Urteil des BGH vom 14.04.2005
BGH (herausgabe von gegenständen, zpo, neues vorbringen, streitwert, beschwerde, wert, antrag, beschwer, auseinandersetzung, kenntnis)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZB 19/05
vom
8. März 2006
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
am 8. März 2006
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Be-
schluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom
14. April 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren wer-
den nicht erhoben.
Streitwert des Beschwerdeverfahrens: bis 3.500 €
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Gründe:
I. Der Kläger nimmt die Beklagte, seinen Rechtsschutzversicherer,
auf Deckungsschutz für seine Auseinandersetzung mit einem Dritten aus
einem "Unterpachtvertrag" vom 18. März 2003 über Gaststättenräume in
Anspruch. Als Streitwert hat er in der Klage unter Berücksichtigung einer
Selbstbeteiligung von 250 € einen geschätzten Betrag von 1.200 € ange-
geben. Das Amtsgericht hat die Klage durch Urteil vom 18. November
2004 abgewiesen und den Streitwert ohne vorherige Anhörung des Klä-
gers und ohne Begründung auf 600 € festgesetzt.
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Der Kläger hat am 8. Dezember 2004 Berufung eingelegt und die-
se zugleich begründet. Das Landgericht hat den Streitwert durch Be-
schluss vom 18. Februar 2005 auf bis 600 € festgesetzt und unter Hin-
weis darauf die Berufung durch Beschluss vom 14. April 2005 als unzu-
lässig verworfen, weil die in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimmte Beru-
fungssumme nicht erreicht sei und das Amtsgericht die Berufung nicht
nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen habe. Hiergegen wendet sich
der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
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II. 1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist
gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statt-
haft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Ent-
scheidung des Berufungsgerichts den Kläger in seinem verfassungs-
rechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. BGHZ 151, 221, 226 ff.).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsge-
richt hat, wie die Beschwerde mit Recht rügt, entscheidungserheblichen
Vortrag des Klägers zur Höhe seiner Beschwer durch das klagabweisen-
de Urteil des Amtsgerichts nicht zur Kenntnis genommen und dadurch
seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
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a) aa) Der Streitwert einer Klage auf Feststellung der Gewährung
von Deckungsschutz aus einer Rechtsschutzversicherung richtet sich
gemäß § 3 ZPO grundsätzlich nach den voraussichtlichen, durch die ge-
richtliche oder außergerichtliche Wahrnehmung der rechtlichen Interes-
sen des Versicherungsnehmers entstehenden Kosten, deren Übernahme
durch den Versicherer er erstrebt, abzüglich eines Feststellungsab-
schlags von 20% (Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung 7. Aufl.
§ 18 ARB 75 Rdn. 21 m.w.N.). Das hat das Berufungsgericht zwar im
Ansatz nicht verkannt, indem es bei der Streitwertberechnung im Be-
schluss vom 18. Februar 2005 die Kosten der in der Klage genannten
zwei Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und der gegen
den Kläger gerichteten, später zurückgenommenen Auskunftsklage be-
rücksichtigt hat.
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bb) Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, dass der Kläger
im Schriftsatz vom 18. August 2004 geltend gemacht hat, dass durch ei-
ne weitere rechtliche Auseinandersetzung aus dem so genannten Unter-
pachtvertrag zusätzliche Kosten anfielen. Er hat dazu ein Schreiben des
gegnerischen Rechtsanwalts vom 10. August 2004 an seinen Prozessbe-
vollmächtigten vorgelegt. Darin wird unter Bezugnahme auf ein Schrei-
ben an einen früheren Rechtsanwalt des Klägers vom 8. Januar 2004 un-
ter Fristsetzung zum 15. August 2004 angekündigt, die im Schreiben
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vom 8. Januar 2004 aufgeführten Zahlungsansprüche (16.650 €) nach
fruchtlosem Verstreichen der Frist "anhängig machen" zu wollen. Außer-
dem wurde in den beiden Schreiben gegen den Kläger ein Anspruch auf
Herausgabe von Geräten erhoben. Der gegnerische Rechtsanwalt hat
die angekündigte Klage am 17. Dezember 2004 beim Landgericht ein-
reicht, verbunden mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe. Mit der Klage
wird ein Zahlungsantrag über 7.600 € und ein Antrag auf Herausgabe
von Gegenständen verfolgt; für letzteren hat das Landgericht den Streit-
wert auf 1.500 € festgesetzt.
cc) Ob, wie die Beschwerde wohl meint, die voraussichtlichen Kos-
ten des gerichtlichen Verfahrens, das durch die am 17. Dezember 2004
eingereichte Klage in Gang gesetzt worden ist, bei der Ermittlung der
Beschwer anzusetzen sind, ist zweifelhaft. Für die Berechnung des Wer-
tes des Beschwerdegegenstandes ist grundsätzlich der Zeitpunkt der
Einlegung des Rechtsmittels maßgebend (BGH, Beschluss vom 27. Juni
2001 - IV ZB 3/01 - NJW-RR 2001, 1571 unter II 2; Zöller/Herget, ZPO
25. Aufl. § 4 Rdn. 4 und Gummer/Heßler, aaO § 511 Rdn. 19). Das ist
hier der 8. Dezember 2004. Aus dem vom Berufungsgericht nicht zur
Kenntnis genommenen Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom
18. August 2004 ergibt sich aber, dass seine Anwälte in dieser Angele-
genheit bereits vor Klageerhebung tätig geworden sind. Damit kam zu-
mindest ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr in Betracht (nach § 2
RVG i.V. mit Nr. 2400 VV bei einer Regelgebühr aus einem Streitwert
von 16.650 € zuzüglich Auslagenpauschale von 20 € und Mehrwertsteuer
abzüglich eines Feststellungsabschlags von 20% = 749,64 € bzw. nach
§ 118 BRAGO bei einer Mittelgebühr von 7,5/10 dementsprechend
440,34 €). Hätte das Berufungsgericht dies berücksichtigt, hätten selbst
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bei mehrfachem Abzug einer Selbstbeteiligung von 250 € die Beschwer
und - da der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag mit der Berufung
weiterverfolgt - auch der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € deut-
lich überstiegen. Diese außergerichtliche Auseinandersetzung wird, wie
die Beschwerde mit Recht ausführt, von dem weit gefassten Klageantrag
umfasst. Schon danach kann die angefochtene Entscheidung keinen Be-
stand haben.
b) Der Senat gibt vorsorglich die folgenden Hinweise: Da der Wert
des Beschwerdegegenstandes von Amts wegen festzusetzen und hierfür
der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels maßgebend ist, kann
neues Vorbringen dazu nicht nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausge-
schlossen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 - V ZB 6/04 -
NJW-RR 2005, 219 unter II 2 a; MünchKomm-ZPO/Aktualisierungsband-
Rimmelspacher, § 511 Rdn. 56 f.). Zudem konnte die materiellrechtliche
Frage, ob die Selbstbeteiligung nur einmal (so offenbar der Kläger) oder
mehrfach zu berücksichtigen ist, nicht schon im Rahmen der Zulässig-
keitsprüfung bei der Wertfestsetzung zum Nachteil des Klägers entschie-
den werden, sie betrifft die Begründetheit der Berufung. Weiter ist darauf
hinzuweisen, dass ein auf die Eintrittspflicht des Rechtsschutzversiche-
rers gerichteter Feststellungsantrag die Angelegenheit bestimmt und im
Einzelnen zu bezeichnen hat, für die Rechtsschutz gewährt werden soll
(vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1999 - IV ZR 197/98 - VersR 1999, 706
unter 2 b; Bauer, aaO Rdn. 21). Dem wird der Klageantrag bislang nicht
gerecht.
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3. Bei der Festsetzung des Streitwerts für das Rechtsbeschwerde-
verfahren war zu berücksichtigen, dass sich der Wert des Streitgegen-
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standes nach Einlegung der Berufung durch die am 17. Dezember 2004
eingereichte, bereits erwähnte Klage erhöht hat (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 2
GKG). Der geltend gemachte Anspruch auf Rechtsschutz umfasst nun-
mehr auch die Kosten dieses erstinstanzlichen Verfahrens mit einem
Streitwert von 9.100 €. Dem trägt die Streitwertfestsetzung durch den
Senat Rechnung.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
AG Bonn, Entscheidung vom 18.11.2004 - 9 C 244/04 -
LG Bonn, Entscheidung vom 14.04.2005 - 5 S 236/04 -