Urteil des BGH vom 29.11.2001
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 2/02
vom
29. März 2006
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1587 c Nr. 1
a) Auch bei langer Trennungszeit erfordert die Herabsetzung des Versorgungs-
ausgleichs wegen grober Unbilligkeit nach § 1587 c Abs. 1 Nr. 1 BGB im
Einzelfall eine Gesamtwürdigung aller wirtschaftlichen, sozialen und persön-
lichen Verhältnisse beider Ehegatten.
b) Hat der ausgleichspflichtige Ehegatte während einer langen Trennungszeit
(hier: 17 Jahre) widerspruchslos Trennungsunterhalt gezahlt, ohne von dem
ausgleichsberechtigten Ehegatten die Aufnahme einer sozialversicherungs-
pflichtigen Erwerbstätigkeit zu fordern, kann der Ausgleichsberechtigte ein
schutzwürdiges Vertrauen auf Teilhabe an den bis zum Ende der Ehezeit er-
worbenen Anrechten auf Altersversorgung des Ausgleichsverpflichteten ha-
ben.
BGH, Beschluss vom 29. März 2006 - XII ZB 2/02 - OLG Frankfurt
AG
Kassel
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. März 2006 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Fuchs und Dose
beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Be-
schluss des 2. Familiensenats in Kassel des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main vom 29. November 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der weiteren Beschwerde - an das Ober-
landesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.945 €.
Gründe:
I.
Der am 10. Januar 1942 geborene Antragsteller und die am 11. Septem-
ber 1944 geborene Antragsgegnerin haben am 26. April 1963 die Ehe ge-
schlossen. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, von denen das
Jüngste 1966 geboren wurde. Der Scheidungsantrag wurde der Antrags-
gegnerin am 14. September 1999 zugestellt; das am 11. August 2000 verkün-
dete Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ist zum Scheidungs-
ausspruch rechtskräftig.
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Die Parteien hatten sich im Jahre 1982 (nicht: 1980) getrennt. Die An-
tragsgegnerin war damals mit den gemeinsamen Kindern aus der Ehewohnung
ausgezogen. Während der gesamten Trennungszeit hatte der Antragssteller
aufgrund außergerichtlicher Vereinbarungen der Parteien Unterhalt an die An-
tragsgegnerin gezahlt, zuletzt in Höhe von monatlich 1.000 DM (511 €). Die An-
tragsgegnerin ist gelernte technische Zeichnerin, war jedoch seit 1964 nicht
mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt; sie ist in der Ehezeit lediglich un-
regelmäßig geringfügigen Beschäftigungen nachgegangen. Im Rahmen des
Scheidungsverbundes haben sich die Parteien vor dem Amtsgericht - Famili-
engericht
- auf einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 1.075
DM
(549,64 €) geeinigt.
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts - Familiengericht - haben die
Parteien während der gesetzlichen Ehezeit (1. April 1963 bis 31. August 1999;
§ 1587 Abs. 2 BGB) folgende Versorgungsanrechte erworben, jeweils monatlich
und bezogen auf das Ende der Ehezeit: der Antragsteller bei der Bahnversiche-
rungsanstalt (jetzt Deutsche Rentenversicherung Knappschaft - Bahn - See,
fortan: DRV KBS; weitere Beteiligte zu 2) gesetzliche Rentenanwartschaften in
Höhe von 157,60 DM und bei dem Bundeseisenbahnvermögen (weitere Betei-
ligte zu 3) Anrechte auf eine Beamtenversorgung in Höhe von 3.059,48 DM, die
Antragsgegnerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt
Deutsche Rentenversicherung Bund, fortan: DRV Bund; weitere Beteiligte zu 1)
Anwartschaften in Höhe von 185,77 DM.
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Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Versorgungsausgleich dahin
geregelt, dass vom Versicherungskonto des Antragstellers bei der DRV KBS
auf das Versicherungskonto der Antragsgegnerin bei der DRV Bund Rentenan-
wartschaften in Höhe von 1.515,66 DM (774,94 €), bezogen auf den 31. August
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1999, übertragen werden sollten. Dem Begehren des Antragstellers, den Ver-
sorgungsausgleich nur beschränkt durchzuführen, hat es nicht entsprochen.
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Auf die Beschwerde der DRV Bund, der DRV KBS und des Antragstel-
lers hat das Oberlandesgericht die Entscheidung über den Versorgungsaus-
gleich dahin abgeändert, dass zu Lasten der Versorgungsanwartschaften des
Antragstellers bei dem Bundeseisenbahnvermögen auf dem Versicherungskon-
to der Antragsgegnerin bei der DRV Bund Rentenanwartschaften in Höhe von
872,67 DM (446,19 €), bezogen auf den 30. Juni 1992, begründet werden. We-
gen der langen Trennungszeit der Parteien ist das Oberlandesgericht vom
30. Juni 1992 als fiktivem Ehezeitende ausgegangen und hat bei den weiteren
Beteiligten zu 1-3 entsprechende Auskünfte eingeholt. Danach hat der An-
tragsteller während der fiktiven Ehezeit (1. April 1963 bis 30. Juni 1992) bei der
DRV KBS Anwartschaften auf eine Altersrente von 135,24 DM und bei dem
Bundeseisenbahnvermögen Anwartschaften auf Beamtenversorgung in Höhe
von 1.778,25 DM erworben, die Antragsgegnerin bei der DRV Bund monatliche
gesetzliche Rentenanwartschaften in Höhe von 168,17 DM.
Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin
das Ziel eines ungekürzten Versorgungsausgleichs weiter.
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II.
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Be-
schlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
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1. Das Oberlandesgericht, das die Voraussetzungen des Art. 12 Nr. 3
Abs. 3 Satz 3 EheRG zu Recht verneint hat, hat eine Herabsetzung des Ver-
sorgungsausgleichs nach § 1587 c Nr. 1 BGB für gerechtfertigt gehalten und
hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Die uneingeschränkte Durchführung des
Wertausgleichs zugunsten der Antragsgegnerin führe wegen der langen Tren-
nungszeit und unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Falles zu einem
grob unbilligen Ergebnis. Das jüngste Kind der Parteien sei 1985 volljährig ge-
worden. Der damals 51 Jahre alten Antragsgegnerin sei es noch möglich gewe-
sen, innerhalb der dann noch 14 Jahre währenden Trennungszeit eine sozial-
versicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben und zumindest teilweise eine eige-
ne Altersversorgung aufzubauen. Es sei unbillig, dem Antragsteller nun entge-
genzuhalten, er habe über Jahre hinweg ohne hinreichenden Grund Tren-
nungsunterhalt gezahlt, und ihm über diese wirtschaftliche Belastung hinaus
auch noch die hälftige Kürzung seiner Versorgungsanwartschaften zuzumuten.
Dem zwischenzeitlich pensionierten Antragsteller bliebe in diesem Fall nicht
einmal der angemessene Selbstbehalt. Auch sei er entsprechend seinen wirt-
schaftlichen Möglichkeiten nicht in der Lage gewesen, den vollständigen
eheangemessenen Bedarf der Antragsgegnerin sicherzustellen. Über diesen
hätte die Antragsgegnerin nur aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit verfügen
können. Da sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres des jüngsten Kindes
zumindest eine Halbtagstätigkeit habe ausüben können, erscheine es ange-
messen, für den Versorgungsausgleich die Zeit von 1985 bis zur Zustellung des
Scheidungsantrages nur zur Hälfte zu berücksichtigen, weshalb vom 30. Juni
1992 als fiktivem Ehezeitende auszugehen sei.
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2. Diese Ausführungen des Oberlandesgerichts halten rechtlicher Nach-
prüfung nicht stand.
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Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsaus-
gleichs grob unbillig im Sinne von § 1587 c Nr. 1 BGB erscheint, unterliegt zwar
grundsätzlich der tatrichterlichen Beurteilung, die im Verfahren der weiteren
Beschwerde nur darauf hin zu überprüfen ist, ob alle wesentlichen Umstände
berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck ent-
sprechenden Weise ausgeübt worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. Mai
2005 - XII ZB 135/02 - FamRZ 2005, 1238; vom 5. September 2001 - XII ZB
56/98 - FPR 2002, 86 und vom 12. November 1986 - IVb ZB 67/85 - FamRZ
1987, 362, 364). Selbst auf der Grundlage dieser eingeschränkten Überprüfbar-
keit kann der angefochtene Beschluss aber keinen Bestand haben.
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a) Zu Recht geht das Oberlandesgericht allerdings im Ansatz davon aus,
eine lange Trennungszeit der Parteien könne Anlass sein, den Ausschluss oder
die Herabsetzung des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit zu
überprüfen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, im Rahmen der Billig-
keitsabwägung nach § 1587 c Nr. 1 BGB zu berücksichtigende Umstände könn-
ten auch darin bestehen, dass eine Versorgungsgemeinschaft wegen unge-
wöhnlich kurzer Ehedauer nicht entstanden (Senatsurteil vom 24. Juni 1981
- IVb ZR 513/80 - FamRZ 1981, 944, 945) oder durch lange Trennung der
Ehegatten aufgehoben worden sei (Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 1984
- IVb ZB 577/80 - FamRZ 1984, 467, 469 f.; vom 12. Dezember 1984 - IVb ZB
928/80 - FamRZ 1985, 280, 281 f.; vom 28. Oktober 1992 - XII ZB 42/91 -
FamRZ 1993, 302, 303; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 14/03 - FamRZ 2004, 1181,
1182 f. und vom 28. September 2005 - XII ZB 177/00 - FamRZ 2005, 2052,
2053). In diesen Fällen fehlt dem Versorgungsausgleich die eigentlich rechtfer-
tigende Grundlage, denn jede Ehe ist infolge der auf Lebenszeit angelegten
Gemeinschaft schon während der Phase der Erwerbstätigkeit im Keim eine
Versorgungsgemeinschaft, die der beiderseitigen Alterssicherung dienen soll
(Senatsbeschlüsse vom 28. September 2005 aaO S. 2053; vom 19. Mai 2004
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aaO S. 1182 und vom 28. Oktober 1992 aaO S. 303). Hat eine Versorgungs-
gemeinschaft wegen langer Trennungszeit nicht mehr bestanden, kann eine
Korrektur des Versorgungsausgleichs deshalb unter Billigkeitsgesichtspunkten
gerechtfertigt sein (h.M., vgl. OLG Köln Beschluss vom 10. Juli 2003 - 21 UF
251/02 - veröffentlicht bei juris; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 756 f. und
1998, 682, 683; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 1223; OLG Celle FamRZ 2001,
163, 164; OLG Hamm FamRZ 2000, 160, 161; KG FamRZ 1997, 31 f.; OLG
Düsseldorf FamRZ 1993, 1322, 1323 f.; OLG München FamRZ 1985, 79 f.;
MünchKomm/Dörr BGB 4. Aufl. § 1587 c Rdn. 30; Johannsen/Henrich/Hahne
Eherecht 4. Aufl. § 1587 c BGB Rdn.
23; Staudinger/Rehme BGB 2003
§ 1587 c Rdn. 44; Wick Der Versorgungsausgleich Rdn. 255; a.A. Erk/Deisen-
hofer FamRZ 2003, 134, 136).
b) Einer Beschränkung des Versorgungsausgleichs steht dabei nicht
entgegen, dass § 1587 BGB den Wertausgleich grundsätzlich für die gesamte
Ehezeit vorschreibt. Die Regelung beruht in erster Linie auf Zweckmäßigkeits-
erwägungen, insbesondere wollte der Gesetzgeber dem Ausgleichsverpflichte-
ten die Möglichkeit nehmen, den Ausgleichsanspruch durch Trennung von dem
Ehegatten zu manipulieren (Senatsbeschluss vom 19. Mai 2004 aaO S. 1183;
BT-Drucks. 7/4361, S. 36). Allerdings erfordert § 1587 c Nr. 1 BGB für einen
Ausschluss oder eine Herabsetzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit,
d.h. eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs muss
unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedan-
ken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe
beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu
gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen (Senatsbeschluss vom
25. Mai 2005 aaO S. 1239). Hierbei verbietet sich eine schematische Betrach-
tungsweise. Die grobe Unbilligkeit muss sich vielmehr wegen des Ausnahme-
charakters von § 1587 c BGB im Einzelfall aus einer Gesamtabwägung der
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wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten er-
geben (BVerfG FamRZ 2003, 1173, 1174; Johannsen/Henrich/Hahne aaO
§ 1587 c Rdn. 30; Palandt/Brudermüller BGB 65. Aufl. § 1587 c Rdn. 19, 25).
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c) Die Feststellungen des Oberlandesgerichts rechtfertigen die Annahme
einer groben Unbilligkeit nicht.
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aa) Die Parteien lebten zwar bis zur Zustellung des Scheidungsantrages
(14. September 1999) von insgesamt 36 Ehejahren ca. 17 Jahre - und damit
nahezu die Hälfte der Ehezeit - voneinander getrennt. Zudem weist das Ober-
landesgericht zu Recht darauf hin, bei längerem Getrenntleben bestehe auch
für einen bislang ausschließlich den Haushalt führenden Ehegatten im Alter von
51 Jahren grundsätzlich noch eine Erwerbsobliegenheit (Senatsurteil
BGHZ 109, 211 ff. = FamRZ 1990, 283, 286), um seine Altersversorgung zu-
mindest teilweise selbst aufzubauen. Der Antragsteller hat allerdings während
der gesamten Trennungszeit freiwillig monatliche Unterhaltszahlungen geleistet,
die das wesentliche Einkommen derAntragsgegnerin darstellten. Erstmals mit
Anwaltsschriftsatz vom 27. Oktober 1999, somit nach Zustellung des Schei-
dungsantrags, hat er die Antragsgegnerin darauf verwiesen, sie hätte zumin-
dest seit der Volljährigkeit des jüngsten Sohnes einer Erwerbstätigkeit nachge-
hen und so eigene Versorgungsanrechte erwerben müssen. Mit den wider-
spruchslosen Zahlungen während der langen Trennungszeit hat der Antragstel-
ler aber nicht nur unterhalts-rechtlich einen Vertrauenstatbestand geschaffen,
der den Zeitpunkt für eine Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin hinaus-
schiebt (vgl. OLG Köln FamRZ 1999, 853; OLG Hamm FamRZ 1995, 1580;
Eschenbruch/Mittendorf Der Unterhaltsprozess 3.
Aufl. Rdn.
6267; Er-
man/Heckelmann BGB 11. Aufl. § 1361 Rdn. 23; FA-FamR/Gerhardt 5. Aufl.
6. Kap. Rdn. 260; Wendl/Staudigl/Pauling Das Unterhaltsrecht in der familien-
richterlichen Praxis 6. Aufl. § 4 Rdn. 25; Johannsen/Henrich/Büttner aaO
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§ 1361 BGB Rdn. 26; Staudinger/Hübner aaO 2000 § 1361 Rdn. 187; Pa-
landt/Brudermüller aaO § 1361 Rdn. 13; Kalthoener/Büttner/Niepmann Die
Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 9. Aufl. Rdn. 391; vgl. für den nach-
ehelichen Unterhalt Senatsurteil vom 31. Januar 1990 - XII ZR 36/89 - FamRZ
1990, 496, 498). Er hat zugleich zu erkennen gegeben, die eheliche Solidarität
nach der Trennung nicht vollkommen aufkündigen zu wollen, sondern die An-
tragsgegnerin an seinen in der Trennungszeit erworbenen Versorgungsanrech-
ten teilhaben zu lassen. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ist
es dabei unerheblich, dass der Antragsteller den vollständigen eheangemesse-
nen Bedarf der Antragsgegnerin nicht sicherstellen konnte. Für die Annahme
eines schutzwürdigen Vertrauenstatbestandes ist vielmehr entscheidend, dass
sich die Antragsgegnerin erkennbar auf die monatlichen Unterhaltsleistungen
verließ, davon im Wesentlichen ihren Lebensunterhalt bestritt und gerade auch
deswegen keine Notwendigkeit sah, sich um eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung zu bemühen. Seine Legitimation findet der ungekürzte Versor-
gungsausgleich letztlich in dem Umstand, dass sich die Parteien während der
gesamten Trennungszeit wirtschaftlich nicht verselbständigt haben. Es ist des-
halb nicht grob unbillig, sondern vielmehr geboten, die Antragsgegnerin an den
vom Antragsteller erworbenen Anrechten auf Altersversorgung ungekürzt teil-
haben zu lassen.
bb) Dass dem Antragsteller durch den Versorgungsausgleich nicht ein-
mal der eigene angemessene Selbstbehalt verbleibt, wie das Oberlandesgericht
meint, kann eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs nicht rechtfertigen.
Zwar darf der Versorgungsausgleich nicht zu einem erheblichen wirtschaftlichen
Ungleichgewicht zu Lasten des Ausgleichspflichtigen führen. Unterhaltsrechtlich
erhebliche Selbstbehaltgrenzen bestehen dabei indessen nicht (vgl. Senatsbe-
schlüsse vom 29. April 1981 - IVb ZB 813/80 - FamRZ 1981, 756, 757 und vom
16. Dezember 1981 - IVb ZB 555/80 - FamRZ 1982, 258, 259; Schwab/Hahne
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Handbuch des Scheidungsrechts 5. Aufl. Teil VI Rdn. 283 Palandt/Brudermül-
ler aaO § 1587 c Rdn. 21; MünchKomm/Dörr aaO § 1587 c BGB Rdn. 19). Eine
durch den Versorgungsausgleich entstehende Bedürftigkeit des Verpflichteten
kann bei der Billigkeitsabwägung nach § 1587 c Nr. 1 BGB allenfalls dann rele-
vant werden, wenn der Ausgleichsberechtigte bereits unter Berücksichtigung
außerhalb der Ehezeit erworbener Anwartschaften oder seines sonstigen Ver-
mögens über eine ausreichende Altersversorgung verfügt (vgl. Senatsbe-
schlüsse vom 29. April 1981 aaO S. 757 f. und vom 16. Dezember 1981 aaO
S. 259; Johannsen/Henrich/Hahne aaO § 1587 c BGB Rdn. 7). Entsprechende
Umstände sind vorliegend aber weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
cc) Schließlich lässt sich dem ungekürzten Versorgungsausgleich nicht
entgegengehalten, der Antragsteller habe andernfalls zur Vermeidung finanziel-
ler Nachteile erst nach einer Verurteilung Trennungsunterhalt zahlen dürfen
oder bald möglichst Scheidungsantrag stellen müssen, was dem aus Art. 6 GG
folgenden Gebot der Eheerhaltung zuwiderlaufe (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ
1993, 1322, 1324). Um das schutzwürdige Vertrauen der Antragsgegnerin zu
erschüttern, wäre es nicht erforderlich gewesen, einen zeitnahen Scheidungs-
antrag zu stellen oder die Unterhaltszahlungen sofort einzustellen. Es hätte im
Interesse einer wirtschaftlichen Verselbständigung und Entflechtung der Ehe-
leute während der langen Trennungszeit genügt, auf eine Erwerbstätigkeit der
Antragsgegnerin zu drängen.
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dd) Im Übrigen würde es rechtlichen Bedenken begegnen, zur Kürzung
des Ausgleichsanspruchs der Ehefrau nach § 1587 c Nr. 1 BGB das Ehezeiten-
de fiktiv auf den 30. Juni 1992 vorzuverlegen. Die Bewertung der in den Ver-
sorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechte ist immer auf das Ende der
Ehezeit im Sinne des § 1587 Abs. 2 BGB vorzunehmen, an die das Gesetz die
für die Berechnung der Anrechte maßgebenden rentenrechtlichen Faktoren
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knüpft (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2001 - XII ZB 106/96 - FamRZ 2001,
1444, 1446). Um einen bestimmten Teil der Ehezeit im Versorgungsausgleich
nicht zu berücksichtigen, sind deshalb grundsätzlich die auf die auszuschlie-
ßende (Trennungs-)Zeit entfallenden Anwartschaften auf das gesetzliche Ehe-
zeitende bezogen zu ermitteln und von den auf die gesamte Ehezeit entfallen-
den Anwartschaften abzuziehen (Wick aaO Rdn. 255). Nicht zulässig ist es,
stattdessen das Ende der Ehezeit vorzuverlegen.
3. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da die
Einholung neuer Versorgungsauskünfte erforderlich ist. Die Höhe des für den
Versorgungsausgleich maßgeblichen Ruhegeldes des bereits bei dem Bundes-
eisenbahnvermögen im Versorgungsbezug stehenden Antragstellers ist unter
Berücksichtigung der Auswirkungen des Versorgungsänderungsgesetzes vom
20. Dezember 2001 (BGBl. I, 3926) zu ermitteln. Im Übrigen konnten die vom
Amtsgericht - Familiengericht - für die gesamte Ehezeit (1. April 1963 bis
31. August 1999) eingeholten Auskünfte der DRV KBS vom 16. Dezember 1999
und der DRV Bund vom 19. April 2000 die Änderungen der Rechtslage durch
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das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG vom 21. März 2001, BGBl. I,
403) nicht berücksichtigen. Die Sache war deshalb an das Oberlandesgericht
zurückzuverweisen, damit der Versorgungsausgleich unter Zugrundelegung
neuer Auskünfte der beteiligten Versorgungsträger geregelt werden kann.
Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Fuchs
Dose
Vorinstanzen:
AG Kassel, Entscheidung vom 11.08.2000 - 512 F 1964/99 -
OLG Frankfurt in Kassel, Entscheidung vom 29.11.2001 - 2 UF 264/00 -