Urteil des BGH vom 16.01.2013

BGH: wohnung, abend, polizei, fahrzeug, kokain, untersuchungshaft, entschädigung, passiven, gewissheit, beweisergebnis

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 106/12
vom
16. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u.a.
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Januar
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten L. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für die Angeklagte S. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Köln vom 29. Juni 2011 wird verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die
den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Aus-
lagen.
3. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die
Entschädigungsentscheidung wird kostenpflichtig verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen,
an der Tötung von J. W. am 3. Juni 1996 beteiligt gewesen zu sein.
Darüber hinaus hat es für erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung zu-
erkannt. Die Staatsanwaltschaft greift den Freispruch mit Verfahrensrügen und
der Sachbeschwerde an; außerdem wendet sie sich gegen die Entschädi-
gungsentscheidung des Landgerichts. Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
1
- 4 -
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich die aus Polen
stammende 20-jährige Geschädigte J. W. seit dem Jahreswechsel
1995/96 in Deutschland auf und ging dort der Prostitution nach. In der "Bar
" in B. G. traf sie auf die ebenfalls aus Polen stammen-
de Angeklagte S. , die zum damaligen Zeitpunkt mit dem ehemaligen
Mitbeschuldigten Ka. liiert war. Über ihn und die Angeklagte lernte sie
im Laufe des Jahres 1996 den Angeklagten L. kennen, zu dem sie alsbald
eine intime Beziehung aufnahm, obwohl sie sich - J. W. sprach nur
polnisch - nur schwer verständigen konnten. In der Folgezeit zog sie zu ihm in
seine Wohnung. Dort kamen in den Wochen danach die Angeklagten,
Ka. und das spätere Tatopfer häufiger zusammen, um vom Angeklagten
L. besorgtes Kokain zu konsumieren. Weitere Feststellungen zum Verlauf
der nur wenige Wochen dauernden Beziehung zwischen dem Angeklagten
L. und J. W. konnten nicht getroffen werden.
Am Abend des 3. Juni 1996 hatten der Angeklagte L. und J.
W. in der Wohnung des Angeklagten Geschlechtsverkehr; Anhaltspunkte
dafür, dass dies gegen den Willen des späteren Tatopfers geschehen sein
könnte, hat die Kammer nicht festgestellt. Später erschienen die Mitangeklagte
S. sowie Ka. in der Wohnung des Angeklagten L. und
konsumierten dort im Beisein der Geschädigten wie in der Vergangenheit ge-
meinsam Kokain. Im Verlauf des Abends äußerte der Angeklagte sinngemäß,
dass es "Probleme mit dem Mädchen" gebe und es deshalb weg müsse. Den
genauen Wortlaut der Äußerung konnte die Strafkammer ebenso wenig fest-
stellen wie weitere Gesprächsinhalte. Das Landgericht ist nicht davon ausge-
gangen, dass der Angeklagte L. mit seinen Äußerungen der Mitangeklag-
2
3
- 5 -
ten und Ka. einen Tötungsauftrag erteilen wollte, ebenso wenig da-
von, dass sie diese als einen solchen verstanden.
Am späten Abend des 3. Juni 1996 verließen die Angeklagte,
Ka. und das spätere Tatopfer die Wohnung des Angeklagten L. , der dort
zurückblieb, und fuhren von K. aus in die Niederlande. Anlass und Ziel der
Fahrt konnte das Landgericht nicht feststellen. Gegen 0.00 Uhr am 4. Juni 1996
hielt die Angeklagte, die zuvor mitgeteilt hatte, austreten zu müssen, das von
ihr gesteuerte Fahrzeug auf einem Seitenweg in einem Waldgebiet im nieder-
ländischen Lo. an. Nach kurzer Verständigung mit der Geschädigten in pol-
nischer Sprache stiegen beide Frauen aus dem Fahrzeug aus. Die Angeklagte
begab sich in den Wald und urinierte. J. W. suchte in der gleichen Ab-
sicht den Schutz nahe gelegener Bäume und zog sodann Hose und Unterhose
herunter. Nicht ausschließbar fasste Ka. in dieser Situation spontan
den Entschluss, J. zu töten. Er entnahm aus dem Kofferraum einen Ham-
mer, folgte der Geschädigten und schlug der nicht mit einem Angriff rechnen-
den Geschädigten mit Tötungsabsicht mehrfach und mit großer Wucht mit dem
Hammer auf den Kopf- und Halsbereich. J. W. verstarb am Tatort auf-
grund einer Kombination von komprimierender Gewalteinwirkung gegen den
Hals und starkem Blutverlust nach außen. Die Angeklagte beobachtete das
- für sie überraschende - Tatgeschehen, ohne einzuschreiten. Gemeinsam mit
Ka. fuhr sie wieder zurück in die Wohnung des Angeklagten L.
nach K. . Was dabei zwischen ihnen gesprochen wurde, konnte die Straf-
kammer nicht feststellen. Dem Angeklagten L. berichteten sie, dass und
wie J. W. zu Tode gekommen war. Wie dieser hierauf reagierte, konnte
das Landgericht nicht feststellen. Keiner von ihnen benachrichtigte in der Fol-
gezeit die Polizei.
4
- 6 -
J. W. wurde am Vormittag des 4. Juni 1996 tot aufgefunden. Er-
mittlungen der niederländischen Polizei zur Identität der Toten blieben erfolglos,
auch konnte ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden. Im Jahre 2009 ergab
ein Abgleich mit der beim BKA geführten DNA-Analysedatei, dass sich an Ge-
genständen des Tatopfers DNA-Spuren des Angeklagten L. befanden.
Dies führte nach Übernahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Köln
im Juni 2010 zu einem Haftbefehl gegen den Angeklagten, der zunächst an-
gab, das Tatopfer nicht zu kennen, sich schließlich aber doch an sie erinnerte
und im Zuge von Vernehmungen einräumte, von der Tötung des Opfers durch
Ka. , der dieses im Beisein der Mitangeklagten in den Niederlanden
erschlagen habe, zu wissen. Ka. räumte die Tat in seiner umfangrei-
chen polizeilichen Vernehmung am 3. Juli 2010 ein, wobei seine Angaben, die
das Landgericht wörtlich in den Urteilsgründen wiedergegeben hat, nicht wider-
spruchsfrei sind. Weitere Angaben zum Tathergang und zum Auslöser der Tat
machte Ka. gegenüber seinem Verteidiger und gegenüber der psychi-
atrischen Sachverständigen, bevor er am 8. Oktober 2010 in der JVA eines na-
türlichen Todes starb.
Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung von ihrem Schweige-
recht Gebrauch gemacht. Das Landgericht hat sich bei seinen Feststellungen
im Wesentlichen auf die Angaben des verstorbenen früheren Mitbeschuldigten
Ka. sowie der Angeklagten in ihren polizeilichen Vernehmungen ge-
stützt. Es hat sich die Überzeugung, die Angeklagten seien an der Tötung des
Tatopfers durch Ka. beteiligt gewesen, nicht bilden können und hat sie
freigesprochen. Eine Auftragserteilung an die Angeklagte S. und
Ka. durch den Angeklagten L. sei nicht nachweisbar gewesen. Dass
Ka. und die Angeklagte ausdrücklich oder konkludent den Plan ge-
fasst oder verabredet hätten, J. W. (gemeinsam) zu töten, sei nicht an-
zunehmen. Die Tat stellte sich aus Sicht der Kammer als eine mit der Mitange-
5
6
- 7 -
klagten unabgesprochene Spontantat des Ka. dar, zu deren Ausfüh-
rung er zwar durch Äußerungen des Angeklagten L. veranlasst, aber nicht
im Sinne des § 26 StGB vorsätzlich bestimmt worden sei (UA S. 182).
II.
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen greifen aus den vom Generalbundesanwalt in
seiner Antragsschrift vom 18. Mai 2012 dargelegten Gründen nicht durch.
2. Auch die Sachrüge deckt durchgreifende Rechtsmängel der landge-
richtlichen Entscheidung nicht auf. Entgegen der Ansicht der Revision hält die
angegriffene Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung stand.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen
Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht
in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des
Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob
dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlich-rechtlicher
Fehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, lückenhaft
ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. In der
Beweiswürdigung selbst muss sich der Tatrichter mit den festgestellten Indizien
auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu
Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei dürfen die Indizien nicht
nur isoliert betrachtet werden, sie müssen vielmehr in eine umfassende Ge-
samtwürdigung aller bedeutsamen Umstände eingebracht werden. Der Tatrich-
ter darf insoweit keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung
erforderliche Gewissheit stellen.
7
8
9
10
- 8 -
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Die Straf-
kammer hat in einer umfassenden Beweiswürdigung die wesentlichen für die
Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im
Rahmen einer Gesamtschau abgewogen. Sie hat insoweit rechtsfehlerfrei dar-
gelegt, weshalb sie sich von einer Tatbeteiligung der Angeklagten nicht hat
überzeugen können. Die von der Revision geltend gemachten Rechtsmängel
liegen - wie schon der Generalbundesanwalt im Einzelnen in seiner Antrags-
schrift dargelegt hat - nicht vor.
a) Zentraler Punkt der landgerichtlichen Würdigung sind die Angaben
des früheren Mitbeschuldigten Ka. , die das Landgericht - der besonderen
Beweisbedeutung entsprechend - in ihrem Wortlaut in den Urteilsgründen wie-
dergegeben hat. Dies ermöglicht es dem Senat, ohne Weiteres in allen Einzel-
heiten nachzuvollziehen, dass Ka. sich zu Tatvorgeschichte, Tather-
gang und Nachtatgeschehen nicht einheitlich und schlüssig, sondern vielmehr
mit logischen Brüchen und Ungereimtheiten eingelassen hat. Soweit die Straf-
kammer - wie dies die Revision rügt - einigen Angaben des Ka. gefolgt
ist, andere für widersprüchlich und andere als zu "schwammig" für ihre Über-
zeugungsbildung gehalten hat, begegnet dies deshalb keinen revisionsrechtli-
chen Bedenken. Diese sorgfältige und eingehende Würdigung der die Ange-
klagten belastenden Angaben gebietet im Übrigen - worauf der Generalbun-
desanwalt zutreffend hingewiesen hat - der Umstand, dass die Angeklagten
keine Gelegenheit hatten, ihr Recht auf Befragung des vor der Hauptverhand-
lung gestorbenen Ka. auszuüben (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) MRK). Das
Tatgericht war aus diesem Grund gehalten, den eingeschränkten Verteidi-
gungsmöglichkeiten der Angeklagten Rechnung zu tragen und die in ihrem Be-
weiswert geminderten Angaben von Ka. einer besonders sorgfältigen
und kritischen Beweiswürdigung zu unterziehen.
11
12
- 9 -
b) Angesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht
aus der einzig festgestellten Äußerung des Angeklagten L. vor der Tat,
J. W. müsse weg, weil es mit ihr Probleme gebe, nicht als "strafbare"
Anstiftung zu ihrer Tötung angesehen hat. Die Strafkammer hat im Einzelnen
dargelegt, wie diese Mitteilung des Angeklagten L. zu verstehen gewesen
sein könnte, und warum sie sich nicht von einer Beauftragung von Ka.
und der Mitangeklagten überzeugen konnte. Diese Würdigung hat sie nicht iso-
liert, sondern unter weiterer Berücksichtigung für und gegen einen solchen Auf-
trag sprechender Umstände vorgenommen, wobei maßgeblich eingeflossen ist,
dass Ka. mehrfach von seinem spontanen Tatentschluss und in seiner ersten
Beschuldigtenvernehmung davon gesprochen hat, es sei doch nicht geplant
gewesen, "das Mädchen umzubringen". Die insoweit gezogenen Schlüsse sind
durchweg möglich und beruhen auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage.
Demgegenüber erweisen sich die von der Revision geltend gemachten Beden-
ken, etwa gegen die Annahme des Landgerichts, Anlass und Ziel der gemein-
samen Fahrt hätten nicht festgestellt werden können, im Kern als bloßer Ver-
such, anstelle des Tatrichters eigene Schlussfolgerungen anzustellen, ohne
damit Rechtsfehler aufzuzeigen.
c) Es stellt auch keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht trotz der
festgestellten Umstände, dass die Angeklagte die Tötung des Opfers durch
Ka. beobachtete und mit diesem zurückfuhr, ohne dass Ka. von
Vorwürfen ihm gegenüber berichtet habe, nicht von einer Beteiligung der Ange-
klagten an dessen Tat ausgegangen ist. Die Strafkammer hat in dem passiven
Verhalten der Angeklagten zwar einen Hinweis auf ihr Einverständnis mit der
Tötung gesehen, hat allerdings daraus nicht den Schluss ziehen wollen, die Tat
sei mit Ka. vorab verabredet worden. Vor dem Hintergrund mehrfacher An-
gaben von Ka. , er habe die Tat spontan begangen, weil es "über ihn
gekommen" sei, und weiterer Zeugenaussagen zum Verhältnis zwischen
13
14
- 10 -
Ka. und der Angeklagten konnte das Landgericht Angst vor Ka. als eine
(einer Verabredung oder Unterstützung der Tat entgegenstehende) Erklä-
rungsmöglichkeit für ihr passives Verhalten nicht ausschließen. Diese mögliche
Schlussfolgerung beruhte - entgegen der Ansicht der Revision, die auch an
diese Stelle revisionsrechtlich unbeachtlich eine eigene Würdigung der Bewei-
se vornimmt - auf einer tragfähigen Grundlage, ohne dass das Landgericht da-
mit überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) ge-
stellt hätte.
- 11 -
III.
Auch der nicht näher begründeten sofortigen Beschwerde gegen die
Entscheidung über die Entschädigung erlittener Untersuchungshaft bleibt der
Erfolg versagt. Es ist nicht ersichtlich, dass ein durchgreifender Ausschluss-
oder Versagungsgrund (§§ 5, 6 StrEG) gegeben ist.
Becker Fischer Berger
Krehl Eschelbach
15