Urteil des BGH vom 13.02.2003
BGH: erbschaftssteuer, gebühr, erbe, bereicherung, steuerrecht, rückgriff, rechtsverletzung, anmerkung, erbschein, belastung
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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 35/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1967 Abs 2 BGB, § 10 Abs 1
S 1 ErbStG, § 20 Abs 3
ErbStG, § 14 Abs 2 KostO, § 31
Abs 1 S 1 KostO
(Wertfestsetzung im Erbscheinserteilungsverfahren:
Berücksichtigung der Erbschaftssteuer als
Nachlassverbindlichkeit; Umdeutung einer Erinnerung)
Leitsatz
Bei der Ermittlung des Geschäftswertes für die Erbscheinserteilung ist die vom Erben zu
tragende Erbschaftssteuer nicht nach § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO als
Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. Eine gegen den der Gebühr zu Grunde gelegten
Geschäftswert gerichtete Erinnerung gegen den Kostenansatz ist wegen der
umfassenderen Wirkung in einen Antrag auf Wertfestsetzung nach § 31 KostO
umzudeuten.
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde
vom Gericht nicht mitgeteilt.]
Gründe
Das Amtsgericht hat der Beteiligten zu 1) am 05.02.2002 einen Erbschein als
Alleinerbin des Erblassers erteilt (Bl. 142 d. A.). Mit Kostenrechnung vom
22.10.2002 (Bl. 225 d. A.) wurde der Beteiligten zu 1) u. a. für die Erteilung des
Erbscheins eine Gebühr gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 KostO in Höhe von 1.827,00
EUR aus einem Geschäftswert von 1.173.926,16 EUR in Rechnung gestellt.
Mit ihrer Erinnerung (Bl. 226 d. A.) hat die Beteiligte zu 1) beanstandet, dass die
von ihr zu zahlende Erbschaftssteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit im Sinn des
§ 107 Abs. 2 Satz 1 KostO vom Aktivnachlass abgezogen worden ist. Das
Amtsgericht hat die Erinnerung als eine solche nach § 14 Abs. 2 KostO behandelt
und als unbegründet zurückgewiesen, da die Erbschaftssteuer nicht mit sonstigen
Nachlassverbindlichkeiten vergleichbar sei, da sie keine Belastung des Nachlasses
darstelle, sondern eine persönliche Schuld des Erben (Bl. 230-232 d. A.).
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat das Landgericht den angefochtenen
Beschluss des Amtsgerichts abgeändert und die Kostenrechnung vom 22.10.2002
hinsichtlich der Gebühr für die Erteilung des Erbscheins aufgehoben und das
Amtsgericht angewiesen, die Kostenrechnung insoweit aus einem um die von der
Kostenschuldnerin zu tragenden Erbschaftssteuer geminderten Geschäftswert neu
zu erteilen.
Das Landgericht ist dem OLG Köln (ZEV 2001, 406=Rpfleger 2001, 459=FGPrax
2001, 169) und dem BFH (NJW 1993, 350) in der Bewertung der von dem Erben zu
zahlenden Erbschaftsteuer als Erbfallschuld und abzugsfähiger
Nachlassverbindlichkeit im Sinn des § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO gefolgt (Bl. 245-247
d. A.). Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde der Staatskasse, die auf die
abweichenden Entscheidungen des OLG Hamm (OLGZ 1990, 393=Rpfleger 1990,
463) und des BayObLG (Rpfleger 2002, 626) verweist sowie auf Ungerechtigkeiten
bei gemeinschaftlichen Erbscheinen für Erben mit unterschiedlicher
Erbschaftssteuerbelastung.
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Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist in Folge Zulassung in dem
landgerichtlichen Beschluss statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat auch Erfolg,
da die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 14 Abs. 3
Satz 2 und Satz 3 KostO i. V. m. § 546 ZPO).
Es besteht sowohl in der bürgerlich-rechtlichen als auch der steuerrechtlichen
Kommentarliteratur und Rechtsprechung Streit darüber, ob die vom Erben zu
tragende Erbschaftssteuer eine Nachlassverbindlichkeit darstellt mit der Folge,
dass sie nach §§ 107 Abs. 2 Satz 1 KostO, 1967 BGB bei der Festsetzung des
Geschäftswertes für das Erbscheinsverfahren vom Aktivnachlass abzuziehen ist
(vgl. z. B. bejahend BFH NJW 1993, 350; OLG Köln ZEV 2001, 406=Rpfleger 2001,
459=FGPrax 2001,169; Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann: KostO, 15. Aufl., §
14, Rdnr. 28; Palandt/Edenhofer: BGB, 61. Aufl., § 1967, Rdnr. 6;
Söffing/Völkers/Weinmann: Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht, Stichwort
"Erbfallschulden", Rdnr. 4 und 16 und Stichwort "Nachlassverbindlichkeiten", Rdnr,
12; Lappe RpflStud 1996, 12; verneinend OLG Hamm OLGZ 1990, 463=Rpfleger
1990, 463; BayObLG Rpfleger 2002, 626; Rohs/Wedewer: KostO, Stand April 2000,
§ 107, Rdnr. 32; Hartmann: Kostengesetze, 30. Aufl., § 107, Rdnr. 12; Meincke:
Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuergesetz, 13. Aufl., 2002, § 20, Rdnr . 12
und § 10, Rdnr. 59).
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Erbschaftssteuer, die der Erbe
aus Anlass seines Erwerbs von Todes wegen zu zahlen hat, bei der Ermittlung des
Reinnachlasses nach § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO nicht vom Aktivnachlass
abzuziehen ist.
Der Rückgriff auf § 1967 Abs. 2 BGB, weil die Kostenordnung keine Definition des in
der Norm verwendeten Begriffes "Nachlassverbindlichkeiten" enthält, führt zu
keinem eindeutigen Ergebnis. Um eine Erbfallschuld kann es sich nicht handeln,
weil die Verpflichtung zur Zahlung von Erbschaftssteuer nicht wie die in § 1967
Abs. 2 BGB genannten Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen
und Auflagen (nur) "den Erben als solchen" treffen, sondern gleichermaßen auch
jeden Erwerber von Todes wegen im Sinn von § 3 ErbStG. Außerdem erwirbt der
Erbe den Nachlass nicht bereits belastet mit der Steuerschuld, diese knüpft
vielmehr nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG an die Bereicherung des Erwerbers an
und nur kraft ausdrücklicher steuerrechtlicher Normierung in § 20 Abs. 3 ErbStG
haftet der Nachlass bis zur Auseinandersetzung für die Steuer der am Erbfall
Beteiligten. Auf Grund dieser Anknüpfung an die Bereicherung des Erwerbers ist
vom Vorliegen einer persönlichen Verbindlichkeit des Erben auszugehen, die auch
nicht den in § 1967 Abs. 2 BGB genannten Erbfallschulden gleich steht. Die
Erbschaftssteuer ist nicht Teil des Bruttonachlasses, wie Lappe (aaO.) meint,
deshalb gebieten auch Billigkeitsgesichtspunkte keinen Abzug bei der Ermittlung
des Reinnachlasses nach § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO.
Die Gegenmeinung hat nach Auffassung des Senats die Konsequenzen ihrer
Auffassung nicht zu Ende gedacht. So würde der Abzug der Erbschaftssteuer, weil
deren Höhe von der Person des Erben und dessen Verwandtschaftsgrad zum
Erblasser abhängt, im Ergebnis dazu führen, dass die nächsten Angehörigen des
Erblassers höhere Gebühren im Erbscheinserteilungsverfahren zu zahlen hätten
als weiter entferntere Angehörige, weil letztere höhere Erbschaftssteuern vom
Bruttonachlass abziehen könnten. Dies entspricht weder der Billigkeit, noch dem
Sinn und Zweck des § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO. Zu Recht hat die Beteiligte zu 2)
auch darauf hingewiesen, dass bei der Erteilung eines gemeinschaftlichen
Erbscheins für mehrere Erben mit unterschiedlichen Verwandtschaftsgraden bei
dem Kostenansatz nicht zwischen den Erben mit geringerer und höherer
Erbschaftssteuerbelastung differenziert werden könnte.
Schließlich ist der Senat im Gegensatz zum OLG Köln (aaO., Seite 407) der
Auffassung, dass die Ermittlung des Nachlasswertes durch einen Abzug der
Erbschaftssteuer sowohl eine für die Sachentscheidung im Erbscheinsverfahren im
Hinblick auf § 8 KostO unnötige Verzögerung als auch einen erheblichen
Mehraufwand nicht allein des Kostenbeamten, sondern im Rahmen der
Geschäftswertfestsetzung nach § 31 KostO "des Gerichts" samt der
Rechtsmittelinstanzen zur Folge hätte. Das Kostenrecht sollte als Folgerecht nach
Möglichkeit praktikabel bleiben und nicht noch mit Rechtsfragen aus dem
allgemein als schwierig angesehenen, unübersichtlichen und häufigen Änderungen
unterliegenden Steuerrecht überfrachtet werden. Für das weitere Verfahren ist
darauf hinzuweisen, dass im Nachlassverfahren noch keine
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darauf hinzuweisen, dass im Nachlassverfahren noch keine
Geschäftswertfestsetzung erfolgt ist und in der Erinnerung der Beteiligten zu 1),
die sich allein gegen den Geschäftswert gerichtet hat, ein Antrag auf
Wertfestsetzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 KostO zu sehen war. Über diesen Antrag
auf erstmalige Wertfestsetzung muss auf Grund der umfassenderen Wirkung für
alle Verfahrensbeteiligten - und nicht nur für den Kostenschuldner und die
Staatskasse wie im Erinnerungsverfahren - zunächst noch entschieden werden.
Bei einer Wertfestsetzung, die von dem dem Kostenansatz zu Grunde gelegten
Geschäftswert abweicht, kann der Kostenansatz trotz Rechtskraft abgeändert
werden (vgl. Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, aaO., § 15, Rdnr. 60 und § 31
Rdnr. 4, 9 und 45; Rohs/Wedewer: KostO, § 31, Rdnr. 9 und 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 7 KostO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.