Urteil des BGH vom 01.06.2007
BGH (inkaufnahme des erfolges, kind, schweigen, stgb, vorsatz, tod, willenselement, kauf, stpo, ergebnis)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 133/07
vom
1. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 1. Juni 2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Koblenz vom 10. November 2006 mit den Feststellungen
- ausgenommen die Feststellungen zum objektiven Tatgesche-
hen - aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Frei-
heitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich
die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiel-
len Rechtes rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Be-
schlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist
es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Angeklagte zur
Versorgung ihrer vier kleinen Kinder ohne fremde Hilfe nicht ausreichend in der
Lage. Am 9. Mai 2006 schrien sowohl die damals zweijährige J. als auch
der am 25. November 2005 geborene N. . Die Angeklagte sah sich mit dieser
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Situation überfordert und empfand Wut über ihre schreienden Kinder. Sie wuss-
te nicht, was sie zuerst tun sollte, wollte aber die Kinder unbedingt zum
Schweigen bringen. Sie fasste deshalb N. mit beiden Händen unter den Ach-
selhöhlen und schüttelte ihn mindestens zweimal so kräftig, dass sein Köpfchen
heftig nach vorne und wieder zurück schlug. Die Angeklagte wusste dabei, dass
das Schütteln eines Kindes zu tödlichen Verletzungen führen kann. Zumindest
mit der Möglichkeit des schüttelbedingten Todeseintritts rechnete sie. Ange-
sichts des Umstandes, dass sie unbedingt das Kind zum Schweigen bringen
wollte, nahm sie dabei auch den als möglich erkannten Todeseintritt billigend in
Kauf. Trotz alsbaldiger ärztlicher Versorgung wurde am 11. Mai 2005 der Hirn-
tod des N. festgestellt. Der Tod des Kindes ist unmittelbare Folge des Schüt-
teltraumas, das das Kind durch die Angeklagte erlitten hat.
2. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes der Angeklagten hält recht-
licher Nachprüfung nicht stand. Die Bejahung des voluntativen Elements des
bedingten Vorsatzes beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.
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Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die im Übrigen ge-
ständige Angeklagte auch das Willenselement des Tötungsvorsatzes einge-
räumt hat. Das Landgericht hat das voluntative Element im Rahmen der rechtli-
chen Würdigung als gegeben erachtet, "da die Angeklagte angesichts ihres un-
bedingten Willens, das Kind zum Schweigen zu bringen, den Tod auch billigend
in Kauf nahm - wenngleich er ihr unerwünscht war" (UA S. 29).
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Diese Überlegung reicht im vorliegenden Einzelfall zur Bejahung des Tö-
tungsvorsatzes nicht aus.
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Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, dass der
Täter auch mit der Möglichkeit, dass das Opfer dabei zu Tode kommen könne,
rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt,
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einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dass eine Handlung generell ge-
eignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, macht eine sorgfältige Prüfung
des bedingten Vorsatzes jedoch nicht entbehrlich. Der Schluss auf
- bedingten - Tötungsvorsatz ist daher nur rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter
in seine Erwägungen auch diejenigen Umstände einbezogen hat, die ein sol-
ches Ergebnis in Frage stellen (vgl. u. a. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,
bedingter 2, 5, 7, 9, 30, 35). Bei der Annahme bedingten Vorsatzes müssen
beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch
das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächli-
che Feststellungen belegt werden. Insbesondere die Würdigung zum voluntati-
ven Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich
mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters
auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände
mit in Betracht ziehen (vgl. u. a. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 24
und 27 m.w.N.).
Eine umfassende Würdigung lässt das angefochtene Urteil missen. Die-
se war hier aber schon deshalb geboten, weil der Tatrichter selbst feststellt,
dass der Tod des N. der Angeklagten "unerwünscht" war und die Billigung
der Tötung des eigenen Kindes naturgemäß die Überschreitung höchster
Hemmschwellen voraussetzt (vgl. u. a. BGH, Beschluss vom 13. März 2007
- 5 StR 320/06; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 50). Der Tatrichter
hätte in die erforderliche Prüfung einbeziehen müssen, dass die Angeklagte
nach erfolgreichem Abschluss ihrer Alkoholtherapie und Anleitung der Fami-
lienhelferin sich um die Kinder kümmerte, dass N. als Kind grundsätzlich er-
wünscht war und vor allem, dass die Angeklagte nach der Tat die Erforderlich-
keit einer sofortigen ärztlichen Behandlung des Kindes erkannte und diese
- wenn auch auf Umwegen - veranlasste (vgl. hierzu auch BGHR StGB § 212
Abs. 1 Vorsatz bedingter 31).
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Mögen diese Indizien gegen einen bedingten Tötungsvorsatz auch nicht
zwingend sein, so müssen sie jedoch in die Gesamtwürdigung eingestellt wer-
den. Denn auch das einzige Argument der Strafkammer für das Willenselement
der Angeklagten, dass sie das Kind zum Schweigen bringen wollte, ist nicht so
gewichtig oder gar zwingend (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 28. Fe-
bruar 2007 - 5 StR 44/07). In die Erörterung ausdrücklich einzubeziehen war
auch der - allerdings ambivalente - Umstand, dass die Angeklagte dem kleinen
N. im April 2006 schon einmal ein Schütteltrauma zugefügt hat, um ihn zum
Schweigen zu bringen. Hieraus ergibt sich zum einen zwar, dass die Angeklag-
te doch grundsätzlich gewalttätig gegenüber diesem Kind war, zum anderen
aber auch, dass N. dieses Schütteln gerade überlebt hat.
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Das Urteil beruht auf der rechtsfehlerhaft unterlassenen Gesamtwürdi-
gung. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass der Tatrichter ohne die-
sen Rechtsfehler zu einem der Angeklagten günstigeren Ergebnis gekommen
wäre.
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Die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere
Schwurgerichtskammer zurückzuverweisen, da der Senat auch nicht ausschlie-
ßen kann, dass ein neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei wieder zu einer Verurteilung
wegen Totschlags gelangt, zumal dem äußeren Tatgeschehen ein hoher Indiz-
wert zukommt (vgl. Senatsbeschluss NStZ-RR 2001, 369).
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Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind vom Rechtsfehler
nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende, nicht im
Widerspruch dazu stehende Feststellungen können getroffen werden.
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Rissing-van Saan Otten Rothfuß
Roggenbuck Appl