Urteil des BGH vom 20.11.2013
BGH: vergewaltigung, wohnung, zutritt, widerstand, form, behandlung, polizei, drohung, vertreter, anklageschrift
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 427/13
vom
20. November 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. November
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landge-
richts Bonn vom 22. Februar 2013 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur
Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung
und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs
Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die dagegen ge-
richtete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen
Rechts gerügt wird, hat keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte Ende
des Jahres 2009 das spätere Tatopfer, die Nebenklägerin F. ,
kennen und zog alsbald mit ihr zusammen. Als es im Juli 2011 in der Beziehung
kriselte, unternahm der wenig kritikfähige und unter Trennungsängsten leidende
Angeklagte zwei Suizidversuche. Im März 2012 erklärte F. die
Beziehung für beendet. In der Folge kam es zu einem körperlichen Übergriff
seitens des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin Anzeige erstattete und
die räumliche Trennung vollzog.
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Gleichwohl brach der Kontakt zwischen beiden nicht ab und es kam noch
im April 2012 zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Da F.
die Beziehung dennoch nicht fortsetzen wollte, unternahm der Angeklagte einen
weiteren Selbstmordversuch. Die Nebenklägerin fühlte sich "mitschuldig" und
nahm wiederum freundschaftlichen Kontakt zu dem Angeklagten auf, der das
Scheitern der Liebesbeziehung nicht zu akzeptieren vermochte. Da sich
F. zunehmend von dem Angeklagten bedrängt und geängstigt fühlte,
erwirkte sie am 9. August 2012 eine einstweilige Anordnung, die dem Angeklag-
ten jede Kontaktaufnahme und Annäherung an ihre Wohnung verbot.
Am 15. August 2012 gegen 2 Uhr morgens fuhr dieser zur Wohnung der
Nebenklägerin, wobei er eine 70 cm lange Spaltaxt mit sich führte. Dort begehr-
te er vergeblich Einlass, um eine Aussprache herbeizuführen. Zwischenzeitlich
war auch H. , ein früherer Lebenspartner der Nebenklägerin und
von dieser per SMS zu Hilfe gerufen, vor der Haustüre erschienen. Nach kurzer
Diskussion mit dem Angeklagten verständigte H. per Mobiltelefon die Po-
lizei und wurde anschließend von F. eingelassen. Unter Einsatz
der Spaltaxt verschaffte sich nunmehr auch der Angeklagte Zutritt, indem er
erst die Wohnungseingangstür, anschließend die Küchentür und dann die Tür
zum Schlafzimmer, in das H. und F. geflohen waren, einschlug.
Während H. durch das Schlafzimmerfenster die Flucht ergriff,
versuchte die Nebenklägerin den Angeklagten zu beschwichtigen. Nun fasste
dieser den spontanen Entschluss, mit F. den Geschlechtsver-
kehr auszuüben. Er stellte die Axt beiseite, wandte sich der Geschädigten zu,
entkleidete sie gewaltsam und führte trotz geleisteter Gegenwehr vaginalen
Geschlechtsverkehr aus. Dabei war er sich der Zugriffsmöglichkeit auf die in der
Nähe stehende Axt bewusst; er gab der Geschädigten aber weder ausdrücklich
noch durch sein Verhalten zu verstehen, dass er zur Erreichung des Ge-
schlechtsverkehrs gegebenenfalls auf die Axt zurückgreifen werde.
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Als sich der Angeklagte wieder ankleidete, nahm er die herannahende
Polizei wahr, woraufhin er die Axt ergriff und gegenüber der Nebenklägerin äu-
ßerte, "wenn jemand reinkommt, bist du tot!". Diese ergriff den Kopf der Axt,
den sie so fest unter ihren Arm klemmte, dass der Angeklagte sie nicht mehr
"freibekam". Beim darauffolgenden Gerangel um die Axt schlug und trat der
Angeklagte auf die Geschädigte ein und setzte der am Boden Liegenden seinen
unbeschuhten Fuß auf den Hals, um sich so unter Ausnutzung der Hebelwir-
kung wieder in den Besitz der Axt zu bringen. Dabei erkannte er die Lebensge-
fährlichkeit seines Tuns. In diesem Moment betraten die Polizeibeamten die
Wohnung und überwältigten ihn.
2. Das Landgericht hat hinsichtlich der ersten Tat eine schwere Verge-
waltigung nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB wegen Mitsichführens eines gefährli-
chen Werkzeugs und hinsichtlich der zweiten Tat eine gefährliche Körperverlet-
zung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wegen lebensgefährdender Behandlung
angenommen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der diese eine Verurteilung we-
gen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) und wegen
gefährlicher Körperverletzung auch in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB
erstrebt, hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Ange-
klagte die Axt bei der Vergewaltigung verwendet hat. Er habe das gefährliche
Werkzeug bei der Nötigungshandlung nicht mit dem Ziel eingesetzt, den Wider-
stand der Nebenklägerin zu verhindern oder zu überwinden. Dies ist revisions-
rechtlich nicht zu beanstanden.
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Das Landgericht hat alle Umstände gewürdigt und abgewogen. So ist der
sexuelle Übergriff - was auch den Angaben der Geschädigten in der Hauptver-
handlung entspricht - erst erfolgt, nachdem der Angeklagte die Axt beiseite ge-
stellt hatte. Bis dahin hatte er diese nur gegen Sachen eingesetzt, um sich ge-
waltsam Zutritt zur Wohnung zu verschaffen und eine Aussprache herbeizufüh-
ren. Zu keinem Zeitpunkt vor oder während der Vergewaltigung hat der Ange-
klagte die Geschädigte mit der Axt bedroht, obwohl er sich der jederzeitigen
Zugriffsmöglichkeit bewusst war. Dass er die Axt in einer Art und Weise wegge-
stellt hatte, die F. konkludent bedeutet hätte, er werde sein se-
xuelles Verlangen erforderlichenfalls mit Hilfe des gefährlichen Werkzeugs
durchsetzen, vermochte die Strafkammer in ihrer Würdigung nicht festzustellen.
Entgegen der Ansicht der Revision musste sich das Landgericht nicht mit einer
nur bei der polizeilichen Vernehmung getätigten Aussage des Opfers, sie habe
gedacht "lieber das, als dass er die Axt in der Hand hat" auseinandersetzen. Es
ist schon nicht erkennbar, ob das Landgericht die in diesen Angaben zum Aus-
druck kommenden Empfindungen seinen Feststellungen zugrunde gelegt hat.
Zudem gibt es keine Hinweise, dass eine solche Motivation der Geschädigten,
dem sexuellen Verlangen des Angeklagten nachzukommen, für diesen erkenn-
bar gewesen und von ihm in seinen Willen aufgenommen worden wäre. Hinzu
kommt, dass die Geschädigte, wenn sie auch durch das gewaltsame Eindrin-
gen des Angeklagten beeindruckt war, die Vergewaltigung keineswegs - etwa
unter dem Eindruck einer so empfundenen Drohung mit der Axt - widerstands-
los hat über sich ergehen lassen. Vielmehr hat sie erheblichen Widerstand ge-
leistet, den der Angeklagte mit einfacher körperlicher Gewalt überwunden hat,
ohne dabei ausdrücklich oder konkludent auf den ihm grundsätzlich möglich
gewesenen Einsatz des gefährlichen Werkzeugs hinzuweisen. Dass dieser
dann beim Eintreffen der Polizeibeamten erneut zur Axt gegriffen hatte, hält die
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Strafkammer zu Recht für unerheblich, weil zu diesem Zeitpunkt die Vergewal-
tigung bereits beendet war.
2. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass die Strafkammer eine gefähr-
liche Körperverletzung in Form einer lebensgefährdenden Behandlung durch
die massive Einwirkung auf den Hals des Opfers, nicht aber durch den Einsatz
eines gefährlichen Werkzeugs in Form der Spaltaxt angenommen hat. Die Ver-
letzungen der Nebenklägerin sind zwar beim Ringen um die Axt, nicht aber
durch diese entstanden. Soweit die Revisionsführerin von einem anderen Le-
benssachverhalt ausgeht, verkennt sie, dass maßgeblich die Feststellungen in
der Hauptverhandlung und nicht die in der Anklageschrift geschilderten Ge-
schehnisse sind.
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3. Auch im Übrigen lässt das Urteil Rechtsfehler weder zum Vorteil noch
zu Lasten des Angeklagten erkennen.
Appl Krehl Eschelbach
Ott Zeng
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