Urteil des BGH vom 21.12.1992
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 180/04 Verkündet
am:
20. Dezember 2005
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 823 Aa; SGB V §§ 115b, 116
a) Auch nach In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember
1992 ist Vertragspartner eines Kassenpatienten, der in einer Krankenhausambu-
lanz behandelt wird, grundsätzlich der zur vertragsärztlichen Versorgung ermäch-
tigte Krankenhausarzt.
b) Werden in den Räumlichkeiten des Krankenhauses durch angestellte Ärzte des
Krankenhausträgers ambulante Operationen durchgeführt, ohne dass die behan-
delnden Ärzte oder der die Ambulanz betreibende Chefarzt zur vertragsärztlichen
Versorgung ermächtigt sind, haftet grundsätzlich der Krankenhausträger.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 180/04 - OLG Jena
LG Meiningen
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Dezember 2005 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 2. Juni 2004 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse. Sie hat den
früheren Beklagten zu 1 als operierenden Arzt und die Beklagte zu 2 als Träge-
rin des Kreiskrankenhauses B. S. auf Schmerzensgeld und Schadensersatz
wegen fehlgeschlagener ärztlicher Behandlung in Anspruch genommen.
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Die Klägerin begab sich am 8. Mai 1998 wegen eines schnellenden Fin-
gers in die Handsprechstunde des Chefarztes Dr. G. in der Ambulanz im Kreis-
krankenhaus der Beklagten zu 2. Sie wurde vom bei der Beklagten zu 2 ange-
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stellten Oberarzt Dr. K. untersucht. Dieser verabredete für den 13. Juli 1998
eine ambulante Operation, die vom Beklagten zu 1, einem ebenfalls bei der Be-
klagten zu 2 angestellten Oberarzt, durchgeführt wurde. Dessen Ermächtigung
zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 116 SGB V war mit
Ablauf des 31. Dezember 1997 erloschen. Dr. K. verfügte nur über eine Er-
mächtigung für "besondere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, einge-
schränkt auf Problemfälle der Traumatologie", die nicht die Durchführung der an
der Klägerin vorgenommenen Operation erfasste. Die Beklagte zu 2 hatte für
ihre chirurgische Klinik mit Standort B. L., nicht aber für das Kreiskrankenhaus
in B. S. eine Mitteilung nach § 115 b Abs. 2 Satz 2 SGB V abgegeben.
Der linke Daumen der Klägerin blieb postoperativ trotz einer am
12. August 1998 vom Beklagten zu 1 durchgeführten Revisionsoperation, die
mit einem anschließenden stationären Krankenhausaufenthalt verbunden war,
nur eingeschränkt beweglich.
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Das Landgericht hat der Klage gegen beide Beklagte stattgegeben. Das
Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 nach § 522 Abs. 2 ZPO
zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten zu 2 die gegen sie gerich-
tete Klage abgewiesen. Nach Zulassung der Revision durch den erkennenden
Senat verfolgt die Klägerin ihren Anspruch gegen die Beklagte zu 2 weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte)
sei nicht Vertragspartnerin der Klägerin geworden. Die vertragliche Gestaltung
bei der medizinischen Versorgung von Mitgliedern einer gesetzlichen Kranken-
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kasse werde von dem im Sozialgesetzbuch V geregelten Zusammenwirken der
Krankenkassen und der Ärzte zur Sicherung der medizinischen Grundversor-
gung geprägt. Vertragspartner des Kassenpatienten sei deshalb bei der ambu-
lanten Behandlung ausschließlich der an der kassenärztlichen Versorgung be-
teiligte Arzt. Zwar bestehe für Krankenhäuser gemäß § 115 b Abs. 2 Satz 1
SGB V eine gesetzliche Zulassung für ambulantes Operieren. Die dafür erfor-
derliche Mitteilung der Beklagten nach § 115 b Abs. 2 Satz 2 SGB V habe aber
für das Krankenhaus B. S. nicht vorgelegen. Die Beklagte habe auch nicht ei-
nen Anschein dafür gesetzt, selbst Partner des Behandlungsvertrages zu sein,
sondern lediglich den Betrieb der Ambulanz mit personellen und sachlichen Mit-
teln unterstützt.
Dass die Zulassung des Beklagten zu 1 abgelaufen gewesen sei und die
Zulassung des Dr. K. die vorgenommene Behandlung nicht erfasst habe, be-
gründe nicht einen Vertragsschluss mit der Beklagten. Wegen der rechtlichen
Trennung zwischen Ambulanz und Krankenhaus berührten Wirksamkeitshin-
dernisse nur das in Aussicht genommene Vertragsverhältnis. Selbst die Ermög-
lichung oder Duldung einer unzulässigen Praxis bei der ambulanten Behand-
lung von Kassenpatienten durch nachgeordnete Ärzte eines Krankenhauses
führten nicht zu einer vertraglichen Mithaftung des Krankenhausträgers.
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II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand.
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1. Das Berufungsgericht ist unter Anwendung der vom erkennenden Se-
nat entwickelten Grundsätze (vgl. Senatsurteile BGHZ 100, 363, 367 f.; 105,
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189, 194; 120, 376, 382 ff.; 124, 128, 131 ff.) zu der Auffassung gelangt, die
Klägerin sei jedenfalls nicht in vertragliche Beziehungen zu der Beklagten getre-
ten, weil die ambulante Versorgung von Kassenpatienten in erster Linie Aufga-
be der zugelassenen Kassenärzte bzw. des zur kassenärztlichen Versorgung
zugelassenen Chefarztes sei. Nach dieser Rechtsprechung tritt der Kassenpa-
tient, der zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus überwiesen wird, in
vertragliche Beziehungen nur zu dem die Ambulanz kraft kassenärztlicher Zu-
lassung gemäß den geltenden Vorschriften (früher § 368 a Abs. 8 RVO, nach-
folgend §§ 95, 116 SGB V) betreibenden Chefarzt, nicht aber in eine solche zu
dem Krankenhausträger. Dies gilt auch dann, wenn die Überweisung des
Hausarztes auf das Krankenhaus lautet und die Behandlung in der Kranken-
hausambulanz von einem nachgeordneten Krankenhausarzt durchgeführt wird
(vgl. BGHZ 100, 363, 367 ff.; 124, 128, 132 f.; ebenso BGHZ 105, 189, 192 ff.
für Privatpatienten). Auch der Umstand, dass der Krankenhausträger eine unzu-
lässige Praxis der Behandlung von überwiesenen Kassenpatienten durch nach-
geordnete Ärzte des Krankenhauses organisatorisch ermöglicht und geduldet
hat, führt nicht zu seiner vertraglichen Mithaftung aus dem Behandlungsvertrag
zwischen dem beteiligten Chefarzt und dem in seine Ambulanz überwiesenen
Kassenpatienten. An den Krankenhausträger ist dieser Patient nicht überwie-
sen. Dieser bleibt deshalb Patient des zur Beteiligung an der kassenärztlichen
Versorgung zugelassenen Chefarztes, und nur für diesen rechnet die Kranken-
kasse über die kassenärztliche Vereinigung ab (BGHZ 100, 363, 370 f.). Etwas
anderes gilt allerdings bei der Haftung gegenüber dem Kassenpatienten einer
vom Krankenhaus getragenen Institutsambulanz (vgl. BGHZ 120, 376, 385).
2. Diese Rechtsprechung beruht auf der Gesetzeslage vor dem 1. Januar
1993, an welchem das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992
(BGBl. I S. 2266) in Kraft getreten ist. Hintergrund war das damalige System
einer weitgehenden Trennung von ambulanter und stationärer Krankenpflege.
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Die ambulante Versorgung von Kassenpatienten war in erster Linie Aufgabe der
zugelassenen Kassenärzte und, wenn sie im Krankenhaus anfiel, der an der
kassenärztlichen Versorgung beteiligten Chefärzte. Das Krankenhaus als Insti-
tution konnte eine ambulante Behandlung grundsätzlich nur in Notfällen über-
nehmen, für die weder ein Kassenarzt noch ein "beteiligter" Chefarzt zur Verfü-
gung stand (vgl. BGHZ 100, 363, 366; 105, 189, 194; 124, 128, 132).
Die für die frühere Rechtslage entwickelten Grundsätze werden der Ge-
setzeslage nach In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes nicht mehr in
vollem Umfang gerecht. Die Gesetzesänderung verfolgte nämlich das Ziel, eine
teure vollstationäre Versorgung zu vermeiden, wenn medizinisch eine ambulan-
te Durchführung bisher stationär erbrachter Eingriffe möglich ist (vgl. Begrün-
dung des Gesetzesentwurfs, BT-Drucksache 12/3608, S. 103). Daher sind
Krankenhäuser nunmehr von Gesetzes wegen zur ambulanten Durchführung
der Operationen zugelassen, die in einem dreiseitigen Vertrag zwischen den
Spitzenverbänden der Krankenkassen gemeinsam, der Deutschen Kranken-
hausgesellschaft oder den Bundesverbänden der Krankenhausträger gemein-
sam und den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen aufgrund der Ermächti-
gung aus § 115 b Abs. 1 SGB V vereinbart wurden. Einer separaten Zulassung
durch Entscheidung der Zulassungsinstanzen nach § 96 SGB V bedarf es nicht,
jedoch ist für das Wirksamwerden der Zulassung eine Mitteilung des Kranken-
hausträgers an die in § 115 b Abs. 2 Satz 2 SGB V genannten Stellen erforder-
lich (vgl. BSG MedR 2000, 242, 243; Hess in Kasseler Kommentar Sozialversi-
cherungsrecht, Stand 1. Juni 2005, SGB V, § 115 b, Rn. 4). Da es sich beim
ambulanten Operieren nach § 115 b SGB V um einen Teil der Krankenhausbe-
handlung gemäß § 39 SGB V und - anders als bei der ambulanten Operation
durch nach § 116 SGB V ermächtigte Krankenhausärzte - nicht um einen Teil
der vertragsärztlichen Versorgung handelt, bedarf es auch einer Überweisung
durch einen Vertragsarzt nicht; der Versicherte darf das Krankenhaus vielmehr
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unmittelbar aufsuchen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 12/3608, S.
103; Hess in Kasseler Kommentar, aaO, Rn. 6; Jung in Gemeinschaftskom-
mentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung, Stand: Sep-
tember 1994, § 115 b, Rn. 5).
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Hier gehörte die bei der Klägerin durchgeführte Operation zu dem Kata-
log nach § 115 b SGB V. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte nach den
Feststellungen der Instanzgerichte für eine andere von ihr betriebene Klinik in
B. L. eine Mitteilung nach § 115 b Abs. 2 SGB V für derartige Operationen ab-
gegeben hat.
3. a) Seit dem 1. Januar 1993 ist die ambulante operative Versorgung
von gesetzlich versicherten Patienten nicht mehr in erster Linie Aufgabe der
zugelassenen Vertragsärzte. Vielmehr soll nach der Intention des Gesetzgebers
und der neuen rechtlichen Ausgestaltung die ambulante Operation als Kran-
kenhausleistung in Verantwortung des Krankenhausträgers gegenüber der ver-
tragsärztlichen Ermächtigung des einzelnen Krankenhausarztes den Regelfall
darstellen (Kern NJW 1996, 1561, 1564). Dem gemäß ist für die Zulassung ei-
nes Krankenhausarztes zur ambulanten Operation nach § 116 SGB V kein
Raum, wenn die Leistungen, die Gegenstand der Ermächtigung sein sollen,
vom Krankenhaus bereits auf der Grundlage des § 115 b SGB V angeboten
und erbracht werden (vgl. BSG aaO; vgl. auch BSG MedR 1997, 286; Kru-
schinsky in Noftz u.a., SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, Stand XII/01,
K § 116, Rn. 21; Hess in Kasseler Kommentar, aaO; Hencke in Peters, Hand-
buch der Krankenversicherung - Sozialgesetzbuch V, Stand: 1. März 2005,
§ 115 b Rn. 4).
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Da der Gesetzgeber dem Krankenhausträger die Entscheidungsfreiheit
darüber einräumt, ob und in welchem Umfang er ambulante Operationen anbie-
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tet, kann ohne Feststellung besonderer Umstände des Einzelfalles, die eine
solche Zuschreibung rechtfertigen, allerdings nicht davon ausgegangen wer-
den, dass die von einem Krankenhausträger für eines seiner Krankenhäuser
abgegebene Mitteilung auch für alle anderen in seiner Trägerschaft gilt (vgl.
BSG MedR 2000, 242, 243 f.). Somit fehlt es an einer Erklärung der Beklagten
nach § 115 b SGB V für das hier betroffene Krankenhaus.
b) Für den Patienten erschließt sich nach der Gesetzesänderung wegen
des gleichen Zugangswegs zum Behandelnden nicht, ob er bei einer ambulan-
ten Operation im Krankenhaus vertragsärztliche oder Krankenhausleistungen in
Anspruch nimmt. Der gesetzlich Versicherte benötigt nämlich nicht mehr eine
Überweisung zur Inanspruchnahme ambulanter Operationsleistungen als Kran-
kenhausleistung; auch für die Inanspruchnahme einer ambulanten Operation
als vertragsärztliche Leistung durch einen ermächtigten Krankenhausarzt ist
eine Überweisung nur dann erforderlich, wenn die Ermächtigung des Kranken-
hausarztes eine entsprechende Einschränkung enthält, was der Patient nicht
überprüfen kann (vgl. Steege in Noftz u.a., aaO, K § 115 b, Rn. 17 und Kru-
schinsky in Noftz u.a., aaO, § 116, Rn. 17; Hencke in Peters, aaO, Rn. 6 und
§ 116, Rn. 5). Der Patient wird daher im Regelfall - wie bisher - als seinen Ver-
tragspartner denjenigen Arzt ansehen, dem aus sozialversicherungsrechtlicher
Sicht die Honorierung zusteht (vgl. Senatsurteil BGHZ 100, 363, 371).
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c) Darf somit der gesetzlich versicherte Patient aufgrund der §§ 115 b,
116 SGB V davon ausgehen, dass es einen sozialrechtlich befugten Behandler
für die Durchführung der ambulanten Operation gibt, nämlich entweder das
Krankenhaus oder einen ermächtigten Krankenhausarzt, so darf eine Unklarheit
- wie im Streitfall - darüber, ob er vertragsärztliche Leistungen oder Kranken-
hausleistungen in Anspruch genommen hat, haftungsrechtlich nicht zu seinen
Lasten gehen. Der Tatrichter muss deshalb in solchen Fällen klären, ob in die
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konkrete Behandlung eingebundene Ärzte oder der - wie hier nach den Fest-
stellungen des Berufungsgerichts - die Ambulanz betreibende Chefarzt, dem
das Handeln dieser Ärzte gegebenenfalls gemäß § 278 BGB zuzurechnen wä-
re, eine kassenärztliche Ermächtigung für die konkret durchgeführte Operation
besaßen. Wenn nämlich in den Räumlichkeiten des Krankenhauses durch an-
gestellte Ärzte des Krankenhausträgers ambulante Operationen durchgeführt
werden, ohne dass die behandelnden Ärzte oder der Chefarzt zur vertragsärzt-
lichen Versorgung ermächtigt sind, wird aufgrund des gesetzlichen Leitbildes
der Anschein erweckt, dass zumindest der Krankenhausträger als von Geset-
zes wegen grundsätzlich zur ambulanten Operation zugelassener Leistungsträ-
ger sozialrechtlich befugt ist. Deshalb muss dem gesetzlich Versicherten in dem
Fall, dass keine anderen sozialrechtlich als befugt anzusehenden Ärzte zu er-
mitteln sind, jedenfalls der Krankenhausträger als zumindest aufgrund eines
Organisationsverschuldens nach § 823 Abs. 1 BGB Haftender zur Verfügung
stehen.
Dies entspricht zum einen dem sich aus den §§ 115 b, § 116 SBG V er-
gebenden Grundsatz, dass der Durchführung ambulanter Operationen im Kran-
kenhaus als Krankenhausleistungen ein Vorrang gegenüber der vertragsärztli-
chen Leistung durch nach § 116 SGB V ermächtigte Krankenhausärzte einzu-
räumen ist (vgl. BSG MedR 2000, 242, 243). Zum anderen belastet es den
Krankenhausträger nicht über Gebühr. Aufgrund der Verträge mit seinen ange-
stellten Ärzten über die Überlassung von Operationsräumen und der - auch hier
vom Berufungsgericht festgestellten - Unterstützung mit personellen und sachli-
chen Mitteln sowie der nach § 120 Abs. 1 Satz 3 SGB V auch im Falle der Ope-
ration durch einen nach § 116 SGB V ermächtigten Krankenhausarzt über den
Krankenhausträger erfolgenden Abrechnung der ärztlichen Tätigkeit (vgl. hierzu
BSGE 69, 1 ff.) hat er nämlich jederzeit einen Überblick darüber, in welchem
Bereich und für welche zeitliche Dauer ein ermächtigter Krankenhausarzt zur
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ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Wenn er es dennoch
zulässt, dass ambulante Operationen durch nicht oder nicht mehr nach § 116
SGB V ermächtigte angestellte Krankenhausärzte durchgeführt werden, muss
er dafür haftungsrechtlich einstehen. Dem stehen die Ausführungen des erken-
nenden Senats in BGHZ 100, 363, 370 im Hinblick auf die veränderte Geset-
zeslage nicht entgegen, weil damals eine ambulante Operation grundsätzlich
nur von einem zugelassenen Kassenarzt und nicht von einem Krankenhaus
vorgenommen werden durfte. Demgegenüber kommt aus den dargelegten
Gründen nunmehr eine Haftung des Krankenhausträgers durchaus in Betracht.
4. Zudem rügt die Revision zu Recht, das Berufungsgericht habe den un-
ter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin übergangen, die Beklagte habe beide
Operationen mit der Krankenkasse der Klägerin abgerechnet. Das Berufungs-
gericht hat dazu festgestellt, die Abrechnung der Behandlungsleistungen des
Beklagten zu 1 sei mit der Krankenkasse der Klägerin von dem Beklagten zu 1
über die kassenärztliche Vertragsnummer des Dr. K. erfolgt. Einen Tatbe-
standsberichtigungsantrag der Klägerin hat es mit der Begründung zurückge-
wiesen, diese sei dem anders lautenden Vortrag der Beklagten in der Beru-
fungsinstanz nicht mehr entgegengetreten. Dass die Klägerin auf das detaillier-
te Vorbringen der Gegenpartei nicht reagiert habe, lasse den Schluss darauf zu,
dass das ursprüngliche Vorbringen nicht mehr aufrechterhalten werde.
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Das Berufungsgericht hat insoweit verkannt, dass mit einem zulässigen
Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff
der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz gelangt und vom Be-
rufungsgericht in dem von §§ 529 ff. ZPO vorgegebenen Rahmen zu berück-
sichtigen ist (vgl. BGHZ 158, 269, 278). Im Hinblick darauf hätte es den Vortrag
nicht übergehen dürfen. Wird ein in erster Instanz gestellter Beweisantrag im
Berufungsrechtszug nicht wiederholt, obwohl ihm dort erst seine eigentliche
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Bedeutung zukommt, und sind keine Umstände dafür zu erkennen, dass die
Partei auf ihn bewusst nicht mehr zurückgreifen will, so hat das Gericht gemäß
§ 139 Abs. 1 ZPO nachzufragen, bevor es den Antrag für nicht mehr gestellt
erachtet (vgl. Senatsurteil vom 3. Juni 1997 - VI ZR 133/96 - VersR 1997, 1422,
1423). Dies muss auch gelten, wenn sowohl der entsprechende Vortrag als
auch der Beweisantrag übergangen sind. Nach Lage des Falles spricht nichts
dafür, dass die Klägerin ihren Vortrag fallen lassen wollte, zumal die Revision
zu Recht darauf hinweist, dass eine unmittelbare Abrechnung mit der Kranken-
kasse eher für eine Haftung der Beklagten spricht. Die im Krankenhaus er-
brachten ambulanten ärztlichen Leistungen der ermächtigten Krankenhausärzte
werden nämlich vom Krankenhausträger für diese mit der Kassenärztlichen
Vereinigung abgerechnet (§ 120 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Handelt es sich jedoch
um eine Institutsambulanz, also eine Krankenhausleistung, erfolgt die Abrech-
nung der Vergütung unmittelbar mit der Krankenkasse (vgl. Hencke in Peters,
aaO, § 115 b, Rn. 5; Hess in Kasseler Kommentar, aaO, Rn. 5; Steege in Noftz
u.a., aaO, K § 115 b, Rn. 7, 23).
5. Ebenso hat die Revision Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass
das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob eine Haftung der Beklagten wegen
einer fehlerhaften Revisionsoperation begründet ist.
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Bei der Revisionsoperation handelt es sich um eine stationäre Kranken-
hausbehandlung. Unabhängig davon, ob die Entscheidung zum Verbleib der
Patientin über Nacht bereits zu Beginn der Behandlung getroffen wurde, liegt
nämlich eine - einheitliche - vollstationäre Krankenhausbehandlung vor (vgl.
BSGE 92, 223, 229 f. Rn. 21, 23 und BSG, Urteil vom 8. September 2004
- B 6 KA 14/03 R - GesR 2005, 39).
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Die Revision hat insoweit geltend gemacht, nach den Ausführungen des
gerichtlichen Sachverständigen, die die Klägerin zum Gegenstand ihres erstin-
stanzlichen Vortrags gemacht habe, sei die Revisionsoperation nicht ausrei-
chend gewesen, wenn bei dem Eingriff "nur ein Anteil des Ringbands A 1" ent-
fernt worden sei. Eine abschließende Klärung sei wegen des fehlenden OP-
Berichts nicht möglich gewesen. Auch der Privatgutachter Dr. Sch. habe die
Revisionsoperation als fehlerhaft bezeichnet. Das erstinstanzliche Gericht
musste diese Frage nicht klären, weil es der Klage auch gegen die Beklagte
stattgegeben hat. Das Berufungsgericht hätte aber den entsprechenden Vortrag
nicht übergehen dürfen, weil im Falle einer fehlerhaften Revisionsoperation eine
Haftung der Beklagten aus dem Behandlungsvertrag und aus §§ 823, 831 BGB
in Betracht kommt.
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III.
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Nach alldem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der erkennende Senat ist an einer eigenen Entscheidung gehin-
dert, weil es nach den vorstehenden Ausführungen weiterer Feststellungen des
Berufungsgerichts bedarf. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO).
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Meiningen, Entscheidung vom 04.06.2003 - 2 O 945/01 -
OLG Jena, Entscheidung vom 02.06.2004 - 4 U 630/03 -