Urteil des BGH vom 12.08.2010

BGH (stpo, sache, verletzung, trunkenheit, strafkammer, staatsanwaltschaft, verfügung, verkehr, antrag, justiz)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 378/10
vom
12. August 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 12. August 2010 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts München I vom 23. November 2009 mit
den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tat-
einheit mit gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten A. ferner
wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen fahrlässiger Trunkenheit im
Verkehr verurteilt, und zwar den Angeklagten W. zu einer Freiheitsstrafe
von neun Jahren und den Angeklagten A. zu einer Jugendstrafe von
sieben Jahren; darüber hinaus hat es bezüglich des Letzteren eine Maß-
regelanordnung nach §§ 69, 69a StGB getroffen. Gegen dieses Urteil wenden
sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formel-
len und materiellen Rechts rügen.
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Die Revisionen haben mit der Rüge der Verletzung des § 22 Nr. 4 StPO
Erfolg. Die Beschwerdeführer beanstanden mit Recht, dass an der Hauptver-
handlung als beisitzende Richterin die Richterin am Landgericht Dr. S. teil-
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genommen hat, obwohl sie in der Sache bereits als Staatsanwältin tätig gewe-
sen und somit kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausge-
schlossen war (§ 338 Nr. 2 StPO).
Im Rahmen ihrer damaligen Tätigkeit als Staatsanwältin bei der Staats-
anwaltschaft München I hat die jetzige Richterin am Landgericht mit Verfügung
vom 28. August 2007 dem Vertreter des Geschädigten R. , Rechtsanwalt
Sch. , auf dessen Antrag Akteneinsicht gewährt, eine Frist für eine even-
tuelle Stellungnahme eingeräumt und den Zeitpunkt der Wiedervorlage be-
stimmt (Bd. I Bl. 68 d.A.).
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Dies stellt eine Tätigkeit im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO dar. Dieser Begriff
ist weit auszulegen, um Sinn und Zweck der Vorschrift, die Rechtsstaatlichkeit
des Verfahrens dadurch zu wahren, dass bereits der Anschein eines Verdachts
der Parteilichkeit eines Richters vermieden wird, zu genügen. Er umfasst nach
ständiger Rechtsprechung jedes amtliche Handeln in der Sache, das geeignet
ist, den Sachverhalt zu erforschen oder den Gang des Verfahrens zu beeinflus-
sen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 1981 - 1 StR 711/81, NStZ 1982,
78 und vom 24. März 2006 - 2 StR 271/05, wistra 2006, 310 jeweils m.w.N.; vgl.
auch Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 22 Rn. 29, 30).
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Dies trifft auf die Verfügung vom 28. August 2007 zu, durch die der Gang
des Verfahrens gefördert werden sollte. Ob die Tätigkeit für das Verfahren we-
sentlich oder unbedeutend war, ist dabei unerheblich.
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Über die Sache ist daher insgesamt durch eine andere als Jugendkam-
mer zuständige Strafkammer des Landgerichts München I erneut zu entschei-
den, deren Zuständigkeit auch hinsichtlich des durch die ursprünglich an das
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Amtsgericht Wolfratshausen - Jugendrichter - gerichtete Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft München II vom 7. Februar 2009 gegen den Angeklagten
A. erhobenen Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr gegeben ist (§ 39
Abs. 2 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des
Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz [Gerichtliche Zustän-
digkeitsverordnung Justiz - GZVJu] vom 16. November 2004 [GVBl. S. 471]; § 4
Abs. 2 Satz 1 StPO).
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Cierniak Mutzbauer