Urteil des BGH vom 03.11.2005
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 325/02 Verkündet
am:
3. November 2005
Walz
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ
:
ja
BGHR
:
ja
HGB §§ 452, 452a, 606 Satz 2
Bei einem multimodalen Transport unter Einschluss einer Seestrecke endet
diese zumindest dann, wenn insoweit keine besonderen Umstände gegeben
sind, nicht schon mit dem Löschen der Ladung, sondern erst mit der Verladung
des Gutes auf das Transportmittel, mit dem es aus dem Hafen entfernt werden
soll.
BGH, Urt. v. 3. November 2005 - I ZR 325/02 - OLG Celle
LG
Hannover
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 3. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und
Dr. Schaffert
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlan-
desgerichts Celle vom 24. Oktober 2002 wird auf Kosten der Klä-
gerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, nimmt die Beklagte, ein
Speditionsunternehmen, das von der ebenso wie die Parteien in Deutschland
ansässigen Versicherungsnehmerin der Klägerin (im Weiteren: Versicherungs-
nehmerin) am 1. Dezember 1998 mit dem Rücktransport eines geophysikali-
schen Feldlabors von Tunis nach Garbsen zu fixen Kosten beauftragt worden
war, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versicherungsnehme-
rin auf Ersatz eines Transportschadens in Anspruch.
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Das in einen 30-Fuß-Spezialcontainer eingebaute Feldlabor wurde auf-
grund des Transportauftrags auf dem Seeweg von Tunis nach Genua befördert,
wo es am 9. Dezember 1998 eintraf und von der Streithelferin am 11. Dezem-
ber 1998 zum Rücktransport per Lkw nach Garbsen übernommen wurde. Der
Container wies bei seinem Wiedereintreffen auf dem Betriebsgelände der Ver-
sicherungsnehmerin am 14. Dezember 1998 bereits äußerlich gut sichtbare
Schäden auf; seine Inneneinrichtung war weitgehend zerstört.
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Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Schadensort unbekannt sei
und die Beklagte daher für den Schaden nach dem für die Klägerin günstigsten
Haftungsregime einzustehen habe. Haftungsbegrenzungen kämen der Beklag-
ten nicht zugute, weil wegen der Vielfalt denkbarer Geschehensabläufe keine
zureichenden Anknüpfungspunkte für die Prüfung des Verschuldensgrades vor-
lägen. Die Höhe des an dem Feldlabor entstandenen Schadens hat die Klägerin
auf 255.562 DM beziffert und mit der Klage die Bezahlung dieses Betrags sowie
der Kosten der Begutachtung in Höhe von 2.944,01 DM nebst Zinsen verlangt.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsen
stattgegeben, das Berufungsgericht sie bis auf einen - von der Beklagten mit
der Berufung nicht angegriffenen - Betrag von 22.144,50 € (= 43.310,88 DM)
abgewiesen (OLG Celle TranspR 2003, 253).
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Mit ihrer (vom Senat zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihren
in der Berufung erfolglosen Klageantrag in Höhe von 110.027,52 € nebst Zinsen
weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
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Der Klägerin stehe über den die begrenzte Haftung nach Seefrachtrecht
ausfüllenden Teil der landgerichtlichen Entscheidung, der unangegriffen geblie-
ben sei, hinaus kein weiterer Anspruch zu. Gemäß der Vermutung des Art. 28
Abs. 4 EGBGB sei davon auszugehen, dass der zugrunde liegende Güterbe-
förderungsvertrag die engsten Beziehungen zu Deutschland aufweise und da-
her das deutsche materielle Recht anzuwenden sei. Die danach gemäß
§§ 453 ff. HGB für speditionelles Verschulden und, da die Beklagte die Besor-
gung des Transports zu fixen Kosten übernommen habe, zudem nach den
frachtrechtlichen Bestimmungen bestehende Haftung werde allerdings durch
§ 452 HGB überlagert, da es sich um einen multimodalen Transport zur See
und auf der Straße gehandelt habe.
Die Beklagte hafte danach nach Seehandelsrecht. Sie habe bewiesen,
dass der Schaden an dem Container im Rahmen des Rücktransports schon vor
dem Verladen auf den Lkw und damit auf der Seestrecke, zu der neben dem
Löschen auch etwaige Ein- und Umlagerungen im Hafenbereich rechneten,
eingetreten sei. Die Klägerin habe nicht dargetan, dass die für eine unbe-
schränkte Haftung erforderlichen erhöhten subjektiven Voraussetzungen erfüllt
gewesen seien. Ebensowenig bestünden Anhaltspunkte für eine verschärfte
Haftung der Beklagten wegen Verletzung ihrer speditionellen Pflichten.
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II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, für die Anwend-
barkeit des deutschen Rechts spreche angesichts dessen, dass sowohl die
Versicherungsnehmerin als auch die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hätten
und sich dort auch der Entladeort befunden habe, die durch die übrigen Um-
stände nicht entkräftete Vermutung des Art. 28 Abs. 4 EGBGB (vgl. Herber,
TranspR 2005, 59, 61 f.). Im Übrigen spricht danach auch nichts dagegen, dass
der Vertrag die engsten Verbindungen mit Deutschland aufweist und schon aus
diesem Grund gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB dem deutschen Recht un-
terliegt.
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2. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass sich die
Haftung der Beklagten für den eingetretenen Transportschaden nach den Be-
stimmungen über die Seefracht richtet.
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a) Das Berufungsgericht hat es aufgrund der Einvernahme des Zeugen
L. , der als Fahrer der Streithelferin den Rücktransport mit dem Lkw durchge-
führt hat, und unter Berücksichtigung weiterer Indizien als erwiesen angesehen,
dass der Schaden an dem Container bereits eingetreten war, als dieser auf
dem Rücktransport in Genua auf den Lkw verladen wurde. Diese Beurteilung
wird von der Revision nicht angegriffen.
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b) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Seestre-
cke in Genua erst mit dem Verladen des Containers auf den Lkw geendet hat.
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Die Frage, ob der Warenumschlag in einem Seehafen-Terminal eine ei-
genständige Teilstrecke i.S. des § 452 Satz 1 HGB darstellt, ist gesetzlich nicht
geregelt. Ihre Behandlung ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wie
auch im Schrifttum umstritten (die Frage für den Fall, dass die Umladephase
wegen ihres besonderen Aufwands eigenes Gewicht besitzt, im Anschluss an
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Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 452 HGB Rdn. 15 und Fremuth in: Fremuth/
Thume, Transportrecht, §
452a HGB Rdn.
20; bejahend OLG Hamburg
TranspR 2004, 402, 403 f. = VersR 2005, 428; zustimmend Herber, TranspR
2004, 404, 405 und TranspR 2005, 59, 60 f.; die Frage wie das Berufungsge-
richt verneinend dagegen Drews, TranspR 2004, 450, 451-453 und Bartels,
TranspR 2005, 203, 204-206). Sie ist zumindest für diejenigen Fälle zu vernei-
nen, in denen - wie im Streitfall - in dieser Hinsicht keine besonderen Umstände
gegeben sind.
Hierfür spricht zunächst einmal schon die vom Berufungsgericht ange-
stellte Erwägung, dass das Ausladen vom Schiff und die Lagerung und etwaige
Umlagerung im Hafengelände gerade charakteristisch für einen Seetransport
mit bzw. in Containern sind und eine dementsprechend enge Verbindung zur
Seestrecke aufweisen. Außerdem führte die gegenteilige Auffassung zu einer
weitgehenden Ausschaltung der haftungsrechtlichen Vorschriften des Seehan-
delsrechts. Eine Kontrolle des Containers und zumal seines Inhalts erfolgt re-
gelmäßig nicht beim Entladen aus dem Schiff, sondern frühestens zu dem Zeit-
punkt, zu dem der Container aus dem Terminal entfernt werden soll; zu diesem
Zeitpunkt aber wird sich vielfach nicht mehr feststellen lassen, ob ein festge-
stellter Schaden auf dem Schiff oder auf dem Gelände des Terminals eingetre-
ten ist (Drews, TranspR 2004, 450 f.). Es kommt hinzu, dass der Verfrachter
beim Seefrachtvertrag gemäß § 606 Satz 2 HGB die Ablieferung des Gutes
schuldet und dazu regelmäßig dessen Besitz mit Zustimmung des legitimierten
Empfängers aufgeben und diesen in den Stand versetzen muss, den Besitz
über das Gut auszuüben (BGHZ 44, 303, 306 f.); diese Voraussetzung ist je-
doch regelmäßig nicht schon mit dem Löschen der Ladung erfüllt (vgl. Rabe,
Seehandelsrecht, 4. Aufl., § 606 HGB Rdn. 30-33; Drews, TranspR 2004, 450,
452).
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3. Das Berufungsgericht hat auch ohne Rechtsfehler angenommen, dass
die Beklagte nicht gemäß § 660 Abs. 3 HGB unbeschränkt haftet.
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a) Der Grundsatz, dass die beim Anspruchsteller liegende Darlegungs-
und Beweislast für die besonderen Voraussetzungen der unbeschränkten Haf-
tung des Spediteurs dadurch gemildert wird, dass dieser nach Treu und Glau-
ben (§ 242 BGB) wegen des unterschiedlichen Informationsstandes der Ver-
tragsparteien zu den näheren Umständen aus seinem Betriebsbereich soweit
möglich und zumutbar eingehend vorzutragen hat (vgl. BGHZ 127, 275, 283 f.;
129, 345, 349 f.; BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 469;
Urt. v. 25.11.2004 - I ZR 210/01, BGH-Rep 2005, 711, 712), gilt auch im Rah-
men des § 660 Abs. 3 HGB (vgl. Herber, Seehandelsrecht, § 31 IV 4, S. 333 f.;
Rabe aaO § 660 Rdn. 27).
b) Dieser für Verlustfälle entwickelte Grundsatz kann allerdings nicht oh-
ne weiteres auf diejenigen Fälle übertragen werden, in denen das beförderte
Gut auf dem Transport beschädigt wurde. Soweit in dieser Hinsicht ein Organi-
sationsverschulden des Spediteurs in Rede steht, bleibt es grundsätzlich dabei,
dass der Anspruchsteller die tatsächlichen Voraussetzungen der den Anspruch
begründenden Bestimmung und daher insbesondere das Vorliegen einer für
den Schaden ursächlich gewordenen Pflichtverletzung darzulegen und gegebe-
nenfalls zu beweisen hat (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.2001 - I ZR 182/99, TranspR
2002, 302, 305 = VersR 2003, 1007; Urt. v. 9.10.2003 - I ZR 275/00, TranspR
2004, 175, 176). Abweichendes gilt dann, wenn der an dem Frachtgut eingetre-
tene Schaden auf einer unzureichenden Sicherung des Transportgutes beruht
(vgl. BGH, Urt. v. 8.5.2002 - I ZR 34/00, TranspR 2002, 408, 409 = VersR 2003,
395). Anhaltspunkte für einen Verladungsfehler sind nicht dargetan.
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c) Die Beklagte hätte danach eine Darlegungs- und Beweislast hinsicht-
lich ihres Betriebsbereichs getroffen, wenn der Schaden nach dem Vortrag der
Klägerin auf einem der Beklagten gemäß § 487d HGB analog zuzurechnenden
qualifizierten Verschulden ihres Geschäftsführers bei der Verladung des Feldla-
bors beruhte. Nach den - insoweit unangegriffen gebliebenen - Feststellungen
des Berufungsgerichts ist jedoch dazu, wie der Schaden im Einzelnen eingetre-
ten ist, nichts vorgetragen worden und lässt auch das Schadensbild keinen
Rückschluss auf den für den Schadenseintritt ursächlichen Sorgfaltsmangel zu.
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III. Danach war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97
Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Ullmann
v.
Ungern-Sternberg Bornkamm
Pokrant
Schaffert
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 18.10.2000 - 22 O 4990/99 -
OLG Celle, Entscheidung vom 24.10.2002 - 11 U 281/00 -