Urteil des BGH vom 04.05.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 110/09
vom
11. März 2010
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO §§ 13, 20 Abs. 2, § 287 Abs. 1
Einem Schuldner ist es verwehrt, sich gegen den Antrag eines Gläubigers auf Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens hauptsächlich mit dem Einwand zu verteidigen, der
Antrag sei unzulässig oder unbegründet, und nur hilfsweise für den Fall, dass das
Insolvenzgericht den Antrag des Gläubigers für zulässig und begründet hält, einen
eigenen Insolvenzantrag verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung zu
stellen.
BGH, Beschluss vom 11. März 2010 - IX ZB 110/09 - LG Köln
AG
Köln
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Dr. Pape und Grupp
am 11. März 2010
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Köln vom 4. Mai 2009 wird auf Kosten des
Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die weitere Beteiligte zu 1 (Gläubigerin) stellte am 7. März 2008 Antrag
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. In
der schriftlichen Anhörung zu diesem Antrag wies das Insolvenzgericht den
Schuldner mit Verfügung vom 13. März 2008 auf die Möglichkeit hin, binnen
drei Wochen ab Zustellung einen eigenen Insolvenzantrag verbunden mit einem
Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen. Der Schuldner reagierte mit Schrei-
ben vom 29. März 2008, in dem er das Vorliegen eines Insolvenzgrundes
bestritt und im Übrigen Folgendes ausführte:
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"Vorsorglich stelle ich Antrag auf Restschuldbefreiung. Für den
Fall, dass das Gericht den Antrag für begründet erachtet, stelle ich einen
eigenen Insolvenzantrag. In meinem Fall handelt es sich, wenn es über-
haupt ein Fall ist, um eine Verbraucherinsolvenz. Deshalb bitte ich um
Zusendung des besonderen Merkblattes. Da ich weniger als 20 Gläubi-
ger habe und als Angestellter arbeite, erfülle ich die Voraussetzungen
von § 304 InsO. Deshalb bitte ich ggf. um Aussetzung des Verfahrens
gemäß § 306 I InsO."
Im weiteren Verlauf des Eröffnungsverfahrens holte das Insolvenzgericht
ein Gutachten zu den Eröffnungsvoraussetzungen ein. Der Sachverständige
kam hierin zu dem Ergebnis, dass Zahlungsunfähigkeit vorliege und aufgrund
der Einzahlung eines Verfahrenskostenvorschusses durch die weitere Beteiligte
zu 1 die Verfahrenseröffnung erfolgen könne. Mit Verfügung vom 17. Oktober
2008 übersandte das Insolvenzgericht das Gutachten dem Schuldner. Im Über-
sendungsschreiben wies es darauf hin, dass zwar nach dem Ergebnis des Gut-
achtens ein Eröffnungsgrund vorliege, eine Eröffnung aber nur im Fall der Ein-
zahlung des Kostenvorschusses erfolge. Einige Tage später teilte der Sachver-
ständige dem Gericht mit, dass der Kostenvorschuss schon am 14. Oktober
2008 eingezahlt worden sei. Mit Beschluss vom 26. November 2008 hat das
Insolvenzgericht das Verfahren auf Antrag der Gläubigerin eröffnet. Im Eröff-
nungsbeschluss hat es festgestellt, dass ein Antrag des Schuldners auf Rest-
schuldbefreiung nicht vorliege.
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Eine sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Eröffnungsbe-
schluss, in der er auf seinen früher vorsorglich gestellten Restschuldbefrei-
ungsantrag und den dort bedingt gestellten Eigenantrag hingewiesen hat, hat
keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine
Anträge auf Aussetzung des eröffneten Verfahrens zur Durchführung eines Ei-
genantragsverfahrens und Stellung eines Antrags auf Restschuldbefreiung wei-
ter.
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II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2,
§ 289 Abs. 2 Satz 1 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574
Abs. 2 ZPO), bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Eine Aussetzung des Ver-
fahrens, um dem Schuldner Gelegenheit zu geben, einen eigenen Insolvenzan-
trag zu stellen, kommt nicht in Betracht.
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1. Das Beschwerdegericht meint, der Schuldner habe keinen zulässigen
Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt, weil er auf den Hinweis des Insolvenz-
gerichts nach § 20 Abs. 2 InsO in erster Linie beantragt habe, den Gläubigeran-
trag abzuweisen, nur "vorsorglich" einen Antrag auf Restschuldbefreiung ge-
stellt habe und einen eigenen Insolvenzantrag nur für den Fall, dass das Ge-
richt den Antrag für begründet erachte. Ein nur bedingter oder befristeter Insol-
venzantrag sei unzulässig. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Gläubiger
den Antrag von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe oder der Schuldner ihn
von der Stundung der Verfahrenskosten abhängig mache. Da ein zulässiger
Eigenantrag Sachentscheidungsvoraussetzung für einen zulässigen Rest-
schuldbefreiungsantrag sei, müsse der nur vorsorglich gestellte Antrag auf
Restschuldbefreiung als unzulässig angesehen werden.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
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a) Als Prozesshandlungen sind Anträge auf Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich bedingungsfeindlich
(BGHZ 167, 190, 194 Rn. 12; OLG Köln ZIP 2000, 2031, 2033; Graf-Schlicker/
Fuchs, InsO 2.
Aufl. §
13 Rn.
2; HK-InsO/Kirchhof, 5.
Aufl. §
13 Rn.
4;
HmbKomm-InsO/Wehr, 3. Aufl. § 13 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl.
§ 13
Rn. 77;
Pape
in
Kübler/Prütting/Bork,
InsO
§ 13
Rn. 71;
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Uhlenbruck, InsO 13. Aufl. § 13 Rn. 7). Zwar gilt auch für Insolvenzanträge die
weitere auf Prozesshandlungen allgemein anzuwendende Regel (vgl. BGHZ
132, 390, 398; BGH, Urt. v. 11. Juli 1996 - IX ZR 226/94, ZIP 1996, 1516, 1521;
v. 25. Februar 2003 - IX ZR 240/00, NJW-RR 2003, 1145, 1146; Zöller/Greger,
ZPO 28. Aufl. § 253 Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Geisler, ZPO § 253 Rn. 2; Hk-
ZPO/Saenger, 3. Aufl. § 253 Rn. 4), dass sie an eine bloße innerprozessuale
Bedingung geknüpft werden und deshalb hilfsweise für den Fall zur Entschei-
dung gestellt werden können, dass ein bestimmtes innerprozessuales Ereignis
eintritt (OLG Köln aaO; Graf-Schlicker/Fuchs, aaO; HK-InsO/Kirchhof aaO;
Pape, aaO Rn. 71b). Von einer solchen bloß innerprozessualen Bedingung, die
etwa vorliegt, wenn der Antrag auf Verfahrenseröffnung an die Stundungsbewil-
ligung geknüpft wird, ist aber nicht auszugehen, wenn der Schuldner den mit
einem Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Rest-
schuldbefreiungsantrag nur hilfsweise für den Fall stellt, dass das Insolvenzge-
richt den Antrag eines Gläubigers für zulässig und begründet hält. Ein Vorrang-
verhältnis, wie es innerhalb eines bestehenden Prozessrechtsverhältnisses bei
einer eventuellen Klagehäufung dann als unbedenklich angesehen wird, wenn
die Antragstellung vom Ergebnis der Sachentscheidung des Gerichts über den
Hauptanspruch abhängig sein soll (vgl. BGH, Urt. v. 16. Mai 1984 - VIII ZR
18/83, NJW 1984, 2937, 2938), kommt zwischen verschiedenen Insolvenzan-
trägen nicht in Betracht. Der Schuldner muss sich deshalb entscheiden, ob er
dem Gläubigerantrag entgegentritt oder ob er sich dessen Antrag mit einem
eigenen unbedingten Antrag anschließt. Er kann nicht in erster Linie geltend
machen, gar nicht insolvent zu sein, und nur hilfsweise, für den Fall, dass das
Insolvenzgericht die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfah-
rens feststellt, einen eigenen Insolvenzantrag stellen. Es ist widersprüchlich und
stellt keine bloße innerprozessuale Verknüpfung dar, wenn der Schuldner auf
den Gläubigerantrag einwendet, ein Insolvenzgrund liege nicht vor, in zweiter
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Linie jedoch einen eigenen Antrag stellt, mit dem er vorträgt, ein Eröffnungs-
grund sei doch gegeben, sofern das Insolvenzgericht den Gläubigerantrag für
begründet erachte.
Über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines
Schuldners kann nur einheitlich entschieden werden; die Grundsätze des pro-
zessualen Vorrangs sind nicht anwendbar (Pape EWiR 2001, 537, 538 gegen
OLG Köln aaO). Mehrere gleichzeitig anhängige Insolvenzanträge sind spätes-
tens mit Verfahrenseröffnung miteinander zu verbinden (HmbKomm-InsO/
Wehr, aaO § 13 Rn. 18; Pape in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 13 Rn. 78); ge-
schieht dies nicht, sind die übrigen Anträge, auf die keine Eröffnung erfolgt ist,
für erledigt zu erklären (Uhlenbruck, aaO § 13 Rn. 74). Anträge, über die man-
gels Verbindung nicht entschieden worden ist, werden unzulässig (BGHZ 162,
181, 186; BGH, Beschl. v. 3. Juli 2008 - IX ZB 182/07, ZInsO 2008, 924 Rn. 8).
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b) Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Schuldner aufgrund eines
Hinweises nach § 20 Abs. 2 InsO vor die Wahl gestellt wird, entweder seine
Einwendungen gegen den Gläubigerantrag zu verfolgen oder selbst einen Ei-
genantrag zu stellen (vgl. zu dem Hinweis BGHZ 162, 181, 183 ff; BGH, Beschl.
v. 3. Juli 2008, aaO S. 925 Rn. 15 ff; v. 7. Mai 2009 - IX ZB 202/07, ZInsO
2009, 1171, 1172 Rn. 6). Der Schuldner muss sich eindeutig entscheiden, ob er
es auf die Entscheidung über den Antrag des Gläubigers ankommen lässt oder
ob er von der Möglichkeit eines Eigenantrags Gebrauch macht. Im Hinblick dar-
auf hat der Senat es abgelehnt, die knapp bemessene Ausschlussfrist des
§ 287 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Eigenantrag zu übertragen. Dem Schuldner
soll durch eine angemessene richterliche Frist, die im Bedarfsfall noch verlän-
gert werden kann, ausreichend Zeit gegeben werden, den Rat eines Rechtsan-
walts oder Wirtschaftsprüfers dazu einzuholen, ob er dem Gläubigerantrag ent-
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gegentreten oder sich diesem anschließen will, um Restschuldbefreiung zu er-
langen (BGHZ 162, 181, 185 f). Wenn der Schuldner den Eigenantrag hilfswei-
se stellen könnte, wäre er dieses Entscheidungsdrucks enthoben und es hätte
für die Einräumung einer längeren Frist keine Notwendigkeit bestanden. Zu be-
rücksichtigen ist weiterhin die vom Gesetz vorgesehene Verknüpfung zwischen
dem Eigeninsolvenzantrag und dem Restschuldbefreiungsantrag. Diese hat
ihren Sinn darin, dass der Schuldner in seinem Eigenantrag den Eröffnungs-
grund einräumt und sich bereit erklärt, sein verbleibendes Vermögen den Gläu-
bigern zur gemeinschaftlichen Befriedigung zur Verfügung zu stellen (BGH,
Beschl. v. 8. Juli 2004 - IX ZB 209/03, ZInsO 2004, 974, 975 r. Sp.). Der
Schuldner, der nur hilfsweise einen Eigenantrag stellt, räumt gerade nicht den
Eröffnungsgrund ein.
c) Hier erfüllten die Erklärungen des Schuldners in dem Schreiben vom
29. März 2008 nicht die Voraussetzungen eines unbedingt gestellten Insolvenz-
antrags. Er ließ ausdrücklich offen, ob die Voraussetzungen für ein Verbrau-
cherinsolvenzverfahren gegeben waren. Das Insolvenzgericht hat im Eröff-
nungsbeschluss mit Recht festgestellt, ein Antrag des Schuldners auf Rest-
schuldbefreiung liege nicht vor. Weiterer gerichtlicher Hinweise bedurfte es
- entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht, weil der Schuldner
bereits unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, keinen unbedingten
Insolvenzantrag stellen zu wollen. Den Hinweis auf die bevorstehende Verfah-
renseröffnung auf Antrag des Gläubigers erhielt der Schuldner, der zu diesem
Zeitpunkt noch mit einem Eigenantrag hätte reagieren können (vgl. BGH,
Beschl. v. 3. Juli 2008, aaO S. 925 Rn. 18), mit der Übersendung des Gutach-
tens.
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2. Eine Aussetzung des Verfahrens, um dem Schuldner Gelegenheit zu
geben, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Antrag des Gläubigers ei-
nen Eigenantrag zu stellen, kam aus mehreren Gründen nicht in Betracht. Zum
einen kann nach Verfahrenseröffnung kein zulässiger Eröffnungsantrag mehr
gestellt werden (BGH, Beschl. v. 18. Mai 2005 - IX ZB 189/03, NZI 2004, 444; v.
3. Juli 2008 aaO S. 924 Rn. 8). Zum anderen sind die Vorschriften über die
Aussetzung im Insolvenzverfahren unanwendbar (BGH, Beschl. v. 27. Juli 2006
- IX ZB 15/06, NZI 2006, 642; v. 14. Januar 2010 - IX ZB 72/08; MünchKomm-
InsO/Ganter, aaO § 4 Rn. 15; I. Pape/Uhlenbruck, aaO § 4 Rn. 2). Auch für die
Anwendung des § 306 Abs. 1 Satz 1 InsO war nach Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens kein Raum mehr.
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Ganter Raebel Kayser
Pape Grupp
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 26.11.2008 - 75 IN 113/08 -
LG Köln, Entscheidung vom 04.05.2009 - 1 T 106/09 -