Urteil des BGH vom 12.12.2001
BGH (gegenstand des verfahrens, verhandlung, gutachten, persönlichkeitsstörung, erkrankung, versetzung, begründung, antragsteller, zpo, ergebnis)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
RiZ (R) 3/00
vom
12. Dezember 2001
in dem Prüfungsverfahren
Betreuer: Richter
Antragsgegner, Berufungskläger und
Revisionskläger,
gegen
Antragsteller, Berufungsbeklagter
und Revisionsbeklagter,
wegen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit
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Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat am 12. Dezember
2001 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bun-
desgerichtshof Prof. Dr. Erdmann, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Siol
und Dr. Boetticher, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin
-Stojanoviæ und
den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Büscher
für Recht erkannt:
Die Revision des Antragsgegners gegen das Urteil des Nieder-
sächsischen Dienstgerichtshofs für Richter vom 20. September
2000 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der am geborene Antragsgegner ist am 29. Juli 1977 zum
Richter am Amtsgericht ernannt worden. Er war - bis auf die Zeit einer sieben-
monatigen Abordnung an das Oberlandesgericht - beim Amtsgericht
mit der Bearbeitung von Zivilsachen befaßt. Mit Ablauf des Monats März
1999 ist der Antragsgegner, dem die Führung seiner Amtsgeschäfte seit Juli
1993 vorläufig untersagt war, nach Erreichen der Altersgrenze in den Ruhe-
stand getreten.
Am 30. November 1992 leitete der Präsident des Amtsgerichts
Vorermittlungen nach § 66 NdsRiG, § 26 NDO gegen den Antragsgegner ein,
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dem zur Last gelegt wurde, in mehreren Entscheidungen seine politischen und
weltanschaulichen Ansichten in einer andere diskriminierenden Weise wieder-
gegeben zu haben, die in keinem Zusammenhang mit dem jeweiligen Gegen-
stand des Verfahrens gestanden hätten.
Aufgrund des Inhalts dieser Entscheidungen und der dazu abgegebenen
Stellungnahme des Antragsgegners hielt es der Präsident des Amtsgerichts
für geboten, dessen Dienstfähigkeit amtsärztlich überprüfen zu lassen. Er
wies den Antragsgegner an, sich einer entsprechenden Untersuchung durch
den Amtsarzt zu unterziehen und ordnete die sofortige Vollziehung seiner
Verfügung an. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel des Antragsgegners
hatten keinen Erfolg.
Der Amtsarzt Medizinaldirektor Dr. G. , ein Arzt für Neurologie und
Psychiatrie sowie Psychotherapie, kam in seinem Gutachten vom 13. April
1993, das auf eigenen Untersuchungen sowie einer von der Diplom-
Psychologin H. vorgenommenen psychologischen Zusatzbegutachtung
beruhte, zu dem Ergebnis, daß der Antragsgegner aufgrund einer schwerwie-
genden schizoiden Persönlichkeitsstörung dienstunfähig sei.
Durch Beschluß vom 16. Juni 1993 untersagte das Niedersächsische
Dienstgericht für Richter dem Antragsgegner vorläufig die Führung seiner
Amtsgeschäfte; die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.
Nachdem auch die nach § 79 Abs. 4 NdsRiG bestellte Untersuchungs-
führerin zu dem Ergebnis gelangt war, daß der Antragsgegner dienstunfähig
sei, hat der Antragsteller am 10. September 1993 beim Niedersächsischen
Dienstgericht für Richter gemäß §§ 78 Satz 1, 79 Abs. 7 Satz 1 NdsRiG das
Prüfungsverfahren eingeleitet und beantragt,
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die Zulässigkeit der Versetzung des Richters am Amtsgericht
B. in den Ruhestand festzustellen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er ausgeführt, das Verwaltungsverfahren sei aus
verschiedenen Gründen fehlerhaft, die Sachverständigengutachten seien auf
rechtswidrige Art und Weise zustandegekommen und daher unverwertbar, da
es ungesetzlich sei, im Verwaltungswege ein amtsärztliches Gutachten einzu-
holen; im übrigen sei er dienstfähig.
Das Dienstgericht hat die beiden Sachverständigen zur mündlichen Ver-
handlung geladen und zur Erörterung ihrer Gutachten gehört. Dem hat der An-
tragsgegner unter anderem mit der Begründung widersprochen, er fechte die
von ihm abgegebene Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht
wegen Drohung an und widerrufe sie hilfsweise.
Das Dienstgericht hat mit Urteil vom 14. Juli 1994 die Zulässigkeit der
Versetzung des Antragsgegners in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit
festgestellt und mit Beschluß vom selben Tage die Einbehaltung des das Ru-
hegehalt übersteigenden Teils der Dienstbezüge für zulässig erklärt. In den
Urteilsgründen hat das Dienstgericht dargelegt, daß die zur Dienstunfähigkeit
führende Erkrankung durch die überzeugenden Sachverständigengutachten
belegt sei, deren Verwertung keinen rechtlichen Bedenken begegne. Danach
leide der Antragsgegner an einer schwerwiegenden schizoiden Persönlich-
keitsstörung, die mit einem Verlust an Selbstkritik verbunden sei und es ihm
unmöglich mache, sich in die Psyche anderer Menschen hineinzuversetzen.
Die Erkrankung bewirke, daß er nicht in der Lage sei, private und dienstliche
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Vorstellungen voneinander zu trennen, und deswegen in nicht mehr vertretba-
rer Weise Überlegungen in seine Entscheidungsbegründungen einfließen las-
se, die mit der Entscheidung in keinem vernünftigen Zusammenhang stünden.
Die Krankheit verschlimmere sich mit zunehmendem Lebensalter und sei nicht
zu behandeln. Auch in der Verhandlung vor dem Dienstgericht habe sich ge-
zeigt, daß dem Antragsgegner jede Krankheitseinsicht fehle. Schließlich bestä-
tige die Durchsicht der zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Akten mit
Entscheidungen des Antragsgegners die Schlußfolgerungen der Sachverstän-
digen und belege das Ausmaß der Erkrankung.
Gegen dieses Urteil hat der Antragsgegner fristgerecht Berufung einge-
legt. In seiner Berufungsbegründung hat er im wesentlichen seinen Vortrag,
insbesondere hinsichtlich der Verwertung der beiden Sachverständigengut-
achten, wiederholt und zudem das Verfahren des Dienstgerichts beanstandet.
Nachdem mit fortschreitendem Verfahren Zweifel an der Prozeßfähigkeit
des Antragsgegner entstanden sind, hat das Amtsgericht Hannover durch Be-
schluß vom 26. Januar 1999 - 61 XVIII B 1588 - die bereits bestehende Be-
treuung auf den Aufgabenkreis der Vertretung im dienstgerichtlichen Verfahren
erweitert und insoweit den Richter am Landgericht Dr. L. als Betreuer ein-
gesetzt (§ 79 Abs. 2 Satz 4 NdsRiG).
Der Niedersächsische Dienstgerichtshof für Richter hat die Berufung des
Antragsgegners nach mündlicher Verhandlung, in der sowohl der Antragsgeg-
ner als auch sein Betreuer anwesend waren, durch Urteil vom 20. September
2000 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt: So-
weit das erstinstanzliche Verfahren Mängel aufweise, habe der Senat von der
Möglichkeit einer Zurückverweisung nach § 74 NdsRiG, § 130 Abs. 1 Nr. 2
VwGO keinen Gebrauch gemacht, da im Hinblick auf die lange Verfahrensdau-
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er eine abschließende Entscheidung durch das Berufungsgericht geboten sei.
In der Sache weise das angefochtene Urteil keine Mängel auf. Das Dienstge-
richt habe die Ergebnisse der Sachverständigengutachten uneingeschränkt
verwerten können, da die Begutachtung auf einer Anordnung des Präsidenten
des Amtsgerichts nach § 4 Abs. 1 NdsRiG, § 54 Abs. 1 Satz 3 NBG beru-
he, so daß der Sachverständige im gerichtlichen Prüfungsverfahren nach § 79
Abs. 7 NdsRiG nicht der Schweigepflicht unterliege. Die Überzeugung vom
Vorliegen einer schwerwiegenden schizoiden Persönlichkeitsstörung werde
bestärkt durch die im Urteil des Dienstgerichts erörterten Entscheidungen des
Antragsgegners sowie dessen in den anschließenden Dienstaufsichtsverfahren
abgegebenen Erklärungen. Anzeichen der Erkrankung hätten sich ferner in
schriftlichen Äußerungen des Antragsgegners zu Entscheidungen des Landge-
richts, mit denen seine Urteile abgeändert worden seien, gezeigt; Belege für
den auch nach Erreichen des Ruhestandsalters andauernden, fortschreitenden
Krankheitsverlauf ergäben sich aus seinen zahlreichen, bei den dienstgerichtli-
chen Verfahrensakten befindlichen Schreiben und Schriftsätzen.
Gegen dieses Urteil hat der Betreuer des Antragsgegners Revision ein-
gelegt. Er rügt die Verletzung formellen Rechts und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu er-
neuter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-
richt zurückzuverweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Revision des Antragsgegners zurückzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Revisionsbegrün-
dung vom 11. Oktober 2000 und die Revisionserwiderung vom 21. Februar
2001 Bezug genommen.
Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Ver-
handlung einverstanden erklärt. Der Betreuer konnte diese Erklärung rechts-
wirksam abgeben, da das Amtsgericht Hannover die Betreuung des Antrags-
gegners durch ihn für das Revisionsverfahren vor dem Dienstgericht des Bun-
des aufrechterhalten hat (Beschlüsse vom 14. und 26. Februar 2001 - 61 XVIII
B 1588).
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Antragsgegners ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Ohne Erfolg rügt der Antragsgegner, das Berufungsgericht habe ihn
zu Unrecht seit Herbst 1996 als prozeßunfähig angesehen, wodurch er in
mehrfacher Hinsicht in seinen Rechten verletzt worden sei: zum einen seien
die von ihm selbst eingelegten Beschwerden gegen die Beschlüsse des
Dienstgerichtshofs vom 28. Oktober 1996 (Entscheidung über die Befangen-
heitsgesuche gegen die Sachverständigen Dr. G. und H. ) und vom 14. No-
vember 1996 (Zurückweisung eines Antrags auf Protokollberichtigung) als un-
zulässig verworfen worden; zum anderen habe er in der mündlichen Verhand-
lung keine eigenen, aus seiner Sicht für eine Rechtsverfolgung notwendigen
Anträge stellen können und schließlich habe der Vorsitzende Richter am Land-
gericht D. an der Entscheidung mitgewirkt, obwohl er diesen bereits vor der
Verhandlung wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe.
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Die Annahme des Dienstgerichtshofs, der Antragsgegner sei - auch zum
Zeitpunkt der angesprochenen Prozeßerklärungen - prozeßunfähig, ist recht-
lich nicht zu beanstanden. Sie basiert auf einer ausreichenden Tatsachen-
grundlage. Insbesondere wird sie durch die vom Dienstgerichtshof bezie-
hungsweise vom Amtsgericht Hannover im Betreuungsverfahren eingeholten
Gutachten gestützt. Danach leidet der Antragsgegner an einer schwerwiegen-
den schizoiden Persönlichkeitsstörung und einer zwanghaften Persönlichkeits-
störung mit narzißtischen und paranoiden Zügen (Gutachten Dr. G. vom
23. April 1997); bei ihm ist eine querulatorische Entwicklung mit paranoiden
Zügen festzustellen (Gutachten O. vom 25. November 1998).
Diese Diagnose ist aufgrund des Inhalts der zahlreichen vom Antrags-
gegner im Rahmen dieses Verfahrens verfaßten Schriftsätze nachvollziehbar.
Aus diesen wird deutlich, daß der Antragsgegner, soweit es um seine Dienstfä-
higkeitsbeurteilung im weitesten Sinne geht, ein Verhalten an den Tag legt,
welches für Fälle krankhafter Querulanz kennzeichnend ist.
Damit war in der mündlichen Verhandlung vor dem Dienstgerichtshof
nicht mehr der Antragsgegner, sondern nur noch der ihm gemäß § 79 Abs. 2
NdsRiG bestellte Betreuer zur Antragstellung berechtigt.
2. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist es nicht verfahrensfeh-
lerhaft, daß der Dienstgerichtshof die Sachverständigen Dr. G. und
H. nicht persönlich zur Frage der Dienstfähigkeit angehört, sondern die
von ihnen erstatteten schriftlichen Gutachten verwertet hat. Diese Verfahrens-
weise entspricht der gesetzlichen Regelung über den Sachverständigenbe-
weis, § 98 VwGO, §§ 402 f. ZPO. Nach § 411 Abs. 3 ZPO muß das Gericht den
Sachverständigen nur dann zur mündlichen Verhandlung laden, wenn dessen
Vernehmung zur Erläuterung des Gutachtens, zur Klärung von Zweifeln - auch
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hinsichtlich der Sachkunde - oder zur Beseitigung von Unklarheiten unum-
gänglich ist; ebenso, wenn ein Beteiligter einen entsprechenden Antrag stellt,
weil er dem Sachverständigen Fragen stellen will (vgl. Kopp/Schenke, VwGO
12. Aufl., § 98 Rdnr. 16). Für den Dienstgerichtshof bestanden, wie in dem an-
gefochtenen Urteil ausführlich dargetan wird, keine Anhaltspunkte, die Fest-
stellungen der Sachverständigen oder deren Sachkunde in Zweifel zu ziehen
oder die Gutachten aus anderen Gründen nicht zu verwerten. Der Dienstge-
richtshof hat sich vielmehr nach Würdigung weiterer Beweisanzeichen der Ein-
schätzung der Gutachter aufgrund eigener Überzeugung angeschlossen.
Im übrigen hat auch der Betreuer eine Ladung der Sachverständigen
nicht beantragt.
3. Schließlich ist entgegen dem Revisionsvorbringen nicht zu beanstan-
den, daß der Dienstgerichtshof für seine Überzeugungsbildung nur eine Aus-
wahl der vom Antragsgegner verfaßten Entscheidungen und anderer von ihm
stammender Schriftstücke herangezogen hat. Durch diese Verfahrensweise hat
das Berufungsgericht nicht etwa gegen die Pflicht zur erschöpfenden Klärung
des Sachverhalts verstoßen (§ 86 Abs. 1 VwGO, § 74 NdsRiG), denn für die
Beurteilung der Dienstfähigkeit kommt es nicht darauf an, ob der Antragsgeg-
ner in einem bestimmten Zeitraum neben den Auffälligkeiten aufweisenden
Entscheidungen auch solche getroffen hat, die in keiner Weise zu beanstanden
sind.
4. Die Revision des Antragsgegners war daher zurückzuweisen. Die Ko-
stenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren ent-
sprechend § 13 Abs. 4 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 58.990,00 DM fest-
gesetzt.
Erdmann
Siol
Boetticher
So
lin-Stojanoviæ
Büscher