Urteil des BGH vom 05.11.2008

Berichtigungsbeschluss

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZR 103/07
vom
5. November 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 545 Abs. 2, § 621 Abs. 1 Nr. 5; EGZPO § 26 Nr. 9
a) Hat das Oberlandesgericht ein Verfahren (hier: durch ausdrückliche Be-
zeichnung im Rubrum) als Familiensache qualifiziert, so ist der Bundesge-
richtshof gemäß § 545 Abs. 2 ZPO an diese Qualifikation mit der Folge ge-
bunden, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 26 Nr. 9 EGZPO
unzulässig ist.
b) Eine Familiensache im Sinne des § 621 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (betr. die durch
Ehe begründete gesetzliche Unterhaltspflicht) kann auch dann vorliegen,
wenn die Ehegatten über eine von ihnen als eigenständig gewollte vertragli-
che Unterhaltsregelung streiten. Entscheidend ist allein, ob die vertragliche
Regelung hinsichtlich der Voraussetzungen, des Umfangs und des Erlö-
schens des Anspruchs die im gesetzlichen Unterhaltsrecht vorgegebenen
Grundsätze aufnimmt und - wenn auch unter vielleicht erheblicher Modifika-
tion - abbildet.
BGH, Beschluss vom 5. November 2008 - XII ZR 103/07 - OLG Nürnberg
AG
Nürnberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2008 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dr. Klinkhammer
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil des 7. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Ober-
landesgerichts Nürnberg vom 27. Juni 2006 wird auf Kosten des
Klägers als unzulässig verworfen.
Wert: 28.214 €
Gründe:
I.
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Der Ehemann wurde durch Ur-
teil des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 19. April 2001 in Verbin-
dung mit dem Urteil des 7. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. November 2001 zur Zahlung von nach-
ehelichem Vorsorgeunterhalt verurteilt. Die Ehefrau droht aus diesen Urteilen
und - hinsichtlich des Elementarunterhalts - aus einem Ehevertrag vom 18. Mai
1985 zu vollstrecken. In diesem Ehevertrag hatte sich der Ehemann wegen der
darin u.a. geregelten Unterhaltspflicht der sofortigen Zwangsvollstreckung un-
terworfen. Gegen die drohende Vollstreckung wendet sich der Ehemann mit der
Vollstreckungsgegenklage.
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Das Amtsgericht hat die Vollstreckung für unzulässig erklärt. Auf die Be-
rufung der Ehefrau hat das Oberlandesgericht die Vollstreckungsgegenklage
abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der
Ehemann mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
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II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
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Nach § 26 Nr. 9 Satz 1 EGZPO finden in Familiensachen die Bestim-
mungen über die Nichtzulassungsbeschwerde keine Anwendung, wenn - wie
hier - die anzufechtende Entscheidung vor dem 1. Januar 2010 verkündet wor-
den ist. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht geltend, eine Familiensache
liege hier nicht vor. Damit hat sie keinen Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht ist vom Vorliegen einer Familiensache ausge-
gangen. Es hat diese Frage - entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbe-
schwerde - nicht offen gelassen (zu dieser Konstellation vgl. Senatsbeschluss
vom 1. Juni 1988 - IVb ZR 72/87 - FamRZ 1988, 1036). Zwar nimmt das Ober-
landesgericht in den Entscheidungsgründen an, dass "im Hinblick auf den Aus-
schluss des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs" im Ehevertrag "nur vertragliche
Unterhaltsansprüche … in Betracht kommen". Dennoch hat das Oberlandesge-
richt im Rubrum seiner - angefochtenen - Entscheidung das vorliegende Verfah-
ren ausdrücklich als Familiensache bezeichnet. Damit hat es eine bewusste
und eigenständige Qualifizierung des Rechtsstreits vorgenommen, die sich
- wegen der formellen Anknüpfung der Berufungszuständigkeit des Oberlan-
desgerichts in § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG ("... zuständig … für die Berufung … ge-
gen die Entscheidungen der Amtsgerichte … in den von den Familiengerichten
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entschiedenen Sachen …") - nicht schon zwangsläufig aus seiner Zuständigkeit
als Berufungsgericht ergibt.
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2. Die Frage, ob die vom Oberlandesgericht vorgenommene Qualifikation
des vorliegenden Verfahrens als Familiensache zutrifft, unterliegt nicht der
Überprüfung durch den Senat.
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Der Ausschluss dieser Qualifikations- und damit auch Zuständigkeitsfra-
ge von der Prüfungszuständigkeit des Revisionsgerichts ergab sich bis zum
Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses unmissverständlich
aus § 549 Abs. 2 ZPO a.F. Danach hatte das Revisionsgericht nicht zu prüfen,
"ob das Gericht des ersten Rechtszuges sachlich oder örtlich zuständig war
oder … ob eine Familiensache vorliegt". Diese Vorschrift war Ausformung des
Prinzips der formellen Anknüpfung und sollte verhindern, dass das Revisions-
gericht eine Sache anders qualifiziert als die Vorinstanz (Senatsbeschluss vom
12. Mai 1993 - XII ZR 192/92 - FamRZ 1994, 693).
Mit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses ist § 545 Abs. 2 ZPO an
die Stelle der bisherigen Regelung getreten. Nach dem Wortlaut dieser Vor-
schrift kann die Revision nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des
ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint
hat. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu dieser Vorschrift sollen
im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung des Rechtsmit-
telgerichts Rechtsmittelstreitigkeiten vermieden werden, die allein auf die Frage
der Zuständigkeit des Gerichts gestützt werden. Zugleich soll verhindert wer-
den, dass die von den Vorinstanzen geleistete Sacharbeit wegen fehlender Zu-
ständigkeit hinfällig wird (BT-Drucks. 14/4722 S. 106). Der Bundesgerichtshof
hat hieraus mit Recht gefolgert, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung
- unbeschadet ihres insoweit missverständlichen Wortlauts - nicht hinter den
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bisherigen Rechtszustand zurückgehen, sondern vielmehr die Prüfung von Zu-
ständigkeitsfragen in noch umfassenderer Weise als bisher einer revisions-
rechtlichen Prüfung entziehen wollte (BGH Beschlüsse vom 26. Juni 2003
- III ZR 91/03 - FamRZ 2003, 1273 f., vom 5. März 2007 - II ZR 287/05 -
NJW-RR 2007, 1509; vgl. auch BGH Beschlüsse vom 26. Juni 2003 - III ZR
91/03 - FamRZ 2003, 1273, 1274 und vom 7. März 2006 - VI ZR 42/05 -
NJW-RR 2006, 930).
Daraus ergibt sich, dass der Senat auch künftig nicht zu prüfen hat, ob
eine Familiensache vorliegt, wenn das Oberlandesgericht vom Vorliegen einer
Familiensache ausgegangen ist. Die Regelung des § 549 Abs. 2 ZPO a.F. fand
ihren Sinn gerade darin, dass die Zulässigkeit der Revision nicht durch eine
abweichende rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts beeinflusst werden
sollte, wenn darüber in der Vorinstanz entschieden worden war (vgl. dazu Se-
natsurteil vom 19. Mai 2004 - XII ZR 143/01 - FuR 2005, 79). Für die Neufas-
sung dieser Regelung in § 545 Abs. 2 ZPO gilt nichts anderes: Hat das Ober-
landesgericht - wie hier - ein Verfahren als Familiensache angesehen, so ist
diese Beurteilung für den Bundesgerichtshof bindend; eine abweichende Beur-
teilung des Verfahrens als Zivilsache kann nicht im Wege der Nichtzulassungs-
beschwerde geltend gemacht werden. Eine gleichwohl erhobene Nichtzulas-
sungsbeschwerde ist dementsprechend nach § 26 Nr. 9 Satz 1 EGZPO unzu-
lässig, ohne dass es auf die Beurteilung des Verfahrens als Zivil- oder als Fami-
liensache durch das Revisionsgericht ankommt.
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3. Selbst wenn eine Prüfungskompetenz des Senats bestünde, ergäbe
sich nichts anderes; denn bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um
eine Familiensache im Sinne des § 621 Abs. 1 Nr. 5 ZPO.
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Allerdings unterfallen dieser Regelung nur solche Streitigkeiten, die "die
durch Ehe begründete gesetzliche Unterhaltspflicht … betreffen". Nach der
Rechtsprechung des Senats verliert ein Unterhaltsanspruch aber trotz vertragli-
cher Ausgestaltung nicht seine Eigenschaft als gesetzlicher Anspruch, wenn die
vertragliche Vereinbarung den gesetzlichen Unterhaltsanspruch, dessen Be-
stand unangetastet bleibt, lediglich inhaltlich nach Höhe, Dauer und Modalitäten
der Unterhaltsgewährung näher festlegt und präzisiert (Senatsbeschluss vom
29. Januar 1997 - XII ZR 221/95 - FamRZ 1997, 544, 545), wenn die Vereinba-
rung also das Wesen des Unterhaltsanspruchs nicht verändert (Senatsbe-
schluss vom 8. Juli 1987 - IVb ZB 35/87 - FamRZ 1987, 1021; vgl. auch Se-
natsbeschluss vom 24. Januar 1990 - XII ZB 143/89 - FamRZ 1990, 867). So
liegen die Dinge hier.
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Zwar haben die Parteien in ihrem Ehevertrag erklärt, dass sie "das ge-
setzliche Unterhaltsrecht des geschiedenen Ehegatten als für ihre eigene Ehe
nicht angemessen erachten" und deshalb die im Ehevertrag geregelten "Unter-
haltsansprüche vom Gesetz völlig … lösen und auf eine rein vertragliche
Grundlage … stellen" wollen. Auch haben sie dargelegt, dass der "vereinbarte
Unterhalt … rein vertraglicher Natur" sei und "die entsprechende oder ergän-
zende Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über den nachehelichen Un-
terhalt … ausdrücklich ausgeschlossen" sei. Dies hindert es indes nicht, die
getroffene Regelung gleichwohl als eine Ausformung des Gesetzesrechts an-
zusehen und den sich aus ihr ergebenden Unterhaltsanspruch weiterhin als
gesetzlichen Anspruch zu qualifizieren.
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Für die Abgrenzung zwischen dem gesetzlichen und einem "rein vertrag-
lichen" Unterhaltsanspruch kann nicht entscheidend sein, ob und inwieweit die
Ehegatten ihren subjektiven Willen zu einer eigenständigen Regelung bekun-
den. Ebenso kann nicht maßgebend sein, in welchem Umfang eine vereinbarte
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Regelung zum Nachteil eines Ehegatten vom Gesetzesrecht abweicht. Ent-
scheidendes Kriterium ist vielmehr allein die Frage, ob die vertragliche Rege-
lung - hinsichtlich der Voraussetzungen, des Umfangs und des Erlöschens des
Anspruchs - die im gesetzlichen Unterhaltsrecht vorgegebenen Grundsätze auf-
nimmt und - wenn auch unter vielleicht erheblicher Modifikation - abbildet. Das
ist hier der Fall. Der im Ehevertrag vorgesehene Unterhaltsanspruch der Ehe-
frau ist - ebenso wie der gesetzliche Unterhaltsanspruch - dem Grunde nach an
die Trennung oder Scheidung der Ehegatten geknüpft. Für seinen Umfang wird
auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gemeinsamer Kinder und auf
die Ehedauer - mithin an typisierte Bedürftigkeitskriterien - abgestellt. Auch die
im Ehevertrag vereinbarte Befristung und Limitierung des Unterhalts sowie die
Bestimmung über die Anrechnung eigener Einkünfte und das Erlöschen des
Unterhaltsanspruchs bei Wiederheirat finden im Gesetzesrecht ihre Vorbilder.
Angesichts dieser grundsätzlichen Parallelen handelt es sich bei der getroffe-
nen Regelung um eine Ausformung der gesetzlichen Unterhaltspflicht; auf die
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Erklärung der Parteien, gleichwohl eine vom Gesetzesrecht losgelöste Rege-
lung treffen zu wollen, kommt es nicht an.
Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Wagenitz
Klinkhammer
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 25.01.2007 - 103 F 2995/06 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.06.2007 - 7 UF 273/07 -