Urteil des BGH vom 09.11.2010

BGH (kreuzung, fahrzeug, bestätigung, anzahl, einlassung, beweismittel, verhandlung, hauptverhandlung, anhalten, sache)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 357/10
vom
9. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 9. November 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 1. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufge-
hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tat-
einheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe
von 90 Tagessätzen aus einem rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von acht Jahren und einem Monat verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die
Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt aufgrund der Sach-
rüge zur Aufhebung des Urteils. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht
mehr an.
1
1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
2
- 3 -
Der Zeuge H. und zwei Mittäter zwangen im Dezember 2002 den
Angeklagten unter Vorhalt von Waffen, mit ihnen in einen Wald zu fahren. Dort
bedrohten sie ihn mit dem Tode und schlugen mit Gegenständen auf ihn ein,
sodass er zwei Zähne verlor. Anschließend zwang H. den Angeklagten
durch Bedrohung mit einer Waffe dazu, ihn oral zu befriedigen. Außerdem ver-
langte er von ihm die Zahlung von 20.000 €. In der Folgezeit litt der Angeklagte
unter Alpträumen und Angstzuständen.
3
Am 10. Mai 2008 trafen der Angeklagte und H. an einer Kreuzung
in Ha. mit ihren Fahrzeugen aufeinander. Der Angeklagte erkannte
H. , der seinerseits den Angeklagten nicht wahrnahm, und folgte dessen
Pkw. Als H. sein Fahrzeug am Straßenrand angehalten hatte und sein
Beifahrer I. ausgestiegen war, wollte der Angeklagte die sich ihm bietende
Gelegenheit nutzen und H. töten. Er hielt mit seinem Fahrzeug neben dem
Pkw des H. an und schoss viermal auf den Hals- und Oberkörperbereich
des in seinem Fahrzeug sitzenden Geschädigten H. , der durch drei
Schüsse potentiell lebensbedrohliche Verletzungen erlitt. Der Angeklagte, der
glaubte, den apathisch zusammengesackten Geschädigten getötet zu haben,
fuhr mit quietschenden Reifen davon.
4
2. Der Angeklagte hat das objektive unmittelbare Tatgeschehen einge-
räumt. Abweichend von den Feststellungen hat er sich zum Tatvorgeschehen
jedoch dahingehend eingelassen, H. habe ihn an der Kreuzung erkannt,
hasserfüllt angeblickt sowie mit seiner rechten Hand eine Pistole angedeutet,
die er auf ihn gerichtet und mehrmals hintereinander betätigt habe. Anschlie-
ßend sei dieser verbotswidrig von der Linksabbiegespur auf die von ihm benutz-
te Geradeausspur gewechselt und habe sich vor ihn gesetzt. Er habe geglaubt,
H. werde auf ihn schießen und zum Anhalten zwingen. Aus tiefer Verzweif-
5
- 4 -
lung habe er daraufhin den Geschädigten durch Schüsse kampfunfähig machen
wollen.
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe den
Geschädigten H. an der Kreuzung erkannt, während ihn dieser nicht gese-
hen habe, auf die gleichlautenden Aussagen der Zeugen H. und I. ge-
stützt. Deren Glaubhaftigkeit hat es damit begründet, die Zeugen hätten ruhig
und sachlich ohne Belastungstendenzen ausgesagt, Widersprüche zwischen
ihren polizeilichen Aussagen und ihren Angaben in der Hauptverhandlung be-
träfen nur die Tatvorgeschichte und sie seien erkennbar bemüht gewesen, sich
an Details zu erinnern; hinzu komme, dass die Aussagen der Zeugen H.
und I. ihrerseits Unterstützung fänden in den Angaben der Zeugen Hi. ,
E. , B. , S. , He. , K. , So. und Sch. , soweit
sie jeweils ihren eigenen Wahrnehmungen unterlagen, in den Ausführungen
des Sachverständigen Dr. G. , in den in Augenschein genommenen Licht-
bildern von den Fahrzeugen sowie in den aufgefundenen Spuren (Einschusslö-
cher, Glasbruchspuren, Anzahl und Lage der Patronenhülsen) und den weite-
ren ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen. Die
Aussagen der Zeugen H. und I. würden auch nicht durch das Gutach-
ten des Sachverständigen M. in Frage gestellt.
6
b) Dies hält den sachlich-rechtlichen Angriffen der Revision nicht stand.
Das Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.
7
Der Angeklagte war zum Tatkerngeschehen geständig. Dessen rechtli-
che Beurteilung als versuchter Heimtückemord könnte hinsichtlich der objekti-
ven oder subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke allerdings dann einer
abweichenden Bewertung unterliegen, wenn die vom Angeklagten behaupteten
Vorgänge im Tatvorfeld bei und nach dem Anhalten der Fahrzeuge an der Stra-
8
- 5 -
ßenkreuzung stattgefunden hätten; sie hätten zumindest Auswirkungen auf den
Schuldgehalt der Tat.
Das Landgericht ist indes auch zu dem Tatvorgeschehen den Angaben
der Zeugen H. und I. gefolgt, dass sie den Angeklagten vor der
Schussabgabe nicht bemerkt hätten; diese seien unter anderem deswegen
glaubhaft, weil sie in Teilbereichen durch sonstige Beweisergebnisse bestätigt
worden seien. Ob diese Überlegung des Landgerichts rechtsfehlerfrei ist, kann
der Senat jedoch nicht überprüfen. Denn das Landgericht hat es unterlassen
darzulegen, in welchen Punkten die weiteren Zeugen und sonstigen Beweismit-
tel die Angaben der Zeugen H. und I. zum Tatvorgeschehen bestätigt
haben bzw. zu einer derartigen Bestätigung überhaupt in der Lage gewesen
sind. Das Urteil teilt das insoweit gewonnene Beweisergebnis nicht einmal in
Ansätzen mit. Dies war hier aber unerlässlich. Denn auch aus dem Gesamtzu-
sammenhang der Urteilsgründe kann hierzu nichts hergeleitet werden; dieser
spricht im Gegenteil dafür, dass die Aussagen der Zeugen H. und I.
zum Tatvorgeschehen nicht durch weitere Beweisergebnisse bestätigt worden
sind.
9
Der Sachverständige Dr. G. ist Rechtsmediziner und konnte Anga-
ben nur zu den Verletzungen des Geschädigten und deren Gefährlichkeit ma-
chen. Die Lichtbilder von den Fahrzeugen sowie die Spuren vom Tatort (Ein-
schusslöcher, Glasbruchspuren, Anzahl und Lage der Patronenhülsen) lassen
Rückschlüsse nur auf das unmittelbare Tatgeschehen zu, das der Angeklagte in
vollem Umfang eingeräumt hat. Angaben von Zeugen zum unmittelbaren Tat-
geschehen bestätigen sowohl die insoweit geständige Einlassung des Ange-
klagten als auch die Aussagen der Zeugen H. und I. und sind deshalb
kein Grund, deren Angaben zu folgen, sie hätten an der Kreuzung den Ange-
klagten nicht wahrgenommen. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen
10
- 6 -
und es ist eher fernliegend, dass die Zeugen Hi. , E. ,
B. , S. , He. , K. , So. und Sch. zum Geschehen an
der Kreuzung Angaben gemacht haben, welche die Einlassung des Angeklag-
ten widerlegen und die Aussagen der Zeugen H. und I. bestätigen.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Das Landge-
richt hat die Glaubhaftigkeit der Darstellungen der Zeugen H. und I.
ausdrücklich auch mit deren Bestätigung durch weitere Zeugenaussagen und
sonstige Beweismittel begründet. Der Senat vermag aus diesem Grunde nicht
auszuschließen, dass es ohne diese vermeintliche Bestätigung den Angaben
der Zeugen H. und I. nicht geglaubt hätte oder zumindest nach dem
Zweifelssatz der Darstellung des Angeklagten gefolgt wäre. Zwar mag das fest-
gestellte Verhalten des Zeugen H. , nachdem er sein Fahrzeug am Stra-
ßenrand angehalten hatte, für seine Arglosigkeit sprechen; diesen Umstand hat
das Landgericht indes nicht in seine Überzeugungsbildung miteinbezogen. Die
Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
11
Becker
Pfister
von Lienen
Sost-Scheible
Hubert