Urteil des BGH vom 15.12.2009

BGH (stgb, vereinigung, anwendbarkeit, ausland, lex specialis, geltungsbereich, deutschland, inland, stein, strafbarkeit)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
StB 52/09
vom
15. Dezember 2009
Nachschlagewerk:
ja
BGHSt
ja
Veröffentlichung
ja
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StGB § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB
1. Eine im Ausland außerhalb der Europäischen Union begangene Tat-
handlung im Sinne von § 129 b Abs. 1 Satz 1, § 129 Abs. 1, § 129 a
Abs. 1 bis 5 StGB kann nicht über § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Var. StGB
unter dem Gesichtspunkt zur Anwendbarkeit dieser Strafvorschriften füh-
ren, dass ein eventuell durch die Handlung bewirkter Erfolg (§ 9 Abs. 1
StGB) im Inland eingetreten ist.
2. Der Begriff des Opfers im Sinne des § 129 b Abs. 1 Satz 2 3. Var. StGB
bezieht sich nicht auf die Organisationstaten nach § 129 b Abs. 1 Satz 1,
§§ 129, 129 a StGB, sondern auf die von der Vereinigung in Verfolgung
ihrer Zwecke oder Tätigkeiten begangenen Straftaten.
BGH, Beschl. vom 15. Dezember 2009 - StB 52/09 - Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs
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in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2009 gemäß
§ 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss
des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom
11. November 2009 - 2 BGs 328/09 - wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Staatskasse.
Gründe:
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermitt-
lungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staats-
gefährdenden Gewalttat gemäß § 89 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB. Er legt ihm
zur Last, sich in einem Lager der ausländischen terroristischen Vereinigung "Y"
außerhalb Europas aufzuhalten und sich dort im Umgang mit Schusswaffen und
Sprengstoffen für den bewaffneten Kampf unterweisen zu lassen.
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Mit Beschluss vom 11. November 2009 hat der Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs den Antrag des Generalbundesanwalts, die Telekommuni-
kation, die über den Anschluss des in Deutschland lebenden "X" geführt wird,
zu überwachen und aufzuzeichnen (§ 100 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a
StPO) sowie diesen Anschluss betreffende retrograde Verkehrsdaten zu erhe-
ben (§ 100 g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, §§ 96, 113 a TKG), mit der Begründung
abgelehnt, es lägen weder zureichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Be-
schuldigte mit "X" verfahrensrelevante Telefongespräche führe, noch sei durch
die beantragte Maßnahme eine (weitere) Aufklärung seines Aufenthaltsortes zu
erwarten. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts,
der der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen hat, ist zulässig, jedoch im Ergebnis
nicht begründet.
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1. Nach den bisherigen Ermittlungen liegen (u. a.) zureichende Anhalts-
punkte für folgendes Geschehen vor:
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Der Beschuldigte, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, a-
ber in Deutschland lebte, ... reiste Anfang des Jahres 2009 in das nicht der Eu-
ropäischen Union zugehörige Land "Z". Dort wurde er in ein Ausbildungslager
der "Y"-Vereinigung vermittelt, der er sich später als Mitglied anschloss. Er ist
bislang nicht nach Deutschland zurückgekehrt. (wird weiter ausgeführt)
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2. Es kann dahinstehen, ob durch die vom Generalbundesanwalt bean-
tragten Ermittlungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Erkennt-
nisse zur Aufklärung des dem Beschuldigten angelasteten Verhaltens oder sei-
nes Aufenthaltsorts zu erwarten wären. Keiner näheren Betrachtung bedarf
auch die Frage, ob hinsichtlich des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren
staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89 a Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 StGB
(eingeführt durch das Gesetz zur Verfolgung und Vorbereitung von schweren
staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009, BGBl I 2437 ff.) überhaupt
ausreichende Verdachtsgründe für ein tatbestandsmäßiges Handeln des Be-
schuldigten nach Inkrafttreten dieser Vorschrift am 4. August 2009 vorliegen.
Der Beschuldigte hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Monate in "Z"
auf. In Anbetracht dieses Zeitablaufs erscheint es durchaus nicht fernliegend,
dass sein Aufenthalt bei der terroristischen Vereinigung nach Inkrafttreten des
§ 89 a StGB bereits nicht mehr Ausbildungszwecken diente. (wird weiter ausge-
führt)
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Die Anordnung der beantragten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
kommt jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die bisherigen Erkenntnisse
keine zureichenden Anhaltspunkte dafür bieten, dass das dem Beschuldigten
vorgeworfene Verhalten, der - soweit strafrechtlich relevant - als Ausländer
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ausschließlich im nichteuropäischen Ausland handelte, den für die Anwendbar-
keit deutschen Strafrechts erforderlichen Inlandsbezug im Sinne des § 89 a
Abs. 3 Satz 2 StGB oder - was nach der Verdachtslage mit Blick auf eine mögli-
che Strafbarkeit des Beschuldigten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen
terroristischen Vereinigung gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 1, § 129 a Abs. 1 Nr. 1
StGB ebenfalls in Betracht zu ziehen ist - im Sinne des § 129 b Abs. 1 Satz 2
StGB aufweist. Hierzu gilt im Einzelnen:
Die Ausweitung der Strafbarkeit nach §§ 129, 129 a StGB auf ausländi-
sche kriminelle und terroristische Vereinigungen gemäß § 129 b StGB sowie die
Erstreckung des Anwendungsbereichs der Tatbestände zur Ahndung terroristi-
scher Vorbereitungshandlungen gemäß §§ 89 a, 89 b StGB auf Auslandstaten
(§ 89 a Abs. 3 Satz 1 bzw. § 89 b Abs. 3 Satz 1 StGB) hat den Gesetzgeber
veranlasst, die Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf Taten außerhalb der Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union von spezifischen, den persönlichen und
räumlichen Geltungsbereich der Norm einschränkenden Voraussetzungen ab-
hängig zu machen. Zweck dieser Regelungen ist es, einer uferlosen Ausdeh-
nung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten von Ausländern Grenzen zu
setzen (BTDrucks. 14/8893 S. 8 f.; BRDrucks. 69/09 S. 16; BTDrucks. 16/12428
S. 15 f.).
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Eine Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristi-
schen Vereinigung im nicht der Europäischen Union zugehörigen Ausland er-
fordert gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB, dass entweder die Tat durch eine
im Geltungsbereich des Strafgesetzbuches ausgeübte Tätigkeit begangen wird,
der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder der Täter oder das Opfer sich im
Inland befindet. In Anlehnung an diese Regelung (BRDrucks. aaO; BTDrucks.
16/12428 aaO) setzt § 89 a Abs. 3 Satz 2 StGB für die Anwendbarkeit deut-
schen Strafrechts einen spezifischen Bezug zu Deutschland, seinen Staatsan-
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gehörigen oder der inländischen Wohnbevölkerung in der Weise voraus, dass
die Handlung entweder durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Le-
bensgrundlage im Inland begangen wird oder die vorbereitete schwere staats-
gefährdende Gewalttat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen be-
gangen werden soll. Aus den jeweiligen Gesetzesfassungen wird jedoch nicht
deutlich, ob § 129 Abs. 1 Satz 2 und § 89 a Abs. 3 Satz 2 StGB spezielles und
abschließendes Rechtsanwendungsrecht enthalten mit der Folge, dass die all-
gemeinen, zum Teil übereinstimmenden, zum Teil aber auch abweichenden
allgemeinen Vorschriften des internationalen Strafrechts der §§ 3 bis 7 StGB
nicht anwendbar sind, oder ob - und gegebenenfalls in welchem Umfang - sie
neben die allgemeinen Regeln der §§ 3 ff. StGB treten und diese ergänzen.
a) Die Gesetzesmaterialien zu § 129 b StGB geben zu dieser Frage kei-
nen Aufschluss (BTDrucks. 14/8893 S. 8 f.; zur Entstehungsgeschichte der
Norm: Stein GA 2005, 433, 449 ff.). In der Literatur wird nahezu einhellig die
Auffassung vertreten, dass § 129 b Abs. 1 StGB die Anwendbarkeit der §§ 3 ff.
StGB nicht berührt, sondern lediglich für die im Nicht-EU-Ausland bestehenden
Vereinigungen zusätzliche Voraussetzungen aufstellt (vgl. Krauß in LK 12. Aufl.
§ 129 b Rdn. 8 ff.; Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 b Rdn. 9 und
17 ff.; Fischer, StGB 57. Aufl. § 129 b Rdn. 4; Stein in SK-StGB § 129 b Rdn. 4;
Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27.
Aufl. §
129
b
Rdn. 3, 7; Altvater NStZ 2003, 179, 181; Stein GA 2005, 433, 453 ff.; aA Kress
JA 2005, 220, 226). Zur Begründung dieser Auffassung wird angeführt, dass
sich § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB seinem Wortlaut nach ausschließlich auf Ver-
einigungen in Nicht-EU-Staaten beziehe und deshalb auf Vereinigungen inner-
halb des Gebiets der Europäischen Union nicht anwendbar sei. Für Beteili-
gungshandlungen an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen in Mitglied-
staaten der Europäischen Union gelte daher das allgemeine Strafanwendungs-
recht der §§ 3 ff. StGB, da diese Taten sonst unbegrenzt innerstaatlicher Straf-
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gewalt unterlägen, was mit völkerrechtlichen Grundsätzen zur Rechtsgeltungs-
erstreckung nicht vereinbar sei. Da aber die in § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB auf-
gestellten Geltungsvoraussetzungen für sich betrachtet teilweise großzügiger
seien als diejenigen der §§ 3 ff. StGB - etwa anders als § 7 StGB keine Tatort-
strafbarkeit erforderten -, der Rechtsanwendungsbereich der §§ 129, 129 a
StGB für Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland aber nicht weiter sein könne als
derjenige für Beteiligungshandlungen an Vereinigungen in EU-Staaten, könne
§ 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht im Sinne einer abschließenden, die §§ 3 ff.
StGB verdrängenden Spezialregelung verstanden werden (Stein in SK-StGB
aaO; ders. GA aaO).
Dieser Rechtsauffassung kann jedenfalls nicht uneingeschränkt gefolgt
werden. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei § 129 b StGB insgesamt um
eine den allgemeinen Vorschriften vorgehende Spezialregelung zum Strafan-
wendungsrecht handelt. Bedenken im Hinblick auf eine Anwendung des sich
aus § 7 StGB ergebenden Erfordernisses einer Tatortstrafbarkeit auf Fälle, in
denen der Täter einer Auslandstat im Sinne des § 129 b Abs. 1 StGB Deutscher
ist, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09 -
zum Ausdruck gebracht. Unabhängig hiervon sind jedoch einer kumulativen
Anwendung der allgemeinen Vorschriften der §§ 3 ff. StGB zumindest insoweit
Grenzen gesetzt, als § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB Ausnahmen vom allgemeinen
Rechtsanwendungsrecht enthält und dessen Anwendungsbereich ausdrücklich
einschränkt (vgl. nachfolgend 3. b) aa). Die allgemeinen Regeln der §§ 3 ff.
StGB können daher allenfalls zu einer weiteren Beschränkung, nicht aber zu
einer Erweiterung der spezifischen Geltungsregelung des § 129 b Abs. 1 Satz 2
StGB herangezogen werden. Jedes andere Verständnis einer kumulativen An-
wendung der allgemeinen Vorschriften neben § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB wäre
mit dem Willen des Gesetzgebers, die Anwendbarkeit des deutschen Straf-
rechts auf Beteiligungshandlungen an Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland im
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Vergleich zu Taten im EU-Gebiet strengeren Anforderungen zu unterstellen,
nicht vereinbar.
b) Nichts anderes gilt für § 89 a Abs. 3 StGB. Allerdings hat der Gesetz-
geber zu dieser Regelung - anders als bei § 129 b StGB - in den Gesetzesma-
terialien zum Ausdruck gebracht, dass - unabhängig vom Tatort - eine Ein-
schränkung des spezifischen Strafanwendungsrechts durch das Erfordernis
einer Tatortstrafbarkeit im Sinne des § 7 StGB generell nicht in Betracht kom-
me, da ansonsten die Verfolgung von terroristischen Vorbereitungshandlungen
vor allem im außereuropäischen Ausland aufgrund der dortigen Rechtslage viel-
fach nicht möglich sei (BRDrucks. aaO; BTDrucks. 16/12428 aaO). Ob hieraus
der Schluss zu ziehen ist, dass § 89 a Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB als lex specia-
lis das allgemeine Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB gänzlich verdrängt
(so Heintschel-Heinegg in BeckOK-StGB § 89 a Rdn. 30; Gazeas-Grosse-
Wilde-Kießling NStZ 2009, 593, 599 f.), oder ob nur eine kumulative Anwen-
dung des § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB neben § 89 a Abs. 3 StGB auszu-
scheiden hat, kann hier dahinstehen. Jedenfalls liegt es vor dem Hintergrund
der übereinstimmenden Vorgaben in Art. 9 Abs. 1 (i. V. m. Art. 1 und 3) des
Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 zur
Terrorismusbekämpfung (Abl. EG 2002 Nr. L 164 S. 3) in der Fassung des
Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 28. November
2008 (Abl. EG 2008 Nr. L 330 S. 21) i. V. m. Art. 9 des Protokolls Nr. 36 des
EUV-Lissabon nahe, den Geltungsbereich des § 129 b StGB und des § 89 a
Abs. 3 StGB als identisch anzusehen und insoweit auch die Frage einer kumu-
lativen Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften für beide Vorschriften ein-
heitlich zu beantworten.
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3. Die bisherige Verdachtslage bietet keine ausreichenden Anhaltspunk-
te, dass das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten den in § 89 a Abs. 3
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Satz 2 oder in § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB geforderten spezifischen Inlandsbe-
zug aufweist.
a) Die Ermittlungsergebnisse lassen weder erkennen, dass der Beschul-
digte im Sinne des § 89 a Abs. 3 Satz 2 2. Alt. StGB als Ausländer über eine
Lebensgrundlage im Inland verfügt, noch liegen ausreichende Hinweise dafür
vor, dass sich entsprechend der 5. Alternative der Vorschrift eine vorbereitete
terroristische Gewalttat gegen deutsche Staatsbürger richten sollte.
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Der Begriff der inländischen Lebensgrundlage ist - wie in § 5 Nr. 8
Buchst. a StGB - als die Summe derjenigen Beziehungen zu verstehen, die den
persönlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt im Verhältnis des Menschen zu
seiner Umwelt ausmachen (BRDrucks. aaO S. 17). Für eine diesen Anforde-
rungen genügende Bindung des Beschuldigten an Deutschland gibt es keine
Anhaltspunkte. Vielmehr sprechen alle Umstände dafür, dass der Beschuldigte
mit seiner Ausreise nach "Z" seinen bisherigen Lebensmittelpunkt in Deutsch-
land endgültig aufgab. (wird ausgeführt)
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Die Anwendung deutschen Strafrechts kann auch nicht aus dem in der 5.
Alternative des § 89 a Abs. 3 Satz 2 StGB geregelten passiven Persönlichkeits-
prinzip hergeleitet werden. Das im Ermittlungsverfahren eingeholte Sachver-
ständigengutachten belegt bereits nicht mit der für einen tatsachengestützten
Verdacht (§ 100 a Abs. 1 Nr. 1 StPO) erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass
die "Y"-Vereinigung ihre Terrorakte auch gegen deutsche Staatsangehörige
richtete und zu richten beabsichtigt. (wird ausgeführt)
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b) Der fehlende Inlandsbezug steht auch einer Strafverfolgung des Be-
schuldigten wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroris-
tischen Vereinigung gemäß §§ 129 b, 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB entgegen.
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Zwar liegen ausreichende Hinweise dafür vor, dass sich der Beschuldigte
der "Y"-Vereinigung als Mitglied angeschlossen hat und diese Vereinigung ter-
roristische Ziele verfolgt. Die dem Beschuldigten angelastete Betätigung für die
Vereinigung unterfällt aber nach der bisherigen Verdachtslage ebenfalls nicht
dem Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts, da für die - hier allein in
Betracht kommenden - Rechtsanwendungsregeln der ersten und dritten Fall-
gruppe des § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB keine zureichenden Anhaltspunkte vor-
liegen.
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aa) Nach den bisherigen Erkenntnissen hat der Beschuldigte die ihm an-
gelasteten Beteiligungshandlungen nicht durch eine im Geltungsbereich des
StGB ausgeübte Tätigkeit begangen (§ 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB).
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Der Gesetzgeber greift zwar mit dieser Regelung das an den
Begehungsort anknüpfende Territorialitätsprinzip der §§ 3, 9 StGB auf, be-
stimmt dessen Anwendungsbereich jedoch enger als in den allgemeinen Vor-
schriften. Nach § 9 StGB ist Begehungsort nicht nur der Handlungsort, sondern
auch der Ort, an dem der tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg eingetreten ist.
Für den Teilnehmer ist zusätzlich der Ort der Teilnahmehandlung sowie der Ort,
an dem nach seiner Vorstellung die Haupttat begangen werden sollte, Bege-
hungsort im Sinne des § 9 StGB. Demgegenüber knüpft § 129 b Abs. 1 Satz 2
1. Alt. StGB - in gleicher Weise wie § 91 a StGB (nF) - allein an eine im räumli-
chen Geltungsbereich des StGB ausgeübte Tätigkeit an, sieht also für die An-
wendbarkeit deutschen Strafrechts ausschließlich den Handlungsort als be-
stimmend an und nicht den Erfolg der tatbestandsmäßigen Handlung (Krauß
aaO Rdn. 19 a; Altvater aaO S. 181). Denn mit dem Begriff der Tätigkeit, wie er
in der ersten Fallgruppe des § 129 b StGB Verwendung findet, ist nicht die Tat-
bestandsverwirklichung in ihrer Gesamtheit gemeint, sondern nur die eigene
Verhaltensweise des Täters (ebenso zu § 91 a StGB nF: Fischer aaO § 91 a
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Rdn. 3). § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB enthält deshalb in seiner ersten Alternative
einen ausdrücklichen Ausschluss des Erfolgsorts als Anknüpfungspunkt für eine
Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Nicht-
EU-Ausland. Die Regelung stellt insoweit eine vom Gesetzgeber gewollte Aus-
nahme von § 9 StGB dar und schränkt dessen Anwendungsbereich ein (ebenso
zu § 91 StGB aF: Laufhütte/Kuschel in LK 12. Aufl. § 91 Rdn. 1). Allein diese
Auslegung, die nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Gesetzessystematik
zwingend ist, verleiht der Rechtsanwendungsregel des § 129 b Abs.1 Satz 2
1. Alt. StGB die von der Literatur vermisste eigenständige Bedeutung (vgl. Mie-
bach/Schäfer aaO Rdn. 17). Denn die vom Gesetzgeber gewollte Ausgestal-
tung der ersten Fallgruppe des § 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB als Ausnahmerege-
lung hat zur Folge, dass der Erfolgsort einer Betätigungshandlung im Sinne von
§ 129 b Abs. 1 Satz 1, §§ 129, 129 a StGB - unabhängig von der Frage, ob sich
ein solcher bei dem abstrakten Gefährdungsdelikt überhaupt ausmachen lässt -
abweichend von § 9 Abs. 1 3. Alt. StGB zur Begründung der innerstaatlichen
Strafgewalt nicht herangezogen werden kann (aA Krauß aaO Rdn. 19 b ff.).
Eine Tätigkeit im Sinne von § 129 b Abs. 1 Satz 1, § 129 a Abs. 1 bis 5
StGB hat der Beschuldigte im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbu-
ches nach den bisherigen Erkenntnissen jedoch nicht entfaltet. (wird ausge-
führt)
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bb) Ein Inlandsbezug kann auch nicht aus der dritten Fallgruppe des
§ 129 b Abs. 1 Satz 2 StGB hergeleitet werden.
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Nach dem Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks. 14/8893 S. 9)
wollte der Gesetzgeber mit dieser Rechtsanwendungsregel die Beteiligung an
Vereinigungen erfassen, die Anschläge gegen deutsche Staatsangehörige oder
gegen Ausländer im Inland begangen und dadurch deutsche Interessen im be-
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sonderen Maße beeinträchtigt haben (ebenso Krauß aaO Rdn. 23; Mie-
bach/Schäfer aaO Rdn. 20; Altvater aaO S. 181). Der Begriff des Opfers be-
zieht sich danach nicht auf die Organisationstat, sondern auf die von der Verei-
nigung begangene Ausführungstat. Eine mitgliedschaftliche Betätigung oder
Unterstützung einer Vereinigung im nicht der Europäischen Union zugehörigen
Ausland, die noch keine konkrete Ausführungstat zum Nachteil eines deutschen
Staatsangehörigen begangen hat, wird von der dritten Fallgruppe des § 129 b
Abs. 1 Satz 2 StGB daher nicht erfasst (Krauß aaO).
Anhaltspunkte dafür, dass durch eine terroristische Aktion der "Y"-
Vereinigung deutsche Staatsbürger zu Schaden gekommen sind, ergeben die
bisherigen Ermittlungen indes nicht.
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4. Da auch anderweitige Ansätze für die Anwendbarkeit deutschen Straf-
rechts nicht ersichtlich sind (§ 89 b StGB scheidet aus den dargelegten Grün-
den nach § 89 b Abs. 3 Satz 2 StGB aus und ist im Übrigen ohnehin keine Ka-
talogtat nach § 100 a Abs. 2 StGB), kommt die Anordnung der vom General-
bundesanwalt beantragten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen nicht in Be-
tracht.
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Becker Sost-Scheible Mayer