Urteil des BGH vom 18.10.2006

BGH (psychiatrische klinik, schwager, vater, fahrzeug, stall, erkrankung, unterbringung, verhalten, fahren, barriere)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 52/07
vom
7. März 2007
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 7. März 2007 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landge-
richts Koblenz vom 18. Oktober 2006 mit den Feststellungen auf-
gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-
chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des
Beschuldigten mit der Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils fuhr der Beschul-
digte am 24. April 2005 mit einem Radlader im Fahrsilo des elterlichen landwirt-
schaftlichen Betriebs hin und her. Als sein Vater ihm in den Silo folgte, um zu
sehen, was er tat, fuhr der Beschuldigte mit dem Radlader auf ihn zu, um ihn
zum Verlassen des Silos zu bewegen. Der Vater verließ daraufhin aus Angst,
von dem Fahrzeug erfasst zu werden, den Silo (Fall 1 der Urteilsgründe). Am
27. April 2005 bat der Vater des Beschuldigten dessen Schwager, einen Traktor
aus dem Stall zu fahren. Der Beschuldigte verbot seinem Schwager, in den
Stall zu gehen, packte ihn dann plötzlich und schob seinen Kopf mit einer bren-
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nenden Zigarette im Mund mehrfach ruckartig in die Nähe des Gesichts seines
Schwagers. Dem gelang es, sich aus dem Griff zu befreien (Fall 2 der Urteils-
gründe). Während der Schwager die Polizei informierte, fuhr der Beschuldigte
mit einem Pkw auf einem frei zugänglichen Wirtschaftsweg umher, obwohl er
wusste, dass der Wagen nicht zugelassen war und dass er keine Fahrerlaubnis
hatte (Fall 3 der Urteilsgründe). Am 30. April 2005 befuhr der Beschuldigte mit
einem Unimog mit etwa 20 – 25 km/h Geschwindigkeit die Landstraße von
H. Richtung S. . An der Hinterseite des Fahrzeugs hatte er mit
Kuhmist ein Schild „6 km/h“ angeklebt. Dem Beschuldigten war klar, dass das
Fahrzeug weder zugelassen noch versichert war und dass er nicht über die er-
forderliche Fahrerlaubnis verfügte. Als ihn ein Polizeifahrzeug anhalten wollte,
indem es sich als Barriere quer über die Straße stellte, fuhr der Beschuldigte
scharf links durch die Böschung daran vorbei und verhinderte ein Überholen,
indem er den Unimog auf die Fahrbahnmitte steuerte und nur bei Gegenverkehr
kurzzeitig nach rechts fuhr. Nach etwa 15 Minuten konnte der Beschuldigte
durch einen zweiten Streifenwagen angehalten werden, der erneut eine Barrie-
re auf der Straße errichtet hatte (Fall 4 der Urteilsgründe). Am 19. Januar 2006
sollte der Beschuldigte aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses des Amtsge-
richts von fünf Polizeibeamten vom elterlichen Hof in die psychiatrische Klinik
gebracht werden. Der Beschuldigte flüchtete zunächst in die Stallungen. Als er
sah, dass ihm zwei Polizeibeamte folgten, rannte er weiter, ergriff aus einer
Traktorschaufel einen mit Eis gefüllten, etwa 4,5 kg schweren Stahlhelm und
warf ihn in Richtung des nächsten Polizeibeamten, der dem Anprall ausweichen
konnte. Der Beschuldigte ergriff nun eine Schaufel, wurde aber von zwei Poli-
zeibeamten niedergerungen. Dabei wurde einer der Beamten leicht verletzt
(Fall 5 der Urteilsgründe).
Nach der Überzeugung des Landgerichts war bei allen Taten die Ein-
sichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer chronischen paranoid-
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schizophrenen Psychose aufgehoben. Aufgrund seiner Erkrankung empfinde er
Verhaltensweisen der Außenwelt als ungerechtfertigt und gegen ihn gerichtet
und setze sich – auch mit Gewalt – hiergegen zur Wehr.
2. Die Annahme des Landgerichts, dem Beschuldigten habe bei der Be-
gehung der verfahrensgegenständlichen Taten die Einsicht gefehlt, Unrecht zu
tun, wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Widerspruch dazu heißt es
in den Urteilsgründen zu den Fällen 3 und 4, dass er gewusst habe, dass die
benutzten Fahrzeuge nicht zugelassen seien und dass er keine Fahrerlaubnis
habe. Für eine Unrechtseinsicht im Fall 4 spricht auch, dass der Beschuldigte
ein Schild „6 km/h“ mit Kuhmist am Fahrzeug angebracht und sich dahin einge-
lassen hat, dass das Fahrzeug ohnehin nur 6 km/h habe fahren können. Damit
wollte er offenbar geltend machen, er habe gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 FeV den
Unimog ohne Fahrerlaubnis führen dürfen, welcher gemäß § 18 Abs. 1 StVZO
keiner Zulassung bedurft habe. Die Urteilsgründe weisen insofern aus, dass der
Beschuldigte grundsätzlich die Rechtslage kannte; dass er aufgrund seiner Er-
krankung verkannt haben könnte, dass die bauartbedingte Höchstgeschwindig-
keit des Unimog deutlich über 6 km/h lag, oder er sich krankheitsbedingt zu den
Fahrten für berechtigt gehalten haben könnte, ist den Feststellungen nicht zu
entnehmen.
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Der Beschuldigte hat in den Fällen 1 und 2 sein Verhalten damit begrün-
det, dass er seinen Vater aus dem Gefahrenbereich des Silos habe heraushal-
ten wollen bzw. dass sein Schwager ihn beim Streit, ob der Traktor aus dem
Stall herausgefahren werden dürfe, zuerst am Arm gepackt und festgehalten
habe. Das Landgericht hat diese Einlassung als widerlegt angesehen. Es hat
nicht festgestellt, dass der Beschuldigte den tatsächlichen Geschehensablauf
aufgrund seiner Erkrankung verkannt hat und sich deshalb zu Unrecht angegrif-
fen gefühlt hat. Der Zusammenhang der Urteilsgründe legt vielmehr nahe, dass
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der Beschuldigte durch Schutzbehauptungen sein Verhalten rechtfertigen woll-
te. Auch dies spricht dafür, dass er die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens er-
kannt hatte. Dass der Beschuldigte schließlich im Fall 5 versucht hat, sich der
Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu entziehen, ist eine an sich nachvoll-
ziehbare Handlungsweise, die als solche fehlende Unrechtseinsicht nicht be-
legt.
3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, auch die Frage der Ge-
fährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit und der Verhältnismäßigkeit
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut zu prüfen und
dabei auch das Verhalten des Beschuldigten nach seiner Entlassung aus der
einstweiligen Unterbringung einzubeziehen.
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Rissing-van Saan Otten Rothfuß
Roggenbuck Appl