Urteil des BGH vom 09.07.2009
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 109/08 Verkündet
am:
9. Juli 2009
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 426 Abs. 1
Der Ausgleichsanspruch des Gesamtschuldners, der den Anspruch des Gläubi-
gers erfüllt hat, wird grundsätzlich nicht davon berührt, dass der Anspruch des
Gläubigers gegen den anderen Gesamtschuldner verjährt ist (Fortführung von
BGH, Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216).
BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - VII ZR 109/08 - OLG München
LG München I
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den Richter
Dr. Kuffer, den Richter Bauner, die Richterin Safari Chabestari und den Richter
Dr. Eick
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 15. April 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer der Ingenieurgemeinschaft H & S
(künftig: Versicherungsnehmerin). Sie macht gegen den Beklagten aus nach
§ 67 VVG a.F. übergegangenem Recht einen Ausgleichsanspruch gemäß
§ 426 Abs. 1 BGB geltend.
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Die Versicherungsnehmerin war von der L. GmbH (künftig: Auftraggebe-
rin) mit der Objektüberwachung eines Bauvorhabens in D. beauftragt. Der Be-
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klagte erbrachte für dieses Bauvorhaben Dachdecker- und Spenglerarbeiten,
die am 28. September 1995 abgenommen wurden.
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Ende 1999 holte die Auftraggeberin ein Privatgutachten ein, aus dem
sich die Mangelhaftigkeit der Werkleistung des Beklagten ergab. Mit Antrag
vom 25. Januar 2001 leitete sie ein selbständiges Beweisverfahren gegen die
Versicherungsnehmerin ein. Diese verkündete dem Beklagten mit Schriftsatz
vom 27. Februar 2001 den Streit. Das selbständige Beweisverfahren kam am
12. Juni 2003 zum Abschluss. Am 27. Juni 2005 erhob die Auftraggeberin ge-
gen die Versicherungsnehmerin Klage auf Schadensersatz vor dem Landge-
richt D. Die Versicherungsnehmerin verkündete dem Beklagten mit Schriftsatz
vom 25. August 2005 wiederum den Streit. Sie wurde durch Urteil vom
10. November 2006 verurteilt, an die Streithelfer der Auftraggeberin 61.417,20 €
nebst Zinsen zu zahlen. Von dem ausgeurteilten Betrag entfielen 14.300 €
nebst Zinsen auf Bauausführungsmängel der vom Beklagten erbrachten Leis-
tungen.
Die Klägerin hat den vom Landgericht D. ausgeurteilten Betrag nebst
Zinsen an die Berechtigten im November 2006 bezahlt.
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Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 19.817,84 € verur-
teilt. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabwei-
sungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurück-
verweisung an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht erkennt der Klägerin unter Bezugnahme auf das
landgerichtliche Urteil aus nach § 67 VVG a.F. übergegangenem Recht einen
Anspruch nach § 426 Abs. 1 BGB zu. Zwischen der Versicherungsnehmerin
und dem Beklagten bestehe ein Gesamtschuldverhältnis. Die Verantwortlichkeit
des Beklagten für die streitgegenständlichen Mängel und die Höhe der Scha-
densersatzpositionen stünden aufgrund der Streitverkündung der Versiche-
rungsnehmerin gegenüber dem Beklagten im Schadensersatzprozess zwischen
der Auftraggeberin und der Versicherungsnehmerin fest. Im Innenverhältnis
hafte der Beklagte gegenüber dem Architekten allein. Der Anspruch auf Ge-
samtschuldnerausgleich sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Gewähr-
leistungsanspruch der Auftraggeberin gegen den Beklagten bereits bei Einlei-
tung des selbständigen Beweisverfahrens gegen die Versicherungsnehmerin
verjährt gewesen sei. Der Ausgleichsanspruch selbst sei nicht verjährt. Dieser
sei frühestens mit der im November 2006 erfolgten Zahlung an die Auftraggebe-
rin fällig geworden.
II.
Dies hält in einem entscheidungserheblichen Punkt der rechtlichen
Überprüfung nicht stand.
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1. Die Revision nimmt hin, dass das Berufungsgericht die Versiche-
rungsnehmerin und den Beklagten als Gesamtschuldner ansieht und dem Be-
klagten im Innenverhältnis die alleinige Haftung zuweist. Auch gegen die vom
Berufungsgericht zugrunde gelegte Höhe der Mängelbeseitigungskosten und
der Zinsen erinnert die Revision nichts.
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2. Zu Recht misst das Berufungsgericht dem Umstand, dass die Gewähr-
leistungsansprüche der Auftraggeberin gegen den Beklagten bereits im Jahr
2000 verjährt sind, für den nach § 67 VVG a.F. auf die Klägerin übergegange-
nen Ausgleichsanspruch der Versicherungsnehmerin keine Bedeutung zu.
a) § 426 Abs. 1 BGB gewährt einen selbständigen Ausgleichsanspruch
zwischen mehreren Gesamtschuldnern, der auch der selbständigen Verjährung
unterliegt (BGH, Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 218;
Urteil vom 29. Oktober 1970 - VII ZR 14/69, BauR 1971, 60, 61; Staudinger/
Noack (2005), § 426 BGB Rdn. 7 f.; a.A. Stamm, BauR 2004, 240). Die Verjäh-
rungsfrist bestimmt sich nach der allgemeinen Vorschrift über die regelmäßige
Verjährung (§ 195 BGB) und ist von der Verjährung des nach § 426 Abs. 2 BGB
übergeleiteten Anspruchs des Gläubigers gegen den Ausgleichspflichtigen
unabhängig (vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschus-
ses zum Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts,
BT-Drucks. 14/7052, S. 195). Eine Anpassung der Verjährungsfrist dahinge-
hend, dass der Ausgleichsanspruch mit dem übergeleiteten Anspruch des
Gläubigers verjährt (so Rüssmann, JuS 1974, 292, 296), findet im Gesetz keine
Grundlage (vgl. Kniffka, BauR 2005, 274, 280).
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b) Der Ausgleichsanspruch wird auch nicht in anderer Weise davon be-
rührt, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichspflichtigen ver-
jährt ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - III ZR 76/07, BGHZ 175, 221,
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229; Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 218; RGZ 69,
422, 476).
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aa) Entgegen der Auffassung der Revision ist der Ausgleichspflichtige
nicht wie hinsichtlich des nach § 426 Abs. 2 BGB übergegangenen Anspruchs
berechtigt, dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner alle Einreden entge-
genzuhalten, die sich aus dessen Verhältnis zum Gläubiger ergeben (a.A.
Stamm, BauR 2004, 240). Indem das Gesetz in § 426 Abs. 1 BGB einen selb-
ständigen Ausgleichsanspruch schafft, gewährt es dem ausgleichsberechtigten
Gesamtschuldner eine Rechtsposition, die er allein durch die Überleitung des
Gläubigeranspruchs nach § 426 Abs. 2 BGB nicht erhielte. Diese Begünstigung
würde dem Anspruchberechtigten wieder genommen, wenn der Anspruch den-
selben Beschränkungen unterläge wie der übergeleitete Gläubigeranspruch.
bb) Die Verjährung des gegen den Beklagten gerichteten Gläubigeran-
spruchs kann nicht zum Nachteil des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners
wirken. Dieser ist an der Rechtsbeziehung zwischen dem Gläubiger und dem
weiteren Gesamtschuldner nicht beteiligt. Die Disposition, die der Gläubiger
innerhalb dieses Rechtsverhältnisses durch (bewusstes oder unbewusstes)
Verjährenlassen seiner Forderung gegenüber dem einen Gesamtschuldner
trifft, kann nicht das Innenverhältnis der Gesamtschuldner zum Nachteil des
anderen gestalten (vgl. MünchKommBGB-Bydlinsky, 5. Aufl., § 426 Rdn. 58;
BGH, Urteil vom 9. März 1972 - VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 219 f.; Kniffka,
BauR 2005, 274, 280).
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cc) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dem Gläubiger, dessen For-
derung gegen einen Gesamtschuldner schon vor der Leistung des anderen
Gesamtschuldners verjährt sei, stehe deswegen unter Umständen gegen den
anderen Gesamtschuldner nur ein reduzierter Anspruch zu (OLG Koblenz,
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Urteil vom 16. Januar 2008 - 1 U 1753/05, Textziffer 71, zitiert nach Juris;
Staudinger/Noack (2005), § 426 Rdn. 10; Weise, BauR 1992, 685, 692;
Esser/Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 39 III 2 a; Keuk, JZ 1972, 528,
529). Dem Ausgleichsberechtigten könnte dann entgegengehalten werden, er
habe (ganz oder teilweise) auf eine nicht bestehende Schuld geleistet und müs-
se insoweit den Gläubiger auf Rückzahlung in Anspruch nehmen.
Ob dies aufgrund besonderer Umstände der Fall sein kann, bedarf keiner
Entscheidung. Umstände, die eine Reduzierung des Gläubigeranspruchs recht-
fertigen könnten, liegen nicht vor.
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Der Gläubiger kann nach § 421 Satz 1 BGB die Leistung nach seinem
Belieben von jedem der Schuldner ganz oder teilweise verlangen. Die Regelung
trägt seinem Interesse Rechnung, nicht dadurch beeinträchtigt zu werden, dass
mehrere Beteiligte auf der Schuldnerseite stehen (Glöckner, BauR 2005, 251).
Macht er von seinem Recht Gebrauch, nur gegen einen von mehreren Gesamt-
schuldnern vorzugehen, und verjährt infolge seiner Untätigkeit gegenüber dem
anderen Gesamtschuldner seine gegen diesen bestehende Forderung, kann
ihm dies grundsätzlich nicht zum Nachteil gereichen. Allenfalls wenn sich das
Verhalten des Gläubigers als rechtsmissbräuchlich darstellt, könnte eine Wir-
kung für den Anspruch gegen den anderen Gesamtschuldner bejaht werden.
Allein das Verstreichenlassen der Verjährungsfrist, sei es wissentlich, aus Un-
kenntnis oder aus mangelnder Sorgfalt, genügt hierfür nicht. Andernfalls wäre
der Gläubiger gehalten, gegen jeden Gesamtschuldner verjährungshemmende
Maßnahmen zu ergreifen, wovon ihn die Vorschriften über die Gesamtschuld,
insbesondere § 425 BGB, gerade freistellen.
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dd) Es muss daher hingenommen werden, dass der Ausgleichsverpflich-
tete im Innenausgleich im Endergebnis zur Leistung herangezogen werden
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kann, obwohl er sich dem Gläubiger gegenüber auf die Verjährung des An-
spruchs berufen kann. Das ist ersichtlich im Gesetzgebungsverfahren zum
Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts nicht anders gese-
hen worden. So hat sich der Rechtsausschuss mit der Frage beschäftigt, ob die
neuen Verjährungsregeln auch beim Gesamtschuldnerausgleich zu zweckmä-
ßigen Ergebnissen führen. Er hat darauf hingewiesen, dass die Verkürzung der
Verjährung von dreißig Jahren auf drei Jahre sachgerecht ist. Änderungsvor-
schläge, wie sie im Vorfeld der Schuldrechtsmodernisierung im Abschlussbe-
richt der Schuldrechtskommission aus dem Jahre 1992 erarbeitet worden sind
(Abschlussbericht S. 108 f.), sind im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgenom-
men worden. Im Abschlussbericht war eine Regelung vorgeschlagen worden,
wonach der Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB wie der Anspruch des
Gläubigers gegen den ausgleichsverpflichteten Gesamtschuldner verjährt. Es
sollten jedoch Ausnahmetatbestände gelten, die es dem in Anspruch genom-
menen Gesamtschuldner für kurze Zeit erlauben, den ausgleichspflichtigen
Gesamtschuldner auch dann noch in Anspruch zu nehmen, wenn der Anspruch
des Gläubigers gegen den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner verjährt ist
(§ 426a-KE).
3. Keinen Bestand hat das Berufungsurteil, soweit das Berufungsgericht
meint, der Ausgleichsanspruch sei nicht verjährt.
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a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist für den Beginn der Ver-
jährung des Ausgleichsanspruchs dessen Entstehung in Form der Mitwirkung
und Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber der L. GmbH und nicht erst
die Zahlung der Klägerin an die Berechtigten maßgeblich.
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aa) Nach gefestigter Rechtsprechung entsteht der Ausgleichsanspruch
nach § 426 Abs. 1 BGB bereits in dem Augenblick, in dem die mehreren Er-
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satzpflichtigen dem Geschädigten ersatzpflichtig werden, also mit der Begrün-
dung der Gesamtschuld (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1953 - VI ZR
82/52, BGHZ 11, 170, 174; Urteil vom 21. März 1991 - IX ZR 286/90, BGHZ
114, 117, 122; Urteil vom 28. April 1994 - VII ZR 73/93, BauR 1994, 621 = ZfBR
1994, 209; Urteil vom 15. Oktober 2007 - II ZR 136/06, BauR 2008, 381 =
NZBau 2008, 121). Er besteht zunächst als Mitwirkungs- und Befreiungsan-
spruch und wandelt sich nach Befriedigung des Gläubigers in einen Zahlungs-
anspruch um.
bb) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat (Ur-
teil vom 18. Juni 2009 - VII ZR 167/08, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt),
folgt hieraus, dass der Ausgleichsanspruch unabhängig von seiner Ausprägung
als Mitwirkungs-, Befreiungs- oder Zahlungsanspruch einer einheitlichen Ver-
jährung unterliegt. Auch soweit er auf Zahlung gerichtet ist, ist er mit der Be-
gründung der Gesamtschuld im Sinne des § 199 BGB entstanden.
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b) Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die für die
Beurteilung der Hemmung der Verjährung erforderlichen Feststellungen fehlen.
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Festgestellt sind zwar die Daten der Schriftsätze, mit denen dem Beklag-
ten der Streit verkündet worden ist. Es fehlen jedoch die Daten der für die Hem-
mung maßgeblichen Zustellungszeitpunkte. Das hat die Revision ausdrücklich
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gerügt. Diese Daten ergeben sich zwar aus den Akten des selbständigen Be-
weisverfahrens und aus den Akten des Vorprozesses. Diese konnten jedoch
nicht zum Gegenstand der Revisionsverhandlung gemacht werden.
Kniffka Kuffer
Bauner
Safari Chabestari
Dr. Eick
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 24.09.2007 - 15 O 5356/07 -
OLG München, Entscheidung vom 15.04.2008 - 9 U 5089/07 -