Urteil des BGH vom 26.04.2006
BGH (ordentliche kündigung, abweisung der klage, klage auf zahlung, rechtliches gehör, frist, vereinbarung, lüftungsanlage, mieter, höhe, kenntnis)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZR 60/05
vom
26. April 2006
in dem Rechtsstreit
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2006 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und die Richte-
rin Dr. Vézina
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird die Revi-
sion gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 1. März 2005 zugelassen.
Auf die Revision des Beklagten wird das vorgenannte Urteil auf-
gehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 67.767 €
Gründe:
I.
Der Kläger vermietete an den Beklagten am 30. Dezember 1995 Ge-
schäftsräume zum Betrieb einer Arztpraxis auf die Dauer von 25 Jahren. Am
14. Februar 2002 vereinbarten die Parteien u.a. folgendes:
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"Dem Mieter wird unwiderruflich ein jederzeitiges einseitiges ordentliches
Recht zur Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Gewer-
bemietverhältnisses über die Räumlichkeiten im 2. OG des Anwesens
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H. straße 49 in … W. mit der Einheits-Nr. 12 vom Vermie-
ter eingeräumt. Hiermit entfällt einseitig für den Mieter die Bindungswir-
kung des § 2 Nr. 1 des Mietvertrages vom 30.12.1995, wonach eine or-
dentliche Kündigung für die Dauer von 25 Jahren für beide Seiten aus-
geschlossen wurde. Für den Vermieter verbleibt es weiterhin bei dieser
Bindungswirkung.
Der Mieter verpflichtet sich, im Falle der Ausübung des unter Ziff. 1 ein-
geräumten einseitigen Kündigungsrechts vor dem eigentlichen Ablauf
des Mietvertrages einen Betrag in Höhe von € 66.467,94 (entspricht
DM 130.000) zu zahlen.
Der Mieter erklärt sich bereit, auf seine Mietminderung aufgrund der Ge-
ruchsbelästigung zu verzichten, soweit die Belästigung den derzeitigen
Umfang nicht überschreitet."
Mit Schreiben vom 14. August 2002 machte der Beklagte Mängel an der
Lüftungsanlage geltend und setzte Frist bis 28. August 2002, die Mängelbesei-
tigung zuzusagen und mit ihr zu beginnen. Mit Schreiben vom 29. August 2002
kündigte der Beklagte das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich gemäß
der Vereinbarung vom Februar 2002. Der Kläger wies die fristlose Kündigung
zurück und akzeptierte die ordentliche Kündigung.
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Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung des Abfindungsbetrages in
Höhe von 67.767,14 € sowie von Schadensersatz wegen Abbaus der Kasset-
tendecke im Röntgenzimmer in Höhe von 1.299,20 € stattgegeben. Die Beru-
fung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Re-
vision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde
des Beklagten. Er begehrt die Zulassung der Revision und im Ergebnis weiter-
hin die Abweisung der Klage.
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II.
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Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben.
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Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwer-
de ist begründet. Denn das Berufungsgericht hat, wie der Beschwerdeführer zu
Recht rügt, entscheidungserheblichen Sachvortrag des Beklagten übergangen
und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der
Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das
Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundsatz sicherstellen, dass die
von den Gerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht,
die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des
Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG
in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichti-
gung erheblicher Beweisanträge (BGH, Beschluss vom 18. Januar 2005 - XI ZR
340/03 - BGH-Report 2005, 939, 940 unter Hinweis auf die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts).
Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags ei-
ner Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in
den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichti-
gung des Vortrags schließen (Senatsbeschluss vom 31. August 2005 - XII ZR
63/03 - NJW-RR 2005, 1603).
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1. Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
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a) Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe in der Vereinbarung
vom 14. Februar 2002 ausdrücklich auf eine Mietminderung wegen der Ge-
ruchsbelästigung verzichtet, soweit die Belästigung den damals gegebenen
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Umfang nicht überschreite. Er habe in den beiden Folgemonaten die volle Miete
bezahlt. Damit habe er den im Februar 2002 bestehenden Zustand der Miet-
räume einschließlich der damals vorhandenen Geruchsbelästigung durch die
Lüftungsanlage im Sinne von § 536 b BGB akzeptiert. Vorbehalte seien, abge-
sehen von dem erwähnten Fall einer Zunahme der Geruchsbelästigung, nicht
erklärt worden. Der Kläger habe sich daher nach den Gesamtumständen darauf
verlassen dürfen - und so sei die Vereinbarung vom 14. Februar 2002 auch
auszulegen und zu verstehen -, dass weitere damals etwa bestehende Mängel
der Lüftungsanlage nicht geltend gemacht würden. Wenn der Beklagte nur kurz
darauf wiederum die Lüftungsanlage beanstande, verhalte er sich widersprüch-
lich.
Demgegenüber hatte der Beklagte behauptet, sein Prozessbevollmäch-
tigter habe den Kläger im Rahmen der Verhandlungen bezüglich der Vereinba-
rung vom März (richtig: Februar) 2002 in mehreren Telefonaten auf die vom
Beklagten festgestellte Verkeimung der Lüftungsanlage hingewiesen und dar-
auf, dass eine keimfreie Umgebung in einer - wie vom Beklagten betriebenen -
Unfallpraxis unabdingbar sei. Da hinsichtlich dieses Punktes keine Regelung
zwischen den Parteien zu erreichen gewesen sei, sei dieser Punkt im Rahmen
der Vereinbarung vom Februar 2002 ebenso wie die Problematik der Lärmbe-
lästigung durch die Lüftungsanlage unberücksichtigt gelassen worden. Für die
Richtigkeit dieser Behauptung hatte sich der Beklagte auf die Vernehmung sei-
nes Prozessbevollmächtigten als Zeugen berufen. Das Berufungsgericht hat
den Beweis nicht erhoben.
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b) Das Berufungsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass die Frist
zur Mangelbeseitigung mit Schreiben vom 14. August 2002 zu knapp bemessen
gewesen sei. Auch wenn die zu knappe Fristsetzung zum Lauf einer angemes-
senen längeren Frist geführt haben möge, hätten im Zeitpunkt des Ausspruches
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der Kündigung mit Schreiben vom 29. August 2002 die Voraussetzungen für
eine fristlose Kündigung jedenfalls nicht vorgelegen.
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Demgegenüber hatte der Beklagte vorgetragen, dass die von ihm ausge-
sprochene Kündigung vom 29. August 2002 nicht aufgrund des Ablaufs der
Frist erfolgt sei, sondern aufgrund des am 28. August 2002 vom Prozessbe-
vollmächtigten des Klägers mitgeteilten ernsthaften und endgültigen Bestreitens
des Vorhandenseins der Mängel und der darin liegenden ernsthaften und end-
gültigen Verweigerung der Mangelbeseitigung. Deshalb komme es nicht darauf
an, ob die gesetzte Frist angemessen gewesen sei oder nicht.
Der Kläger hat sich in erster Instanz nicht darauf berufen, dass die zur
Mängelbeseitigung gesetzte Frist zu knapp bemessen gewesen sei. Gleichwohl
hat das Landgericht seine Entscheidung darauf gestützt. Im Berufungsverfahren
hat der Beklagte nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger
am 28. August 2002, am letzten Tag der ihm zur Mangelbeseitigung gesetzten
Frist, die Mängel bestritten und damit jegliche Beseitigung endgültig abgelehnt
habe. Der Kläger ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten. Gleichwohl hat das
Berufungsgericht, ohne sich mit dem Beklagtenvortrag auseinanderzusetzen,
die außerordentliche Kündigung an der zu knappen Fristsetzung scheitern las-
sen. Es muss davon ausgegangen werden, dass es den Vortrag des Beklagten
nicht zur Kenntnis genommen hat.
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2. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Davon ist bereits dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann,
dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbrin-
gens anders entschieden hätte (BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02 -
NJW 2003, 3205 f. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts). Da revisionsrechtlich zu unterstellen ist, dass die behaupteten
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Mängel vorgelegen haben, hätte das Berufungsgericht Beweis erheben müs-
sen, ob sich die Parteien einig waren, dass mit der Vereinbarung vom
14. Februar 2002 nur die Geruchsbelästigung geregelt wurde, wofür bereits der
Wortlaut der Vereinbarung spricht. Haben die Parteien die Gewährleistung für
die behaupteten Mängel nicht ausgeschlossen und hätte das Berufungsgericht
berücksichtigt, dass der Kläger am letzten Tag der Frist das Vorhandensein von
Mängeln bestritten hat, dann kommt ein Kündigungsgrund nach § 543 Abs. 2
Satz 1 BGB ernsthaft in Betracht.
Hahne
Sprick
Fuchs
Ahlt
Vézina
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 19.02.2004 - 2 O 373/02 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 01.03.2005 - 17 U 63/04 -