Urteil des BGH vom 05.04.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 50/05
vom
5. April 2006
in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 295 Abs. 2, § 296 Abs. 1
a) Ein zulässiger Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung während der Lauf-
zeit der Abtretungserklärung setzt voraus, dass der Insolvenzgläubiger nicht nur
die Obliegenheitsverletzung des Schuldners, sondern auch eine darauf beruhen-
de Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger glaubhaft macht;
Letzteres liegt vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare
Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist.
b) Übt der Schuldner neben seiner abhängigen Beschäftigung eine selbständige
Tätigkeit aus, aus der er lediglich Verluste erwirtschaftet, sind die Insolvenzgläu-
biger nicht beeinträchtigt, wenn der Schuldner keine Möglichkeit hat, anstelle der
selbständigen Tätigkeit ein weiteres Arbeitsverhältnis einzugehen.
BGH, Beschluss vom 5. April 2006 - IX ZB 50/05 - LG Traunstein
AG Traunstein
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Vill, Cierniak, die Richterin Lohmann und den
Richter Dr. Detlev Fischer
am 5. April 2006
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel der Schuldnerin werden der Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 11. Januar 2005
und der Beschluss des Amtsgerichts Traunstein vom 11. März
2004 aufgehoben.
Die Anträge der weiteren Beteiligten zu 2 und 3, der Schuldnerin
die Restschuldbefreiung zu versagen, werden als unzulässig zu-
rückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Gerichtskosten aller Rechtszüge so-
wie die außergerichtlichen Kosten der Schuldnerin zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.000 Euro fest-
gesetzt.
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Gründe:
I.
In dem auf Antrag der Schuldnerin eröffneten Verbraucherinsolvenzver-
fahren kündigte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 19. Juni 2001 an, dass
die Schuldnerin Restschuldbefreiung erlange, wenn sie für die Zeit von fünf
Jahren ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens den Obliegenheiten des § 295
InsO nachkomme. Die (weitere) Beteiligte zu 1 wurde zur Treuhänderin auch in
der Wohlverhaltensperiode bestimmt. Das Insolvenzverfahren wurde am
8. August 2001 aufgehoben.
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Die Schuldnerin ist als Rechtsanwaltsgehilfin halbtags in einer Rechts-
anwaltskanzlei beschäftigt. Neben dieser Tätigkeit betrieb sie in der Zeit von
Oktober 2001 bis Ende Dezember 2003 ein selbständiges Gewerbe in Form
eines Büro- und Postservices. Hiervon erfuhr die Treuhänderin aufgrund eines
Schreibens der S. -Betriebskrankenkasse vom 27. März 2003. Auf die
Anträge der Beteiligten zu 2 und zu 3 - der Beteiligte zu 4 hat seinen Versa-
gungsantrag später wieder zurückgenommen - hat das Insolvenzgericht der
Schuldnerin die Restschuldbefreiung versagt. Ihre sofortige Beschwerde ist er-
folglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren
Zurückweisungsantrag weiter.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 7, 6 Abs. 1, 296 Abs. 3 Satz 1
InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574
Abs. 2 Nr. 2, § 575 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet.
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1. Dahinstehen kann, ob die Schuldnerin gegen eine der in § 295 InsO
aufgeführten Obliegenheiten verstoßen hat. Denn ein solcher Verstoß rechtfer-
tigt gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO die Versagung der Restschuldbefreiung
nur, wenn dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird.
Zwischen der Obliegenheitsverletzung und der Gläubigerbeeinträchtigung muss
ein Kausalzusammenhang bestehen (MünchKomm-InsO/Stephan, §
296
Rn. 14; Nerlich/Römermann, InsO § 296 Rn. 13; Haarmeyer/Wutzke/Förster,
Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. Kap. 8 Rn. 279). Ein solcher Zusam-
menhang liegt vor, wenn die Insolvenzgläubiger ohne die Obliegenheitsverlet-
zung eine bessere Befriedigung im Hinblick auf ihre Forderungen hätten errei-
chen können (MünchKomm-InsO/Stephan, aaO; Nerlich/Römermann, aaO
§ 296 Rn. 10). Zwar muss es sich, wie der Vergleich zu § 303 Abs. 1 InsO er-
gibt, nicht um eine erhebliche Beeinträchtigung handeln. Gleichwohl muss die
Schlechterstellung der Insolvenzgläubiger konkret messbar sein; eine Gefähr-
dung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus (AG
Regensburg ZVI 2004, 499, 500 f; FK-InsO/Ahrens, 4. Aufl. § 296 Rn. 12;
Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 296 Rn. 18).
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Gemäß § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO ist ein Versagungsantrag nur zulässig,
wenn der Insolvenzgläubiger die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 der Vor-
schrift und damit auch die Beeinträchtigung der Befriedigung der Gläubiger
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glaubhaft macht (LG Hamburg ZVI 2004, 259, 260; FK-InsO/Ahrens, aaO § 296
Rn. 10). Somit müssen nach dem Vortrag des Antragstellers die Voraussetzun-
gen des in § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Satz 2 i.V.m. § 295 InsO umgrenzten
Versagungsgrundes wahrscheinlich gegeben sein. Für die in diesem Verfah-
rensstadium dem Gläubiger obliegende Last der Beweisführung findet über die
Verweisung in § 4 InsO die Vorschrift des § 294 ZPO Anwendung. Die gerichtli-
che Würdigung der Darstellung und der beigebrachten Beweismittel hat auch
die für den Gläubiger bestehenden Schwierigkeiten, den Sachverhalt hinrei-
chend aufzuklären, zu berücksichtigen (BGHZ 156, 139, 141 f zu § 290 Abs. 2
InsO).
a) Die Beteiligten zu 2 und 3 haben eine kausal auf einem Obliegen-
heitsverstoß beruhende Gläubigerbeeinträchtigung nicht glaubhaft gemacht.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz geht es nicht um rechtliche Schlussfolge-
rungen aus einem glaubhaft gemachten Sachverhalt. Der Beteiligte zu 3 hat
überhaupt keine Ausführungen dazu gemacht, ob die Befriedigung der Gläubi-
ger durch die von ihm angenommene Obliegenheitsverletzung beeinträchtigt
worden ist. Er hat sich lediglich auf das Schreiben der Treuhänderin vom
8. Dezember 2003 bezogen; dieses verhält sich nicht zu einer Gläubigerbeein-
trächtigung.
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Nicht anders liegt es im Ergebnis bei der Beteiligten zu 2. Diese hat zwar
gemeint, es sei davon auszugehen, "dass Gewinn verheimlicht und dadurch die
Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wurde und wird", da die
Schuldnerin keine Angaben über die Höhe ihrer Einnahmen und Ausgaben er-
teile. Ein solcher Vortrag genügt schon deshalb nicht, weil die Beteiligte zu 2
durch das auch von ihr in Bezug genommene Schreiben der Treuhänderin
wusste, dass die Schuldnerin der Betriebskrankenkasse Beiträge schuldete.
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Wenn solche - strafbewehrten (§ 266a StGB) - Verbindlichkeiten gegenüber
einem zur Selbsttitulierung befähigten Gläubiger bestehen, kann allein aus der
Ausübung eines (neuen) Gewerbes nicht auf Gewinne geschlossen werden.
Hinzu kommt, dass ein Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit nicht unter
§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO fällt (vgl. FK-InsO/Ahrens, aaO § 295 Rn. 49 i.V.m.
§ 287 Rn. 34), der ein Verheimlichen von Bezügen und bestimmten Vermö-
gensbestandteilen sanktioniert.
b) Der angefochtene Beschluss beruht danach auf einem durchgreifen-
den Rechtsfehler, weil es an einem zulässigen Versagungsantrag eines Insol-
venzgläubigers fehlt (§ 296 Abs. 1 Satz 3 InsO)
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III.
Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 577 Abs. 5 ZPO); unter Aufhe-
bung auch der amtsgerichtlichen Entscheidung sind die Anträge der Beteiligten
zu 2 und 3 als unzulässig zurückzuweisen.
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Dahinstehen kann, ob Amts- und Landgericht die Beteiligten zu 2 und 3
auf das Erfordernis der Glaubhaftmachung auch der Gläubigerbeeinträchtigung
hätten hinweisen müssen. Denn auch das Ergebnis der Amtsermittlungen der
Vorinstanzen rechtfertigt nicht die Versagung der Restschuldbefreiung; es be-
stehen zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller über weiter
gehende Erkenntnisquellen verfügen.
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1. Das Landgericht ist von einem Verstoß gegen die in § 295 Abs. 1 Nr. 1
InsO aufgestellte Obliegenheit ausgegangen, weil die Schuldnerin sich nicht in
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ausreichender Form um eine angemessene zusätzliche Erwerbstätigkeit be-
müht habe. Es meint, dies hätte im Ergebnis die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine
weitere Beschäftigung zu finden.
Eine konkret messbare Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenz-
gläubiger ist damit - bei der erforderlichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise
(vgl. Wenzel in Kübler/Prütting, InsO § 296 Rn. 5) - nicht dargetan. Die Begrün-
dung geht in der Sache nicht über eine Beschreibung der vom Beschwerdege-
richt bejahten Obliegenheitsverletzung, jedenfalls nicht über eine bloße - nicht
ausreichende - Gefährdung der Gläubigerinteressen hinaus. Eine wirtschaftlich
messbare Aussicht der Schuldnerin, einen weiteren Arbeitsplatz zu finden, kann
nach der Auskunft der Bundesagentur für Arbeit vom 28. November 2004 oh-
nehin nicht angenommen werden. Hieraus ergibt sich, dass ihre Aussichten,
eine neue Arbeitsstelle zu finden, aufgrund ihres Alters und eines Haftaufenthal-
tes sehr gering sind.
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2. Zwar obliegt dem Schuldner, der eine selbständige Tätigkeit ausübt,
die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie
wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre (§ 295 Abs. 2
InsO). Geht der selbständig tätige Schuldner wie hier zusätzlich einer abhängi-
gen Beschäftigung nach, muss er die dem Treuhänder aufgrund der Abtretung
zufließenden Einkünfte um den Betrag aufstocken, der den Gläubigern zuge-
flossen wäre, wenn er anstelle der selbständigen Tätigkeit auch insoweit ab-
hängig beschäftigt gewesen wäre (HK-Inso/Landfermann, 4. Aufl. § 295 Rn. 8).
Im Streitfall haben die Gläubiger einen Verstoß der Schuldnerin gegen diese
Obliegenheit nicht zu belegen vermocht. Zwar löst die Vorschrift die zu berück-
sichtigenden Erträge vom tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg der selbständi-
gen Tätigkeit des Schuldners (FK/InsO-Ahrens, aaO § 295 Rn. 64). Das anzu-
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nehmende fiktive Nettoeinkommen ist jedoch aus einem angemessenen
Dienstverhältnis zu berechnen. Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögli-
che abhängige Tätigkeit (HK-InsO/Landfermann, aaO § 295 Rn. 7; Haarmey-
er/Wutzke/Förster, aaO Kap. 8 Rn. 270 f). Aus der Auskunft der Bundesagentur
für Arbeit vom 28. November 2004 ergibt sich, dass die Aussichten der Schuld-
nerin, eine neue Arbeitsstelle zu bekommen, sehr gering sind. Eine kausal auf
einen Verstoß gegen § 295 Abs. 2 InsO zurückzuführende Schlechterstellung
der Insolvenzgläubiger ist daher auch insoweit nicht zu erkennen. Im vorliegen-
den Fall hat die Schuldnerin keinen Gewinn erzielt; wie ein solcher Fall zu ent-
scheiden wäre, kann der Senat daher offenlassen.
Dr.
Gero
Fischer
Vill
Cierniak
Lohmann
Dr.
Detlev
Fischer
Vorinstanzen:
AG Traunstein, Entscheidung vom 11.03.2004 - 4 IK 149/99 -
LG Traunstein, Entscheidung vom 11.01.2005 - 4 T 1415/04 -