Urteil des BGH vom 27.07.2006
BGH (einstellung des verfahrens, eröffnung, forderung, antrag, zpo, schuldner, einstellung, begründung, öffentlich, aufgabe)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 12/06
vom
27. Juli 2006
in dem Insolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter und Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Detlev Fischer
am 27. Juli 2006
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Lüneburg vom 19. Dezember 2005 wird auf Kos-
ten des Schuldners als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird
auf 4.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
Bei der kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde prüft der Bundes-
gerichtshof nach § 574 Abs. 2 ZPO ebenso wie bei der Nichtzulassungsbe-
schwerde nur die Zulassungsgründe, welche die Rechtsmittelbegründung nach
§ 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO schlüssig und substantiiert dargelegt hat (BGH, Beschl.
v. 29. September 2005 - IX ZB 430/02, WM 2006, 59, 60). Danach hat die
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des
Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
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1. Die Frage, ob ein Insolvenzantrag auch nach Wirksamwerden des Er-
öffnungsbeschlusses noch zurückgenommen werden kann, lässt sich unmittel-
bar aus dem Gesetz beantworten. Gemäß § 13 Abs. 2 InsO kann ein Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur bis zur Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens zurückgenommen werden. Dass der Eröffnungsbeschluss noch nicht
rechtskräftig sein muss, folgt ebenfalls aus dem Wortlaut des Gesetzes, nach
dem der Eröffnungsbeschluss einerseits, die rechtskräftige Abweisung des In-
solvenzantrags andererseits der Antragsrücknahme entgegenstehen. In der
Begründung des Regierungsentwurfs zu § 15 Abs. 2 InsO-E, dem heutigen § 13
Abs. 2 InsO, heißt es dazu (BT-Drucks. 12/2443, S. 113):
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"Aus Absatz 2 geht hervor, dass der Antrag nach der Eröffnung
des Verfahrens nicht mehr zurückgenommen werden kann, auch
nicht in der Zeit, in der die Verfahrenseröffnung noch nicht rechts-
kräftig ist. Im Interesse der Rechtssicherheit soll eine Verfahrens-
eröffnung mit ihren Wirkungen gegenüber Dritten durch eine
Rücknahme des Antrags nicht mehr in Frage gestellt werden kön-
nen."
Gegenteilige Auffassungen werden in Rechtsprechung und Literatur seit
dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung folgerichtig nicht mehr vertreten (vgl.
etwa OLG Celle ZIP 2000, 673, 675; LG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1627; LG
Halle ZVI 2005, 39; Jaeger/Gerhardt, InsO § 13 Rn. 40; HK-InsO/Kirchhof,
4. Aufl. § 13 Rn. 15; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 13 Rn. 81; FK-InsO/
Schmerbach, 4. Aufl. § 13 Rn. 16). Die nicht veröffentlichte, sondern nur in ei-
ner Urteilsanmerkung mitgeteilte Entscheidung des Landgerichts Potsdam vom
25. Februar 2003 (5 T 763/02, EWiR 2003, 1255) erfordert keine klarstellende
höchstrichterliche Entscheidung.
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2. Die von der Rechtsbeschwerde weiter aufgeworfene Rechtsfrage, un-
ter welchen Voraussetzungen die Forderung des antragstellenden "Amtsträ-
gers" glaubhaft gemacht oder aber nachgewiesen werden muss, ist in der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits geklärt. Soll der Eröffnungs-
grund aus einer einzigen Forderung des antragstellenden Gläubigers abgeleitet
werden und ist diese Forderung bestritten, muss sie für die Eröffnung des Insol-
venzverfahrens bewiesen sein (BGH, Beschl. v. 14. Dezember 2005 - IX ZB
207/04, WM 2006, 492, 493). Im Übrigen reicht eine Glaubhaftmachung aus.
Das gilt auch für Forderungen öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger (BGH, Beschl.
v. 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686; Beschl. v. 8. Dezember 2005
- IX ZB 38/05, WM 2006, 332). Ob der - bestandskräftige - Bescheid des Ho-
heitsträgers "von Anfang an nichtig" ist, hat das Insolvenzgericht nicht zu prü-
fen, wie es auch sonst nicht seine Aufgabe ist, rechtlich und tatsächlich nicht
zweifelsfreien Einwänden des Schuldners gegen eine vollstreckbar titulierte
Forderung nachzugehen (BGH, Beschl. v. 29. Juni 2006 - IX ZB 254/05, z.V.b.).
Lagen die Eröffnungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Eröffnung vor, kann der
Schuldner nur noch die Einstellung des Verfahrens wegen Wegfalls des Eröff-
nungsgrundes beantragen, wenn also gewährleistet ist, dass nach der Einstel-
lung beim Schuldner weder Zahlungsunfähigkeit noch drohende Zahlungsunfä-
higkeit vorliegt (§ 212 InsO).
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3. Der bisher nicht beschiedene Antrag des Schuldners nach § 212 InsO
ist nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Nur der Vollständigkeit
halber sei bemerkt, dass der Wegfall der Forderung des antragstellenden Gläu-
bigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Voraussetzungen des
§ 212 InsO nicht erfüllt.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO
abgesehen. Der Antrag des Schuldners auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung ist mit der Verwerfung der Rechtsbeschwerde gegenstandslos.
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Dr. Gero Fischer
Dr. Ganter
Vill
Lohmann
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Lüneburg, Entscheidung vom 11.08.2005 - 46 IN 420/04 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 19.12.2005 - 3 T 70/05 -