Urteil des BGH vom 19.02.2014
Umweltengel für Tragetasche Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 230/12
Verkündet am:
19. Februar 2014
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Umweltengel für Tragetasche
ZPO § 286 G; UWG § 5 Abs. 1
a) Der primär darlegungsbelastete Kläger muss greifbare Anhaltspunkte für ei-
ne behauptete Irreführung nicht nur behaupten, sondern gegebenenfalls so-
wohl die Tatsachen, denen Indizwirkung zukommen soll, als auch die Indiz-
wirkung selbst beweisen.
b) Ist im Rahmen der Beweisaufnahme ein Betriebsversuch beim Beklagten
erforderlich und widerspricht der Beklagte zum Schutz von Betriebsgeheim-
nissen der Anwesenheit des Klägers, so kann sich dieser beim Betriebsver-
such durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ver-
treten lassen, der vom Gericht ausdrücklich zur Verschwiegenheit auch ge-
genüber der eigenen Partei verpflichtet worden ist.
BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 - I ZR 230/12 - OLG Hamm
LG Dortmund
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 19. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff,
Dr. Koch und Dr. Löffler
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Oktober 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin und die Beklagte zu 1 (nachfolgend: die Beklagte) sind
Wettbewerber auf dem Gebiet der Herstellung von Kunststofftragetaschen. Der
Beklagte zu 3 ist Geschäftsführer der Beklagten. Daneben waren die Beklagte
zu 2 bis zum 11. November 2008 und der Beklagte zu 4 bis zum 18. Dezember
2008 Geschäftsführer.
Die Beklagte stellt Kunststofftragetaschen für die G. SB-Waren-
haus Holding GmbH & Co. KG (nachfolgend: G. ) her, die das Umwelt-
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zeichen "DER BLAUE ENGEL" tragen. Dieses Umweltzeichen wird von der
RAL gGmbH als beliehener Zeichengeberin auch für Produkte aus Recycling-
Kunststoffen lizenziert. Die Beklagte ist aufgrund von Verträgen aus den Jahren
2000 und 2007 Lizenznehmerin. Danach müssen die mit dem Umweltzeichen
gekennzeichneten Produkte während der Dauer der Zeichennutzung allen An-
forderungen und Zeichenbenutzungsbedingungen entsprechen, die in der "Ver-
gabegrundlage für Umweltzeichen RAL-ZU 30a" in der jeweils gültigen Fassung
enthalten sind. Nach Nr. 3 der Vergabegrundlage in den Fassungen von Januar
2004 und März 2010 dürfen Fertigerzeugnisse mit dem Umweltzeichen nur ge-
kennzeichnet werden, wenn sie zumindest zu 80% aus Kunststoffrezyklaten
bestehen, worunter aus bereits gebrauchten Produkten gewonnene Mahlgüter,
Folienschnitzel, Granulate oder Agglomerate verstanden werden.
Die Klägerin macht geltend, die von der Beklagten im Jahr 2007 an G.
gelieferten,
mit
dem
"BLAUEN
ENGEL"
versehenen
Tragetaschen
seien nicht zumindest zu 80% aus Kunststoffrezyklaten hergestellt. Sie nimmt
die Beklagten daher auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatz
in Anspruch.
Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. Dr. J. hat fest-
gestellt, dass sich mit den von ihm durchgeführten Untersuchungen der quanti-
tative Gehalt an Rezyklat-Kunststoffen in den Tragetaschen nicht erfassen las-
se. Er hat deshalb einen Betriebsversuch bei der Beklagten angeregt, bei dem
die von ihr verwendeten Altfolien aufbereitet und zu Folientaschen verarbeitet
werden könnten, deren Übereinstimmung mit den Tragetaschen für G.
sodann in Vergleichsuntersuchungen überprüft werden könnte. Das Landgericht
hat den Sachverständigen daraufhin gebeten, den Betriebsversuch durchzufüh-
ren, sofern die Klägerin ausdrücklich auf eine Teilnahme dabei verzichtet. Die
Klägerin hat diesen Verzicht erklärt. Das Landgericht hat der Klägerin jedoch
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gestattet, sich bei der Beweisaufnahme durch einen öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen vertreten zu lassen. Diesem hat es untersagt,
beim Betriebsversuch offenbar werdende Betriebsgeheimnisse der Beklagten
an die Klägerin weiterzugeben. Die Beklagten haben den Betriebsversuch ab-
gesagt, weil sie gleichwohl der Anwesenheit eines Parteisachverständigen der
Klägerin nicht zustimmen könnten.
Das Landgericht hat dies als Beweisvereitelung gewertet und die Beklag-
ten unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt,
es zu unterlassen, für Kunststofftragetaschen mit dem Umweltzeichen "DER
BLAUE ENGEL" zu werben, wenn diese Kunststofftragetaschen als Fertiger-
zeugnis nicht zumindestens zu 80% aus Kunststoffrezyklaten (Mahlgüter, Foli-
enschnitzel, Granulate oder Agglomerate aus bereits gebrauchten Produkten)
bestehen, insbesondere wenn dies wie nachfolgend eingeblendet als Aufdruck
auf Kunststofftragetaschen geschieht:
(Es folgen Abbildungen einer an G. gelieferten Kunststofftragetasche der
Beklagten)
Außerdem hat das Landgericht den auf Auskunft und Feststellung der
Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichteten Anträgen stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt. Mit der
vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten bean-
tragen, erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte die Bedingungen
für die Kennzeichnung ihrer Tragetaschen mit dem "BLAUEN ENGEL" nicht
eingehalten habe. Die Klägerin habe die ihr obliegende Darlegungslast für die
Behauptung, die streitgegenständlichen Tragetaschen bestünden nicht zumin-
dest zu 80% aus Kunststoffrezyklaten, zwar in der Klagebegründung zunächst
vollumfänglich erfüllt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme reduziere sich
dieses Vorbringen der Klägerin jedoch auf bloße Verdachtsmomente. Damit
werde sie den ihr obliegenden Darlegungsanforderungen nicht mehr gerecht.
Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen komme den visu-
ellen, haptischen und olfaktorischen Unterschieden der Taschen der Beklagten
im Vergleich zu Taschen aus Altkunststoffen (PCR-Taschen) kein zwingender
naturwissenschaftlich begründbarer Beweiswert für die Behauptung der Kläge-
rin zu. Die genannten Parameter erlaubten gerade keine Rückschlüsse auf den
Anteil an Kunststoffrezyklat. Dasselbe gelte für die übrigen vom gerichtlichen
Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen. Nach dessen mündlichen
Ausführungen seien beide Parteien tatsächlich schon 2007 in der Lage gewe-
sen, den angegriffenen Taschen vergleichbare Rezyklatware herzustellen,
wenn sie hochwertige Rezyklate einsetzten und diese entsprechend aufbereite-
ten.
II. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision der Klägerin mit Er-
folg. Das Berufungsgericht konnte die Klage auf der Grundlage der von ihm ge-
troffenen Feststellungen nicht mit der Begründung abweisen, die Klägerin habe
die ihr obliegenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass irreführend
wirbt, wer im geschäftlichen Verkehr ein Umweltzeichen verwendet, ohne die
dafür erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Das entspricht sowohl der
Rechtslage bei Auslieferung der angegriffenen Kunststofftragetaschen im Jahr
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2007 als auch dem geltenden Recht. Die Regelungen des bis 27. Dezember
2008 geltenden § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG 2004 und des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
UWG stimmen insoweit überein. Die unberechtigte Nutzung eines Umweltzei-
chens stellt eine Irreführung über die Beschaffenheit einer Ware oder Dienst-
leistung dar. Allerdings zitiert das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang
unzutreffend auch § 5 Abs. 1 Nr. 4 UWG. Umweltzeichen sind keine Symbole,
die im Zusammenhang mit direktem oder indirektem Sponsoring stehen oder
sich auf eine Zulassung des Unternehmens oder der Waren oder Dienstleistun-
gen beziehen.
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin sei den ihr oblie-
genden Darlegungsanforderungen nicht gerecht geworden, hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand, da sie auf einem Verfahrensfehler beruht (§ 286
Abs. 1 ZPO).
a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klägerin der ihr oblie-
genden (primären) Darlegungslast in der Klagebegründung - zunächst - vollum-
fänglich nachgekommen. Sie habe mit der Darlegung der typischen visuellen,
haptischen und olfaktorischen Produkteigenschaften aus Kunststoffrezyklat her-
gestellter Produkte und deren Unterschieden zu den beanstandeten Trageta-
schen unter Vorlage zahlreicher Gutachten nicht nur bloße Verdachtsmomente,
sondern greifbare Anhaltspunkte dafür dargetan, die in Rede stehende Ware
bestehe nicht zumindest zu 80% aus Kunststoffrezyklat. Die Klägerin habe da-
mit die für eine Wettbewerbswidrigkeit sprechenden Tatsachen dargetan und
unter Beweis gestellt. Da sie keinen Einblick in die innerbetrieblichen Vorgänge
der Beklagten gehabt habe, sei der Klägerin ein weitergehender tatsächlicher
Vortrag nicht zumutbar gewesen. Vielmehr sei hinsichtlich derjenigen tatsächli-
chen Umstände, deren Aufklärung nach Sachlage von der Klägerin billigerweise
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nicht erwartet werden könne, eine prozessuale (sekundäre) Erklärungspflicht
der Beklagten anzunehmen.
Diese Erwägungen stehen mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs im Einklang und lassen keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. BGH, Urteil
vom 19. September 1996 - I ZR 124/94, GRUR 1997, 229, 230 = WRP 1997,
183 - Beratungskompetenz; Urteil vom 17. Februar 2000 - I ZR 239/97, GRUR
2000, 820, 822 = WRP 2000, 724 - Space Fidelity Peep-Show; Urteil vom
27. November 2003 - I ZR 94/01, GRUR 2004, 246, 247 = WRP 2004, 343
- Mondpreise?; Urteil vom 4. Dezember 2008 - I ZR 3/06, GRUR 2009, 871
Rn. 27 = WRP 2009, 967 - Ohrclips). Der Grundsatz der vollen Darlegungslast
des Klägers bedarf insbesondere dann einer Einschränkung, wenn der Kläger
außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt
von sich aus nicht ermitteln kann, während dem Beklagten die erforderliche tat-
sächliche Aufklärung ohne weiteres möglich und auch zuzumuten ist. Das Beru-
fungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass im Streitfall eine solche
Konstellation vorlag, weil die Klägerin keine Kenntnis von den konkreten Roh-
materialien haben konnte, aus denen die Produkte der Beklagten hergestellt
wurden, und ihr zudem das Herstellungsverfahren unbekannt war. Nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts lässt eine Analyse der beanstandeten
Kunststofftragetaschen durch die Klägerin keine eindeutige Bestimmung des
bei ihrer Herstellung verwendeten Kunststoffrezyklatanteils zu.
b) Das Berufungsgericht hat jedoch sodann gemeint, nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme habe sich das Vorbringen der Klägerin auf bloße Ver-
dachtsmomente reduziert, mit denen sie den ihr obliegenden Darlegungsanfor-
derungen nicht mehr gerecht geworden sei. Damit hat das Berufungsgericht die
erforderliche klare Differenzierung zwischen dem Nachweis greifbarer Anhalts-
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punkte für eine Irreführung und dem Nachweis der Irreführung selbst vermissen
lassen. Seine Beweiswürdigung ist infolgedessen fehlerhaft (§ 286 ZPO).
aa) Um ihre primäre Darlegungslast zu erfüllen, musste die Klägerin
greifbare Anhaltspunkte für die geltend gemachte Irreführung allerdings nicht
nur behaupten, sondern diese bei Bestreiten durch die Beklagten auch bewei-
sen (vgl. BGH, GRUR 1997, 229, 230 - Beratungskompetenz; GRUR 2000,
820, 822 - Space Fidelity Peep-Show). Das gilt sowohl für die Tatsachen, de-
nen Indizwirkung zukommen soll, als auch für die Indizwirkung selbst.
bb) Das Berufungsgericht hat nicht ausdrücklich festgestellt, inwieweit
die Beklagten die von der Klägerin geltend gemachten Anhaltspunkte bestritten
haben. Es hat aber Bezug auf die Wiedergabe des Vortrags der Beklagten im
Urteil des Landgerichts genommen. Danach verwende die Beklagte für die Her-
stellung ihrer Tragetaschen saubere und ausgewählte gebrauchte Kunststoff-
produkte, die nicht die sonst in Recyclinggrundstoffen enthaltenen Verunreini-
gungen aufwiesen. Das mache auch den Zusatz künstlicher Aromen überflüs-
sig. Anhand des Fehlens solcher Zusätze könne deshalb nicht auf die Verwen-
dung von Kunststoffrezyklat geschlossen werden, das den Anforderungen des
RAL e.V. nicht entspreche. Ferner verwende die Beklagte zur Reinigung des
Ausgangsstoffs modernste Maschinen wie zum Beispiel Laserfilter und ein
Extrudersystem des Unternehmens EREMA. Die weiße Farbe ihrer Taschen
erziele sie durch Zugabe eines Farbbatches. Diese Umstände seien bei den
von der Klägerin vorgelegten Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt wor-
den. Damit haben die Beklagten geltend gemacht, das Fehlen der von der Klä-
gerin behaupteten typischen Eigenschaften von Tragetaschen aus Altrezyklaten
habe keine Indizwirkung dafür, dass ihre beanstandeten Tragetaschen für G.
zu weniger als 80% aus Altrezyklaten bestehen.
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cc) Das Berufungsgericht konnte deshalb davon ausgehen, dass die In-
dizwirkung der von der Klägerin behaupteten Anhaltspunkte des Beweises be-
durfte. Dem Berufungsgericht war auch nicht grundsätzlich verwehrt, dafür auf
das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. J. und dessen dazu erfolgte Be-
fragung im Termin am 25. Oktober 2012 Bezug zu nehmen. Die Gutachtenfrage
an den Sachverständigen lautete aber, ob die von der Beklagten gefertigten
Kunststofftragetaschen für G. nicht zu mindestens 80% aus Kunststoff-
rezyklaten bestanden. Sie ging damit deutlich über den der Klägerin im Rahmen
ihrer primären Darlegungslast obliegenden Nachweis hinaus, dass sich aus den
typischen visuellen, haptischen und olfaktorischen Produkteigenschaften aus
Kunststoffrezyklat hergestellter Produkte im Vergleich zu den streitgegenständ-
lichen Tragetaschen greifbare Anhaltspunkte dafür ergaben, dass diese Ta-
schen zu weniger als 80% aus Kunststoffrezyklat bestanden.
Es bestehen nicht ausräumbare Zweifel, ob das Berufungsgericht diesen
wesentlichen Unterschied beachtet hat. Es hat ausgeführt, nach dem Gutachten
des Sachverständigen komme den visuellen, haptischen und olfaktorischen Un-
terschieden der beanstandeten Taschen im Vergleich zu typischen aus Alt-
kunststoffen hergestellten Taschen kein zwingender naturwissenschaftlich be-
gründbarer Beweiswert für die Behauptung der Klägerin zu, die beanstandeten
Tragetaschen bestünden zu weniger als 80% aus Kunststoffrezyklat; die ge-
nannten Parameter erlaubten gerade keine Rückschlüsse auf den Masseanteil
an Rezyklatkunststoff. Ein naturwissenschaftlich zwingender Nachweis für ihre
Behauptung konnte von der Klägerin im Rahmen der primären Darlegungslast
indes nicht verlangt werden. Zwar hätte sie ihre Darlegungslast nicht erfüllt,
wenn die von ihr vorgetragenen Indizien überhaupt keine Rückschlüsse auf den
Rezyklatanteil zuließen. Das lässt sich den Feststellungen des Berufungsge-
richts aber nicht entnehmen. In der von ihm in Bezug genommenen Passage
seines Gutachtens führt der Sachverständige lediglich aus, die Parameter Ge-
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ruch, Haptik und Optik erlaubten keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Mas-
seanteile von Rezyklatkunststoff in den verschiedenen Tragetaschen. Damit ist
eine Indizwirkung dieser Parameter keineswegs ausgeschlossen.
c) Auf der Grundlage seiner Feststellungen durfte das Berufungsgericht
somit nicht annehmen, die Klägerin sei den ihr obliegenden Darlegungsanforde-
rungen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr gerecht geworden.
Insoweit bedarf es einer erneuten tatrichterlichen Beurteilung.
III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da der
Senat nicht selbst in der Sache entscheiden kann, ist sie zur neuen Verhand-
lung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563
Abs. 1 ZPO).
IV. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Kläge-
rin ihre primäre Darlegungspflicht erfüllt hat und auch die Beklagten ihrer se-
kundären Darlegungslast genügt haben, wird es zu prüfen haben, ob und gege-
benenfalls mit welchen Folgen die Grundsätze der Beweisvereitelung zulasten
der Beklagten Anwendung finden, weil sie den vom Sachverständigen angereg-
ten und vom Landgericht angeordneten Betriebsversuch abgesagt haben.
a) Der Sachverständige wollte mit dem Betriebsversuch feststellen, ob
die Beklagte technisch in der Lage ist, mit den von ihr verwendeten Altfolien
Tragetaschen mit den qualitativen Eigenschaften der an G. gelieferten
Taschen und einem Altrezyklatanteil von 80% herzustellen. Nach den mündli-
chen Ausführungen des Sachverständigen vor dem Berufungsgericht sind - und
waren schon 2007 - allerdings beide Parteien in der Lage, den beanstandeten
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Taschen vergleichbare, hochwertige Rezyklatware herzustellen, wenn sie hoch-
wertige Rezyklate einsetzen und diese entsprechend aufbereiten. Die Beklag-
ten machen geltend, solches Ausgangsmaterial zu verwenden. Unter diesen
Umständen ist der Betriebsversuch nur dann erforderlich, wenn die Klägerin
behauptet, Tragetaschen entsprechender Qualität hätten sich - jedenfalls im
Jahr 2007 - nicht mit den Anlagen der Beklagten produzieren lassen. Ein sol-
cher Vortrag der Klägerin ist bislang nicht festgestellt.
b) Sollte sich die Erforderlichkeit des Betriebsversuchs bestätigen, dürfte
es den Beklagten allerdings oblegen haben, ihn zu dulden.
Die Beklagten haben geltend gemacht, die Anwesenheit eines Partei-
sachverständigen der Klägerin beim Betriebsversuch könne ihnen nicht zuge-
mutet werden, weil dadurch ihre Betriebsgeheimnisse gefährdet würden. Das
Landgericht hatte aber eine Vertretung der Klägerin bei der Beweisaufnahme
nur durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zugelas-
sen, dem es untersagt hatte, beim Betriebsversuch offenbar werdende Be-
triebsgeheimnisse der Beklagten an die Klägerin weiterzugeben.
Auf der Grundlage dieses vom Berufungsgericht festgestellten Sachver-
halts wäre die Weigerung der Beklagten, den Betriebsversuch durchzuführen,
gegebenenfalls als Beweisvereitelung anzusehen. Ein öffentlich bestellter und
vereidigter Sachverständiger, der vom Gericht ausdrücklich zur Verschwiegen-
heit auch gegenüber der eigenen Partei verpflichtet wird, handelt grob pflicht-
widrig, wenn er seiner Partei dennoch Betriebsgeheimnisse des Prozessgeg-
ners mitteilt. Ein derart grob pflichtwidriges Verhalten eines öffentlich bestellten
und vereidigten Sachverständigen kann nicht unterstellt werden. Der Sachver-
ständige befindet sich auch nicht in einem Konflikt zwischen gerichtlicher An-
ordnung und seinen Vertragspflichten gegenüber dem Auftraggeber, weil ihm
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der Auftrag von vornherein nur beschränkt durch die gerichtliche Anordnung
erteilt werden kann. Es hätte im Übrigen auch nicht ausgereicht, im vorliegen-
den Fall die Durchführung des Betriebsversuchs allein durch den gerichtlichen
Sachverständigen ohne Beteiligung von Sachverständigen der Parteien anzu-
ordnen. Bei einem Betriebsversuch haben die Parteien ein berechtigtes Interes-
se daran, den Versuchsaufbau und die Durchführung des Versuchs durch den
gerichtlichen Sachverständigen von Personen ihres Vertrauens beobachten und
gegebenenfalls kritisch hinterfragen zu lassen. Ein für sie in keiner Weise über-
prüfbarer "Geheimversuch" kommt daher nicht in Betracht.
Bornkamm
Schaffert
Kirchhoff
Koch
Löffler
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 18.05.2011 - 20 O 16/08 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 25.10.2012 - I-4 U 131/11 -