Urteil des BGH vom 31.05.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 30/09 Verkündet
am:
31. Mai 2010
Vondrasek
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1; ZPO § 287
a) Wird in dem Emissionsprospekt eines geschlossenen Immobilienfonds erklärt, die dort prog-
nostizierte, für die Rentabilität des Fonds maßgebliche künftige Entwicklung der Mieten be-
ruhe "auf Erfahrungswerten der Vergangenheit", obwohl den Prospektverantwortlichen keine
Erkenntnisse darüber vorlagen, dass in der Vergangenheit bei vergleichbaren Objekten un-
ter entsprechenden äußeren Umständen Mietzuwächse in der prognostizierten Höhe erzielt
werden konnten, rechtfertigt das die Annahme eines zur Haftung wegen Verschuldens bei
Vertragsschluss führenden Prospektfehlers.
b) Ein Anleger muss sich im Wege des Vorteilsausgleichs die im Zusammenhang mit der Anla-
ge erzielten, dauerhaften Steuervorteile auf seinen Schaden anrechnen lassen, sofern nicht
die Ersatzleistung ihrerseits der Besteuerung unterliegt. Trotz Versteuerung der Ersatzleis-
tung sind die erzielten Steuervorteile demgegenüber aber anzurechnen, wenn Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass der Anleger derart außergewöhnliche Steuervorteile erzielt hat, dass
es unbillig wäre, ihm diese zu belassen (st. Rspr. vgl. nur Sen.Urt. v. 7. Dezember 2009
- II ZR 15/08, ZIP 2010, 176 Tz. 31).
c) Die sukzessive Absenkung des Einkommensteuerspitzensatzes von 53 % im Jahr der
Zeichnung auf 45 % zum Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens begründet für sich ge-
nommen keine hinreichenden Anhaltspunkte für solche außergewöhnlichen, dem geschädig-
ten Anleger verbleibenden Steuervorteile, die es ausschließen würden, ihm die in der
höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte, auf § 287 ZPO gestützte pauschalierende
Betrachtungsweise von Steuervorteilen und Steuernachteilen zugute kommen zu lassen mit
der Folge, dass eine konkrete Berechnung der mit der Anlage verbundenen Steuervorteile
vorzunehmen wäre.
BGH, Urteil vom 31. Mai 2010 - II ZR 30/09 - OLG Frankfurt/Main
LG Frankfurt/Main
- 2 -
Der II.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 31.
Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter
Prof.
Dr.
Goette und die Richter Dr.
Strohn, Dr.
Reichart, Dr.
Drescher
und Bender
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2009 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage - mit Aus-
nahme der Zinsen vom 1. Dezember 1999 bis 12. Juni 2006 - ab-
gewiesen worden ist.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des wei-
tergehenden Rechtsmittels das Urteil der 1. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2006 weiter-
gehend abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 45.939,56 €
nebst 4 % Zinsen seit 13. Juni 2006 zu zahlen Zug um Zug
gegen Übertragung der Kommanditbeteiligung des Klägers
an der D. Treuhand und Verwaltung GmbH & Co.
E. KG in Höhe von 100.000,00
DM
(51.129,19 €).
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den
Kläger von der Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB freizustel-
len Zug um Zug gegen Übertragung der Kommanditbeteili-
gung des Klägers an der D. Treuhand und Verwal-
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tung GmbH & Co. E. KG in Höhe
von 100.000,00 DM (51.129,19 €).
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entge-
gennahme der Kommanditbeteiligung in Annahmeverzug
befindet.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, von Beruf Zahnarzt, beteiligte sich auf der Grundlage eines
Verkaufsprospektes gemäß Erklärung vom 10. November 1999 mit einer Einla-
ge von 100.000,00 DM zuzüglich eines Aufgelds von 5.000,00 DM als Kom-
manditist an der D. Treuhand und Verwaltung GmbH und Co. E.
KG. Persönlich haftende Gesellschafterin der Fondsgesell-
schaft, deren Gegenstand die Vermietung und Verwaltung eines 1996 errichte-
ten Wohn- und Geschäftshauses ist, ist die Beklagte.
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Der Kläger hat die Beklagte wegen unterlassener Aufklärung über be-
hauptete Prospektmängel auf Schadensersatz in Anspruch genommen und
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Zahlung der geleisteten Einlage abzüglich Ausschüttungen (766,94 € x 8) sowie
die Feststellung verlangt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn von der Haftung
nach § 172 Abs. 4 HGB freizustellen, jeweils Zug um Zug gegen Übertragung
seiner Kommanditbeteiligung, sowie die weitere Feststellung, dass sie sich mit
der Entgegennahme der Kommanditbeteiligung in Annahmeverzug befindet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat der Klage
- hinsichtlich des Zahlungsantrags nur teilweise - stattgegeben und die weiter-
gehende Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richten sich die vom
Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers und die Anschlussrevision
der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt unter teilweiser Aufhebung
des angefochtenen Urteils zu einer weiteren Abänderung der landgerichtlichen
Entscheidung und zur Verurteilung der Beklagten auch hinsichtlich des abge-
wiesenen Teils der Klageforderung mit Ausnahme eines - in der 3. Instanz nicht
mehr weiterverfolgten - Teils der Zinsforderung. Die Anschlussrevision der Be-
klagten bleibt erfolglos.
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
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Dem Beklagten stehe ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsät-
zen des Verschuldens bei Vertragsschluss zu. Der bei den Vertragsverhand-
lungen verwendete Prospekt sei fehlerhaft gewesen, weil entgegen der Anga-
ben im Prospekt die dort prognostizierten, über den wirtschaftlichen Erfolg der
Anlage entscheidenden maßgeblichen Mietsteigerungen um jährlich 2 % in den
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beiden ersten Vermietungsjahren, um jährlich 2,5 % in den folgenden fünf Jah-
ren und jeweils 3 % bis zum Ende der 23 Jahre dauernden Vermietungsphase
nicht auf "Erfahrungswerten der Vergangenheit" beruht hätten. Der Kläger müs-
se sich jedoch die durch seine Beteiligung erzielten Steuervorteile anrechnen
lassen. Zwar habe er mit der Beteiligung gewerbliche Einkünfte erzielt und
müsse deshalb die Schadensersatzleistung als Betriebseinnahme versteuern.
Wegen der zwischenzeitlichen Herabsetzung des Einkommensteuerspitzensat-
zes durch das Steuersenkungsgesetz aus dem Jahr 2000 bestünden jedoch
Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger ein außergewöhnlicher Steuervorteil
verbleibe, der sich abstrakt auf 8.562,86 € belaufen könne. Da sich der insoweit
zumindest sekundär darlegungsbelastete Kläger zu der bei einer Rückzahlung
der Einlage im Jahr 2008 zu erwartenden Steuerbelastung nicht erklärt habe,
müsse er sich die im Zusammenhang mit seinem Beitritt erlangten Steuervortei-
le (32.721,40 €) in vollem Umfang anrechnen lassen.
II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht in allen
Punkten stand.
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A. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass die
Beklagte dem Kläger nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertrags-
schluss zum Schadensersatz verpflichtet ist.
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1. Vergeblich wendet sich die Anschlussrevision gegen die Auffassung
des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei Abschluss des Aufnahmevertrags
von der Beklagten nicht zutreffend über die Risiken der Anlage unterrichtet
worden ist.
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a) Nach der ständigen Rechtssprechung des Senats muss einem Anle-
ger für seine Beitrittsentscheidung ein richtiges Bild über das Beteiligungsobjekt
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vermittelt werden, d.h. er muss über alle Umstände, die für seine Anlageent-
scheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere
über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen
Nachteile und Risiken, zutreffend, verständlich und vollständig aufgeklärt wer-
den (BGHZ 79, 337, 344; BGH, Sen.Urt. v. 7. April 2003 - II ZR 160/02,
WM 2003, 1086, 1088; v. 7. Dezember 2009 - II ZR 15/08, ZIP 2010, 176
Tz. 18; v. 22. März 2010 - II ZR 66/08, WM 2010, 972 Tz. 9). Dies ist hier - wie
das Berufungsgericht in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung festgestellt
hat - durch den verwendeten Prospekt nicht geschehen.
b) Der Prospekt ist fehlerhaft. Wie das Berufungsgericht richtig gesehen
hat, ist dies allerdings nicht schon deshalb der Fall, weil die prospektierten Mie-
terträge bisher nicht erzielt worden sind. Zwar stellen die voraussichtlichen Mie-
terträge, von denen die künftige Entwicklung des Anlageobjekts abhängt, ein
wesentliches Kriterium für die Entscheidung des Anlegers dar, sich an einem
geschlossenen Immobilienfonds zu beteiligen. Ein Prospektherausgeber über-
nimmt aber grundsätzlich keine Gewähr dafür, dass die von ihm prognostizierte
Entwicklung tatsächlich eintritt (BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 - XI ZR 337/08,
ZIP 2009, 2377 Tz. 19; Sen.Urt. v. 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, ZIP 1982, 923,
928). Hieran lässt der Prospekt, dem eindeutig zu entnehmen ist, dass für die
Richtigkeit der Prognoserechnung nicht garantiert werde, keinen Zweifel.
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c) Ein Prospektfehler liegt jedoch darin, dass die der Liquiditätsprognose
zugrunde gelegte Entwicklung der Mieten nicht auf der behaupteten Grundlage
beruhte. Mit der Darstellung, die im Prospekt prognostizierten Mietsteigerungen
"beruhten auf Erfahrungswerten der Vergangenheit", wird - wie das Berufungs-
gericht in revisionsrechtlich nicht angreifbarer tatrichterlicher Würdigung ange-
nommen hat - bei einem Anlageinteressenten die Vorstellung geweckt, dass in
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der Vergangenheit unter vergleichbaren äußeren Umständen entsprechende
Mietzuwächse erzielt wurden und dass die auf derartige Erfahrungswerte ge-
stützte Prognose der mit der Fondsimmobilie künftig erzielbaren Mieten deshalb
zuverlässiger sei, als wenn sie lediglich unter Zugrundelegung verschiedener,
für die Entwicklung von Mieten grundsätzlich bedeutsamer Faktoren - wie z.B.
die Entwicklung des Lebenshaltungsindex der letzten 20 Jahre für einen Vier-
personenarbeitnehmerhaushalt, standort- und objektbezogene Umstände u.a. -
erstellt worden wäre. Dass damit nicht zugleich gesagt wird, dass die Ver-
gleichsobjekte in der Stadt E. liegen, ist insoweit ohne Belang. Der Eindruck,
dass die Prognose sicherer sei, weil Erfahrungswerte über die Entwicklung der
Mieten bestünden, wird verstärkt durch die Ausführungen auf S. 50 2. Absatz
des Prospekts, wo es heißt, dass bei der Anlage in zu vermietende Immobilien
- anders als bei Risikokapitalinvestitionen - die Prognoserechnungen auf einem
soliden Fundament aufbauten, weil die Fortschreibung der am konkreten Markt
üblichen, erzielbaren Mieten für die Zukunft, nicht zuletzt aufgrund von Erfah-
rungswerten der Vergangenheit, im Schätzungswege möglich sei. Dass sich
diese Ausführungen im Prospekt unter der Überschrift "Einkommensteuer" fin-
den, steht ihrer Würdigung im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen.
Für die Beurteilung, ob ein Emissionsprospekt unrichtig oder unvollständig ist,
ist auf das Gesamtbild abzustellen, das er dem Anleger vermittelt (BGH,
Sen.Urt. v. 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, ZIP 1982, 923, 924; Urt. v. 28. Februar
2008 - III ZR 149/07, VuR 2008, 178 Tz. 8).
Die Aussage, dass die Liquiditätsprognose und die ihr zugrunde gelegte
künftige Mietentwicklung darauf beruhten, dass in der Vergangenheit bei ver-
gleichbaren Objekten unter vergleichbaren äußeren Umständen Mietzuwächse
in dieser Höhe erzielt werden konnten, ist unzutreffend. Anders als es der Pros-
pekt suggeriert, standen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts den
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Prospektverantwortlichen solche "Erfahrungswerte der Vergangenheit", die die
Annahme stützen konnten, dass auch für die Fondsimmobilie Mietzuwächse in
der im Prospekt dargestellten Höhe zu erzielen seien, nicht zur Verfügung.
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Anders als die Anschlussrevision meint, ist ein Prospektfehler nicht des-
halb zu verneinen, weil - wovon mangels gegenteiliger Feststellungen des Beru-
fungsgerichts für das Revisionsverfahren auszugehen ist - die Prognose über
die Steigerung der Mieterträge durch ausreichende Tatsachen (Entwicklung des
Lebenshaltungskostenindex der letzten zwanzig Jahre für einen Vierpersonen-
arbeitnehmerhaushalt, Mietspiegel der Stadt E. , Mitteilung der Stadt E.
über den voraussichtlichen Wohnungsbedarf, standort- und objektbezogene
Umstände) gestützt und aus damaliger Sicht kaufmännisch vertretbar war. Zwar
sind die Interessen eines Anlegers, der mit seiner Entscheidung für die Anlage
das Risiko trägt, dass die prospektierte künftige Entwicklung des Anlageobjekts
nicht eintritt, grundsätzlich gewahrt, wenn die Prognose diese Voraussetzungen
erfüllt und die künftigen Mieterträge nach den damals gegebenen Verhältnissen
und unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Risiken kalkuliert sind
(BGH, Sen.Urt. v. 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, ZIP 1982, 923, 927 f.; Urt. v.
27. Oktober 2009 - XI ZR 337/08, ZIP 2009, 2377 Tz. 19; v. 18. Juli 2008
- V ZR 71/07, WM 2008, 1798 Tz. 11).
So verhält es sich hier jedoch nicht. Auch wenn die Prognose hinrei-
chend auf Tatsachen gestützt und kaufmännisch vertretbar war, wird dem Anla-
geinteressenten hier ein unzutreffendes Bild von der angebotenen Kapitalbetei-
ligung vermittelt, weil im Prospekt der unrichtige Eindruck erweckt wird, das je-
der Prognose - auch wenn sie den genannten Anforderungen genügt - anhaf-
tende Risiko, dass sie sich im nachhinein als unzutreffend erweist, sei bei dem
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angebotenen Anlageobjekt geringer zu bewerten, weil die Schätzung "auf Er-
fahrungswerten der Vergangenheit" beruhe und deshalb zuverlässiger sei.
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Dieser Eindruck wird durch die im Prospekt erteilten Risikohinweise nicht
entkräftet. Mit der Formulierung, dass sich die Mieten anders als im Prospekt
dargestellt entwickeln können, weil es sich um künftige Sachverhalte handele,
wird dem Anlageinteressenten lediglich die jeder Prognose immanente Unsi-
cherheit vor Augen geführt. Dass die für diesen Fonds prospektierten Werte
zuverlässiger sind, weil sie auf Erfahrungswerten der Vergangenheit beruhen,
wird damit jedoch nicht in Frage gestellt.
2. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der
Prospektfehler für die Beitrittsentscheidung des Klägers ursächlich war.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht es der Le-
benserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich
geworden ist (Senat, BGHZ 177, 25 Tz. 19; 79, 337, 346; Sen.Urt. v. 3. Dezem-
ber 2007 - II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Tz. 16; v. 1. März 2004 - II ZR 88/02,
ZIP 2004, 1104, 1106; v. 7. Dezember 2009 - II ZR 15/08, ZIP 2010, 176
Tz. 23). Diese Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens sichert das Recht
des Anlegers, in eigener Entscheidung und Abwägung des Für und Wider dar-
über zu befinden, ob er in ein bestimmtes Projekt investieren will oder nicht
(Senat, BGHZ 123, 106, 112 ff.).
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Die Vermutung, dass sich der Kläger - über den unrichtig dargestellten
Umstand zutreffend aufgeklärt - gegen eine Beteiligung entschieden hätte, ist
nicht deshalb entkräftet, weil - wie die Anschlussrevision meint - bei einer gehö-
rigen Aufklärung für den Kläger vernünftigerweise mehrere Möglichkeiten auf-
klärungsrichtigen Verhaltens bestanden hätten und er in einen Entscheidungs-
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konflikt gekommen wäre. Bei einem Immobilienfonds, von dem der durch-
schnittliche Anleger Werthaltigkeit erwartet, ist regelmäßig davon auszugehen,
dass er bei richtiger Aufklärung über wichtige, die Werthaltigkeit der Anlage be-
einflussende Umstände dem Fonds nicht beigetreten wäre, auch wenn er mit
erheblichen Steuervorteilen geworben wurde (BGH, Sen.Urt. v. 2. März 2009
- II ZR 266/07, ZIP 2009, 764 Tz. 6; v. 22. März 2010 - II ZR 66/08, WM 2010,
972 Tz. 19; Urt. v. 9. Februar 2006 - III ZR 20/05, ZIP 2006, 568 Tz. 24). Eine
Ausnahme von diesem Grundsatz kommt allenfalls bei hochspekulativen Ge-
schäften in Betracht (BGHZ 160, 58, 66 f.; vgl. aber BGH, Urt. v. 12. Mai 2009
- XI ZR 586/07, ZIP 2009, 1264 Tz. 22 zur grundsätzlich geltenden Kausalitäts-
vermutung), zu denen die Beteiligung an einem Immobilienfonds grundsätzlich
nicht gehört (BGH, Sen.Urt. v. 22. März 2010 aaO Tz. 19; Urt. v. 9. Februar
2006 aaO Tz. 24).
3. Ohne Erfolg wendet sich die Anschlussrevision gegen die Feststellung
des Berufungsgerichts, dem Kläger sei durch den Beitritt ein Schaden entstan-
den. Auf einen Schaden im Sinne fehlender Werthaltigkeit der Beteiligung
kommt es nicht an; Grund für die Haftung der Beklagten ist der Eingriff in das
Recht des Klägers, zutreffend informiert über die Verwendung seines Vermö-
gens selbst zu bestimmen und sich für oder gegen die Anlage zu entscheiden
(Senat, BGHZ 123, 106, 112 f.). Ist der Kläger durch die unzutreffende Aufklä-
rung dazu veranlasst worden, dem Immobilienfonds beizutreten, kann er ver-
langen, im Wege der Naturalrestitution so gestellt zu werden, als wenn er sich
an dem Fonds nicht beteiligt hätte, und hat gegen die Beklagte Anspruch auf
Erstattung der für den Erwerb der Anlage gemachten Aufwendungen abzüglich
erhaltener Ausschüttungen - hier 45.939,56 € - gegen Rückgabe der Anlage.
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B. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Klä-
ger müsse sich die im Zusammenhang mit der Anlage erzielten Steuervorteile
auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen.
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1. Gegen eine Anrechnung der dem Kläger infolge seiner Beteiligung er-
wachsenen Steuervorteile bestehen schon deshalb Bedenken, weil sich der
Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in Kenntnis des Pros-
pektfehlers an einem anderen Steuersparmodell beteiligt und dies - wie nach
der Lebenserfahrung anzunehmen ist - zu vergleichbaren steuerlichen Folgen
geführt hätte. Mit seiner Auffassung, der Kläger müsse sich dennoch die erziel-
ten Steuervorteile anrechnen lassen, weil sich seinem Vortrag nicht hinreichend
entnehmen lasse, dass ihm die Alternativanlage Steuervorteile in derselben
Höhe verschafft hätte und diese zudem ordnungsgemäß laufe, überspannt das
Berufungsgericht die Substantiierungsanforderungen an den Vortrag des Klä-
gers.
Von einem Anleger, der einem Fonds aufgrund unrichtiger Prospektan-
gaben beigetreten ist, kann nicht erwartet werden, dass er Jahre nach Zeich-
nung einer Anlage im einzelnen darlegt, welche anderweitigen Anlagemöglich-
keiten zum damaligen Zeitpunkt bestanden und welche steuerlichen Auswir-
kungen sich für ihn ergeben hätten, wenn er sich für ein Alternativinvestment
entschieden hätte. Ist davon auszugehen, dass sich der Kläger in Kenntnis des
Prospektfehlers an einem anderen Steuersparmodell beteiligt hätte, spricht al-
les dafür, dass er eine Anlage gewählt hätte, die ihm Steuervorteile in ver-
gleichbarer Höhe gebracht hätte. Gegenteiliges kann der von der Anschlussre-
vision herangezogenen Entscheidung des Senats (BGH, Sen.Urt. v. 6. Februar
2006 - II ZR 329/04, ZIP 2006, 893 Tz. 21) ebenso wenig entnommen werden
wie dem angeführten Urteil des XI. Zivilsenats (BGH, Urt. v. 13. Januar 2004
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- 12 -
- XI ZR 355/02, ZIP 2004, 452), das sich nicht zur Anrechnung von Steuervor-
teilen verhält.
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Dass zum damaligen Zeitpunkt gleichwertige alternative Anlagen am
Markt nicht verfügbar gewesen wären oder dass ein Alternativinvestment dem
Kläger ausnahmsweise lediglich geringere Steuervorteile verschafft hätte, hat
das Berufungsgericht nicht festgestellt. Anhaltspunkte dafür sind - auf der
Grundlage des Parteivortrags - auch nicht ersichtlich.
2. Eine Anrechnung von Steuervorteilen scheidet davon abgesehen aber
deshalb aus, weil der Kläger nach den vom Berufungsgericht getroffenen Fest-
stellungen die Schadensersatzleistung zu versteuern hat.
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a) Im Ansatz noch zutreffend geht das Berufungsgericht von der gefestig-
ten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anrechnung von Steuervorteilen
aus. Danach muss sich der Anleger im Wege des Vorteilsausgleichs die im Zu-
sammenhang mit der Anlage erzielten, dauerhaften Steuervorteile auf seinen
Schaden anrechnen lassen, sofern nicht die Ersatzleistung ihrerseits, etwa als
Betriebseinnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, besteuert wird (Senat,
BGHZ 159, 280, 294; 74, 103, 114 ff.; 53, 132, 138; BGH, Sen.Urt. v.
7. Dezember 2009 - II ZR 15/08, ZIP 2010, 176 Tz. 31; v. 3. Dezember 2007
- II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Tz. 27; v. 29. November 2004 - II ZR 6/03,
ZIP 2005, 254, 257; v. 14. Januar 2002 - II ZR 40/00, DStR 2002, 778, 779;
BGH, Urt. v. 17. November 2005 - III ZR 350/04, ZIP 2006, 573 Tz. 8; Urt. v.
6. März 2008 - III ZR 298/05, ZIP 2008, 838 Tz. 28; Beschl. v. 9. April 2009
- III ZR 89/08, BeckRS 2009, 11192 Tz. 10). Trotz Versteuerung der Ersatzleis-
tung sind die erzielten Steuervorteile demgegenüber aber anzurechnen, wenn
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Anleger derart außergewöhnliche
Steuervorteile erzielt hat, dass es unbillig wäre, ihm diese zu belassen (z.B.
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BGH, Sen.Urt. v. 9. Oktober 1989 - II ZR 257/88, WM 1990, 145, 148; v. 14. Juli
2003 - II ZR 202/02, ZIP 2003, 1651, 1654; Urt. v. 12.
Februar 1986
- IVa ZR 76/84, ZIP 1986, 562, 565; v. 17. November 2005 - III ZR 350/04,
ZIP 2006, 573 Tz. 8; v. 6. März 2008 - III ZR 298/05, ZIP 2008, 838 Tz. 28;
Beschl. v. 9. April 2009 - III ZR 89/08, BeckRS 2009, 11192 Tz. 10; Urt. v.
19. Juni 2008 - VII ZR 215/06, WM 2008, 1757 Tz. 13).
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Anhaltspunkte für derartige
außergewöhnliche Steuervorteile bestehen, trägt der Schädiger (z.B. BGH,
Sen.Urt. v. 14. Juli 2003 - II ZR 202/02 aaO; Urt. v. 6. März 2008 - III ZR 298/05
aaO; Beschl. v. 9.
April 2009 -
III
ZR
89/08 aaO; v. 12.
Februar 1986
- IVa ZR 76/84 aaO). Sind danach Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der
Geschädigte außergewöhnliche Steuervorteile erlangt hat, ist eine konkrete Be-
rechnung vorzunehmen, die Sache des Schädigers ist; den Geschädigten trifft
jedoch eine sekundäre Darlegungslast, weil nur er über die insoweit erforderli-
chen Kenntnisse verfügt. Er ist deshalb gehalten, die für die Berechnung erfor-
derlichen Daten mitzuteilen (BGH, Sen.Urt. v. 3. Dezember 2007- II ZR 21/06,
ZIP 2008, 412 Tz. 27). Kommt er seiner sekundären Darlegungslast nicht nach,
gilt die Behauptung der primär beweisbelasteten Partei als zugestanden
(Zöller/Greger, ZPO 28. Aufl. Vor § 284 Rdn. 34 c).
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Von dieser Rechtsprechung abzurücken sieht der Senat trotz vereinzelt
erhobener Bedenken in der Literatur (Wagner, GWR 2009, 364; Loritz/Wagner,
ZfIR 2003, 753, 761 f.; Müller, EWiR 1990, 871, 872; zustimmend: Podewils,
ZfIR 2008, 461, 462) und in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG
München BeckRS 2008, 04917; OLG Karlsruhe GWR 2009, 68) keinen Anlass.
27
b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die weitere Annahme des Berufungsge-
richts, für eine typisierende Betrachtung der mit der Anlage verbundenen Steu-
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- 14 -
ervorteile und Steuernachteile sei hier kein Raum, weil wegen der sukzessiven
Absenkung des Einkommensteuerspitzensatzes von 53 % im Jahr 1999 auf
derzeit 45 % Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Kläger einen außerge-
wöhnlichen Steuervorteil erlangt habe. Dies trifft nicht zu.
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(1) Die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer
führt für sich genommen nicht dazu, dass die mit der Anlage verbundenen
Steuervorteile - erheblich - höher sind als der durch die Besteuerung der Er-
satzleistung entstehende Steuernachteil. Ob und in welchem Umfang die Ab-
senkung des Steuersatzes die Besteuerung der Ersatzleistung beeinflusst,
hängt von einer Vielzahl von Faktoren des einzelnen Steuerfalls ab.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, mit der sukzessiven Absenkung
des Spitzensteuersatzes als einem für die Besteuerung der Ersatzleistung
maßgeblichen Faktor sei ohne weiteres ein "Anhaltspunkt für außergewöhnli-
che, dem Geschädigten verbleibende Steuervorteile" gegeben mit der Folge,
dass eine konkrete Berechnung der Steuervorteile vorzunehmen sei, ist mit der
pauschalierenden Betrachtungsweise der höchstrichterlichen Rechtsprechung
nicht zu vereinbaren, die es - gestützt auf § 287 ZPO - gerade hinnimmt, dass
sich einzelne Umstände der konkreten Besteuerung in der Zeit zwischen der
Zeichnung der Anlage und der Geltendmachung der Schadensersatzleistung
ändern und Steuervorteil und Steuernachteil im Einzelfall nicht deckungsgleich
sind. Der mit dieser Rechtsprechung verfolgte Zweck, bei Besteuerung der Er-
satzleistung den mit einer konkreten Berechnung des Steuervorteils wegen der
vielfältigen Besonderheiten und Möglichkeiten der konkreten Besteuerung und
ihrer unterschiedlichen Entwicklung in verschiedenen Zeiträumen verbundenen
unverhältnismäßigen Aufwand zu vermeiden, beansprucht auch dann Geltung,
wenn eine Änderung der konkreten Besteuerung wegen der Absenkung des
30
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Spitzensteuersatzes in Betracht kommt. Dass denkbare Steuervorteile, die auf
einer Absenkung des Spitzensatzes der Einkommensteuer beruhen, von vorn-
herein derart "außergewöhnlich" sein sollten, dass es unbillig wäre, sie dem
Anleger zu belassen, ist nicht nachvollziehbar.
31
(2) Gegen die Sichtweise des Berufungsgerichts, schon die Absenkung
des Spitzensteuersatzes zwischen dem Erwerb des Kommanditanteils und dem
Schadensersatzverlangen biete Anhaltspunkte für einen dem geschädigten An-
leger verbleibenden außergewöhnlichen Steuervorteil, der es ausschließe, ihm
die pauschalierende Betrachtungsweise der höchstrichterlichen Rechtspre-
chung zugute kommen zu lassen, sprechen außerdem die sich daraus erge-
benden, den praktischen Erfordernissen schwerlich Rechnung tragenden Fol-
gen im Schadensersatzprozess: Ist eine konkrete Berechnung vorzunehmen,
trifft den Anleger die sekundäre Darlegungslast für die aus seiner Sphäre
stammenden Daten, die zur Berechnung der mit der Anlage verbundenen Steu-
ervorteile und Steuernachteile erforderlich sind (BGH, Sen.Urt. v. 3. Dezember
2007- II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Tz. 27). Entsprechender Vortrag ist dem An-
leger im Schadensersatzprozess jedoch nicht möglich, da ihm zu diesem Zeit-
punkt die für seine Besteuerung im Jahr des Zuflusses der Schadensersatzzah-
lung maßgeblichen Umstände, hier insbesondere die Höhe des aus freiberufli-
cher Tätigkeit erzielten Einkommens, nicht bekannt sind. Kann eine exakte Be-
rechnung der erzielten Steuervorteile unter Gegenüberstellung der tatsächli-
chen mit der hypothetischen Vermögenslage erst nach Ablauf desjenigen Ver-
anlagungszeitraums vorgenommen werden, in dem die Ersatzleistung geflos-
sen ist, müsste sich der geschädigte Anleger die beim Erwerb des Anteils er-
langten Steuervorteile - ganz oder verringert um die im Zuflussjahr geschätzte
Steuerlast - auf seine Schadensersatzleistung anrechnen lassen und würde auf
eine spätere Nachforderung der ihm durch die Ersatzleistung entstandenen wei-
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teren Steuernachteile verwiesen. Abgesehen davon, dass hierdurch theoretisch
eine endlose Wiederholung droht, da auf die im Folgeverfahren zugesprochene
Schadensersatzleistung wiederum Steuern anfallen, deren Ersatz ebenfalls be-
ansprucht werden kann, hat diese Verfahrensweise außerdem zur Folge, dass
der Anleger, der die Schadensersatzleistung erhalten will, den Fondsanteil aus
der Hand geben muss, obwohl feststeht, dass ihm wegen der Besteuerung der
Ersatzleistung weitere Ansprüche zustehen oder - sofern die Steuernachteile
vorab geschätzt wurden - solche jedenfalls in Betracht kommen. Dies ist nach
der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die gerade auch zur Vermeidung die-
ser Folgen eine typisierende Betrachtung von Steuervorteil und Steuernachteil
vornimmt, einem geschädigten Anleger grundsätzlich nicht zumutbar (BGHZ 53,
132, 138). Hiervon allein wegen der Absenkung des Steuersatzes von 53 % auf
45 % abzuweichen, erscheint bei einer Gesamtbetrachtung der gegebenen
Umstände auch unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt.
(3) Einer pauschalierenden Betrachtungsweise von Steuervorteilen und
Steuernachteilen steht schließlich auch nicht die Höhe des dem Kläger infolge
der Absenkung des Spitzensteuersatzes möglicherweise verbleibenden abs-
trakten Steuervorteils entgegen. Der von der Beklagten errechnete abstrakte
Differenzbetrag von 8.562,86 € ist, wie die Revision mit Recht rügt, schon nicht
nachvollziehbar, weil er nicht nur auf der Absenkung des Spitzensteuersatzes
von 53 % auf 45 %, sondern darauf beruht, dass für das Jahr 1999 - anders als
für 2008 - nicht nur der geltende Spitzensteuersatz, sondern eine Steuerbelas-
tung von insgesamt 60,95 % zugrunde gelegt wird. Ist der von der Beklagten
berechnete Betrag somit nahezu um die Hälfte geringer, stellt sich ein auf der
Absenkung des Spitzensteuersatzes beruhender möglicher Steuervorteil
- jedenfalls - in der dann gegebenen Größenordnung nicht als außergewöhnli-
cher Vorteil im Sinne der Rechtsprechung dar, der dem geschädigten Anleger
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- nimmt man die Schwierigkeiten und nachteiligen Folgen einer exakten Be-
rechnung in den Blick - billigerweise nicht belassen werden könnte.
Goette Strohn Reichart
Drescher Bender
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 22.12.2006 - 2/1 O 50/06 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 20.01.2009 - 5 U 75/07 -