Urteil des BGH vom 02.10.2002
Progona Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 177/00
Verkündet am:
2. Oktober 2002
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
Progona
UWG § 1
AMG § 29 Abs. 3, § 77 Abs. 1, § 105 Abs. 3a
BGB § 276 Cd
Die Mitteilung einer unzuständigen Landesbehörde zur "Verkehrsfähigkeit" eines
Arzneimittels befreit einen pharmazeutischen Unternehmer nicht von dem Vorwurf,
ein zulassungspflichtiges, aber vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte nicht zugelassenes Arzneimittel in den Verkehr gebracht zu haben.
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BGH, Urt. v. 2. Oktober 2002 - I ZR 177/00 - OLG Köln
LG Köln
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 2. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und
die Richter Prof. Starck, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Schaffert
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 16. Juni 2000 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden
ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 31. Zivilkammer
des Landgerichts Köln vom 24. Juni 1999 wird insgesamt zurück-
gewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel werden den Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Herstellung und des
Vertriebs von Arzneimitteln. Sie streiten im Revisionsverfahren nach Nichtan-
nahme der Revision der Beklagten nur noch darum, ab welchem Zeitpunkt die
Klägerin wegen des seit dem 15. August 1997 erfolgten Vertriebs des Arznei-
mittels "Progona", der den Beklagten mit dem insoweit rechtskräftig geworde-
nen Urteil des Berufungsgerichts untersagt worden ist, Schadensersatz und
dementsprechende Auskunft verlangen kann.
Das Landgericht hat den Beklagten entsprechend dem Antrag der Klä-
gerin unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, das Fertigarzneimittel
"Progona" mit dem Wirkstoff D-Glucosaminsulfat zum Verkauf oder zu sonsti-
ger Abgabe vorrätig zu halten, feilzuhalten, feilzubieten und/oder an andere
abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen, solange für dieses keine
Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im weite-
ren: BfArM) nach §§ 21 ff. AMG oder eine Nachzulassung (Verlängerung der
fiktiven Zulassung) des BfArM nach § 105 AMG vorliegt. Den von der Klägerin
weiterhin gestellten Anträgen auf Auskunftserteilung und Schadensersatzfest-
stellung wegen der Vornahme entsprechender Handlungen durch die Beklag-
ten hat es für die Zeit ab dem 12. November 1997 stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren Antrag auf Klageabwei-
sung weiterverfolgt haben, hatte nur insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht
die Verpflichtung der Beklagten zur Auskunftserteilung und die Feststellung
ihrer Schadensersatzpflicht auf die Zeit ab dem 25. November 1998 beschränkt
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hat. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagten zu 1 der Bescheid des BfArM vom
20. November 1998 zugestellt worden, der die Feststellung enthielt, daß für
das Arzneimittel "Progona" eine Neuzulassungspflicht bestehe.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie beantragt, das
Urteil des Landgerichts wiederherzustellen. Die Beklagten beantragen, die Re-
vision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die teilweise Abweisung der Klage mit dem
Auskunfts- und dem Schadensersatzfeststellungsanspruch damit begründet,
daß auf seiten der Beklagten erstmals mit dem Zugang des Bescheids des
BfArM vom 20. November 1998 eine Unsicherheit in Bezug auf die Rechtslage
habe entstehen können. Zuvor hätten die Beklagten angesichts des Schrei-
bens des S. Gesundheitsministeriums vom 22. Dezember 1997 (im
weiteren: Schreiben des Landesministeriums) auf die Verkehrsfähigkeit ihres
Arzneimittels auch ohne eine derartige Zulassung bzw. darauf vertrauen dür-
fen, daß sie nach der Bestimmung des § 105 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMG die
fiktive Zulassung des geänderten Alt-Arzneimittels "C. " in Anspruch neh-
men könnten. Das Landesministerium sei die zuständige Überwachungsbehör-
de gewesen, die über die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels zu entscheiden
und nach entsprechender Unterrichtung und Mitteilung an das BfArM Maßnah-
men nach § 69 Abs. 1 AMG zu treffen gehabt habe. Ohne Erfolg wende die
Klägerin ein, das Schreiben des Landesministeriums beruhe auf der Grundlage
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eines unvollständigen Sachverhalts und lasse zudem eine unzureichende in-
haltliche Prüfung erkennen. Denn dem Landesministerium seien, wie auch aus
seinem weiteren Schreiben vom 15. Juli 1998 hervorgehe, der Inhalt der Ände-
rungsanzeige und die daraus ersichtlichen Anwendungsgebiete von "C. "
und "Progona" bekannt gewesen. Außerdem hätten sich die Beklagten darauf
verlassen dürfen, daß die zuständige Behörde die erforderliche Prüfung ord-
nungsgemäß, sachkundig und erschöpfend durchgeführt habe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin hat Er-
folg. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß die Beklagten
beim Vertrieb des Arzneimittels "Progona" in der Zeit bis zum 25. November
1998 nicht schuldhaft gehandelt haben.
Das Berufungsgericht hat für den Zeitraum bis zum Eingang des Schrei-
bens des Landesministeriums bei den Beklagten (12. November bis
22. Dezember 1997) schon nicht berücksichtigt, daß den Beklagten zu jener
Zeit dieses Schreiben, im Hinblick auf das sich ihr Verhalten nach der Auffas-
sung des Berufungsgerichts bis zum Zugang des Schreibens des BfArM vom
20. November 1998 als nicht schuldhaft darstellte, noch nicht vorlag. Die Revi-
sion der Klägerin weist zudem mit Recht darauf hin, daß die Beklagten aus-
weislich der zum Gegenstand der Verhandlung vor dem Berufungsgericht ge-
machten Akten des dem Klageverfahren vorangegangenen Verfahrens der
einstweiligen Verfügung (31 O 991/97 LG Köln = 6 U 52/98 OLG Köln) zeitlich
vor der Aufnahme des Vertriebs des Arzneimittels "Progona" am 15. August
1997 - bei der Angabe "15.07.1997" auf der Seite 3 des angefochtenen Urteils
handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen - am 4. August 1997
bei dem Landgericht Köln eine Schutzschrift hinterlegt hatten. Dieser Umstand
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weist nämlich aus, daß die Beklagten beim Inverkehrbringen des Arzneimittels
"Progona" durchaus in rechtlicher Hinsicht Zweifel hatten. Mit Änderungsanzei-
ge vom 12. August 1994 hatte die Beklagte zu 1 selbst im übrigen dem BfArM
unter anderem den Austausch des bisherigen Wirkstoffs Oxyphenbutazon ge-
gen D-Glucosaminsulfat angezeigt.
Das Schreiben des Landesministeriums, das bei den Beklagten am
22. Dezember 1997 eingegangen ist, konnte diese auch für die nachfolgende
Zeit bis zum 25. November 1998 nicht entlasten. Zwar wäre es grundsätzlich
eine Überspannung der Pflicht zu lauterem Wettbewerbshandeln und ein un-
zulässiger Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit, von einem Gewerbetreibenden
zu verlangen, sich vorsichtshalber auch dann nach der strengsten Gesetzes-
auslegung und Einzelfallbeurteilung zu richten, wenn die zuständigen Behör-
den und Gerichte sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten
(BGH, Urt. v. 11.10.2001 - I ZR 172/99, GRUR 2002, 269, 270 = WRP 2002,
323 - Sportwetten-Genehmigung, m.w.N.). Das Landesministerium war für die
von ihm gegebene Auskunft über die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels "Pro-
gona" indes sachlich nicht zuständig, sondern übte lediglich die Funktion einer
Überwachungsbehörde aus. Denn nach den Bestimmungen des Art. 3 § 7 des
Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts (vom 24.8.1976 [BGBl. I
S. 2445], zuletzt geändert durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Arznei-
mittelgesetzes vom 9.8.1994 [BGBl. I S. 2071, 2082] - AMNG) bzw. des § 105
AMG steht die Verlängerung der Zulassung ebenso wie diese selbst unter dem
Vorbehalt der materiellen Prüfung, die aber wie nach § 29 Abs. 3 Satz 2, § 77
AMG auch die Entscheidung über die arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht
in die alleinige Zuständigkeit des BfArM fällt. Die Beklagten als pharmazeuti-
sche Unternehmer i.S. des § 4 Abs. 18 AMG mußten diese Gegebenheiten so-
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wie die Rechtsunwirksamkeit der Änderungsanzeige im Falle des Nichteinhal-
tens der gesetzlichen Voraussetzungen aufgrund der Sechsten Bekanntma-
chung des Bundesgesundheitsamtes über die Verlängerung der Zulassungen
nach Art. 3 § 7 AMNG vom 23. Oktober 1990 (BAnz. S. 5827) kennen. Ihre in-
soweit etwa gegebene Rechtsunkenntnis wäre daher jedenfalls unter dem Ge-
sichtspunkt der Fahrlässigkeit als schuldhaft anzusehen.
III. Danach war auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landgerichts
wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Ullmann
Starck
Pokrant
Büscher
Schaffert