnehmer für Motorradfahrer im öffentlichen
Verkehrsbereich besteht. Bei diesen reicht zur Erfüllung der Helmpflicht das
Tragen eines offenen Helms aus; es ist nicht erforderlich, einen Integralhelm zu
tragen (vgl. VG Augsburg, DAR 2001, 233, 234). Unter diesen Umständen
konnten die von der Revision geltend gemachten höheren Anforderungen von
der Beklagten nicht erwartet werden (vgl. auch Senat, Urteil vom 30. Januar
1979 - VI ZR 144/77 - VersR 1979, 369 f.).
3. Die Revision hat auch keinen Erfolg, soweit sie meint, das Berufungs-
gericht habe zu Unrecht die Kausalität der angenommenen Pflichtverletzung für
den eingetretenen Schaden verneint, weil es übersehen habe, dass die Vor-
aussetzungen eines Anscheinsbeweises vorliegen.
18
- 10 -
Das Berufungsgericht hat sich wegen der Ausführungen der gerichtsme-
dizinischen Sachverständigen keine Überzeugung bilden können, dass die der
Beklagten vorzuwerfende Pflichtverletzung für die von der Klägerin erlittenen
Verletzungen kausal geworden ist. Entscheidend dafür war, dass die Sachver-
ständige wegen der fehlenden Angaben keine Feststellungen über den genau-
en Ablauf und das aufprallende Fahrzeugteil treffen konnte und deshalb die
Möglichkeit aufgezeigt hat, dass ein Fahrzeugteil isoliert das Gesicht der Kläge-
rin getroffen hat und auch durch einen offenen Helm nicht auf Abstand gehalten
worden wäre. Das Berufungsgericht hat unter diesen Umständen neben der
- von der Revision nicht angegriffenen - Ablehnung einer Beweislastumkehr
einen für den Anscheinsbeweis typischen Geschehensablauf verneint, aus dem
gefolgert werden könnte, dass der Eintritt der erlittenen Verletzungen beim Tra-
gen eines offenen Helms verhindert worden wäre. Dies ist revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden.
19
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass
bei der Verletzung von Schutzgesetzen sowie von Unfallverhütungsvorschriften
ein Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der Verstoß für den Scha-
denseintritt ursächlich war, sofern sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat,
der das Schutzgesetz oder die Unfallverhütungsvorschrift entgegen wirken soll
(vgl. Senat, Urteile vom 25. Januar 1983 - VI ZR 92/81 - VersR 1983, 440 f.;
vom 22. April 1986 - VI ZR 77/85 - VersR 1986, 916, 917). Der Beweis des ers-
ten Anscheins ist auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ge-
boten, die wie Schutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften typischen Ge-
fährdungen entgegenwirken sollen, wenn sich in dem Schadensfall gerade die-
jenige Gefahr verwirklicht, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltens-
pflichten begegnet werden soll (vgl. Senat, Urteil vom 14. Dezember 1993
- VI ZR 271/92 - VersR 1994, 324, 325). Nach dem Senatsurteil vom 25. Januar
1983 spricht der Beweis des ersten Anscheins für den ursächlichen Zusam-
20
- 11 -
menhang zwischen dem Nichtbenutzen eines Schutzhelms und den eingetrete-
nen Kopfverletzungen, wenn ein Kraftfahrer, der ohne Schutzhelm fährt, bei
einem Unfall Kopfverletzungen erleidet, vor denen der Schutzhelm allgemein
schützen soll. Indessen ist ein Anscheinsbeweis nur möglich, wenn ein typi-
scher Geschehensablauf vorliegt, sich also aufgrund allgemeiner Erfahrungs-
sätze der Schluss aufdrängt, die erlittenen Verletzungen seien darauf zurückzu-
führen, dass der Verletzte keinen (offenen) Schutzhelm getragen hat (vgl. Se-
natsurteil vom 3. Juli 1990 - VI ZR 239/89 - VersR 1991, 195 m.w.N.). Diese
Frage unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGHZ 115, 141,
144). Sie ist im Streitfall zu verneinen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist ein detaillierter Vor-
trag zum Unfallhergang und zur genauen Entstehung der Verletzungen nicht
erfolgt. Zudem liegt eine Gesichtsverletzung vor, die dadurch verursacht wurde,
dass ein Fahrzeugteil das Gesicht der Klägerin getroffen hat. Unter diesen Um-
ständen kann nicht typischerweise darauf geschlossen werden, dass ein offener
Schutzhelm den Aufprall verhindert oder zumindest vermindert hätte. Ein sol-
cher Helm schützt zwar typischerweise den oberen Kopfteil und den Hinterkopf,
kann aber nach den Ausführungen der Sachverständigen nur unter besonde-
ren Umständen die Nasenwurzelregion und die Nase vor aufprallenden Fahr-
zeugteilen schützen. Daher kann man für die konkreten Verletzungen der Klä-
gerin nicht von einem typischen Geschehensablauf ausgehen, der zu diesen
Verletzungen geführt hat. Jedenfalls ist nach den Ausführungen der Sachver-
ständigen von der ernsthaften Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs
auszugehen, so dass auch deshalb ein Anscheinsbeweis nicht angewendet
werden kann.
21
- 12 -
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
22
Müller Diederichsen Pauge
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 10.11.2005 - 11 O 223/03 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 18.05.2006 - 12 U 186/05 -