Urteil des BGH vom 19.07.2007
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 36/07
vom
19. Juli 2007
in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
InsO § 17
a) Eine Forderung ist in der Regel dann im Sinne von § 17 Abs. 2
InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille,
vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt.
b) Forderungen, deren Gläubiger sich für die Zeit vor Eröffnung eines Insolvenz-
verfahrens mit einer späteren oder nachrangigen Befriedigung einverstanden
erklärt haben, sind bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners
nicht zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 - IX ZB 36/07 - LG Hannover
AG Hannover
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter und Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Detlev Fischer
am 19. Juli 2007
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der
20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 16. Januar 2007
im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die sofortige Be-
schwerde des Schuldners gegen den Eröffnungsbeschluss vom
13. Oktober 2006 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entschei-
dung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens -
an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses des Amtsgerichts
Hannover vom 13. Oktober 2006 wird bis zur erneuten Entschei-
dung des Beschwerdegerichts ausgesetzt.
Der Gegenstandswert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird
auf 80.000 Euro festgesetzt.
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Gründe:
I.
Der Schuldner und Rechtsbeschwerdeführer ist selbständiger Friseur-
meister, der vier Filialen betrieb und möglicherweise noch betreibt. Mit Schrei-
ben vom 12. Juli 2006 beantragte das zuständige Finanzamt Hannover-Land II
wegen rückständiger Abgabenforderungen - Lohn-, Einkommen- und Umsatz-
steuer - von insgesamt 77.485,82 Euro die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen des Schuldners. Mit Schreiben vom 20. Juli 2006 stellte
auch die IKK wegen eines Betrages von 3.284,80 Euro Insolvenzantrag. Der
Schuldner wurde angehört. Er erklärte, eine Einigung mit dem Finanzamt und
die Begleichung der Rückstände stehe kurz bevor. Am 8. September 2006 wur-
de der weitere Beteiligte in dem durch den Antrag der IKK eingeleiteten Eröff-
nungsverfahren zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 12. September
2006 teilte der Schuldner mit, er habe sich mit der Finanzverwaltung auf einen
Betrag von 48.000 Euro geeinigt, der noch im Laufe der Woche überwiesen
werde. Die Rückstände bei der IKK seien teilweise bezahlt; der Restbetrag von
2.284 Euro werde ebenfalls kurzfristig beglichen.
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Am 15. September 2006 erklärte die IKK ihren Antrag für erledigt, weil
die dem Antrag zugrunde liegende Forderung erfüllt worden sei. Der Schuldner
schloss sich der Erledigungserklärung an und erklärte, auch der für das Finanz-
amt bestimmte Vergleichsbetrag sei mittlerweile überwiesen worden. Am
27. September 2006 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung deshalb aufge-
hoben.
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Ebenfalls mit Beschluss vom 27. September 2006 wurde der weitere Be-
teiligte in dem durch den Antrag des Finanzamts eingeleiteten Eröffnungsver-
fahren zum vorläufigen Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt und mit der
Erstattung eines Gutachtens über das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes, die
Deckung der Verfahrenskosten sowie die Aussichten einer Fortführung des Un-
ternehmens beauftragt. Am 13. Oktober 2006 um 10.21 Uhr ging das Gutachten
ein. In dem Gutachten heißt es, die Eröffnungsvoraussetzungen lägen vor und
die Verfahrenskosten seien gedeckt. Der Schuldner versuche jedoch, die offe-
nen Forderungen durch den Verkauf einer im Eigentum seiner Ehefrau stehen-
den Eigentumswohnung zu begleichen. Auch ein befreundeter Nachbar stelle
nach Angaben des Schuldners Mittel zur Verfügung. Dadurch sei eine Schädi-
gung anderer Gläubiger zu befürchten. Am 13. Oktober 2006 um 11.19 Uhr
wurde das Insolvenzverfahren eröffnet; der weitere Beteiligte wurde zum Insol-
venzverwalter bestellt. Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2006, beim Insolvenzge-
richt eingegangen per Fax am 16. Oktober 2006 und im Original am
19. Oktober 2006, erklärte das Finanzamt Hannover-Land II den Eröffnungsan-
trag für erledigt.
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Der Schuldner rügte, dass ihm kein rechtliches Gehör gewährt worden
sei, und bat um Übersendung des Gutachtens. Seine sofortige Beschwerde
gegen den Eröffnungsbeschluss ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbe-
schwerde will er weiterhin die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, hilfswei-
se die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht erreichen. Er bean-
tragt, die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bis zur Entscheidung des Be-
schwerdegerichts auszusetzen. Der weitere Beteiligte beantragt, die Rechtsbe-
schwerde zurückzuweisen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Be-
schwerdegericht.
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1. Das Landgericht hat den Schuldner für zahlungsunfähig gehalten. Ak-
tiva von 34.581,39 Euro stünden fällige Verbindlichkeiten von insgesamt
208.657,95 Euro gegenüber. Soweit der Schuldner meine, die Mietforderungen
seiner Ehefrau in Höhe von 142.418,30 Euro, das Privatdarlehen von 48.000
Euro und die Honorarforderung der Steuerberaterin von 28.749,47 Euro seien
nicht zu berücksichtigen, treffe dies aus Rechtsgründen nicht zu. Zwar seien
gestundete Forderungen nicht zu berücksichtigen. Stundungsvereinbarungen
habe der Schuldner jedoch nicht vorgelegt. Bei den Aktiva könne das Immobi-
lienvermögen des Schuldners nicht einbezogen werden, weil offen sei, ob,
wann und zu welchem Preis dieses veräußert werden könne.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die bisherigen Feststellungen tragen den Schluss auf das Vorliegen eines Er-
öffnungsgrundes nicht.
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a) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1
InsO). Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er wegen eines objektiven,
kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage
ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO).
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b) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hatte der Schuldner
im Zeitpunkt der Eröffnung nur insolvenzrechtlich zu berücksichtigende Verbind-
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lichkeiten in Höhe von insgesamt 46.311,02 Euro, nicht, wie das Beschwerde-
gericht angenommen hat, von 280.657,95 Euro.
aa) Der Honoraranspruch der Steuerberaterin in Höhe von
28.749,47 Euro war im Zeitpunkt der Eröffnung, auf den es ankommt (vgl. BGH,
Beschl. v. 27. Juli 2006 - IX ZB 204/04, NZI 2006, 693 f, z.V.b. in BGHZ 169,
17) nicht im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO fällig.
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(1) Nach Darstellung des Schuldners war zwischen ihm und der Steuer-
beraterin vereinbart worden, dass er zahlen oder Forderungen abtreten sollte,
wie es ihm jeweils möglich war. Die Steuerberaterin verzichtete auf Mahnun-
gen; die jeweilige Restforderung wurde mit 8 % (bei bankmäßiger Berechnung)
verzinst. Das Beschwerdegericht hat diesen Vortrag für unerheblich gehalten,
weil keine echte Stundung vorgelegen habe. Das vorgelegte Schreiben der
Steuerberaterin bestätige gerade, dass der Schuldner seine Verbindlichkeiten
nicht begleichen könne.
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(2) Im allgemeinen Zivilrecht wird mit "Fälligkeit" derjenige Zeitpunkt be-
zeichnet, von dem ab der Gläubiger die Leistung fordern kann. Ob dies auch für
§ 17 Abs. 2 InsO gilt, ist in der Literatur umstritten und höchstrichterlich noch
nicht geklärt. Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO scheint eindeutig zu sein. Zwei-
fel an der Maßgeblichkeit des zivilrechtlichen Begriffs der Fälligkeit auch für die
Vorschrift des § 17 Abs. 2 InsO folgen jedoch aus der unterschiedlichen Funkti-
on, den die "Fälligkeit" einer Forderung im jeweiligen Regelungszusammenhang
erfüllt. Zivilrechtlich ist die Fälligkeit einer Forderung Voraussetzung für den
Schuldnerverzug und die Erhebung der Leistungsklage sowie Anknüpfung für
den Verjährungsbeginn (Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB § 271 Rn. 2). Insol-
venzrechtlich geht es demgegenüber um den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit
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des Schuldners, von dem an der Übergang von der Einzelzwangsvollstreckung
zur Gesamtvollstreckung zu erfolgen hat. Das Vermögen des Schuldners, das
nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht, soll im Rahmen eines geordne-
ten Verfahrens gleichmäßig unter diese verteilt werden, um einen weiteren
"Wettlauf der Gläubiger" im Rahmen der vom Prioritätsprinzip geprägten Einzel-
zwangsvollstreckung zu verhindern. Ob dieser Zeitpunkt gekommen ist, hängt
nicht notwendig allein von der Frage ab, in welchem Umfang die Gläubiger des
Schuldners Zahlungen verlangen können. Die Frage, ob die Zahlungen tatsäch-
lich eingefordert werden, ist nicht von vornherein unerheblich.
Der Gesetzgeber der Konkursordnung wollte mit der Einführung des
Begriffs der "Zahlungsunfähigkeit" - im Unterschied zu demjenigen der Vermö-
gensunzulänglichkeit - den Schuldner vor einer voreiligen Eröffnung des Kon-
kursverfahrens schützen, aber auch den berechtigten Interessen der Gläubiger
an einer Befriedigung ihrer Forderungen Rechnung tragen:
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"So lange derselbe (= der Gemeinschuldner) seinen Verbindlich-
keiten nachkommt, hat Niemand das Recht, in seine Verhältnisse
sich einzudrängen, ihn aus dem Besitz zu setzen und seine pro-
duktive Tätigkeit zu unterbrechen, möchte auch bei gleichzeitigem
Andrängen aller Gläubiger sein Vermögen zur vollständigen Be-
friedigung derselben nicht ausreichen. Ein solches Vorgehen wür-
de ein Unrecht gegen den Schuldner enthalten, der verlangen
kann, dass vor eingetretenem Zahlungsverzuge ihm nicht die
Möglichkeit genommen werde, seine Lage zu verbessern und das
materiell vorhandene Defizit auszugleichen. Bei der großen Emp-
findlichkeit des Kredits und dem engen Ineinandergreifen der heu-
tigen Verkehrsbeziehungen würden dadurch nicht nur der Ge-
meinschuldner, sondern in den meisten Fällen auch Andere ohne
Grund und ohne Nutzen der Gefahr finanziellen Ruins ausgesetzt
werden. Umgekehrt aber und zweitens kann den andringenden
Gläubigern nicht damit gedient sein, dass ihr Schuldner ein selbst
wohlhabender Mann ist, wenn derselbe nicht die Mittel zur Zah-
lung seiner fälligen Schulden herbeizuschaffen vermag; sie brau-
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chen sich nicht mit dem Einwande der Vermögenssuffizienz abfin-
den zu lassen, wo sie Zahlung zu fordern berechtigt sind" (Hahn,
Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4
Neudruck 1983 S. 292).
"Zahlungsunfähigkeit" im Sinne von § 102 KO wurde folgerichtig als das
auf einem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Un-
vermögen des Schuldners verstanden, seine sofort zu erfüllenden Geldschul-
den noch im wesentlichen zu berichtigen, wenn und soweit die Gläubiger diese
Forderungen "ernsthaft einforderten" (z.B. BGHZ 118, 171, 174 mit weiteren
Nachweisen; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 102 Anm. 2). Hohe
Anforderungen sind an dieses Merkmal allerdings nicht gestellt worden. Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reichte eine einzige ernsthafte
Zahlungsaufforderung aus. Dass der Gläubiger den Schuldner zur Zahlung
drängte oder gar die Zwangsvollstreckung betrieb, war nicht notwendig (BGH,
Urt. v. 27. April 1995 - IX ZR 147/94, WM 1995, 1113, 1114). Die Vorausset-
zung des "ernstlichen Einforderns" diente schließlich nur noch dem Zweck, sol-
che Forderungen auszunehmen, die rein tatsächlich - also auch ohne rechtli-
chen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung - gestundet worden waren
(BGH, Urt. v. 25. September 1997 - IX ZR 231/96, WM 1997, 2134, 2135; v.
8. Oktober 1998 - IX ZR 337/97, WM 1998, 2345, 2346).
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Der Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung wollte den allgemeinen
Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit in die Insolvenzordnung übernehmen.
"Im Interesse der Rechtsklarheit" wurde der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in
Absatz 2 Satz 1 des § 17 InsO jedoch gesetzlich umschrieben. Wörtlich heißt
es weiter: "Dabei wird die Definition zugrunde gelegt, die sich in Rechtspre-
chung und Literatur für die Zahlungsunfähigkeit durchgesetzt hat" (BT-
Drucks. 12/2443, S. 114). Aus der weiteren Begründung ergibt sich, dass der
Entwurf auf die Merkmale der "Dauer" und der "Wesentlichkeit" bewusst ver-
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zichtet hat. Dass eine nur vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungs-
unfähigkeit begründe, verstehe sich von selbst; eine "andauernde" Unfähigkeit
zur Erfüllung der Zahlungspflichten zu verlangen, sei untunlich, weil dadurch der
Begriff der Zahlungsunfähigkeit zu sehr eingeengt werden könne, was wieder-
um das Ziel einer rechtzeitigen Verfahrenseröffnung erheblich gefährde (BT-
Drucks. 12/2443, S. 114; vgl. auch BGHZ 163, 134, 137 f).
Damit, dass die jeweilige Forderung nach der bis dahin ergangenen
höchstrichterlichen Rechtsprechung auch "ernstlich eingefordert" werden muss-
te, befasst sich die Begründung des Regierungsentwurfs mit keinem Wort. In
der Kommentarliteratur wird aus dem Schweigen des Gesetzes und der Be-
gründung ganz überwiegend der Schluss gezogen, dieses Merkmal sei entfal-
len, so dass jetzt nur noch die Frage der Fälligkeit im Sinne von § 271 BGB zu
prüfen sei (vgl. etwa Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 17 Rn. 8; MünchKomm-
InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 7; Jaeger/Henckel/Müller, InsO § 17 Rn. 7 ff, 9; Küb-
ler/Prütting/Pape, InsO § 17 Rn. 5 f; Braun/Kind, InsO 2. Aufl. § 17 Rn. 6, 15 ff;
HambK-InsO/Schröder, § 17 Rn. 8).
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Angesichts der erklärten Absicht der Begründung des Regierungsent-
wurfs, an der überkommenen Definition des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit
festzuhalten, ist dieser Schluss nicht zwingend (Kirchhof, Kölner Schrift zur In-
solvenzordnung 2. Aufl. S. 288 Rn. 11). Sinn und Zweck des § 17 InsO verlan-
gen vielmehr, an dem Erfordernis des "ernsthaften Einforderns" als Vorausset-
zung einer die Zahlungsunfähigkeit begründenden oder zu dieser beitragenden
Forderung festzuhalten. Von der Fälligkeit einer Forderung im Sinne des § 271
Abs. 1 BGB darf nicht schematisch auf die Zahlungsunfähigkeit im Sinne von
§ 17 InsO geschlossen werden. Vielmehr kann im Einzelfall zu prüfen sein, ob
eine nach § 271 Abs. 1 BGB fällige Forderung, die der Schuldner nicht erfüllt,
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den Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit zulässt. Nach wie vor ist nicht zu ver-
langen, dass ein Gläubiger ein Zahlungsverlangen regelmäßig oder auch nur
ein einziges Mal wiederholt, um sicherzustellen, dass seine Forderung bei der
Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen Berücksichtigung findet. Der Zweck
der Vorschrift des § 17 InsO, den richtigen Zeitpunkt für die Eröffnung des In-
solvenzverfahrens zu finden, gebietet die Berücksichtigung auch solcher Gläu-
biger, die den Schuldner zur Zahlung aufgefordert, dann aber weitere Bemü-
hungen eingestellt haben, ohne ihr Einverständnis damit zum Ausdruck zu brin-
gen, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit vorerst nicht erfüllt. Die Forde-
rung eines Gläubigers, der in eine spätere oder nachrangige Befriedigung ein-
gewilligt hat, darf hingegen nicht berücksichtigt werden, auch wenn keine recht-
lich bindende Vereinbarung getroffen worden ist oder die Vereinbarung nur auf
die Einrede des Schuldners berücksichtigt würde und vom Gläubiger einseitig
aufgekündigt werden könnte.
Regelmäßig ist eine Forderung also dann im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO
fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom
Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Dies ist grundsätzlich
schon bei Übersendung einer Rechnung zu bejahen. Das Insolvenzgericht hat
im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 InsO) jedoch Tatsachen-
behauptungen des Schuldners oder anderen Anhaltspunkten nachzugehen, die
konkret als möglich erscheinen lassen, dass der Gläubiger sich dem Schuldner
gegenüber mit einer nachrangigen Befriedigung unter - sei es auch zeitweili-
gem - Verzicht auf staatlichen Zwang einverstanden erklärt hat (vgl. BGH, Urt.
v. 8. Oktober 1998, aaO).
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(3) Ob die Steuerberaterin zunächst Rechnungen gestellt oder in anderer
Weise zum Ausdruck gebracht hat, dass sie alsbaldige Zahlungen des Schuld-
ners erwartete, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. War das der Fall,
waren die Honorarforderungen ernstlich eingefordert und damit im Sinne von
§ 17 Abs. 2 InsO fällig gestellt. Eine gleichwohl getroffene Vereinbarung zwi-
schen der Steuerberaterin und dem Schuldner darüber, dass die Forderung im
Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Schuldners beglichen werden kön-
ne, dürfte dann zwar an der Fälligkeit der Forderung im Sinne von § 271 BGB
nichts geändert haben. Die Forderungsgläubigerin hatte damit jedoch zum Aus-
druck gebracht, dass sie weder eine bevorrechtigte Befriedigung im Rahmen
des vollstreckungsrechtlichen Prioritätsprinzips noch die Eröffnung des Insol-
venzverfahrens über das Vermögen des Schuldners anstrebte, sondern je nach
den finanziellen Möglichkeiten des Schuldners mit einer nachrangigen Befriedi-
gung einverstanden war. Eine derartige Forderung kann nicht zur Begründung
einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 Abs. 1 InsO herangezogen wer-
den.
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bb) Die Forderung "S. / Sch. " in Höhe von 8.679,38 Euro
hat der weitere Beteiligte der betriebswirtschaftlichen Auswertung für den Monat
September 2006 entnommen; Einzelheiten hätten sich nicht feststellen lassen.
Der Schuldner hat erwidert, die Geschäftsverbindung zu den Damen S. und
Sch. - frühere Pächterinnen der Filiale A. in L. -
sei seit mehr als fünf Jahren beendet, so dass jegliche Forderungen verjährt
seien. Das Beschwerdegericht hat nicht begründet, warum es gleichwohl eine
rechtlich durchsetzbare Forderung angenommen hat.
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cc) Der Anspruch "sonstige Mieten" in Höhe von 142.418,30 Euro war im
Zeitpunkt der Eröffnung ebenfalls kein im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO fälliger
Anspruch.
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(1) Der weitere Beteiligte hat auch diesen Anspruch der betriebswirt-
schaftlichen Auswertung für den Monat September 2006 entnommen. Drei der
vier Filialen seien in Objekten betrieben worden, welche im Eigentum der Ehe-
frau des Schuldners oder der Eheleute stünden. Es seien Mietzahlungen ver-
einbart gewesen. Die Mieten seien jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg
nicht gezahlt worden. Der Schuldner hat dazu erklärt, seine Ehefrau habe die
Mietforderungen "aus steuerlichen Gründen gestundet". Bei ihm, dem Schuld-
ner, sei ein Verlustvortrag entstanden. Die Mieten hätten jedoch nicht gezahlt
werden sollen, um zu versteuernde Einnahmen der Ehefrau zu vermeiden. Der
Verlustvortrag werde allenfalls im Rahmen der Freibeträge aufgelöst werden.
Das Beschwerdegericht hat diesen Vortrag für unerheblich gehalten, weil die
steuerliche Handhabung nichts an den Schulden als solchen geändert habe.
Ein Verzicht sei aus steuerlichen Gründen gerade nicht gewollt gewesen. Eine
ernstgemeinte Stundungsvereinbarung sei gleichfalls nicht vorgelegt worden.
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(2) Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht
stand. Eine Stundungsvereinbarung kann auch formfrei getroffen werden. Be-
stand zwischen den Parteien des Mietvertrages (oder der Mietverträge) Einig-
keit darüber, dass Mietforderungen entstehen, aber nicht beglichen werden soll-
ten, handelt es sich nicht um fällige Forderungen im Sinne von § 17 Abs. 2 In-
sO. Die Forderungsgläubigerin hat - wenn es die behauptete Vereinbarung ge-
geben hat - nicht nur von einer zwangsweisen Durchsetzung ihrer Forderungen
abgesehen. Die Forderungen sollten vielmehr nicht nur nicht fällig, sondern so-
gar - wegen der mit der Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Ver-
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pachtung verbundenen steuerlichen Folgen - nur nach Absprache erfüllbar sein.
Ob die behauptete steuerliche Handhabung korrekt ist, ist für die Frage der
Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 InsO unerheblich.
dd) Die als "Gehälter Oktober anteilig" bezeichnete Forderung in Höhe
von 6.500 Euro war schon nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln nicht
fällig (§ 271 Abs. 1 BGB). Gemäß § 614 BGB ist die Vergütung nach Leistung
der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so
hat der Arbeitgeber sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu zah-
len. Abweichende Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und seinen Ange-
stellten hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.
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ee) Schließlich war auch der von Frau H. gewährte Kredit über
48.000 Euro nicht im Sinne von § 17 InsO fällig.
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(1) Frau H. hatte dem Schuldner einen Betrag von 48.000 Euro
zur Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestellt, welche Grundlage
des Insolvenzantrags des Finanzamts Hannover-Land II gewesen waren. Der
Schuldner hat dazu vorgetragen, der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens
sei bis zur Veräußerung der Immobilie A. 2 in L. gestundet
worden. Das Beschwerdegericht hat dieses Vorbringen für unerheblich gehal-
ten, weil keine ausdrückliche Stundungsvereinbarung vorgelegt worden sei und
der Schuldner sich zudem nicht, "die notwendige Liquidität ... durch die sukzes-
sive Verwertung von Vermögensteilen verschaffen und die Insolvenz zum
Nachteil der Gläubiger so lange hinauszögern" könne, "bis ein Insolvenzantrag
wegen Masselosigkeit abgewiesen werden müsste".
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(2) War die Darlehensgeberin, wie der Schuldner behauptet, mit einer
Rückzahlung des Darlehens erst nach Veräußerung der Immobilie einverstan-
den, war die Forderung schon nach allgemeinen Grundsätzen (§ 271 BGB)
nicht fällig. Die weiteren Ausführungen des Beschwerdegerichts dazu, dass ein
Schuldner zur Verwertung von Vermögensgegenständen und zur Begleichung
von Forderungen nicht berechtigt sei, sind offensichtlich verfehlt. Ziel der Insol-
venzordnung ist zwar auch, die Zahl der masselosen Insolvenzen zu verringern
und mehr Verfahren zu eröffnen (vgl. etwa BT-Drucks. 12/2443, S. 84 ff). Kre-
ditaufnahmen sind als Mittel zur Begleichung von Schulden jedoch allgemein
anerkannt. Ebenso hat der Schuldner das Recht, eine Immobilie zu verkaufen,
um damit einen Kredit abzulösen.
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c) Allerdings betrugen die liquiden Mittel im Zeitpunkt der Eröffnung auch
nur 27.680,39 Euro, nicht, wie das Beschwerdegericht angenommen hat,
34.581,39 Euro.
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aa) Fällige Zahlungspflichten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO) können nur mit
Geld oder anderen üblichen Zahlungsmitteln erfüllt werden. Grundsätzlich sind
in die zur Prüfung der Voraussetzungen des § 17 InsO zu erstellende Liquidi-
tätsbilanz (vgl. BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312,
2314) daher nur die aktuell verfügbaren liquiden Mittel und die kurzfristig ver-
wertbaren Vermögensbestandteile aufzunehmen, im vorliegenden Fall also das
Bankguthaben, der Kassenbestand, der PKW und die monatlich zu erwarten-
den Zahlungen. Die Geschäftseinrichtung mag für die Frage des Vorhanden-
seins einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse (§ 26 Abs. 1
InsO) von Bedeutung sein. Für die Frage der Zahlungsfähigkeit des Schuldners
spielt sie hingegen zunächst keine Rolle. Die nach einer Eröffnung zu erwarten-
den Ansprüche aus anfechtbaren Rechtshandlungen dürfen im Rahmen des
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§ 17 InsO unter keinem denkbaren Gesichtspunkt berücksichtigt werden (vgl.
BGH, Beschl. v. 27. Juli 2006 - IX ZB 204/04, NZI 2006, 693, 694, z.V.b. in
BGHZ 169, 17).
d) Im Zeitpunkt der Eröffnung standen damit Verbindlichkeiten von
46.311,02 Euro liquide Mittel von nur 27.680,39 Euro gegenüber. Die Unterde-
ckung betrug damit 40 %. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist dann, wenn eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr
besteht, regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auszugehen
(BGHZ 163, 132, 145; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006, aaO). Das gilt nur dann
nicht, wenn ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke zwar erst mehr als drei Wochen spä-
ter, aber in absehbarer Zeit vollständig oder fast vollständig beseitigt werden
wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des
Einzelfalls zuzumuten ist (BGHZ 163, 134, 145 f; BGH, Urt. v. 12. Oktober
2006, aaO). Im Zusammenhang mit einem Gläubigerantrag (§ 14 InsO) muss
sich der Schuldner auf diese Umstände berufen, und das Insolvenzgericht hat
im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 InsO) zu prüfen, ob sich ein sol-
cher Ausnahmefall feststellen lässt (BGHZ 163, 134, 145).
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Im vorliegenden Fall hat der Schuldner mehrfach auf vorhandenes
Grundvermögen hingewiesen, insbesondere darauf, dass die in seinem alleini-
gen Eigentum stehende Immobilie I. , L. , kurzfris-
tig zu einem Kaufpreis von 42.000 Euro an den Elektromeister B.
veräußert werden könne. Schon dieser Betrag könnte die vorhandene Liquidi-
tätslücke decken. Mit diesem Vorbringen hat sich das Beschwerdegericht nicht
näher befasst. Es hat sich mit dem Hinweis begnügt, es sei nicht feststellbar, ob
und zu welchem Preis der Grundbesitz veräußert werden könne. Das reichte
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schon deshalb nicht aus, weil der Schuldner eine konkrete Verkaufsmöglichkeit
zu einem bestimmten Preis dargelegt hatte. Selbst der weitere Beteiligte war in
seinem Gutachten - unter Berücksichtigung einer Belastung zugunsten des Fi-
nanzamts, die aber nach Begleichung der Steuerverbindlichkeiten nicht mehr
bestehen dürfte - von einem Grundstückswert von 30.000 Euro ausgegangen.
Das weitere Immobilienvermögen des Schuldners wurde dabei noch nicht ein-
mal berücksichtigt.
III.
Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben. Die
Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuver-
weisen, das die erforderlichen Feststellungen zur Frage der Zahlungsunfähig-
keit nach Maßgabe der Aufhebungsgründe zu treffen haben wird (§ 577 Abs. 4
ZPO).
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IV.
Auf Antrag des Schuldners wird die Vollziehung des Eröffnungsbeschlus-
ses vom 13. Oktober 2006 bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdege-
richts ausgesetzt. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Vollziehung der erst-
instanzlichen Entscheidung bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts aus-
setzen (§ 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 27. Juli 2006,
aaO S. 696). Die Aussetzung der Vollziehung eines Insolvenzeröffnungsbe-
schlusses kommt dann in Betracht, wenn durch dessen (weitere) Vollziehung
dem Beschwerdeführer größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten
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im Falle der Aufschiebung der vom Insolvenzgericht beschlossenen Maßnah-
men und wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat (BGH, Beschl. v.
27. Juli 2006, aaO). Diese Voraussetzungen sind aus den zu II 2 b und c dar-
gestellten Gründen hier gegeben.
V.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens entspricht gemäß § 58
Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 GKG dem Wert der Insolvenzmasse. Diesen schätzt der
Senat im Hinblick auf die vom Beschwerdegericht ermittelten Aktiva und den
Grundbesitz des Schuldners auf 80.000 Euro.
34
Dr. Gero Fischer Dr. Ganter Vill
Lohmann Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 13.10.2006 - 907 IN 731/06 -6-
LG Hannover, Entscheidung vom 16.01.2007 - 20 T 134/06 -