Urteil des BGH vom 03.04.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZA 5/14
vom
3. April 2014
in dem Nachtragsverteilungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO §§ 35, 203 Abs. 1 Nr. 3
Der Nachtragsverteilung unterliegen keine Gegenstände, die der Insolvenzverwalter
freigegeben hat. Ebenso wenig unterliegt der Veräußerungserlös für einen freigege-
benen Gegenstand, der nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verkauft worden
ist, der Nachtragsverteilung.
BGH, Beschluss vom 3. April 2014 - IX ZA 5/14 - LG Ulm
AG Ulm
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill,
Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring
am 3. April 2014
beschlossen:
Der Antrag des Treuhänders auf Gewährung von Prozesskosten-
hilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Be-
schluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 13. Januar
2014 wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Auf Eigenantrag des Schuldners wurde am 9. Juni 2008 über sein Ver-
mögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Der bestellte Treuhänder gab eine vom
Schuldner bewohnte, nach Ansicht des Treuhänders und des Grundpfandgläu-
bigers wertausschöpfend belastete Eigentumswohnung frei. Am 10. Februar
2012 kündigte das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung an. Am 7. März
2012 erfolgte die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Im Juli 2013 teilte der
Schuldner dem Treuhänder mit, dass der Grundpfandgläubiger die Eigentums-
wohnung mit einem Übererlös in Höhe von 8.318,59
€ habe zwangsversteigern
lassen. Der Übererlös sei an ihn ausbezahlt worden.
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Der Treuhänder hat beantragt, nach § 203 InsO die Nachtragsverteilung
anzuordnen. Diesem Antrag hat das Insolvenzgericht entsprochen. Auf die so-
fortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht die Anordnung
der Nachtragsverteilung aufgehoben und den Antrag des Treuhänders abge-
wiesen. Zugleich hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Treuhänder
möchte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses erreichen und
hat innerhalb der laufenden Rechtsbeschwerdefrist beantragt, ihm Prozesskos-
tenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde zu bewilligen.
II.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen
nicht vor.
1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht
auf Erfolg (§ 116 Abs. 1 Satz 2, § 114 Satz 1 ZPO).
a) Die Meinung des Beschwerdegerichts, der Nachtragsverteilung unter-
lägen keine Gegenstände, die der Insolvenzverwalter oder Treuhänder wirksam
freigegeben habe, ist richtig. Sie entspricht der ganz einhelligen und zutreffen-
den Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (OLG Koblenz, BeckRs 2012,
15870; LG Dortmund, ZInsO 2010, 1615, 1616; LG Kleve, Beschluss vom
17. Juli 2013 - 4 T 121/13, Rn. 4; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, § 203 Rn. 9;
MünchKomm-InsO/Hintzen, 3. Aufl., § 203 Rn. 12; Holzer in Kübler/Prütting/
Bork, InsO, 2011, § 203 Rn. 8; Nerlich/Römermann/Westphal, InsO, 2013,
§§ 203, 204 Rn. 8; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 203 Rn. 4, 11; Wagner in
Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 203 Rn. 8a; Poertzgen/Riewe in
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Pape/Uhländer, InsO, § 203 Rn. 9; Schmidt/Jungmann, InsO, 18. Aufl., § 203
Rn. 8).
Gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO wird die Nachtragsverteilung auf Antrag
des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen
angeordnet, wenn nachträglich Gegenstände der Masse ermittelt werden (vgl.
BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2005 - IX ZB 17/04, NZI 2006, 180 Rn. 6;
vom 6. Dezember 2007 - IX ZB 229/06, NZI 2008, 177 Rn. 6). Sie ist auch im
Verbraucherinsolvenzverfahren zulässig (BGH, Beschluss vom 1. Dezember
2005 - IX ZB 17/04, NZI 2006, 180 Rn. 4; vom 2. Dezember 2010 - IX ZB
184/09, NJW 2011, 1448 Rn. 5). Ein vom Insolvenzverwalter oder Treuhänder
freigegebener Gegenstand ist jedoch kein Gegenstand der Masse. Er ist durch
die wirksame Freigabeerklärung aus der Insolvenzmasse ausgeschieden und in
die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners überführt (BGH, Ur-
teil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 37; vom 7. Dezember
2006 - IX ZR 161/04, NZI 2007, 173 Rn. 20; vom 1. Februar 2007 - IX ZR
178/05, NZI 2007, 407 Rn. 18). Ebenso kann der Verwertungserlös für den frei-
gegebenen Gegenstand aus einer Veräußerung nach Aufhebung des Insol-
venzverfahrens nicht als ein Gegenstand der Masse im Sinne von § 203 Abs. 1
Nr. 3 InsO angesehen werden. Da das Insolvenzverfahren aufgehoben ist, fällt
Neuerwerb nicht mehr gemäß § 35 Abs. 1 InsO in die Masse.
Zwar hat der Bundesgerichtshof die hier maßgebliche Rechtsfrage noch
nicht ausdrücklich entschieden. Dennoch ist dem Treuhänder Prozesskostenhil-
fe nicht zu bewilligen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsschutzbegehren in
aller Regel dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in
der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten
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Rechtsfrage abhängt. Prozesskostenhilfe muss hingegen nicht bewilligt werden,
wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichter-
lich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzli-
che Regelung oder durch die in der Rechtsprechung gewährten Auslegungshil-
fen nicht in dem genannten Sinne als schwierig "erscheint" (vgl. BVerfG,
NJW 1991, 413, 414; BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1997 - IV ZR 238/97,
NJW 1998, 1154; vom 11. September 2002 - VIII ZR 235/02, NJW-RR 2003,
130 f; vom 16. Dezember 2010 - IX ZA 30/10, NZI 2011, 104 Rn. 5). Vorliegend
ergibt sich die Beantwortung der Rechtsfrage im Zusammenspiel mit der zitier-
ten Rechtsprechung des Senats unmittelbar aus dem Gesetz. Die Frage ist
auch, wie ausgeführt, in Rechtsprechung und Literatur nicht streitig.
b) Dass der Treuhänder die Eigentumswohnung wirksam freigegeben
hat, ist nicht im Streit.
Der Treuhänder hat gegenüber dem Schuldner erklärt, die fragliche Ei-
gentumswohnung werde mit sofortiger Wirkung aus dem Insolvenzbeschlag
freigegeben. Sämtliche Lasten, die durch dieses Wohnungseigentum begründet
würden, seien damit persönliche Verbindlichkeiten des Schuldners und könnten
gegenüber der Insolvenzmasse nicht geltend gemacht werden. Dagegen könne
die Insolvenzmasse keine Ansprüche an den Nutzen des freigegebenen Eigen-
tums erheben. Damit hat der Treuhänder den Willen dauernden Verzichts auf
die Massezugehörigkeit der Eigentumswohnung bekundet (vgl. BGH, Urteil vom
7. Dezember 2006 - IX ZR 161/04, NZI 2007, 173 Rn. 20).
Die Freigabe der Eigentumswohnung war nicht insolvenzzweckwidrig.
Zum Zeitpunkt der Freigabeerklärung gingen die Verfahrensbeteiligten davon
aus, dass die Immobilie wertausschöpfend belastet war. Der Treuhänder wollte
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die Masse vor dem Wohngeld schonen. Mithin lief die Freigabe nicht offensicht-
lich dem Insolvenzzweck, eine gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzgläu-
biger herbeizuführen, zuwider (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR
313/99, BGHZ 150, 353, 360 f; vom 10. Januar 2013 - IX ZR 172/11, NZI 2013,
347 Rn. 9; vom 18. April 2013 - IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 Rn. 14; vom
11. Juli 2013 - IX ZR 286/12, NZI 2013, 801 Rn. 19).
Der Treuhänder konnte seine Freigabeerklärung, nachdem er seinen
Irrtum erkannt hatte, weder widerrufen (RGZ 60, 107, 109; BGH, Urteil vom
7. Dezember 2006, aaO) noch anfechten, weil er insoweit allenfalls einem un-
beachtlichen Motivirrtum unterlegen ist, so dass die Frage, ob die Freigabeer-
klärung überhaupt anfechtbar ist, hier nicht beantwortet werden muss (vgl.
MünchKomm-InsO/Peters, aaO, § 35 Rn. 100; Gottwald/Eickmann, Insolvenz-
rechtshandbuch, 4. Aufl., § 65 Rn. 53; Höpfner, ZIP 2000, 1517, 1520).
2. Der Treuhänder hat außerdem die wirtschaftlichen Voraussetzungen
für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht
dargetan. Es fehlt an jedem Vortrag, ob es Insolvenzgläubigern als wirtschaft-
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lich Beteiligten zuzumuten ist, die Vorschüsse auf die zu erwartenden Prozess-
kosten aufzubringen.
Vill
Gehrlein
Fischer
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Ulm, Entscheidung vom 30.10.2013 - 3 IK 216/08 -
LG Ulm, Entscheidung vom 13.01.2014 - 2 T 50/13 -