Urteil des BGH vom 21.03.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 122/11
Verkündet am:
21. März 2013
Besirovic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 133 B, § 157 C; VOB/A § 9 a.F.; DIN 18300 Abschnitt 0.2.3
Der öffentliche Auftraggeber hat in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbe-
lastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen
des Einzelfalls anzugeben. Sind erforderliche Angaben zu Bodenkontaminationen
nicht vorhanden, kann der Bieter daraus den Schluss ziehen, dass ein schad-
stofffreier Boden auszuheben und zu entfernen ist (Anschluss an BGH, Urteil vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172).
BGH, Urteil vom 21. März 2013 - VII ZR 122/11 - OLG Dresden
LG Görlitz
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Rich-
terin Safari Chabestari, den Richter Kosziol, den Richter Dr. Kartzke und den
Richter Prof. Dr. Jurgeleit
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Mai 2011 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und
2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich ei-
nes 7.518,28
€ nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nach-
teil der Klägerin entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von den Beklagten, einem Landkreis, einem Ab-
wasserzweckverband und einer Gemeinde, zusätzliche Vergütung für Tiefbau-
arbeiten mit der Begründung, sie habe beim Ausbau einer Kreisstraße im Be-
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reich einer Ortsdurchfahrt kontaminiertes Aushubmaterial angetroffen, das nicht
ausgeschrieben gewesen sei.
Die Klägerin wurde von den Beklagten im Jahr 2006 mit Tiefbauarbeiten
für den Ausbau einer Kreisstraße beauftragt. Die Leistung war in mehrere Lose
aufgeteilt, für die teils der Beklagte zu 1, teils der Beklagte zu 2 und teils die
Beklagte zu 3 als Auftraggeber fungierten.
In der Baubeschreibung heißt es unter Ziff. 2.7 (Baugrund) unter ande-
rem wie folgt:
"Die Baugrunduntersuchung wurde von W. G. B. durchgeführt.
Die Untersuchung erfolgte mittels 4 Rammkernsondierungen. Da-
bei wurde eine lediglich ca. 4 cm dicke Asphaltdeckschicht aufge-
schlossen, deren Teergehalt untersucht wurde. Dieser liegt noch
unterhalb der Grenze für Wiedereinbau des Aufbruchgutes im
Heißeinbau, so dass eine Wiederverwertung vollständig möglich
ist
…"
Das Leistungsverzeichnis für die gesamten Arbeiten sieht in verschiede-
nen Positionen vor, dass Boden zu lösen, in das Eigentum des Auftragnehmers
zu übernehmen und von der Baustelle zu entfernen ist. Bei den Losen 2, 3 und
5 sind gesonderte Zulagen für die Bodenklassen 2, 6 und 7 vorgesehen.
Die Klägerin hat vorgetragen, das Aushubmaterial sei insbesondere we-
gen Chloridbelastung erheblich kontaminiert gewesen. Das Aushubmaterial ha-
be nicht zum Wiedereinbau verwendet werden können und erhöhten Entsor-
gungsaufwand erfordert. Die Klägerin verlangt wegen Kontamination des Aus-
hubmaterials zusätzliche Vergütung in Höhe von insgesamt 180.954,34
€ nebst
Zinsen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-
rin hat das Berufungsgericht die Beklagte zu 3 zur Zahlung von 1.094,82
€ we-
gen einer anderen, in der Revision nicht mehr interessierenden Leistung verur-
teilt und im Übrigen die Klageabweisung bestätigt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre An-
sprüche auf zusätzliche Vergütung wegen Kontamination des Aushubmaterials
weiter, nicht dagegen einen Restvergütungsanspruch in Höhe von 7.518,28
für Rohranschlüsse.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit im Ver-
hältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten
zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28
€ nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum
Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und im Umfang der Aufhebung
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf
Mehrvergütung der im Zusammenhang mit den behaupteten Kontaminationen
entstandenen Kosten nicht zu.
Der Klägerin sei gemäß den maßgeblichen Vertragsunterlagen und sons-
tigen Umständen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein außergewöhn-
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liches Wagnis aufgebürdet worden. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. K. habe
zwar bei seiner Anhörung im Termin vom 23. Juni 2010 zunächst ausgeführt,
dass ein Bieter mangels Feststellungen in der Baugrunduntersuchung zum
Salzgehalt der Asphaltdeckschicht davon habe ausgehen dürfen, dass dieser
Parameter auch ansonsten keine Rolle spiele. Auf Vorhalt der Einwände der
Beklagten habe der Sachverständige sodann in seiner Stellungnahme vom
17. Januar 2011 allerdings klargestellt, dass sich mangels einer Untersuchung
der Asphaltdeckschicht auf eine Chloridbelastung für einen verständigen Bieter
gerade nicht der Schluss habe aufdrängen dürfen, eine solche Belastung kom-
me in den darunter befindlichen, hier relevanten Bodenschichten überhaupt
nicht vor. In seiner weiteren Anhörung am 9. März 2011 habe der Sachverstän-
dige schließlich ausgeführt, dass eine Untersuchung der Asphaltdecke auf
Chloride ohnehin üblicherweise nicht stattfinde, so dass sich aus dem vorlie-
genden Befund (keine Hinweise auf eine Chloridbelastung dieser Schicht) für
die als Fachunternehmen ausreichend verständige Klägerin keinesfalls der
Schluss habe aufdrängen dürfen, die darunter liegende Schicht sei auf jeden
Fall ohne Einschränkungen zu verwenden.
Dies gelte hier umso mehr, als der fachkundigen Klägerin durchaus hätte
bekannt sein können, dass der betreffende Streckenabschnitt angesichts seiner
örtlichen Lage winterdienstlicher Behandlung ausgesetzt gewesen sein könnte,
möge hieraus auch - zu Gunsten der Klägerin unterstellt - eine Salzbelastung
nicht zwingend resultieren. Hinzu komme, dass nach den weiteren Erörterun-
gen des Sachverständigen eine Salzbelastung in dieser Schicht ohnehin selten
vorkomme, mithin eine diesbezügliche Untersuchung dieser Schicht auf eine
solch seltene Belastung auch nicht naheliege. Umso weniger habe Anlass für
einen durchschnittlichen Bieter bestanden, allein aus dem Fehlen weiterer An-
gaben zu einer vorhandenen Chloridbelastung der Deckschicht sicher zu
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schließen, dass eine solche auch in den darunter liegenden Schichten nicht
auftreten würde.
Zu keinem anderen Ergebnis führe auch der von der Klägerin angeführte
Umstand, dass in vergleichbaren Fällen bei entsprechenden Anhaltspunkten
stets auf eine Kontamination in den Ausschreibungsunterlagen hingewiesen
worden sei. Hieraus ergebe sich weder ausdrücklich noch konkludent eine
Übernahme des Risikos etwaiger Kontaminationen durch den Bauherrn.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. In der Revision ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin be-
haupteten Kontaminationen des Aushubmaterials vorliegen.
2. Die Auslegung, welche Leistung von der Vergütungsabrede in einem
Bauvertrag erfasst wird, obliegt dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Über-
prüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsre-
geln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denk-
gesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH,
Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 12; Urteil
vom 22. Juli 2010 - VII ZR 213/08, BGHZ 186, 295 Rn. 13 m.w.N.). Das Beru-
fungsgericht hat gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen.
a) Ein Bieter darf die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Aus-
schreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber
den Anforderungen der VOB/A an die Ausschreibung entsprechen will (vgl.
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15;
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Urteil vom 11. März 1999 - VII ZR 179/98, BauR 1999, 897, 898 = ZfBR 1999,
256; Urteil vom 9. Januar 1997 - VII ZR 259/95, BGHZ 134, 245, 248; Urteil
vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64, 68). Danach sind die
für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, wie
z.B. Bodenverhältnisse, so zu beschreiben, dass der Bewerber ihre Auswirkun-
gen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen
kann. Die "Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung" in
Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistun-
gen, DIN 18299 ff., sind zu beachten, § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A a.F. (BGH, Urteil
vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15). Sowohl nach
DIN 18299 [Ausgabe 2000] Abschnitt 0.1.18 (ebenso DIN 18299 [Ausgabe
2006] Abschnitt 0.1.20) als auch nach DIN 18300 [Ausgabe 2000 und Ausgabe
2006] Abschnitt 0.2.3 ist in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelas-
tung nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben (vgl. BGH, Urteil vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Die ausdrückliche
Angabe einer Bodenkontamination ist allerdings nicht in jedem Fall zwingend;
sie kann unterbleiben, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar
ergibt, dass eine derartige Kontamination vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Denn in solchen
Fällen ist den in § 9 VOB/A a.F. zum Schutz des Bieters enthaltenen Aus-
schreibungsgrundsätzen Genüge getan, weil dieser auch ohne Angaben in der
Ausschreibung eine ausreichende Kalkulationsgrundlage hat.
b) Diese Auslegungsgrundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinrei-
chend beachtet. Der Senat kann die fehlerhafte Auslegung des Berufungsge-
richts durch eine eigene Auslegung der mit den Beklagten geschlossenen Ver-
träge ersetzen, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.
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Danach haben die Beklagten die betreffenden Bodenschichten schad-
stofffrei ausgeschrieben. Dabei kann dahinstehen, ob sich das bereits daraus
ergibt, dass - wie die Klägerin behauptet - in vergleichbaren Fällen in den Aus-
schreibungsunterlagen stets auf eine Schadstoffbelastung hingewiesen worden
ist, weshalb die Klägerin wegen dieses Ausschreibungsverhaltens habe an-
nehmen dürfen, dass der Boden nicht kontaminiert sei. Der Boden ist schon
deshalb als unbelastet ausgeschrieben, weil die Beklagten in ihrer Ausschrei-
bung keine Angaben zu einer möglichen Chlorid- oder sonstigen Schadstoff-
belastung gemacht haben. Die Beklagten waren gemäß DIN 18300 Ab-
schnitt 0.2.3 gehalten, nach den Erfordernissen des Einzelfalls Angaben zur
Schadstoffbelastung nach Art und Umfang zu machen. Es liegen keine Um-
stände vor, wonach die Beklagten von Angaben zu relevanten Schadstoffbelas-
tungen hätten absehen können.
Sie machen nicht geltend, dass ihnen eine Untersuchung des Bodens
vor der Ausschreibung auf eine Belastung der unterhalb der Tragschicht gele-
genen Bodenschicht unzumutbar gewesen wäre. Es kann deshalb dahinstehen,
wie eine Ausschreibung ohne Angaben zu Kontaminationen im Einzelfall zu
verstehen ist, wenn der Auftraggeber auf eine Bodenuntersuchung verzichtet,
weil diese einen unzumutbaren Aufwand erfordert.
Allein der Umstand, dass die Bieter - auch wegen eventueller Kenntnisse
vom Winterdienst auf der betreffenden Straße - mit dem Vorliegen einer Chlo-
ridkontamination rechnen mussten, rechtfertigte es nicht, von Angaben dazu in
der Ausschreibung abzusehen. Angaben zu Kontaminationen sind entbehrlich,
wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass der auszu-
hebende Boden kontaminiert ist. Ein derartiger Fall liegt hier angesichts der
vom Berufungsgericht übernommenen Ausführungen des Sachverständigen
Prof. Dr.-Ing. K., wonach eine Salzbelastung in derartigen Bodenschichten sel-
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ten vorkommt (vgl. Protokoll des Termins vom 9. März 2011, Seite 3), nicht vor.
Ergibt sich eine Schadstoffbelastung aus den gesamten Vertragsumständen
nicht klar, sind Angaben dazu nach Art und Umfang grundsätzlich erforderlich.
DIN 18300 Abschnitt 0.2.3 dient gerade dazu, die bestehende Ungewissheit zu
beseitigen und dem Bieter eine ausreichende Kalkulationsgrundlage zu ver-
schaffen.
Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass sich die Beklagten an die
Ausschreibungsregeln halten. Sie durfte deshalb aus dem Umstand, dass eine
Schadstoffbelastung des Bodens nach Art und Umfang nicht angegeben war,
den Schluss ziehen, dass die Beklagten den Aushub schadstofffreien Bodens
ausgeschrieben hatten. Genauso war das Angebot der Klägerin zu verstehen,
das die Beklagten angenommen haben. Die Parteien haben danach den Aus-
hub schadstofffreien Bodens vereinbart.
III.
1. Das Berufungsurteil kann nach alledem, soweit im Verhältnis zu den
Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsicht-
lich eines 7.518,28
€ nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der
Klägerin entschieden worden ist, mit der gegebenen Begründung nicht beste-
hen bleiben. Es ist in diesem Umfang aufzuheben. Der Senat kann mangels
hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden. Im Umfang
der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Das Berufungsgericht wird Feststellungen zu den von der Klägerin be-
haupteten Kontaminationen des Aushubmaterials zu treffen haben. Dabei wird
zu beachten sein, dass die Klägerin nicht nur Chloridkontaminationen, sondern
auch Arsenkontaminationen behauptet hat (vgl. insbesondere Schriftsatz vom
2. Juni 2009, Seite 7).
b) Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von
der Klägerin behaupteten Kontaminationen vorliegen, wird es sich mit den gel-
tend gemachten Mehrvergütungsansprüchen zu befassen haben.
Kniffka
Safari Chabestari
Kosziol
Kartzke
Jurgeleit
Vorinstanzen:
LG Görlitz, Entscheidung vom 16.01.2009 - 1 O 110/07 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 04.05.2011 - 6 U 131/09 -
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