Urteil des BGH vom 29.11.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 445/01
Verkündet am:
29. November 2002
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
EGBGB Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2
a) Der Anspruch auf Herausgabe des Verkaufserlöses nach Art. 233 § 16 Abs. 2
Satz 2 EGBGB ist inhaltlich ein Anspruch auf Herausgabe des für die unmöglich
gewordene Auflassung erhaltenen Ersatzes nach § 281 Abs. 1 BGB a.F. Ist der
Erlös verbraucht, wird der Schuldner nach § 275 Abs. 1 BGB a.F. frei. Der
Schuldner haftet unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB a.F. auf
Schadensersatz.
b) Der Schuldner, der sich auf die Unmöglichkeit der Herausgabe des erlangten Er-
löses beruft, genügt seiner Darlegungslast, wenn er behauptet, den Erlös ver-
braucht zu haben; er muß nicht darlegen, wofür er das Geld im einzelnen ver-
wendet hat.
BGH, Urt. v. 29. November 2002 - V ZR 445/01 - OLG Dresden
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LG Leipzig
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. November 2002 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel und die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und
Dr. Schmidt-Räntsch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird - unter Zurückweisung der
Anschlußrevision des Klägers - das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 28. November 2001 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Am 15. März 1990 waren W. O. (im folgenden: Erblasser) und
die Beklagte zu 1 in ehelicher Vermögensgemeinschaft als Eigentümer mehre-
rer landwirtschaftlich genutzter Grundstücke im Grundbuch von B. ein-
getragen. Die Grundstücke stammen aus der Bodenreform und trugen im
Grundbuch den entsprechenden Sperrvermerk.
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Der Erblasser verstarb am 26. November 1988 und wurde von der Be-
klagten zu 1 und von seinem Sohn, dem Beklagten zu 2, je zur Hälfte beerbt.
Die Beklagten sind nicht zuteilungsfähig im Sinne der Besitzwechselverord-
nung.
Mit notariellem Vertrag vom 20. September 1990 veräußerten die Be-
klagten die Grundstücke für 23.161,80 DM an eine LPG, die am 15. September
1992 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen wurde. Den Kaufpreis
erhielten die Beklagten gemeinschaftlich ausgezahlt.
Das klagende Land (Kläger) macht hinsichtlich des ursprünglich dem
Erblasser gehörenden Anteils an den Grundstücken einen Anspruch auf Her-
ausgabe des (anteiligen) Verkaufserlöses geltend. Seine auf Zahlung von
11.580,90 DM nebst Zinsen gerichtete Klage hat in den Tatsacheninstanzen
Erfolg gehabt, wobei das Oberlandesgericht die Beklagten gemeinschaftlich
zur Zahlung verurteilt hat. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgen die Be-
klagten ihren Klageabweisungsantrag unter Hinweis auf ihren Vortrag, den
Kaufpreis zur Deckung der allgemeinen Lebenskosten verbraucht zu haben,
weiter. Der Kläger verlangt mit der Anschlußrevision eine Verurteilung der Be-
klagten als Gesamtschuldner und beantragt im übrigen die Zurückweisung des
Rechtsmittels der Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält den geltend gemachten Anspruch auf Her-
ausgabe des hälftigen erlangten Verkaufserlöses nach Art. 233 § 16 Abs. 2
Satz 2 EGBGB für begründet. Soweit sich die Beklagten darauf berufen hätten,
den Verkaufserlös verbraucht zu haben, sei dies als lediglich pauschale Be-
hauptung prozessual unbeachtlich (§ 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Die Verpflich-
tung der Beklagten sei eine gemeinschaftlich zu erbringende Leistung, keine
Gesamtschuld nach § 431 BGB. Die ursprüngliche Verpflichtung, das Grund-
stück an den besser Berechtigten aufzulassen, Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1
EGBGB, sei nämlich von den Miteigentümern (Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 2
EGBGB) gemeinschaftlich zu erfüllen. Nicht anders sei dann die Verpflichtung
zur Herausgabe des Surrogates zu beurteilen.
II.
Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten den Angriffen der Re-
vision der Beklagten stand.
1. Die Revision ist ohne Einschränkungen zulässig. Entgegen der Auf-
fassung der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht die Zulassung nicht
auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob der Anspruch auf Erlösherausgabe
nach Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB eine gesamtschuldnerische oder eine
gemeinschaftlich zu erfüllende Verpflichtung darstellt. Zwar kann die Zulassung
der Revision auf rechtlich oder tatsächlich selbständige Teile des Streitstoffs,
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über die gesondert entschieden werden kann, beschränkt werden (Senat,
BGHZ 111, 158, 166 m.w.N.). Es genügt auch, wenn sich eine solche Be-
schränkung zweifelsfrei aus den Entscheidungsgründen ergibt (BGH, Urt. v.
25. Februar 1993, III ZR 9/92, NJW 1993, 1799; Urt. v. 25. April 1995, VI ZR
272/94, NJW 1995, 1755, 1756; Senat, BGHZ 141, 232, 233 f). Davon ist hier
jedoch nicht auszugehen. Das Berufungsgericht hat weder im Tenor noch in
der Begründung zum Ausdruck gebracht, daß es die Revision nur beschränkt
zulassen wolle. Es hat vielmehr die - unbeschränkte - Zulassung damit begrün-
det, daß eine bestimmte Rechtsfrage, nämlich die Frage der Haftung mehrerer
Schuldner, ungeklärt sei. Eine Beschränkung auf diese Frage wäre auch recht-
lich gar nicht möglich gewesen. Sie stellt keinen selbständigen Teil des Streit-
stoffs dar, über den gesondert entschieden werden könnte. Es geht bei der
Frage, ob die Beklagten als Gesamtschuldner oder als gemeinschaftliche
Schuldner haften, nicht um die Höhe des Anspruchs, wie die Revisionserwide-
rung meint. Die Frage, in welcher Weise mehrere Schuldner haften, gehört
vielmehr zum Grund des Anspruchs. Denn sie bestimmt den Inhalt der Ver-
pflichtung. Ein Gesamtschuldner muß, wenn er darauf in Anspruch genommen
wird, die gesamte Schuld erbringen, ein gemeinschaftlicher Schuldner nur zu-
sammen mit dem oder den anderen gemeinschaftlichen Schuldnern. Über den
Grund des Anspruchs kann aber nur einheitlich entschieden werden; er ist
nicht teilbar im Sinne von § 301 Abs. 1 ZPO (Senat, Urt. v. 21. Februar 1992,
V ZR 253/90, NJW 1992, 1769, 1770 m.w.N.). So könnte nicht die Beklagte
zu 1 als Gesamtschuldnerin und der Beklagte zu 2 als gemeinschaftlicher
Schuldner zur Zahlung verurteilt werden. Dann aber fehlt es an einem selb-
ständigen Teil des Streitstoffs, auf den eine Revision oder deren Zulassung
beschränkt werden könnte.
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2. Nicht zu beanstanden ist der Ansatz des Berufungsgerichts, den an
sich auch die Revision nicht in Frage stellt. Da die Beklagten nicht zuteilungs-
fähig waren, waren sie nach den durch das 2. Vermögensrechtsänderungsge-
setz eingeführten Vorschriften zur Abwicklung der Bodenreform, hier nach
Art. 233 § 11 Abs. 3, § 12 Abs. 2 Nr. 2 c EGBGB, an sich zur unentgeltlichen
Auflassung des Miteigentumsanteils des Erblassers an den Kläger verpflichtet.
Da sie die Grundstücke indes wirksam, als Berechtigte, an einen Dritten ver-
äußert haben, ist an die Stelle der unmöglich gewordenen Übertragung nach
Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB der Anspruch auf Erlösauskehr getreten
(vgl. nur Senat, Urt. v. 5. Dezember 1997, V ZR 179/96, VIZ 1998, 150 f; Urt. v.
28. Januar 2000, V ZR 78/99, VIZ 2000, 233; Urt. v. 26. Mai 2000, V ZR 60/99,
VIZ 2000, 613).
Soweit die Revision geltend macht, die Vorschriften des Art. 233 §§ 11 ff
EGBGB seien verfassungswidrig, verweist der Senat auf seine ständige Recht-
sprechung, an der er festhält (BGHZ 140, 223, 231 ff; Urt. v. 20. Oktober 2000,
V ZR 194/99, WM 2001, 212 f; Urt. v. 22. März 2002, V ZR 192/01, VIZ 2002,
483 f).
3. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts,
die Beklagten hätten nicht hinreichend substantiiert dargetan, daß ihnen die
Herausgabe des Erlöses unmöglich geworden sei.
Inhaltlich handelt es sich bei dem Anspruch auf Erlösauskehr nach
Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB um einen solchen auf Herausgabe des für
die unmöglich gewordene Auflassung erhaltenen Ersatzes nach § 281 Abs. 1
BGB a.F. (Senat, Urt. v. 17. Dezember 1998, V ZR 341/97, WM 1999, 453,
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454 f). Dieser Anspruch ist nicht auf Zahlung gerichtet mit der Folge, daß der
Schuldner hierfür nach § 279 BGB a.F. schlechthin einzustehen hätte (Senat
aaO S. 456). Vielmehr wird er von der Verpflichtung zur Herausgabe des er-
langten Surrogates, auch wenn es sich dabei um einen Kaufvertragserlös han-
delt, nach § 275 Abs. 1 BGB a.F. frei, wenn er zur Herausgabe außerstande
ist, weil er das erhaltene Geld verbraucht hat (Senat aaO S. 455 f; vgl. auch
Senat, BGHZ 143, 373, 378).
Hierauf haben sich die dafür darlegungs- und beweispflichtigen Beklag-
ten berufen. Ihr Sachvortrag dazu läßt die erforderliche Substanz nicht vermis-
sen und konnte daher nicht als prozessual unbeachtlich außer acht gelassen
werden. Schon der Umstand, daß ein erlangter Erlös verbraucht oder auch nur
mit eigenem Geld ununterscheidbar vermischt worden ist, macht die Erfüllung
des Anspruchs auf Herausgabe des Erlangten unmöglich; zu einer Zahlungs-
pflicht kommt man in solchen Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 280
Abs. 1 BGB a.F. (vgl. Senat, Urt. v. 5. Dezember 1997, V ZR 179/96, WM
1998, 408, 409; Urt. v. 17. Dezember 1998, V ZR 341/97, WM 1999, 453,
455 f; Staudinger/Löwisch, BGB
[
2001], § 281 Rdn. 41). Es reicht daher, daß
dieser Umstand vorgetragen wird. Es braucht nicht zusätzlich vorgetragen zu
werden, für welche Anschaffungen oder Leistungen der Erlös verbraucht wur-
de. Denn ein Anspruch auf Herausgabe dessen, was die Beklagten für das
Surrogat erlangt haben, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
Soweit der geltend gemachte Anspruch auf § 280 Abs. 1 BGB a.F. we-
gen zu vertretender Unmöglichkeit der Erlösherausgabe gestützt wird, kommt
dem Kläger allerdings § 282 BGB a.F. zugute (Senat, Urt. v. 17. Dezember
1998, V ZR 341/97, WM 1999, 453, 456). Die Beklagten haben die Unmöglich-
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keit nur dann nicht zu vertreten, wenn sie das Geld zu einem Zeitpunkt ver-
braucht haben, in dem sie mit einer Erlösauskehr noch nicht zu rechnen
brauchten. Wann das der Fall war, unterliegt der Beurteilung durch den Tat-
richter. Dabei kann dem Grundstückseigentümer die Unkenntnis der durch das
Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz begründeten Ansprüche nicht ohne
weiteres vorgeworfen werden (Senat aaO). Der Verfügung standen im konkre-
ten Fall keinerlei Hindernisse entgegen, und für den Laien mußte es sich nicht
aufdrängen, daß der Gesetzgeber eine Erlösherausgabepflicht statuieren
könnte. Der Kläger hat Ansprüche erst 1999 geltend gemacht.
III.
Das angefochtene Urteil unterliegt daher der Aufhebung und Zurückver-
weisung (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO a.F.). Das Berufungsgericht geht
wohl, wie die protokollierten Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom
17. Oktober 2001 ergeben und wofür auch spricht, daß den Beklagten Prozeß-
kostenhilfe zu bewilligen war, davon aus, daß der Verkaufserlös verbraucht
wurde. Das läge im Rahmen tatrichterlicher Würdigung. Wegen einer mögli-
chen Zahlungsverpflichtung nach § 280 Abs. 1 BGB a.F. wird es dann zu klä-
ren haben, wann der Erlös von den Beklagten verbraucht worden ist und ob die
damit verbundene Unmöglichkeit der Herausgabe von ihnen zu vertreten ist,
wobei es Sache der Beklagten ist, zum Zeitpunkt des Verbrauchs des Geldes
nähere Angaben zu machen. Zur Sachverhaltsklärung ist ferner eine Anord-
nung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erwägen. Im Falle der Beweisbedürftig-
keit kann an eine Maßnahme nach § 448 ZPO gedacht werden. Hält das Be-
rufungsgericht hingegen angesichts des Bestreitens des Klägers schon den
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Umstand des Verbrauchs selbst für klärungsbedürftig, so kommen Maßnahmen
nach §§ 141 Abs. 1 Satz 1, 448 ZPO auch insoweit in Betracht. Zur Sachver-
haltsaufklärung (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) könnte auch die Vorlage von Konto-
auszügen der Konten der Beklagten dienen, deren Richtigkeit unter Beweis
gestellt werden kann.
IV.
Die Anschlußrevision bleibt ohne Erfolg.
Geht man - freilich nicht lebensnah - davon aus, daß der Erlös ungeteilt
vorhanden ist, so ist die Annahme, die Herausgabepflicht sei gemeinschaftlich
zu erfüllen, rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Senat, Urt. v. 17. Dezember
1998, V ZR 341/97, WM 1999, 453, 455).
Etwas anderes gilt - aber das hat das Berufungsgericht nicht festge-
stellt -, wenn der Erlös aufgeteilt worden ist. Dann besteht freilich auch keine
gesamtschuldnerische Haftung, sondern - wie die Anschlußrevision letztlich
nicht verkennt - eine Haftung auf den erhaltenen Erlösanteil.
Eine gesamtschuldnerische Haftung kommt nur in Betracht, wenn ein
Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB a.F. wegen von beiden Beklagten zu vertre-
tender Unmöglichkeit der Herausgabe besteht. Denn dann steht der einheitli-
che Schuldgrund der zu vertretenden Leistungsstörung im Vordergrund; die
Mitberechtigung nach §§ 741 ff BGB ist für die Erfüllung der Schadensersatz-
verpflichtung nicht mehr maßgeblich. Zu einer anteiligen Haftung kann es aber
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auch hier kommen, wenn nämlich durch vorherige Aufteilung des Erlöses eine
anteilige Herausgabepflicht bestand. Insofern kann dann jeder Schuldner auch
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nur anteilig zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er die Unmöglichkeit
der Herausgabe seines Anteils zu vertreten hat.
Wenzel
Krüger
Klein
Gaier
Schmidt-Räntsch