Urteil des BGH vom 25.10.2012
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
25. Oktober 2012
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
ZPO § 850f Abs. 2 Halbsatz 2; SGB XII (2003) § 19 Abs. 1, SGB XII § 19
Abs. 1, § 27 Abs. 1, Abs. 2
a) Da dem Schuldner im Anwendungsbereich des § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO
dasjenige belassen werden soll, das er zur Deckung des sozialhilferechtlichen
Existenzminimums im Sinne des SGB XII benötigt, sind die dort für die Anrech-
nung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze
auch bei der Ermittlung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrages zu berück-
sichtigen.
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b) Das Vollstreckungsgericht hat zu prüfen, ob der notwendige Bedarf des
Schuldners ganz oder teilweise durch weitere Einnahmen oder geldwerte Natu-
ralleistungen tatsächlich gedeckt ist. Im Umfang der anderweitigen Deckung ist
der Freibetrag, der dem Schuldner aus seinem gepfändeten Arbeitseinkommen
zu belassen ist, herabzusetzen.
c) Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten muss das Vollstreckungsgericht ohne
Rücksicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche wegen der aus § 19 Abs. 1
SGB XII (2003), § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII folgenden Wertent-
scheidung auch die Einkünfte des Ehegatten in die Prüfung der Bedarfsde-
ckung mit einbeziehen.
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - VII ZB 12/10 - LG Bonn
AG Siegburg
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Eick, Halfmeier,
Prof. Leupertz und Kosziol
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss
der
4. Zivilkammer
des
Landgerichts
Bonn
vom
23. Februar 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als dort die Anordnung getroffen worden ist, dass dem
Schuldner ein monatlicher Betrag von 177,01
€ pfandfrei zu
belassen ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdever-
fahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Gläubiger betreiben gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung
aus einem Teilversäumnisurteil sowie aus einem in gleicher Sache ergangenen
Kostenfestsetzungsbeschluss. Die titulierte Forderung beruht auf einer vorsätz-
lich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners. Der Schuldner ist ver-
heiratet und seine Ehefrau, von der er nicht getrennt lebt, verfügt über eigene
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monatliche Einkünfte in Höhe von 2.300
€ netto. Er selbst bezieht eine monatli-
che Altersrente in Höhe von 207,02
€ und von der Drittschuldnerin eine monat-
liche Unfallrente in Höhe von 527,36
€.
Auf Antrag der Gläubiger hat das Amtsgericht - Vollstreckungs-gericht -
durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 17. Juni 2009 und
12. August 2009 die Forderungen des Schuldners gegenüber der Drittschuldne-
rin gepfändet und den Gläubigern zur Einziehung überwiesen. Das hiergegen
eingelegte Rechtsmittel des Schuldners, mit dem er geltend gemacht hat, ihm
sei die gepfändete Unfallrente in Höhe von 527,36
€ zu belassen, weil sonst
sein notwendiger Lebensunterhalt nicht gedeckt sei, hatte Erfolg. Mit Beschlüs-
sen vom 14. Januar 2010 hat das Amtsgericht seine beiden Pfändungs- und
Überweisungsbeschlüsse abgeändert und bestimmt, dass dem Schuldner die
gepfändete Unfallrente in voller Höhe pfandfrei zu verbleibe habe.
Auf die sofortigen Beschwerden der Gläubiger, denen das Amtsgericht
nicht abgeholfen hat, hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom
23. Februar 2010 die Beschlüsse des Amtsgerichts teilweise dahingehend ab-
geändert, dass dem Schuldner aus der bei der Drittschuldnerin gepfändeten
Forderung ein monatlicher Betrag von 177,01
€ zu belassen sei. Eine weiterge-
hende Pfändung der Unfallrente im Hinblick auf die monatlichen Nettoeinkünfte
der Ehefrau des Schuldners und die seitens der Gläubiger behauptete Möglich-
keit, ihr gegenüber Unterhaltsansprüche geltend zu machen, hat das Be-
schwerdegericht abgelehnt.
Nur dagegen wenden sich die Gläubiger mit ihrer vom Beschwerdege-
richt auch nur insoweit zugelassenen Rechtsbeschwerde.
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II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde
ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, der dem Schuldner gemäß
§ 850f Abs. 2 ZPO zu belassende notwendige Unterhalt bemesse sich aus-
schließlich nach den Regelungen des SGB XII. Ihm seien also pfandfrei der
monatliche sozialhilferechtliche Satz von 323
€ für Personen, die in einer Ehe
leben, sowie darüber hinaus ein Mehrbedarf von 61,03
€ zu belassen. Unter
Berücksichtigung der monatlichen Einkünfte aus der Altersrente ergebe sich ein
Betrag von 177,01
€, der dem Schuldner aus der Unfallrente verbleiben müsse.
Eine weitergehende Herabsetzung des pfandfreien Betrages mit Blick auf Un-
terhaltsansprüche des Schuldners gegen seine Ehefrau sei nicht gerechtfertigt.
Insoweit handele es sich um fiktive Einkünfte, die bei der Ermittlung des dem
Schuldner zur Deckung seines eigenen notwendigen Lebensunterhalts zu be-
lassenden pfandfreien Betrages außer Betracht zu bleiben hätten. Der Schuld-
ner könne nicht über den Umweg einer Herabsetzung pfandfreier Beträge unter
den eigenen Lebensbedarf dazu gezwungen werden, einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen oder eigene Ansprüche gegenüber Dritten, welche der Gläubiger
prinzipiell eigenständig pfänden könne, zu realisieren. Im Bereich des § 850f
Abs. 2 ZPO würde eine andere Bewertung dazu führen, dass der Unterhalts-
verpflichtete für die aus unerlaubter Handlung resultierenden Forderungen wirt-
schaftlich einzustehen hätte, was auch unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht
gerechtfertigt sei.
2. Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass die Forderung des
Schuldners gegen die Drittschuldnerin gemäß § 850b Abs. 2 ZPO in Verbin-
dung mit § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach den für Arbeitseinkommen geltenden
Vorschriften gepfändet werden kann. Dagegen ist nichts zu erinnern. Unzutref-
fend ist allerdings die Auffassung des Beschwerdegerichts, dem Schuldner
müssten monatlich 177,01
€ von der gegenüber der Drittschuldnerin bestehen-
den Forderung pfändungsfrei verbleiben, weil sonst sein notwendiger Unterhalt
nicht gesichert sei. Für eine dahingehende Annahme reichen die getroffenen
Feststellungen nicht aus.
a) Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer Forde-
rung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, zu der auch der
Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten gehört (vgl. BGH, Beschluss vom
10. März 2011 - VII ZB 70/08, NJW-RR 2011, 791), darf er nach § 850f Abs. 2
Halbsatz 1 ZPO in einem gegenüber der Vorschrift des § 850c ZPO erweiterten
Umfang auf das Arbeitseinkommen des Schuldners zugreifen. Diesem ist je-
doch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen eigenen Unterhalt und
zur Erfüllung laufender gesetzlicher Unterhaltspflichten bedarf, § 850f Abs. 2
Halbsatz 2 ZPO.
Die Regelung in § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO ist Bestandteil der Vor-
schriften über den Pfändungsschutz bei Arbeitseinkommen. Sie dient als Aus-
druck des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 GG) auch dem Zweck, dem Schuldner
ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom
19. März 2004 - IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789; Stöber, Forderungspfän-
dung, 15. Aufl., Rn. 872; Kindl in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht
der Zwangsvollstreckung, 1. Aufl., § 811 Rn. 1). Darüber hinaus soll im öffentli-
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chen Interesse verhindert werden, dass dem Schuldner durch Vollstreckungs-
maßnahmen das Existenzminimum genommen wird mit der Folge, dass das
Fehlende durch Sozialhilfe ersetzt und die Forderung des Gläubigers letztlich
von der Allgemeinheit aus Steuermitteln bedient werden müsste (Musielak/
Becker, ZPO, 9. Aufl., § 850c Rn. 1; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, Vollstre-
ckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 850f Rn. 14). Durch den dem
Schuldner nach § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO zu belassenden Freibetrag ist
dieser davor geschützt, dass sein verbleibendes Resteinkommen unter den So-
zialhilfebedarf absinkt (vgl. Stöber, aaO, Rn. 1196 i.V.m. 1094, 1176 i;
Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850f Rn. 2 und 17). Dem Schuldner ist
wenigstens der Betrag zu belassen, den er auch seitens der Sozialleistungsträ-
ger
bekäme
(Schuschke/Walker/Kessal-Wulff,
aaO,
§ 850f
Rn. 14;
Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 850f Rn. 17).
b) Aus § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO ergibt sich nicht, wie hoch der dem
Schuldner pfandfrei verbleibende Betrag ist. Maßgebend ist, wie viel der
Schuldner für seinen notwendigen Unterhalt benötigt. Der Begriff des notwendi-
gen Unterhalts in § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO stimmt mit demjenigen in
§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO überein (BGH, Beschluss vom 25. November 2010
- VII ZB 111/09, NJW-RR 2011, 706; BGH, Beschluss vom 5. August 2010
- VII ZB 101/09, FamRZ 2010, 1654). Für den Begriff des notwendigen Unter-
halts in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
dieser grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und
11. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entspricht (BGH, jeweils
aaO; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - VII ZB 38/07, NJW-RR 2008,
733; BGH, Urteil vom 23. Februar 2005 - XII ZR 114/03, BGHZ 162, 234).
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c) Im Einklang mit diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht er-
rechnet, dass der Schuldner monatlich 384,03
€ benötigt, um seinen notwendi-
gen eigenen Unterhalt bestreiten zu können. Der Betrag setzt sich zusammen
aus dem für den maßgeblichen Zeitraum geltenden monatlichen sozialhilfe-
rechtlichen Regelsatz in Höhe von 323
€ für Personen, die in einer Ehe zu-
sammenleben, sowie einem Mehrbedarf in Höhe von 61,03
€ gemäß § 30
SGB XII a.F. Einen zusätzlichen Bedarf zur Erfüllung laufender gesetzlicher
Unterhaltspflichten hat das Beschwerdegericht mit Recht nicht angenommen.
d) Daraus folgt nicht notwendig, dass dem Schuldner monatlich 384,03
€
von der gepfändeten Forderung zu belassen sind. Vielmehr muss das Vollstre-
ckungsgericht bei der Ermittlung des pfandfreien Betrages gemäß § 850f Abs. 2
Halbsatz 2 ZPO prüfen, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder
teilweise durch weiteres Einkommen oder geldwerte Naturalleistungen gedeckt
ist (vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 850d Rn. 29; Wieczorek/Schütze/Lüke,
ZPO, 3. Aufl., § 850d Rn. 31; Musielak/Becker, aaO, § 850d Rn. 11; Zöller/
Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 850e Rn. 3; BeckOK ZPO/Riedel, Stand: 15. Juli 2012,
§ 850d Rn. 39; Stöber, aaO, Rn. 1104).
(aa) Da dem Schuldner im Anwendungsbereich des § 850f Abs. 2 Halb-
satz 2 ZPO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Be-
schluss vom 25. November 2010 - VII ZB 111/09, aaO) nicht weniger, aber
auch nicht mehr belassen werden soll, als er zur Deckung des sozialhilferechtli-
chen Existenzminimums im Sinne des SGB XII bedarf, sind die dort für die An-
rechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze
auch bei der Ermittlung des dem Schuldner nach § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO
pfandfrei zu belassenden Betrages zu berücksichtigen. Ist nämlich der notwen-
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dige Bedarf des Schuldners und damit sein sozialhilferechtliches Existenzmini-
mum durch andere Einnahmen und geldwerte Vorteile gedeckt, dann besteht
die Gefahr des Absinkens des Schuldners unter die Schwelle der Sozialhilfebe-
dürftigkeit durch eine Pfändung seines Arbeitseinkommens und damit eine Be-
friedigung der Gläubiger zu Lasten des Sozialstaats wegen des aus § 2 Abs. 1
SGB XII folgenden Grundsatzes des Nachranges der Sozialhilfe nicht. Nach
diesem Grundsatz, der in § 19 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31. De-
zember 2010 geltenden Fassung beziehungsweise in § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1
und 2 SGB XII in der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung für die Hilfe
zum Lebensunterhalt konkretisiert wird, ist Sozialhilfe nur demjenigen zu leis-
ten, der seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten kann. Ist
hinreichendes Einkommen oder Vermögen zur Deckung des maßgeblichen Be-
darfs vorhanden, entfällt die Hilfebedürftigkeit und damit der Anspruch auf Hilfe
zum Lebensunterhalt (BeckOK SGB XII/Groth, Stand: 1. Juni 2012, § 19 Rn. 2;
Kreikebohm/Coseriu, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl., § 19 Rn. 2).
Dementsprechend mindern andere Einnahmen und geldwerte Vorteile,
soweit sie dem Schuldner tatsächlich zur Verfügung stehen und nicht ein be-
sonderer Zweck des Bezuges dies im Einzelnen ganz oder teilweise verbietet
(vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 850d Rn. 29), den Freibetrag, der ihm aus sei-
nem gepfändeten Arbeitseinkommen zu belassen ist. Dies kann im Einzelfall
dazu führen, dass die Voraussetzungen für einen Pfändungsfreibetrag nach
§ 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO gänzlich entfallen (vgl. Stöber, aaO, Rn. 1104;
Wieczorek/Schütze/Lüke, aaO, § 850d Rn. 31; Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 850d
Rn. 29 in Fn. 84).
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(bb) Ausgehend hiervon begegnet es keinen Bedenken, dass das Be-
schwerdegericht bei der Bemessung des dem Schuldner nach § 850f Abs. 2
Halbsatz 2 ZPO zu belassenden notwendigen Betrags die Altersrente in Höhe
von monatlich 207,02
€ als weitere Einnahmequelle berücksichtigt und in dieser
Höhe den Unterhaltsbedarf des Schuldners als gedeckt angesehen hat.
(cc) Rechtsfehlerhaft hat das Beschwerdegericht allerdings die Einkünfte
der Ehefrau des Schuldners außer Betracht gelassen.
(1) Nach Maßgabe von § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in der bis zum
31. Dezember 2010 geltenden Fassung beziehungsweise § 27 Abs. 2 Satz 2
SGB XII in der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung werden das Ein-
kommen und das Vermögen von nicht getrennt lebenden Ehegatten unmittelbar
und unbeschadet zivilrechtlicher Bestimmungen des Unterhaltsrechts wie Ein-
kommen und Vermögen des Hilfesuchenden selbst angesehen (Grube/
Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl., § 27 Rn. 6; Kreikebohm/Coseriu, aaO, § 19
Rn. 3). Die Berücksichtigung auch des Einkommens und Vermögens des nicht
getrennt lebenden Ehegatten geht von der rechtlichen oder sittlichen Einstands-
und Unterstützungspflicht innerhalb der Verantwortungs- und Einstandsgemein-
schaft sowie der Erfahrung aus, dass in einer ehelichen Haushaltsgemeinschaft
"aus einem Topf" gewirtschaftet wird und dass die Bedürfnisse des nicht dau-
ernd getrennt lebenden Ehegatten aus den gemeinsamen Beiträgen ohne
Rücksicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche befriedigt werden. Die Person
der Einsatzgemeinschaft, die Einkommen erzielt, muss ihr Einkommen, das den
eigenen Bedarf übersteigt, den anderen Personen zu deren Bedarfsdeckung
zur Verfügung stellen (Grube/Wahrendorf, aaO, § 27 Rn. 8). Ist der Bedarf des
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Hilfebedürftigen durch das Einkommen seines Ehegatten tatsächlich gedeckt,
erhält er keine Sozialhilfe.
(2) Wegen dieser gesetzgeberischen Wertentscheidung im Sozialhilfe-
recht bestehen auch für den Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts keine
Bedenken, den pfändungsfreien Betrag für den notwendigen eigenen Unterhalt
des Schuldners nach § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO auf Null festzusetzen und
das Arbeitseinkommen des Schuldners dem vollen Zugriff seiner Gläubiger
Preis zu geben, wenn der notwendige Bedarf des Schuldners durch die Ein-
künfte seines Ehegatten tatsächlich gedeckt ist (vgl. zum Tatsächlichkeitsprin-
zip: Grube/Wahrendorf, aaO, § 27 Rn. 7; Kreikebohm/Coseriu, aaO, § 19
Rn. 3).
Der Berücksichtigung der Einkünfte des Ehegatten steht insbesondere
nicht entgegen, dass dieser dadurch für die aus unerlaubter Handlung resultie-
renden Forderungen wirtschaftlich einzustehen hat. Dieses vom Beschwerde-
gericht angeführte Argument geht auf eine verbreitete Ansicht im Schrifttum
zurück, wonach der Eigenverdienst des Ehegatten nicht dazu bestimmt sei,
dem Gläubiger des Schuldners Befriedigung zu ermöglichen (Stöber, aaO,
Rn. 1105; Musielak/Becker, aaO, § 850d Rn. 11; Wieczorek/Schütze/Lüke,
aaO, § 850d Rn. 33; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, aaO, § 850d Rn. 7). Aus
diesem Grund sei das Einkommen des Ehegatten nur bei der Feststellung zu
berücksichtigen, ob und in welchem Umfang der Schuldner seinem Ehegatten
gegenüber noch laufende gesetzliche Unterhaltspflichten zu erfüllen hat und ob
daher über den eigenen notwendigen Unterhalt des Schuldners hinaus in den
Freibetrag ein zusätzlicher Betrag zur Erfüllung dieser gesetzlichen Unterhalts-
pflicht einzustellen ist (Stöber, aaO, Rn. 1105; Zöller/Stöber, aaO, § 850d
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Rn. 11a; Musielak/Becker, aaO, § 850d Rn. 11; Wieczorek/Schütze/Lüke, aaO,
§ 850d Rn. 33; BeckOK ZPO/Riedel, aaO, § 850d Rn. 41; Baumbach/
Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 850d Rn. 13, 15).
Diese Sichtweise, die im Wesentlichen mit einem Verweis auf die Ent-
scheidungen verschiedener Land- und Oberlandesgerichte aus dem Zeitraum
von 1930 - 1970 (Nachweise bei Musielak/Becker, aaO, § 850d Rn. 11 in
Fn. 96; Wieczorek/Schütze/Lüke, aaO, § 850d Rn. 33 in Fn. 121; Schuschke/
Walker/Kessal-Wulf, aaO, § 850d Rn. 7 in Fn. 29; Stein/Jonas/Brehm, aaO,
§ 850d Rn. 29 in Fn. 96) begründet wird, geht fehl. Das Einkommen des Ehe-
gatten dient nicht dazu, dem Gläubiger des Schuldners Befriedigung zu ermög-
lichen, sondern es wird lediglich im Rahmen der Ermessensentscheidung nach
§ 850f Abs. 2 ZPO bei der Frage, ob der notwendige Bedarf des Schuldners
ganz oder zum Teil hierdurch gedeckt ist, berücksichtigt. Dies hat seine Recht-
fertigung in der oben angeführten gesetzgeberischen Wertentscheidung im So-
zialhilferecht, die auch für die Ermittlung des pfandfreien Betrages in § 850f
Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO bestimmend ist. Ist der danach maßgebliche notwendi-
ge Bedarf des Schuldners durch das Einkommen seines in Einsatzgemein-
schaft mit ihm lebenden Ehegatten tatsächlich gedeckt, gibt es keinen Grund,
warum der Gläubiger nicht in vollem Umfang privilegierten Zugriff nach § 850f
Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO auf das Arbeitseinkommen des Schuldners erhalten
sollte.
(3) Im hier zu entscheidenden Fall ist die mit einem eigenen Einkommen
von 2.300
€ netto ausgestattete Ehefrau des Schuldners grundsätzlich ver-
pflichtet, denjenigen Teil ihres Einkommens, der ihren eigenen Bedarf über-
steigt, zur Deckung des notwendigen Bedarfs des Schuldners zur Verfügung zu
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stellen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der notwendige eigene
Unterhaltsbedarf des Schuldners hierdurch vollständig gedeckt ist. Tatsächliche
Feststellungen dazu sind bisher nicht getroffen.
3. Soweit das Beschwerdegericht danach eine weitere Herabsetzung des
pfandfreien Betrages mit Blick auf etwaige Unterhaltsansprüche des Schuldners
gegenüber dessen Ehefrau abgelehnt hat, kann die angefochtene Entscheidung
nicht bestehen bleiben.
Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend selbst zu entschei-
den, da sich die zur Beurteilung der Bedarfsdeckung erforderlichen Anknüp-
fungstatsachen nicht aus dem vom Beschwerdegericht festgestellten Sachver-
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halt ergeben. Ob und in welcher Höhe der notwendige Bedarf des Schuldners
tatsächlich durch die Einkünfte seiner Ehefrau gedeckt ist, ist offen. Insoweit
wird das Beschwerdegericht weitere Ermittlungen anzustellen haben.
Kniffka
Eick
Halfmeier
Leupertz
Kosziol
Vorinstanzen:
AG Siegburg, Entscheidung vom 14.01.2010 - 35a M 937/09 -
LG Bonn, Entscheidung vom 23.02.2010 - 4 T 43/10 -