Urteil des BGH vom 27.11.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
XI ZR 439/11
Verkündet am:
27. November 2012
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 312d Abs. 4 Nr. 6
Preis eines Finanzinstruments im Sinne des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB ist nicht nur ein
unmittelbar auf dem Finanzmarkt gebildeter Börsenpreis, sondern auch ein den
Marktpreis mittelbar beeinflussender Basiswert, der seinerseits Schwankungen auf
dem Finanzmarkt unterliegt.
BGH, Urteil vom 27. November 2012 - XI ZR 439/11 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 27. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter
Wiechers, die Richter Dr. Joeres, Dr. Ellenberger und Dr. Matthias sowie
die Richterin Dr. Menges
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom
13. September 2011 in der Fassung des Berichtigungsbe-
schlusses vom 24. Oktober 2011 wird auf ihre Kosten zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ih-
res Ehemannes im Revisionsverfahren noch auf Rückabwicklung des Er-
werbs von Finanzprodukten unter anderem der inzwischen insolventen
Lehman Brothers Treasury Co. B.V. in Anspruch.
Der
Ehemann
der
Klägerin,
ein
promovierter
Diplom-
Wirtschaftsingenieur der Fachrichtung Informatik (nachfolgend: Zedent),
unterhielt seit Jahren ein Konto bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten
zu 1 (nachfolgend: Beklagte), über das er zahlreiche Wertpapiergeschäfte
abwickelte. Seit 1988 verwaltete er das bei der Beklagten in Aktien und
Rentenfonds angelegte Vermögen seiner Großmutter. Beraten wurde er
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bis Mai 2008 vom früheren Beklagten zu 2, später vom früheren Beklagten
zu 3, beides Mitarbeiter der Beklagten. Auf Empfehlung der Beklagten er-
warb der Zedent, der in keinem Fall über ein Widerrufsrecht belehrt wurde,
für sich:
1. aufgrund eines Telefonats vom 12. Dezember 2006 am
13. Dezember 2006 22 "D. Zertifikate" (
), ab dem 7. Dezember 2006 an die Entwicklung des Dow Jones
EuroSTOXX 50 gebundene aktienindexbasierte Zertifikate der Beklagten,
für 22.090,20
€, die er im Mai 2008 für 20.818,09 € verkaufte,
2. aufgrund einer E-Mail vom 30. Januar 2007 und eines Telefonats
vom 6. Februar 2007 am 7. Februar 2007 10 "G. "-
Zertifikate ( ), ab dem 6./7. Februar 2007 an die Entwicklung
des Dow Jones EuroSTOXX 50, des Standard & Poor´s 500 sowie des
Nikkei 225 gebundene aktienindexbasierte Bonuszertifikate der mittlerwei-
le insolventen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., für 10.085,30
€,
3. aufgrund eines Telefonats vom 17. April 2007 am 24. April 2007
320 "D. A. "-Zertifikate ( ), ab diesem
Tag an die Entwicklung des Dow Jones EuroSTOXX Select Dividend 30
Index und des DAX 30 Total Return Index gebundene aktienindexverglei-
chende Zertifikate der Beklagten, für 32.000
€, die er am 7. Oktober 2008
für 21.728,49
€ verkaufte,
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4. aufgrund zweier E-Mails vom 13. Juli 2007 und 16. Juli 2007 am
25. Juli 2007 Fondsanteile "Al. ", eines in ver-
schiedene Geldmarktprodukte, insbesondere Zertifikate, investierenden
Fonds, für 31.500
€, die er am 3. März 2008 für 26.487,41 € verkaufte,
5. aufgrund einer E-Mail vom 30. Oktober 2007 und eines Telefo-
nats vom 5. November 2007 am 8. November 2007 100 "U.
"-Zertifikate ( ), ab dem 26. Oktober 2007 an die Ent-
wicklung von vier im DAX notierten Aktiengesellschaften gebundene ak-
tienbasierte Bonuszertifikate, für 10.223
€, die er am 5. November 2008
für 2.768,67
€ verkaufte,
6. aufgrund eines Telefonats Ende Mai 2008 am 27. Mai 2008 und
3. Juni 2008 insgesamt 321 (richtig: 322) "D. E. Zertifi-
kate " ( ), ab dem 18. April 2008 an die Entwicklung des
Dow Jones EuroSTOXX 50 gebundene aktienindexbasierte Bonuszertifi-
kate der Beklagten, für insgesamt 33.034,02
€, die er am 16. Oktober
2008 für 20.860,24
€ verkaufte,
7. aufgrund zweier E-Mails am 30. Juli 2008 255 "D.
S. Zertifikate" ( ), ab dem 14. Juli 2008 an die Entwick-
lung des Dow Jones EuroSTOXX 50 gebundene aktienindexbasierte Zerti-
fikate der Beklagten, für 26.124,75
€.
Der Zedent widerrief am 15. Juli 2011 seine auf Erwerb der Finanz-
produkte gerichteten Willenserklärungen.
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Die Klägerin hat von der Beklagten und teilweise von den früheren
Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldnern, ursprünglich auch im Wege
des Schadensersatzes, Zahlung von insgesamt 82.522,96
€ nebst Zinsen
Zug um Zug gegen Rückübertragung beim Zedenten noch vorhandener
Indexzertifikate und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt
sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagten der Klägerin entste-
hende steuerliche Nachteile zu tragen hätten. Die Klage ist in den Vor-
instanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelasse-
nen Revision verfolgt die Klägerin nur noch ihr Zahlungsbegehren in Höhe
von 72.394,37
€ nebst Zinsen gegen die Beklagte aus dem Gesichtspunkt
der Rückgewähr erbrachter Leistungen weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in WM 2012,
213 ff. veröffentlichten Entscheidung, soweit in der Revisionsinstanz noch
von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Rückgewähr erbrachter Leis-
tungen wegen des vom Zedenten erklärten Widerrufs zu. Ein Widerrufs-
recht nach den für Fernabsatzverträge geltenden Regelungen sei jeden-
falls gemäß § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB ausgeschlossen. Die vom Zedenten
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erworbenen Inhaberschuldverschreibungen und Fondsanteile fielen in den
Regelbeispielskatalog dieser Ausnahmebestimmung. § 312d Abs. 4 Nr. 6
BGB finde (schon dann) Anwendung, wenn der Vertrag wesentlich von
dem von beiden Parteien zu tragenden Risiko geprägt sei, dass die ihrer
Preisfindung zugrunde liegende Einschätzung sich durch die Entwicklung
am Markt als fehlerhaft erweise.
Dies sei hier der Fall. Das spekulative Risiko habe sich in einer
Schwankung der Basiswerte manifestiert. Dass § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB
- wie im Übrigen Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den
Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung
der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und
98/27/EG (ABl. EG 2002 Nr. L 271, S. 16, künftig: FinFARL) - auch solche
Produkte erfasse, folge aus dem Umstand, dass die Vorschrift nach dem
Willen des Gesetzgebers - anders als Credit Default Swaps - Equity
Swaps miteinschließe. Bei einem zwischen der Bank und dem Kunden
geschlossenen (dem Börsenhandel nicht zugänglichen) Equity Swap be-
stimmten die Vertragspartner die Konditionen. Die Basiswertabhängigkeit
solcher Swaps präge maßgeblich den spekulativen Charakter der Anlage.
In dieser ungewissen und von den Vertragsparteien mit unter-
schiedlichen Vorzeichen antizipierten Entwicklung liege die Ähnlichkeit zu
Verträgen über Wett- und Lotteriedienstleistungen, für die § 312d Abs. 4
Nr. 4 BGB auf der Grundlage paralleler Erwägungen die Anwendbarkeit
der Bestimmungen über Fernabsatzverträge ausschließe.
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II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung stand.
1. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt allein die Fra-
ge, ob der Klägerin ein Rückgewähranspruch aufgrund des vom Zedenten
erklärten Widerrufs seiner auf Abschluss der auf den Erwerb der Finanz-
produkte gerichteten Willenserklärung nach den Regeln über Fernabsatz-
geschäfte zusteht. Die Klägerin hat ihr Rechtsmittel auf solche Ansprüche
beschränkt. Diese Beschränkung ist wirksam, da sie sich auf einen ab-
grenzbaren und rechtlich selbständigen Teil des Streitstoffs bezieht (vgl.
BGH, Urteil vom 16. September 2009 - VIII ZR 243/08, BGHZ 182, 241
Rn. 11).
2. Das Berufungsgericht hat Ansprüche der Klägerin aus § 312d
Abs. 1 Satz 1, §§ 355, 357 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1 BGB zu Recht un-
ter Verweis auf § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB verneint. Es ist rechtsfehlerfrei
mit der obergerichtlichen Rechtsprechung und der mehrheitlich in der Lite-
ratur vertretenen Auffassung (OLG Düsseldorf, ZIP 2012, 419, 420; OLG
Frankfurt, WM 2011, 1893; Beschluss vom 26. Mai 2011 - 19 U 51/10, ju-
ris Rn. 1 ff.; HansOLG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2012
- 13 U 124/11 n.v.; OLG Hamm, WM 2011, 1412, 1413; OLG Schleswig,
Beschluss vom 27. Januar 2012 - 5 U 70/11, juris Rn. 39 f.; Blankenheim,
WuB IV D. § 312d BGB 2.11; Kropf, WM 2012, 1268, 1270 f.; Kugler/
Lochmann, BKR 2006, 41, 45 [zu Hedgefondsanteilen]; Palandt/
Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 312d Rn. 14; Pitsch, BKR 2011, 37, 38; Roth
in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl., § 10
Rn. 83; Simon, EWiR 2011, 801, 802; Staudinger/Thüsing, BGB, Neube-
arbeitung 2013, § 312d Rn. 76; dagegen Schick, AG 2011, R 73, R 74;
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Stoll, EWiR 2012, 9, 10; Winneke, BKR 2010, 321, 325 ff.; LG Krefeld,
BKR 2011, 32, 35 f.; wohl auch Erman/Saenger, BGB, 13. Aufl., § 312d
Rn. 27; MünchKommBGB/Wendehorst, 6. Aufl., § 312d Rn. 46; Schmidt-
Räntsch in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 312d Rn. 57) zu dem Ergeb-
nis gelangt, ein Recht zum Widerruf habe nicht bestanden, weil Gegen-
stand der Verträge die Verschaffung von Finanzdienstleistungen gewesen
sei, deren "Preis" innerhalb der Widerrufsfrist - dem Einfluss der Beklagten
entzogenen - Schwankungen unterlegen habe.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ab wann die vom Zedenten
erworbenen Finanzprodukte an der Börse notierten. Ausreichend war
nach der Systematik, dem Sinn und Zweck und der Gesetzgebungsge-
schichte des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB, dass die vom Zedenten erworbe-
nen Index- und Basketzertifikate (künftig: Zertifikate) den Anspruch des
Inhabers gegen den Emittenten auf Zahlung eines vom Stand der zugrun-
deliegenden Basiswerte (oder Underlyings) abhängigen Geldbetrages
verbrieften (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2011 - XI ZR 182/10,
BGHZ 191, 119 Rn. 26 mwN) und ihre Werthaltigkeit von Beginn an an die
Entwicklung der in Bezug genommenen Indizes geknüpft war bzw. der
Wert der am 25. Juli 2007 erworbenen Fondsanteile maßgeblich von sol-
chen Wertentwicklungen abhing.
a) "Preis" im Sinne des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB ist nicht nur das
Entgelt für ein Finanzprodukt, sondern auch ein wertbestimmendes Un-
derlying.
aa) Dass mit dem Begriff des "Preises" in § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB
nicht (nur) ein unmittelbar auf dem Finanzmarkt gebildeter Börsenpreis,
sondern auch ein den Marktpreis mittelbar beeinflussender Basiswert ge-
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meint ist, der seinerseits Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt,
ergibt sich systematisch und historisch aus der Aufnahme von "Derivaten"
in den Regelbeispielskatalog des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB. Dieser Begriff
fasst nach dem Willen des Gesetzgebers die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a
FinFARL genannten (Equity-) "Swaps, Futures und Optionen" zusammen
(BT-Drucks. 15/2946, S. 23; vgl. auch Siedler, Fernabsatzgesetz Finanz-
dienstleistungen, 2. Aufl., Rn. 198). Insbesondere Equity Swaps nehmen
- anders als etwa Credit Default Swaps, die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a Fin-
FARL nicht erwähnt sind und als deren Referenzwerte vertraglich festge-
legte, nicht marktbeeinflusste Kreditereignisse wie Insolvenz, Aufsage
oder Verzug des Referenzschuldners fungieren (Jahn in Schimansky/
Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 114 Rn. 25; Rudolf in
Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rn. 19.232;
Wehowsky
in
Erbs/Kohlhaas,
Strafrechtliche
Nebengesetze,
188. Ergänzungslieferung, § 30j WpHG Rn. 2) - auf marktbestimmte Ba-
siswerte Bezug, nach denen sich ausweislich der jeweiligen von den Be-
teiligten vereinbarten Tauschbedingungen die Zahlungspflichten bemes-
sen, ohne selbst einem Börsenhandel zu unterliegen.
Daraus folgt, dass über die Einordnung in § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB
nicht (nur) die Mechanismen entscheiden, die unmittelbar zur Bildung ei-
nes Handelsentgelts führen, sondern auch die sonstigen maßgeblich
wertbestimmenden Faktoren. Entsprechend kommt es für die Subsumtion
unter die Ausnahme des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB nicht darauf an, ob Zer-
tifikate der hier maßgeblichen Art bzw. eines in solche Zertifikate und Ak-
tien investierenden Fonds (schon oder überhaupt) an einer Börse gehan-
delt werden und in welchem Umfang der Emittent - oder die Bank im Zuge
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eines Festpreisgeschäfts - Gewinnmargen in den Verkaufspreis einrech-
nen.
bb) Nur ein weites Verständnis des "Preises" im Sinne des § 312d
Abs. 4 Nr. 6 BGB wird Sinn und Zweck der Regelung gerecht (OLG Karls-
ruhe, WM 2012, 213, 216; 1860, 1862; OLG Schleswig, Beschluss vom
27. Januar 2012 - 5 U 70/11, juris Rn. 40; Kropf, WM 2012, 1268, 1271;
Pitsch, BKR 2011, 37, 38; Simon, EWiR 2011, 801, 802; a.A. LG Krefeld,
BKR 2011, 32, 35 f.; Winneke, BKR 2010, 321, 327). Dieser besteht darin,
das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogen spekulativen
Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien zu
verteilen (Blankenheim, WuB IV D. § 312d BGB 2.11; Bodenstedt, Die
Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie im englischen und deutschen Recht,
2006, S. 62; Finke, Der Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Ver-
braucher, 2004, Rn. 134; Kropf, WM 2012, 1268, 1270 f.; Kriegner, Die
Fernabsatz-Richtlinie für Finanzdienstleistungen an Verbraucher, 2003,
S. 201; Loock, Das Fernabsatzsystem, 2009, S. 61; Mohrhauser, Der
Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, 2006, S. 99; Rott,
BB 2005, 53, 59 f.; vgl. außerdem die Begründung der Kommission der
Europäischen Union zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienst-
leistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG
des
Rates
und
der
Richtlinien
97/7/EG
und
98/27/EG,
KOM(1998) 468 endg., S. 14). Definierte man "Preis" eng (nur) als Kauf-
oder Handelspreis, verschöbe sich das Risiko einer negativen Wertent-
wicklung einseitig zulasten des Unternehmers, da der Verbraucher einen
drohenden Verlust aufgrund fallender Basiswerte innerhalb der Wider-
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rufsfrist durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer ab-
wälzen könnte.
Von Fällen, in denen Vertragsgegenstand die Lieferung von Waren
ist, deren Wert mittelbar von Preisschwankungen auf Rohstoffmärkten ab-
hängt, etwa der Wert eines Goldrings von der Entwicklung des Goldprei-
ses (vgl. Stoll, EWiR 2012, 9, 10; Winneke, BKR 2010, 321, 326; Erman/
Saenger, BGB, 13. Aufl., § 312d Rn. 27; MünchKommBGB/Wendehorst,
6. Aufl., § 312d Rn. 46), und die ersichtlich nicht von § 312d Abs. 4 Nr. 6
BGB erfasst sind, unterscheidet sich der Handel mit basiswertabhängigen
Finanzinstrumenten entscheidend dadurch, dass der spekulative Charak-
ter den Kern des Geschäfts ausmacht und individuelle wertbildende Fakto-
ren, etwa die Qualität der Verarbeitung, für die Preisbildung keine Rolle
spielen.
cc) Das Gebot, § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB im Einklang mit dem durch
die Bestimmung umgesetzten europäischen Sekundärrecht zu interpretie-
ren, steht der Gleichsetzung des "Preises" mit dem Basiswert nicht entge-
gen (vgl. Blankenheim, WuB IV D. § 312d BGB 2.11; Kropf, WM 2012,
1268, 1271). Im Gegenteil lässt sich Art. 6 Abs. 2 Buchst. a FinFARL die-
ser Gleichlauf ohne weiteres entnehmen, ohne dass für den Senat - wie in
der Revisionsverhandlung gefordert - Anlass bestünde, dem Gerichtshof
der Europäischen Union die Frage nach der Reichweite dieser Bestim-
mung zu unterbreiten.
(1) Zwar ist der Senat gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV als innerstaat-
lich letztinstanzlich entscheidendes Gericht grundsätzlich verpflichtet, eine
Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen, wenn Gemeinschafts-
recht auszulegen ist. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mit-
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gliedstaaten entfällt jedoch, wenn die richtige Anwendung des Gemein-
schaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel
kein Raum mehr bleibt (EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16; Slg. 2005, I-8151
Rn. 33).
Das innerstaatliche Gericht darf nur dann davon ausgehen, dass
ein solcher Fall vorliegt, wenn es davon überzeugt ist, dass auch für die
Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Ge-
wissheit bestünde (EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16). Bei der Beurteilung
dieser Frage sind die Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, die besonde-
ren Schwierigkeiten seiner Auslegung und die Gefahr abweichender Ge-
richtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu berücksichtigen
(EuGH, Slg. 2005, I-8151 Rn. 33). Dabei ist auch den gleichermaßen ver-
bindlichen verschiedenen Sprachen der anzuwendenden gemeinschafts-
rechtlichen Vorschrift Rechnung zu tragen (EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 18;
Slg. 1996, I-5403 Rn. 28), wobei allerdings die maßgebliche Bestimmung
nicht in jeder der offiziellen Sprachen der Gemeinschaft zu prüfen ist. Wei-
terhin ist die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift in ihrem Zusammenhang
zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele
und seines Entwicklungstandes zur Zeit der Anwendung auszulegen
(BGH, Beschluss vom 26. November 2007 - NotZ 23/07, BGHZ 174, 273
Rn. 34).
Ob nach Maßgabe dieser Kriterien die richtige Anwendung des
Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist und keinem vernünftigen Zwei-
fel unterliegt, dass eine Vorlage an den Gerichtshof verzichtbar ist, bleibt
allerdings allein der Beurteilung des nationalen Gerichts überlassen
(EuGH, Slg. 2005, I-8151 Rn. 37; vgl. auch BVerfGK 13, 256, 261 f.).
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(2) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist es zur Überzeugung des Se-
nats offenkundig und unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass Art. 6
Abs. 2 Buchst. a FinFARL unter "Preis" auch den Basiswert fasst. Das
ergibt sich unmissverständlich aus dem Umstand, dass dort als "Finanz-
dienstleistungen, deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankungen unter-
liegt", unter anderem "Zins- und Devisenswaps sowie Swaps auf Aktien-
oder Aktienindexbasis ('equity swaps')" definiert sind. Darin unterscheidet
sich die deutsche nicht von anderen Sprachfassungen des Art. 6 Abs. 2
Buchst. a FinFARL (englisch: "financial services whose price depends on
fluctuations in the financial market […] as services related to: […] interest
rate, currency and equity swaps", französisch: "aux services financiers
dont le prix dépend de fluctuations du marché financier […] par exemple
les services liés aux: […] contrats d’échange [] sur taux d’intérêt ou
sur devises ou contrats d’échange sur des flux liés à des actions ou à des
indices d’actions []"). Der gemeinschaftsrechtliche Begriff des
"Preises" schließt mithin unzweideutig den Basiswert ein.
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b) Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen,
der Preis im Sinne des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB sei von Schwankungen
auf dem Finanzmarkt abhängig gewesen, die außerhalb der Herrschafts-
sphäre der Beklagten gelegen hätten und die innerhalb der Widerrufsfrist
hätten auftreten können. Die Bindung an die in Bezug genommenen Un-
derlyings bestand durchgängig. Dass die Beklagte die Entwicklung der
Basiswerte in ihrem Sinne habe beeinflussen können, ist weder vorgetra-
gen noch sonst ersichtlich.
Wiechers
Joeres
Ellenberger
Matthias
Menges
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 07.04.2010 - 8 O 282/09 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 13.09.2011 - 17 U 104/10 -
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