Urteil des BGH vom 11.12.2012

BGH: körperliche unversehrtheit, heftige gemütsbewegung, angriff, wohnung, wehrlosigkeit, bier, polizei, könig, schwurgericht, anschlag

5 StR 438/12
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. De-
zember 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Aus-
lagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge ge-
führte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
1. Das Landgericht hat
– zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der
Basis der Einlassung des Angeklagten
– folgende Feststellungen und Wer-
tungen getroffen:
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H.
– unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen.
Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln be-
schränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alko-
hol, wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefähr-
tin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Al-
koholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen de-
rer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif-
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lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Ausei-
nandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zu-
gebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H.
, ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer
Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu
sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten,
dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen
habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen.
Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati-
on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin,
die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte,
habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge
des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver
und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange-
klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben,
insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten
sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorge-
gangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein-
flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Er ergriff ein Kü-
chenmesser, packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um
den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte
Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr
fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizufüh-
ren, würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minu-
ten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der
Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen
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und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen,
um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine
verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände
packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts
entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in
die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen
Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der
Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der
Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er
einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen.
Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli-
zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den
Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das
Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegen-
über eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beein-
trächtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung
stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heim-
tücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist
keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist,
dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in
einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf
sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die
Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten
Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Septem-
ber 2008
– 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
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Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dass sich H.
keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf
ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es
leitet dies
– trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht
„abschließenden“ Ohrfeige – aus dem Umstand ab, dass der Angeklagte im
Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin
gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen
hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sach-
verständigengutachtens, wonach außer einer oberflächlichen Schnittverlet-
zung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getö-
teten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die
Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme
abzuwehren.
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtspre-
chung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der
Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleich-
wohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom
4. Mai 2011
– 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012
– 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur-
gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa
BGH, Urteil vom 20. Januar 2005
– 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in
deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin
niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit
den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im
Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben
allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick
erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom
Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas-
sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung
meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht
Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam-
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mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der
Angeklagte seine Lebensgefährtin
– für sich genommen nicht tödlich wir-
kend
– zuerst in den Rücken gestochen hat.
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der
Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur
Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begrün-
denden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen,
sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat,
dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegen-
über dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa
BGH, Urteil vom 10. Februar 2010
– 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176,
Beschluss vom 4. Mai 2011
– 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann
die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorge-
schichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzei-
chen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH,
Urteil vom 17. September 2008
– 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits
hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen
Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat
zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage
(vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004
– 5 StR 401/04, vom 20. Janu-
ar 2004
– 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO,
und vom 10. Februar 2010
– 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011
– 5 StR 65/11, aaO).
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig
beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifen-
den Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr
zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige
Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es da-
bei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er-
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gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des
keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen
zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den
Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der
Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die
Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd voll-
führt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rü-
cken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Be-
funde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolge-
rung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnut-
zungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Ange-
klagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen ange-
nommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten
die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann
– weiter hinter ihr stehend – an
sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei
einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überra-
schungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es et-
wa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil
vom 27. Juni 2006
– 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landge-
richt im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde
legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst
die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat.
Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem
wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermei-
den, stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die
Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen
Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit
einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei-
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chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernich-
tungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deut-
lich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet,
als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes
bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, son-
dern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet.
Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die
dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts
hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erre-
gung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall
eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist
insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachver-
ständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon
ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beein-
trächtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Be-
ginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile
vom 27. Februar 2008
– 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom
10. Februar 2010
– 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider
Dölp König