Urteil des BGH vom 20.12.2011
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 17/11
vom
20. Dezember 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
a) Die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines Privat-
gutachtens hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich
vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sach-
dienlich ansehen durfte.
b) Die Erstattungsfähigkeit solcher Kosten setzt nicht zusätzlich voraus, dass das
Privatgutachten im Rahmen einer ex-post-Betrachtung tatsächlich die Entschei-
dung des Gerichts beeinflusst hat.
BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - VI ZB 17/11 - LG Frankenthal (Pfalz)
AG Neustadt a.d. Weinstraße
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner, Pauge und Stöhr und die
Richterin von Pentz
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der
1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom
21. Februar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 3.932,60 €
Gründe:
I.
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Erstattung
der Kosten eines von den Beklagten im Verlaufe des Rechtsstreits eingeholten
Privatgutachtens nebst dessen Ergänzung in Höhe von insgesamt 3.932,60
€.
Im zugrundeliegenden Rechtsstreit über eine Schadensersatzforderung
des Klägers aus einem Verkehrsunfall in Höhe von insgesamt 1.245,31
€ ging
es um die entscheidungserhebliche Frage, ob die vom Kläger geltend gemach-
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ten Schäden an seinem Fahrzeug auf einen Zusammenstoß mit dem von der
Beklagten zu 1 gefahrenen und bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherten
Fahrzeug des Beklagten zu 2 zurückzuführen sind.
Das aufgrund eines Beweisbeschlusses des Amtsgerichts eingeholte
Gutachten des Gerichtssachverständigen vom 31. Juli 2007 gelangte zu dem
Ergebnis, die tendenziell frontseitig und im Eckumfassungsbereich am rechten
äußeren Vorderstoßfänger des Honda CRV (Fahrzeug des Beklagten zu 2) be-
findlichen Beschädigungen seien einem "Streifen im Anprallkontakt" mit der lin-
ken Heckseite des Fiat Punto (Fahrzeug des Klägers) "ohne weiteres zuzuord-
nen". Aus kraftfahrttechnischer Sicht sei "auszuschließen", dass die Gesamtheit
der dokumentierten Beschädigungen am Beklagtenfahrzeug allein aus der Kol-
lision mit der Straßenlaterne hervorgegangen sei. Nachdem der erstinstanzliche
Richter in dem Beschluss vom 11. Oktober 2007 ausgeführt hatte, es sei nicht
ersichtlich, dass der Gerichtssachverständige "bei der Beantwortung der Be-
weisfragen zentrale Aspekte in Hinsicht auf die jeweiligen Höhenlagen der je-
weiligen Beschädigungen zu Lasten der Beklagten außer Acht gelassen hätte",
beauftragten die Beklagten einen Privatsachverständigen mit einer gutachterli-
chen Stellungnahme. In seinem Gutachten vom 5. Dezember 2007, das die Be-
klagten zu den Akten reichten, gelangte der Privatsachverständige zu dem Er-
gebnis, dass der Schaden an der vorderen rechten Ecke des Honda CRV mit
dem Schaden im linken Heckbereich des Fiat Punto nicht kompatibel sei. Das
Amtsgericht gab der Klage nach Anhörung des Beklagten und des Gerichts-
sachverständigen statt.
Im Berufungsverfahren hat das Landgericht einen Beweisbeschluss er-
lassen, wonach der gerichtliche Sachverständige sein Gutachten im Termin zur
mündlichen Verhandlung erläutern und zu dem seitens der Beklagten vorgeleg-
ten Privatgutachten Stellung nehmen solle. Im Termin zur mündlichen Verhand-
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lung und Beweisaufnahme vom 14. Januar 2009 vor der Berufungskammer
nahm der Gerichtssachverständige u.a. Stellung zu dem Privatgutachten, wobei
er auf einem mitgebrachten Laptop eine Simulation präsentierte, die ihn zu der
Aussage veranlasste, dass die vom Privatsachverständigen in seinem Gutach-
ten vom 5. Dezember 2007 mittels Ablaufanalysen nachgewiesene Variante,
wonach auch die zweite Anstoßstelle am Honda CRV aus der Kollision mit der
Laterne resultiere, physikalisch unmöglich sei. Das Berufungsgericht räumte
den Parteien sodann die Möglichkeit ein, bis 4. Februar 2009 zu dem Ergebnis
der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Daraufhin haben die Beklagten ein
ergänzendes Gutachten des Privatsachverständigen vom 9. Februar 2009 vor-
gelegt, in welchem dieser zu den Ausführungen des Gerichtssachverständigen
im Verhandlungstermin vom 14. Januar 2009 Stellung bezog. Mit rechtskräfti-
gem Endurteil vom 18. Februar 2009 hat das Berufungsgericht in Abänderung
des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten
des Rechtsstreits auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat das Amtsgericht durch Beschluss
vom 20. Oktober 2009 die den Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.062,58
€
nebst Zinsen festgesetzt. Dabei hat es die durch die Einschaltung des Privat-
sachverständigen in erster Instanz in Höhe von 1.976,83
€ sowie in zweiter In-
stanz in Höhe von 1.955,77
€ entstandenen Kosten nicht berücksichtigt, da die-
se Kosten zum einen in keiner Relation zum Streitwert stünden und zum ande-
ren nicht gemäß § 91 ZPO erstattungsfähig seien.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat das
Landgericht durch Beschluss des Einzelrichters vom 17. Dezember 2009 zu-
rückgewiesen, ohne die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Mit weiterem Be-
schluss vom 6. Januar 2010 hat es der Gegenvorstellung mit dem Ziel der Zu-
lassung der Rechtsbeschwerde nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom
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8. Dezember 2010 - 1 BvR 381/10, NJW 2011, 1276 hat das Bundesverfas-
sungsgericht auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten die Beschwerde-
entscheidung aufgehoben, den Nichtabhilfebeschluss für gegenstandslos er-
klärt und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat
es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Erstattungsfähigkeit von Privatgut-
achten würden in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich
gesehen, so dass die Rechtsbeschwerde sowohl wegen grundsätzlicher Bedeu-
tung der Angelegenheit als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-
chung hätte zugelassen werden müssen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die sofortige Be-
schwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsge-
richts vom 20. Oktober 2009 erneut zurückgewiesen und gegen seine Ent-
scheidung nunmehr die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, eine Erstattung der Kosten
eines Privatgutachtens könne im Rahmen des § 91 ZPO nur dann in Betracht
kommen, wenn das im Rechtsstreit vorgelegte Gutachten den Verlauf des
Rechtsstreits zugunsten der das Privatgutachten vorlegenden Partei beeinflusst
habe. Danach reiche es für die Erstattungsfähigkeit nicht aus, dass das Privat-
gutachten eingeholt werde, um ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu
widerlegen; erstattungsfähig seien diese Kosten des Privatgutachtens nur dann,
wenn der Rechtsstreit durch die Vorlage des Gutachtens nachweislich geför-
dert, insbesondere der Verlauf des Rechtsstreits zugunsten der vorlegenden
Partei beeinflusst worden sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Der
erstinstanzliche Richter habe mitgeteilt, dass für seine Entscheidung das in die-
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ser Instanz vorgelegte Privatgutachten keine Bedeutung gehabt habe. Dies
werde im Übrigen auch daraus erkennbar, dass es keinen Eingang in die Ur-
teilsgründe gefunden habe. Das im Berufungsverfahren eingeholte Privatgut-
achten sei von der Kammer nicht berücksichtigt worden. Es sei mit einem
nachgelassenen Schriftsatz nach dem Verhandlungs- und Beweisaufnahme-
termin vom 14. Januar 2009 vorgelegt worden. Die Kammer habe dieses Gut-
achten in keiner Weise berücksichtigt, sondern stattdessen im Verkündungs-
termin vom 18. Februar 2009 das klageabweisende Urteil verkündet. Dieses sei
durch die Privatgutachten in keiner Weise beeinflusst worden, sondern habe
maßgeblich darauf beruht, dass auch der Gerichtssachverständige einen positi-
ven Nachweis dafür, dass sich die Fahrzeuge der Parteien berührt hätten, nicht
habe führen können. Weiterhin beruhe die Berufungsentscheidung auf der
Würdigung von Zeugenaussagen, nach denen eine Berührung wenig wahr-
scheinlich sei, jedenfalls aber nicht nachgewiesen werden könne.
2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO)
und auch im Übrigen zulässig (§ 575, § 577 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie hat auch in
der Sache Erfolg. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Gutachten des
Privatsachverständigen der Beklagten kann mit der vom Beschwerdegericht
gegebenen Begründung nicht verneint werden.
a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten
des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kos-
ten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendig waren. Dazu können nach der ständigen Recht-
sprechung des erkennenden Senats auch die Kosten für die Einholung eines
Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbe-
zogen sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02,
BGHZ 153, 235 f.; vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05, VersR 2006, 1236 Rn. 6;
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vom 4. März 2008 - VI ZB 72/06, VersR 2008, 801 Rn. 6 und vom
18. November 2008 - VI ZB 24/08, VersR 2009, 563 Rn. 6). Dies ist hier der
Fall, denn das Privatgutachten und seine Ergänzung sind von den Beklagten
mit Rücksicht auf den laufenden Prozess in Auftrag gegeben worden.
b) Ob für die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines im
Verlaufe eines Prozesses eingeholten Privatsachverständigengutachtens zu
verlangen ist, dass das im Rechtsstreit vorgelegte Gutachten den Verlauf des
Rechtsstreits zugunsten der das Privatgutachten vorlegenden Partei beeinflusst
hat, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Nach einer Auffas-
sung (vgl. etwa OLG Bamberg, JurBüro 1990, 732; OLG Frankfurt am Main,
JurBüro 1984, 1083, 1084) reicht es für die Erstattungsfähigkeit nicht aus, dass
das Privatgutachten eingeholt worden ist, um ein gerichtliches Sachverständi-
gengutachten zu widerlegen; erstattungsfähig sollen diese Kosten des Privat-
gutachtens nur dann sein, wenn der Rechtsstreit durch die Vorlage des Gutach-
tens nachweislich gefördert worden sei, insbesondere der Verlauf des Rechts-
streits zugunsten der vorlegenden Partei beeinflusst worden ist. Nach anderer
- wohl überwiegender - Auffassung ist eine Beeinflussung des Prozesses nicht
Voraussetzung dafür, dass Privatsachverständigenkosten erstattungsfähig sind
(vgl. etwa OLG Hamm, Rpfleger 2001, 616; OLG Saarbrücken, JurBüro 1988,
1360 f.; OLG Stuttgart, ZEV 2007, 536). Die letztgenannte Auffassung ist rich-
tig.
c) Der Gesetzeswortlaut des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gibt keine Anhalts-
punkte für die von der Gegenmeinung geforderte zusätzliche Voraussetzung für
die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens.
Vielmehr sind auch diese Kosten der obsiegenden Partei zu erstatten, wenn sie
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwen-
dig waren. Die Beurteilung dieser Frage hat sich daran auszurichten, ob eine
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verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösen-
de Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte; dabei darf die Partei die
zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (vgl.
Senat, Beschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05, aaO Rn. 10; BGH, Beschluss
vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220 Rn. 11). Für die Beurteilung
der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Kosten auslö-
sende Maßnahme veranlasst wurde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. Dezember
2002 - VI ZB 56/02, aaO S. 238 und vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05, aaO
Rn. 10; BGH, Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07, aaO; BPatGE 51,
114, 118). Bereits aus diesem Grund verbietet es sich, die Erstattungsfähigkeit
von Kosten eines Privatgutachtens zusätzlich - wie von dem Beschwerdegericht
für richtig gehalten - im Rahmen einer ex-post-Betrachtung davon abhängig zu
machen, ob das Privatgutachten tatsächlich die Entscheidungsfindung des Ge-
richts beeinflusst hat.
Der erkennende Senat hat die Frage, ob eine verständige und wirtschaft-
lich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als
sachdienlich ansehen durfte, insbesondere in Fällen bejaht, in denen die Partei
infolge fehlender Sachkenntnisse ohne die Einholung des Privatgutachtens
nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war (vgl. Senat, Beschlüsse
vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02, aaO S. 238 mwN und vom 23. Mai
2006 - VI ZB 7/05, aaO Rn. 10). Hierzu gehören auch Fälle, in denen die Partei
ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachver-
ständigengutachten nicht zu erschüttern vermag (vgl. OLG Köln OLGR 2009,
527; KG KGR 2008, 487; OLG Koblenz Rpfleger 91, 388; OLG Schleswig
VersR 91, 117; OLG Saarbrücken JurBüro 88, 1360). Daneben können bei der
Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten des Privatgutachtens weitere
Gesichtspunkte eine Rolle spielen wie etwa dessen voraussichtliche Eignung
zur Rechtsverfolgung oder
–verteidigung und deren Erfolgsaussichten, insbe-
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sondere unter Berücksichtigung vorhandener Anknüpfungstatsachen, sowie die
Möglichkeit, den Prozesserfolg mit anderen Darlegungs- und Beweismitteln zu
fördern. Letztlich dürfen im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung aus
der ex-ante-Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden
Partei auch die Kosten des Privatgutachtens nicht völlig außer Betracht bleiben,
wenn auch die Partei grundsätzlich die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange
erforderlichen Schritte ergreifen darf (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2006
- VI ZB 7/05, aaO Rn. 10; BGH, Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07,
NJW 2009, 2220 Rn. 11).
d) Nach diesen Grundsätzen kann im Streitfall die Erstattungsfähigkeit
der Kosten für die Einholung des Privatgutachtens nicht mit der vom Beschwer-
degericht aus seiner rechtsfehlerhaften ex-post-Betrachtung gegebenen Be-
gründung verneint werden, das im Rechtsstreit vorgelegte Gutachten habe den
Verlauf des Rechtsstreits zugunsten der das Privatgutachten vorlegenden Par-
tei nicht beeinflusst.
aa) Nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen waren die
Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers denjenigen am Fahrzeug des Be-
klagten zu 2 "ohne weiteres zuzuordnen" und "auszuschließen", dass die Ge-
samtheit der dokumentierten Beschädigungen am Beklagtenfahrzeug allein aus
der Kollision mit der Straßenlaterne hervorgegangen sei. Nachdem der erstin-
stanzliche Richter in seinem Beschluss ausgeführt hatte, es sei nicht ersicht-
lich, dass der Gerichtssachverständige "bei der Beantwortung der Beweisfragen
zentrale Aspekte in Hinsicht auf die jeweiligen Höhenlagen der jeweiligen Be-
schädigungen zu Lasten der Beklagten außer Acht gelassen hätte", mussten
die Beklagten mit einer für sie nachteiligen Entscheidung des Amtsgerichts
rechnen, wenn es ihnen nicht gelang, die Richtigkeit des Gerichtssachverstän-
digengutachtens zu erschüttern oder zu widerlegen. Infolge fehlender Sach-
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kenntnisse waren sie ohne die Einholung des Privatgutachtens hierzu nicht in
der Lage. Das Gutachten des Privatsachverständigen gelangte dann auch zu
dem Ergebnis, dass die Schäden an den Unfallfahrzeugen nicht kompatibel
seien. Der Umstand, dass das Amtsgericht gleichwohl der Klage auf der Grund-
lage des Gutachtens des Gerichtssachverständigen stattgegeben hat, kann
nicht nachträglich die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines aus ex-ante-Sicht
notwendigen Privatsachverständigengutachtens beseitigen.
bb) Auch hinsichtlich der Einholung des Ergänzungsgutachtens des Pri-
vatsachverständigen im Berufungsverfahren hat die Beschwerdekammer bei
der Beurteilung der Sachdienlichkeit rechtsfehlerhaft eine ex-post-Betrachtung
vorgenommen. Die Rechtsbeschwerde macht insoweit mit Recht geltend, dass
der Gerichtssachverständige im Termin eine Simulation präsentiert hat, die ihn
zu der Aussage veranlasste, dass die vom Privatsachverständigen in seinem
Gutachten mittels Ablaufanalyse nachgewiesene Variante, wonach die zweite
Anstoßstelle ebenfalls aus der Kollision mit einer Laterne resultieren könne,
physikalisch unmöglich sei. Auf dieser Grundlage bestand für eine Partei, wel-
che in erster Instanz den Prozess bereits auf der Grundlage des Gerichtssach-
verständigengutachtens verloren hatte, hinreichende Veranlassung, für einen
qualifizierten Parteivortrag in dem vom Berufungsgericht nachgelassenen
Schriftsatz eine ergänzende Stellungnahme ihres Privatsachverständigen ein-
zuholen. Das Beschwerdegericht zeigt keinerlei Anhaltspunkte auf, aus denen
die Beklagten hätten schließen können, dass sich das Berufungsgericht bereits
auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere
aufgrund der Ausführungen des Gerichtssachverständigen, im Gegensatz zum
Amtsgericht keine Überzeugung von der Kompatibilität der Unfallschäden bilden
konnte. Unter diesen Umständen ist es nicht gerechtfertigt, den Beklagten aus
der maßgebenden ex-ante-Sicht die Notwendigkeit zur Einholung einer ergän-
zenden Stellungnahme des Privatgutachters abzusprechen mit der Begrün-
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dung, diese habe später bei der Entscheidungsfindung des Gerichts keine Ver-
wertung gefunden. Dass es untauglich war, ist ebenfalls nicht festgestellt.
Selbst wenn nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen die Com-
putersimulation des Privatgutachters mit einem Vorgängermodell eines beteilig-
ten Kfz durchgeführt worden sein sollte, so ergibt sich daraus nicht notwendi-
gerweise die mangelnde Eignung, eine fehlende Kompatibilität der Schäden an
den Unfallfahrzeugen zu belegen.
3. Das Beschwerdegericht wird im Rahmen seiner erneuten Entschei-
dung die erforderliche Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der vorste-
henden Grundsätze nachzuholen haben. Dabei wird es auch Gelegenheit ha-
ben, die Erforderlichkeit der Höhe der geltend gemachten Kosten für die Einho-
lung der Privatsachverständigengutachten zu überprüfen.
Galke
Wellner
Pauge
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
AG Neustadt a.d. Weinstraße, Entscheidung vom 20.10.2009 - 6 C 606/06 -
LG Frankenthal, Entscheidung vom 21.02.2011 - 1 T 301/10 -
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