Urteil des BGH vom 19.03.2013
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 56/12
Verkündet am:
19. März 2013
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 2 (Bf); KWG (1962) § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 1, § 32 Abs. 1
Satz 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2
Die geschäftsmäßige Begründung von Verbindlichkeiten aus geschuldeten
Winzergeldern, die über die Endabrechnung eines Jahrgangs hinaus vom Win-
zer bei der Winzergenossenschaft oder einem vergleichbaren Betrieb gegen
Zahlung von Zinsen belassen werden, fällt als Einlagengeschäft im Sinne des §
1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 1 KWG unter die Erlaubnispflicht des § 32 KWG.
BGH, Urteil vom 19. März 2013 - VI ZR 56/12 - OLG Zweibrücken
LG Landau
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und
Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Pfälzischen
Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 12. Januar 2012 wird auf
Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Mitglied der Winzergemeinschaft S. e.V. (im Folgenden:
Winzergemeinschaft). Er nimmt die Beklagten als ehemalige Geschäftsführer
der Komplementär-GmbH der zwischenzeitlich insolventen L. GmbH & Co. KG
(im Folgenden: Schuldnerin) wegen des bei der Schuldnerin belassenen und
aufgrund der Insolvenz nicht ausgezahlten "Winzergelds" auf Schadensersatz
in Anspruch.
Bei der Schuldnerin war es bereits seit den 1970er Jahren ständige Ge-
schäftspraxis, dass eine Vielzahl von Erzeugern aus der Winzergemeinschaft
(im Durchschnitt 160 bis 300 Winzer) jeweils einen Teil des Entgelts für die Ab-
lieferung ihrer Trauben als jederzeit abrufbare "Einlage" gegen Verzinsung ste-
hen ließen, damit die Schuldnerin mit dem Kapital wirtschaften konnte. Noch im
1
2
- 3 -
Jahre 2007 hatten mindestens 50 Erzeuger "Winzergelder" in Höhe von insge-
samt etwa 2.500.000 € ohne bankübliche Sicherheiten bei der Schuldnerin ein-
bezahlt. Eine Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz besaßen die Schuldnerin
beziehungsweise ihre Komplementär-GmbH nicht.
Die Winzergemeinschaft verpflichtete sich mit Liefer- und Abnahmever-
trag vom 1. September 1983 zur Lieferung von Weintrauben an die Schuldne-
rin. Der Vertrag wurde mit Vereinbarung vom 6. Oktober 1989 unter anderem
um die Regelung ergänzt, dass für den Fall, dass ein Mitglied der Winzerge-
meinschaft (Erzeuger) einen Teil oder den Gesamterlös seiner Ernte bei der
Schuldnerin stehen lässt, dieser Betrag mit 5 % verzinst wird und der Zinssatz
mit steigendem und fallendem Kreditzins gleitend sein soll.
Nachdem der Kläger auf seine ursprüngliche "Einlage" in Höhe von zu-
letzt 81.447,67 € nach der Insolvenz der Schuldnerin teilweise Entschädigungs-
leistungen von dritter Seite erhalten hat, verlangt er von den Beklagten Ersatz
des Restbetrags von 51.085,75 € Zug um Zug gegen Abtretung seiner im Insol-
venzverfahren der Schuldnerin festgestellten Ansprüche. Die Klage hatte in den
Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgen die Beklagten ihren Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil unter anderem in
ZIP 2012, 568 veröffentlicht ist, bedurfte die Schuldnerin beziehungsweise ihre
persönlich haftende Gesellschafterin zumindest für die Zeit nach Inkrafttreten
der 6. KWG-Novelle am 1. Januar 1998 der Erlaubnis der zuständigen Auf-
3
4
5
- 4 -
sichtsbehörde nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG. Die Schuldnerin und ihre Kom-
plementär-GmbH hätten schon aufgrund ihrer durch die Rechtsform begründe-
ten Kaufmannseigenschaft einen kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetrieb
unterhalten müssen und hätten mit ihrem auf Dauer angelegten und von der
Absicht der Gewinnerzielung getragenen Geschäftsmodell zudem gewerbsmä-
ßig gehandelt.
Da die Schuldnerin das - von ihr gegenüber den Anlegern selbst als "Ein-
lagen" bezeichnete - Kapital der Winzer angenommen habe, um damit in ihrem
Aktivgeschäft zu wirtschaften, liege ein Einlagengeschäft im Sinne des § 1
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 1 KWG vor. Jedenfalls aber sei der Tatbestand der An-
nahme anderer rückzahlbarer Gelder des Publikums gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 Fall 2 KWG erfüllt, weil die Schuldnerin von einer Vielzahl von Geldgebern
auf der Grundlage typisierter Verträge Kapitalbeträge mit der Verpflichtung zur
unbedingten Rückzahlung entgegengenommen habe, die nicht banküblich be-
sichert gewesen seien. Die Bewertung als Einlagengeschäft stehe in Überein-
stimmung mit der allgemeinen rechtlichen Einschätzung seitens der Bundesan-
stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für die Fallgestaltungen, in denen bei Wa-
rengenossenschaften, die im Landhandel tätig sind, Kundenkonten für die An-
lage von Geldern geführt werden.
Indem die Beklagten als Organe der Komplementär-GmbH der Schuld-
nerin Bankgeschäfte ohne behördliche Erlaubnis geführt hätten, hätten sie ge-
gen § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG verstoßen und zugleich den Straftatbestand des
§ 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB
erfüllt. Sie hätten dabei auch fahrlässig gehandelt, weil sie sich vor der Entge-
gennahme von "Winzergeld" als "Einlagen" über etwaige Erlaubniserfordernisse
hätten unterrichten müssen.
6
7
- 5 -
§ 32 Abs. 1 Satz 1 KWG sei als Schutzgesetz zugunsten der Kunden von
Betreibern von Bankgeschäften anzusehen. Für den von ihnen als Geschäfts-
führern der Komplementärin der Schuldnerin begangenen Verstoß gegen das
Schutzgesetz, der auch ursächlich für den Schaden des Klägers in Gestalt des
Verlusts seiner ungesicherten Kapitalanlage in der Insolvenz der Schuldnerin
gewesen sei, hafteten die Beklagten persönlich und solidarisch nach § 823
Abs. 2, § 840 Abs. 1 BGB.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprü-
fung im Ergebnis stand.
1. Die Beklagten haften dem Kläger auf Schadensersatz aus § 823
Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1,
Abs. 2 KWG, weil sie mit dem Belassen der "Winzergelder" bei der Schuldnerin
ohne die dafür erforderliche behördliche Erlaubnis Bankgeschäfte in Form des
Einlagengeschäfts gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 1 KWG betrieben haben.
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 32
Abs. 1 Satz 1 KWG Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten
des einzelnen Kapitalanlegers ist (st. Rspr.; vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 2006
- VI ZR 339/04, VersR 2006, 1374 Rn. 13 f. und - VI ZR 340/04, WM 2006,
1896 Rn. 10, 12 f.; vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, VersR 2010, 910 Rn. 16;
vom 9. November 2010 - VI ZR 303/09, VersR 2011, 218 Rn. 8; vom 23. No-
vember 2010 - VI ZR 244/09, VersR 2011, 216 Rn. 10; vom 15. Mai 2012
- VI ZR 166/11, VersR 2012, 1038 Rn. 11; BGH, Urteile vom 13. April 1994
- II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 379 f.; vom 21. April 2005 - III ZR 238/03, VersR
8
9
10
11
- 6 -
2005, 1394, 1395; vom 19. Januar 2006 - III ZR 105/05, BGHZ 166, 29 Rn. 17;
vom 7. Dezember 2009 - II ZR 15/08, NJW 2010, 1077 Rn. 13). Nach § 32
Abs. 1 des Kreditwesengesetzes in der am 1. Januar 1962 in Kraft getretenen
Fassung vom 10. Juli 1961 (BGBl. I S. 881) bedurfte der schriftlichen Erlaubnis
des Bundesaufsichtsamtes, wer im Geltungsbereich des Gesetzes Bankge-
schäfte in dem in § 1 Abs. 1 KWG aF bezeichneten Umfang betreiben wollte,
wobei § 1 Abs. 1 KWG einen Umfang der Geschäfte voraussetzte, der einen in
kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte. Durch das
Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen (6. KWG-
Novelle) vom 22. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2518) wurde § 32 Abs. 1 Satz 1
KWG mit Wirkung vom 1. Januar 1998 dahingehend neu gefasst, dass der
schriftlichen Erlaubnis des Bundesaufsichtsamtes (jetzt: Bundesanstalt für Fi-
nanzdienstleistungsaufsicht - BaFin) bedarf, wer im Inland gewerbsmäßig oder
in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Ge-
schäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen
erbringen will.
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wiesen die von der
Schuldnerin betriebenen hier maßgeblichen Geschäfte einen Umfang auf, der
einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte.
c) Die Tätigkeit der Schuldnerin ist auch als Bankgeschäft zu qualifizie-
ren. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG in der ursprünglichen Fassung vom 10. Juli
1961 definierte Bankgeschäfte in Form des Einlagengeschäfts als die Annahme
fremder Gelder als Einlagen ohne Rücksicht darauf, ob Zinsen vergütet werden.
Durch die 6. KWG-Novelle (Nr. 3 Buchst. a) wurde der Tatbestand des Einla-
gengeschäfts mit Wirkung vom 1. Januar 1998 um die Variante der Annahme
anderer rückzahlbarer Gelder des Publikums erweitert. In der seit 1. Januar
2005 gültigen Fassung des Art. 1 Nr. 3 Buchst. a des Finanzkonglomeratericht-
12
13
- 7 -
linie-Umsetzungsgesetzes vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3610) verlangt
die zweite Variante der Vorschrift nunmehr die Annahme anderer "unbedingt"
rückzahlbarer Gelder des Publikums.
aa) Die Beurteilung des Berufungsgerichts, im Streitfall sei jedenfalls § 1
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 2 KWG in Form der "Annahme anderer rückzahlbarer
Gelder des Publikums" erfüllt, berücksichtigt nicht hinreichend den Umstand,
dass diese Tatbestandsalternative erst mit Wirkung vom 1. Januar 1998 in das
Gesetz eingefügt wurde, während die von der Schuldnerin seit den 1970er Jah-
ren praktizierte Entgegennahme verzinslicher "Winzergelder" bereits mit Ver-
tragsergänzung vom 6. Oktober 1989 zwischen der Winzergemeinschaft und
der Schuldnerin vereinbart worden war. Da die Rechtsbeziehungen zwischen
den Parteien auf Verträge aus dem Jahre 1989 zurückgehen, als eine Erlaub-
nispflicht für die Annahme anderer rückzahlbarer Gelder des Publikums noch
nicht bestand, bleibt es insofern bei der alten Rechtslage (vgl. BGH, Urteil vom
21. März 2005 - II ZR 140/03, WM 2005, 833, 835; Schäfer in
Boos/Fischer/Schulte-Mattler, aaO Rn. 32); eine Rückwirkung auch hinsichtlich
derjenigen Einzahlungen, die erst nach Inkrafttreten der Neuregelung erfolgt
sind, begegnet angesichts der Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens
(§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG) verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Loritz, ZIP
2001, 309, 315).
bb) Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil - wie das Berufungsge-
richt zutreffend angenommen hat - ein bereits seit Inkrafttreten des Kreditwe-
sengesetzes am 1. Januar 1962 und damit vor Aufnahme der Rechtsbeziehun-
gen zwischen den Vertragsparteien erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft im
Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 1 KWG, die Annahme fremder Gelder als
Einlagen, vorliegt.
14
15
- 8 -
(1) Die Schuldnerin hat fremde Gelder angenommen, indem die Winzer
der Winzergemeinschaft Teile ihres Entgelts zur jederzeitigen Verfügbarkeit bei
der Schuldnerin stehen ließen.
(a) Das Merkmal "fremd" bedeutet nach verbreiteter Ansicht, dass es
sich um rückzahlbare Gelder handeln muss (vgl. BVerwGE 69, 120, 123 f.; VG
Berlin, WM 1986, 879, 881; Reschke in Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 1
Rn. 89 (Stand: März 2011); Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG,
2009, § 1 Rn. 13; Barleon in Assies/Beule/Heise/Strube, Handbuch des Fach-
anwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Kap. 6 Rn. 7; Demgensky/Erm,
WM 2001, 1445, 1448; BaFin-Merkblatt - Hinweise zum Tatbestand des Einla-
gengeschäfts (Stand: August 2011), 1b). Nach einer anderen, in der Literatur
vertretenen Auffassung dient der Begriff lediglich der Klarstellung, dass die An-
nahme gesellschaftsrechtlicher Einlagen kein Einlagengeschäft im Sinne des
Kreditwesengesetzes darstellt (vgl. Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler,
aaO Rn. 34; Serafin/Weber in Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber, KWG, 2009,
§ 1 Rn. 10; Brogl in Reischauer/Kleinhans, KWG, § 1 Rn. 48 (Stand: März
2010); Szagunn/Haug/Ergenzinger, aaO Rn. 28). Die Fremdheit der in die
Schuldnerin eingebrachten, jederzeit auf Verlangen auszuzahlenden "Winzer-
gelder" ist nach beiden Ansichten zu bejahen.
(b) Unter "Annahme" ist zunächst die tatsächliche Entgegennahme von
Bargeld beziehungsweise bei Buchgeld die Kontogutschrift zu verstehen (vgl.
Reschke in Beck/Samm/Kokemoor, aaO Rn. 76 (Stand: März 2011); Sera-
fin/Weber in Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber, aaO; Brogl in Reischau-
er/Kleinhans,
aaO
Rn. 47
(Stand:
März
2010);
Barleon
in
As-
sies/Beule/Heise/Strube, aaO Rn. 6; Schürmann in Schimansky/Bunte/Lwowski,
Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 69 Rn. 6a; Demgensky/Erm, aaO S. 1447;
BaFin-Merkblatt - Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, aaO, 1a
16
17
18
- 9 -
bb). Darüber hinaus fällt unter den Begriff der Annahme die Umwandlung einer
Geldforderung aus einem Handelsgeschäft in ein Darlehen, welches aus wirt-
schaftlicher Sicht mit der Auszahlung beziehungsweise Überweisung des For-
derungsbetrags und anschließender Wiedereinzahlung beziehungsweise Rück-
überweisung gleichwertig ist (vgl. Reschke in Beck/Samm/Kokemoor, aaO
Rn. 76 (Stand: März 2011)). So liegt der Fall hier, denn mit dem Stehenlassen
von Teilbeträgen des ihnen für die Ablieferung ihrer Trauben zustehenden Ent-
gelts beließen die Winzer der Schuldnerin gemäß der vertraglichen Vereinba-
rung mit der Winzergemeinschaft ihre Gelder zur späteren Rückzahlung und
damit als Darlehen.
(2) Die Schuldnerin hat die "Winzergelder" auch "als Einlagen" ange-
nommen.
(a) Der Begriff der Einlage ist gesetzlich nicht definiert. Es handelt sich
nach allgemeiner Ansicht um einen bankwirtschaftlichen Begriff, der nur unter
Berücksichtigung der bankwirtschaftlichen Verkehrsauffassung bestimmt wer-
den kann (vgl. Senatsurteile vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 17;
vom 9. November 2010 - VI ZR 303/09, aaO Rn. 11; BGH, Urteile vom 13. April
1994 - II ZR 16/93, aaO S. 380 f.; vom 9. März 1995 - III ZR 55/94, BGHZ 129,
90, 92 f.; vom 29. März 2001 - IX ZR 445/98, NJW-RR 2001, 1639, 1640; Be-
schluss vom 17. April 2007 - 5 StR 446/06, NStZ 2007, 647; BVerwGE 69, 120,
124; VGH Kassel, WM 2009, 1889, 1891; OVGE Berlin 17, 45, 49 f.; VG Berlin,
WM 1986, 879, 881; NJW-RR 2000, 642, 643; VG Frankfurt am Main, BKR
2011, 427 Rn. 30; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, aaO Rn. 36; Resch-
ke in Beck/Samm/Kokemoor, aaO Rn. 92 f. (Stand: März 2011); Serafin/Weber
in Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber, aaO Rn. 11; Brogl in Reischau-
er/Kleinhans, aaO Rn. 41 (Stand: März 2010); Schwennicke in Schwenni-
cke/Auerbach, aaO Rn. 18; Barleon in Assies/Beule/Heise/Strube, aaO Rn. 3;
19
20
- 10 -
Canaris, BB 1978, 227, 228; Demgensky/Erm, aaO S. 1450; BaFin-Merkblatt
- Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, aaO, 1c).
(aa) Nach ständiger Verwaltungspraxis der BaFin, die auch von Recht-
sprechung und Literatur aufgegriffen worden ist, nimmt ein Unternehmen jeden-
falls dann fremde Gelder als "Einlagen" entgegen, wenn von einer Vielzahl von
Geldgebern auf der Grundlage typisierter Verträge darlehens- oder in ähnlicher
Weise laufend Gelder entgegengenommen werden, die ihrer Art nach nicht
banküblich besichert sind (BaFin-Merkblatt - Hinweise zum Tatbestand des Ein-
lagengeschäfts, aaO, 1c; vgl. BT-Drucks. 13/7142, S. 62; BGH, Urteile vom
13. April 1994 - II ZR 16/93, aaO S. 380; vom 29. März 2001 - IX ZR 445/98,
aaO; Beschlüsse vom 24. August 1999 - 1 StR 385/99, NStZ 2000, 37, 38; vom
17. April 2007 - 5 StR 446/06, aaO; vom 9. Februar 2011 - 5 StR 563/10, NStZ
2011, 410, 411; OLG Stuttgart, NJW 1980, 1798, 1799; OVGE Berlin 12, 217,
219; 17, 45, 48 f.; OVG Berlin, Beschluss vom 11. Februar 1994 - 1 S 99.93,
juris Rn. 4; VG Berlin, NJW-RR 2000, 642, 643; VG Frankfurt am Main, aaO;
Bähre/Schneider, KWG, 3. Aufl., § 1 Anm. 7; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-
Mattler, aaO Rn. 36; Reschke in Beck/Samm/Kokemoor, aaO Rn. 94 (Stand:
März 2011); Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 KWG
Rn. 7 (Stand: Juni 2011); Serafin/Weber in Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber,
aaO Rn. 11; Brogl in Reischauer/Kleinhans, aaO Rn. 37 (Stand: März 2010);
Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, aaO Rn. 17; Szagunn/Haug/Ergenzin-
ger, aaO Rn. 17; Barleon in Assies/Beule/Heise/Strube, aaO Rn. 2; Schürmann
in Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO Rn. 5).
Diese Formel lehnt sich an die Begriffsbestimmung der Einlagen in § 11
der Verordnung über die Bedingungen, zu denen Kreditinstitute Kredite gewäh-
ren und Einlagen entgegennehmen dürfen (Zinsverordnung) vom 5. Februar
1965 (BGBl. I S. 33; aufgehoben durch Verordnung vom 21. März 1967, BGBl. I
21
22
- 11 -
S. 352), an (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1995 - III ZR 55/94, aaO S. 93 f.;
OVGE Berlin 17, 45, 48 f.; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, aaO Rn. 37;
Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, aaO Rn. 17; Szagunn/Haug/Ergenzin-
ger, aaO Rn. 17; Barleon in Assies/Beule/Heise/Strube, aaO Rn. 2). Nach § 11
Nr. 3 der Zinsverordnung waren Einlagen fremde Gelder, die Kreditinstitute von
Nichtkreditinstituten entgegennehmen, mit Ausnahme von Geldern, die als Kre-
dit aufgenommen werden, sofern für den Einzelfall ein schriftlicher Kreditvertrag
geschlossen und der Kredit banküblich gesichert wird. Das Fehlen einer bank-
üblichen Besicherung des Rückzahlungsanspruchs bildet nunmehr ein unge-
schriebenes, aus dem Gesetzeszweck folgendes Tatbestandsmerkmal des Ein-
lagengeschäfts
(vgl.
BT-Drucks.
15/3641,
S. 36;
Senatsurteil
vom
23. November 2010 - VI ZR 244/09, aaO Rn. 14; BGH, Urteil vom 15. Februar
1979 - III ZR 108/76, BGHZ 74, 144, 159; OVG Berlin, Beschluss vom 11. Feb-
ruar 1994 - 1 S 99.93, aaO; Brogl in Reischauer/Kleinhans, aaO Rn. 37 (Stand:
März 2010); Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, aaO Rn. 19; Schürmann
in Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO Rn. 6d; BaFin-Merkblatt - Hinweise zum
Tatbestand des Einlagengeschäfts, aaO, 1e).
(bb) In einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 hat das Bundesverwal-
tungsgericht die Auffassung vertreten, die oben genannte, auf ein Schreiben
des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 24. April 1968 zurückge-
hende Definition reiche nicht aus, um das Einlagengeschäft als Bankgeschäft
von der den Vorschriften des Kreditwesengesetzes nicht unterliegenden An-
nahme sonstiger Fremdgelder verlässlich unterscheiden zu können. Nach der
maßgeblichen bankwirtschaftlichen Verkehrsauffassung setze das Einlagenge-
schäft voraus, dass fremde Gelder zwecks Finanzierung des Aktivgeschäfts des
annehmenden Unternehmens, d.h. mit der Intention entgegengenommen wür-
den, durch eine positive Differenz zwischen den Bedingungen der Geldannah-
me einerseits, des Aktivgeschäfts andererseits, Gewinn zu erzielen (BVerwGE
23
- 12 -
69, 120, 124, 126). Dementsprechend sieht der Bundesgerichtshof die Absicht
der Mittelverwendung für eigene Zwecke des Annehmenden, insbesondere zur
Finanzierung des eigenen Aktivgeschäfts, auf dieser Grundlage als alleiniges
beziehungsweise zusätzliches Kriterium für das Vorliegen eines Einlagenge-
schäfts an; dem ist die Literatur weitgehend gefolgt (vgl. Senatsurteile vom 11.
Juli 2006 - VI ZR 339/04, aaO Rn. 23 und - VI ZR 340/04, aaO Rn. 21; vom 23.
November 2010 - VI ZR 244/09, aaO Rn. 15; BGH, Urteile vom 9. März 1995
- III ZR 55/94, aaO S. 95; vom 29. März 2001 - IX ZR 445/98, aaO; Beschlüsse
vom 17. April 2007 - 5 StR 446/06, aaO; vom 9. Februar 2011 - 5 StR 563/10,
aaO; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, aaO Rn. 36, 38; Reschke in
Beck/Samm/Kokemoor, aaO Rn. 95-97 (Stand: März 2011); Brogl in Reischau-
er/Kleinhans, aaO Rn. 42 (Stand: März 2010); Schwennicke in Schwenni-
cke/Auerbach, aaO Rn. 18; Szagunn/Haug/Ergenzinger, aaO Rn. 18a f.; Barle-
on in Assies/Beule/Heise/Strube, aaO Rn. 3, 5; Demgensky/Erm, aaO
S. 1450 f.; Loritz, aaO S. 310; kritisch: Bähre/Schneider, aaO; Schürmann in
Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO Rn. 5; Wallat, NJW 1995, 3236 f.). Auch die
BaFin definiert Einlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 1 KWG als
jedenfalls solche fremden Gelder, die an Unternehmen von mehreren Geldge-
bern, die keine Kreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG sind, zur unregel-
mäßigen Verwahrung, als Darlehen oder in ähnlicher Weise ohne Bestellung
banküblicher Sicherheiten und ohne schriftliche Vereinbarung im Einzelfall lau-
fend zur Finanzierung des auf Gewinnerzielung gerichteten Aktivgeschäfts ent-
gegengenommen werden (BaFin-Merkblatt - Hinweise zum Tatbestand des Ein-
lagengeschäfts, aaO, 1c).
Bereits die ständige Geschäftspraxis der Schuldnerin in den 1970er Jah-
ren erfüllte alle Merkmale des Einlagengeschäfts: Die Schuldnerin nahm Gelder
von einer Vielzahl von Geldgebern, die keine Kreditinstitute waren - nämlich von
im Durchschnitt 160 bis 300 Winzern der Winzergemeinschaft -, mit einer Rück-
24
- 13 -
zahlungsverpflichtung und ohne bankübliche Besicherung laufend entgegen,
um damit in ihrem Aktivgeschäft zu wirtschaften. Diese bestehende Geschäfts-
praxis wurde mit Vereinbarung vom 6. Oktober 1989 lediglich schriftlich fixiert;
eine schriftliche Vereinbarung im Einzelfall, d.h. zwischen der Schuldnerin und
dem jeweils einzahlenden Mitglied der Winzergemeinschaft, hat das Beru-
fungsgericht nicht festgestellt.
(b) Die Tätigkeit der Schuldnerin erfüllte die Kriterien des Einlagenge-
schäfts aber nicht nur im Sinne einer allgemeinen Definition, sondern entgegen
der Auffassung der Revision auch im Hinblick auf die Betrachtung einzelner
Fallgruppen.
(aa) Das Berufungsgericht stützt sich insoweit auf die rechtliche Ein-
schätzung der BaFin zur Fallgruppe der im Landhandel tätigen Warengenos-
senschaften. Diese führten nach der Darstellung der BaFin Kundenkonten für
Anzahlungen und Guthaben in erheblichem Umfang, die als Geldanlagekonten
anzusehen seien. Durch die Einlagen hätten die Genossenschaften unter ande-
rem ihre Refinanzierung vorgenommen, um nicht auf Bankkredite angewiesen
zu sein. Derartige Anlageangebote seien als Einlagengeschäft im Sinne von § 1
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG einzustufen, wenn die Genossenschaft die Geldanla-
gen zurückzahlen müsse. Sofern die betreffenden Genossenschaften aus-
schließlich Gelder ihrer Kunden verwahrten, die für Wareneinkäufe verwandt
würden, sei kein Einlagengeschäft anzunehmen. Von einem bloßen Verwahren
von Geldern der Kunden sei indes nur dann auszugehen, wenn die Kundengut-
haben auf die Gesamthöhe des Gegenwerts des Warenbezugs des betreffen-
den Kunden im vorangegangenen Jahr begrenzt würden (BaFin-Merkblatt
- Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, aaO, 1b bb "Warengenos-
senschaften"). Diese Einschätzung der BaFin entspricht einer im Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 16. Dezember 2002 (Schreiben betr.
25
26
- 14 -
Warengenossenschaften als Kreditinstitute i.S. des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
Buchst. b EStG - BMF IV C 1 - S 2400 - 35/02, BStBl. I S. 1396) mitgeteilten
Stellungnahme zur steuerrechtlichen Behandlung der von Warengenossen-
schaften geführten Kundenkonten (vgl. dazu Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-
Mattler, aaO Rn. 40; Brogl in Reischauer/Kleinhans, aaO Rn. 56 (Stand: März
2010); Schürmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO Rn. 7). Nach dieser Auf-
fassung wäre vorliegend mangels Begrenzung der Guthaben ein Einlagenge-
schäft anzunehmen. Wie die Revision allerdings zu Recht geltend macht, ist bei
der vorstehend gebildeten Fallgruppe - anders als im Streitfall - auch Arbeit-
nehmern der Genossenschaften sowie Nichtkunden die Geldanlage möglich,
was zumindest Zweifel an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte begründet.
(bb) Diese Frage braucht indes nicht abschließend entschieden zu wer-
den, denn es liegt eine aufsichtsbehördliche Stellungnahme zum Einlagenbe-
griff im Zusammenhang mit "Winzergeldern" vor. Demnach sind für die Auszah-
lung von "Winzergeldern" besondere Grundsätze maßgebend, da wegen der
bestmöglichen Verwertung des aus den Trauben gewonnenen Weins bei Ab-
schluss des Kaufvertrags der Kaufpreis noch nicht feststeht. Die im Verlauf ei-
ner Abrechnungsperiode geleisteten Zahlungen oder erteilten Zwischenabrech-
nungen der Winzergenossenschaften stellen deshalb bis zur endgültigen Jahr-
gangsabrechnung, die sich je nach Verkaufslage lange hinstrecken kann, nur
Vorschüsse auf den endgültigen Traubenpreis dar. Mit der Endabrechnung wird
allerdings die Traubengeldverpflichtung fällig. Wenn ein Mitglied (Winzer) ge-
mäß den Zwischenabrechnungen keine Vorauszahlung verlangt, können die
nicht in Anspruch genommenen Beträge verzinst werden. Insoweit handelt es
sich bei den derart entstandenen "Guthaben" der Winzer nicht um Einlagen im
Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG. Jede Verbindlichkeit einer Winzerge-
nossenschaft gegenüber ihren Mitgliedern ist jedoch insoweit als Einlage anzu-
sehen, als die mit der Endabrechnung fällig gewordenen Beträge einschließlich
27
- 15 -
der hinsichtlich des jeweiligen Jahrgangs nicht in Anspruch genommenen Vor-
schüsse nicht unverzüglich an die Mitglieder ausgezahlt werden (Schreiben des
Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 17. Juli 1974 - I 3 - 112 - 2/74,
zitiert nach Brogl in Reischauer/Kleinhans, aaO Rn. 56 (Stand: März 2010)).
Diese Grundsätze sind auch für die rechtliche Beurteilung des Streitfalls heran-
zuzuziehen. Den Winzern der Winzergemeinschaft oblag eine Pflicht zur Ablie-
ferung ihrer Trauben an die Schuldnerin, die der Ablieferungspflicht gegenüber
einer Winzergenossenschaft vergleichbar ist. Soweit die Schuldnerin die fälli-
gen, den Winzern zustehenden Beträge nicht unverzüglich an diese auszahlte,
sondern als verzinsliches Guthaben stehen ließ, bestätigt die zitierte Auffas-
sung der Erlaubnisbehörde die Bewertung als Einlagen im Sinne des § 1 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 Fall 1 KWG. Dem steht nicht entgegen, dass Gegenforderungen
der Schuldnerin wegen des Einkaufs von Wein durch die Winzer bei der Aus-
zahlung der folgenden Ernte verrechnet wurden und die zu verzinsende Einlage
der Höhe nach dem Saldo entsprach. Auch dass der Winzer jederzeit über die
Einlage verfügen konnte und keine Vorfälligkeitsentschädigung oder Strafzinsen
zu zahlen hatte, spricht nicht zwingend gegen ein Einlagengeschäft. Dies ent-
spricht etwa der Praxis der Banken bei Online-Tagesgeldkonten.
(cc) Die von der Revision gezogene Parallele zu den Brauereidarlehen,
die nach ständiger Verwaltungspraxis der BaFin unter bestimmten Vorausset-
zungen gewohnheitsrechtlich nicht als Kreditgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 KWG gewertet werden (vgl. dazu BaFin-Merkblatt - Hinweise zum
Tatbestand des Kreditgeschäfts (Stand: Januar 2009), 1a cc (2)), vermag dem-
gegenüber mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht zu überzeugen. So
werden Brauereidarlehen von den Brauereien an die einzelnen Gastwirte ge-
währt, die im Gegenzug eine Bierbezugsverpflichtung eingehen; im Streitfall
hingegen bestand eine Ablieferungspflicht der einzelnen Winzer gegenüber der
Schuldnerin, welche Teile der den Winzern zustehenden Gelder jederzeit ab-
28
- 16 -
rufbar einbehielt. Da sich mithin in einem Fall die Brauerei, im anderen der ein-
zelne Winzer in der Rolle des Darlehensgebers befindet, wird erstere Fallgestal-
tung zu Recht unter dem Gesichtspunkt des Kreditgeschäfts, letztere als Einla-
gengeschäft erörtert. Mit Recht weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass
bei einem Einlagengeschäft ohne Unterstellung unter die Bankenaufsicht der
Einleger Gefahr läuft, sein Geld unseriösen und inkompetenten Unternehmen
zu überlassen und auf diese Weise zu verlieren. Beim Kreditgeschäft bestehen
vergleichbare Gefahren hingegen nicht. Das Verbot des Kreditgeschäfts zielt
primär darauf ab, den Verkehr vor wucherischen Kreditvergaben zu schützen.
Bei Arbeitgeber- und Brauereidarlehen besteht die Gefahr außerdem schon
deswegen nicht, weil mit den Darlehen eine langfristig angelegte schuldrechtli-
che Verbindlichkeit einhergeht, deren Förderung die Kreditvergabe dient und
deren Zweck nur bei günstigen Konditionen erreicht werden kann.
(dd) Soweit die Revision darauf abstellen will, dass die Einlage von "Win-
zergeld" seit über 25 Jahren praktiziert werde, steht einer kraft Gewohnheits-
rechts anzuerkennenden Ausnahme das Schreiben des Bundesaufsichtsamts
für das Kreditwesen entgegen, welches schon im Jahre 1974 die bei Fälligkeit
nicht ausgezahlten "Winzergelder" ausdrücklich unter den Einlagenbegriff sub-
sumierte. Die Entstehung von Gewohnheitsrecht erfordert nicht nur eine tat-
sächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemei-
ne ist, sie muss auch von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm aner-
kannt sein (vgl. BVerfGE 22, 114, 121; 28, 21, 28 f.). Notwendig ist mithin die
Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch die Einhaltung der Übung
bestehendes Recht zu befolgen (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1469 Rn. 62; BGH,
Beschluss vom 19. Juni 1962 - I ZB 10/61, BGHZ 73, 219, 221 f.; Pa-
landt/Sprau, BGB, 72. Aufl. Einl. Rn. 22). Nach dem Inhalt des Schreibens des
Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen konnten die Beklagten davon nicht
ausgehen.
29
- 17 -
d) Indem die Beklagten als Organe der Komplementär-GmbH der
Schuldnerin Bankgeschäfte ohne aufsichtsbehördliche Erlaubnis führten, ver-
stießen sie gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG; zugleich erfüllten sie den Straftat-
bestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG in Verbindung mit § 14 Abs. 1
Nr. 1 StGB. Sie handelten dabei jedenfalls fahrlässig, denn sie hätten sich vor
Aufnahme der Geschäftspraxis der Entgegennahme von "Winzergeld", spätes-
tens aber vor Abschluss der Vereinbarung vom 6. Oktober 1989, über etwaige
Erlaubniserfordernisse unterrichten müssen (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli
2006 - VI ZR 339/04, aaO Rn. 26 und - VI ZR 340/04, aaO Rn. 24; vom 15. Mai
2012 - VI ZR 166/11, aaO Rn. 32; BGH, Urteil vom 21. April 2005 - III ZR
238/03, aaO). Eine entsprechende Erkundigung hätte auch bereits in den
1970er und 1980er Jahren erbracht, dass die von der Schuldnerin aufgenom-
mene Tätigkeit erlaubnispflichtig ist, denn schon nach den seinerzeit entwickel-
ten, bereits aufgezeigten Kriterien handelte es sich um die Annahme fremder
Gelder als Einlagen, die in der am 1. Januar 1962 in Kraft getretenen Fassung
des Kreditwesengesetzes unter Erlaubnisvorbehalt gestellt worden war.
e) Der Verstoß gegen das Schutzgesetz war auch schadensursächlich,
denn hätte die Schuldnerin von der unerlaubten Entgegennahme der "Winzer-
gelder" abgesehen, wäre es nicht zum Verlust des vom Kläger eingelegten Ka-
pitals in der Insolvenz der Schuldnerin gekommen. Hätte der Kläger das Geld
als Einlage bei einer Bank eingezahlt, die über eine Erlaubnis verfügte, wäre
das Geld bei einem Kreditinstitut angelegt worden, das gemäß § 11 Abs. 1
KWG jederzeit eine ausreichende Zahlungsbereitschaft gewährleisten musste
und bezüglich der Einhaltung dieser Bedingungen von der Aufsichtsbehörde
überwacht worden wäre (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 2006 - VI ZR 339/04,
aaO Rn. 27 und - VI ZR 340/04, aaO Rn. 25).
30
31
32
- 18 -
f) Die Beklagten haften für den von ihnen als Geschäftsführer der Kom-
plementär-GmbH der Schuldnerin begangenen Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz
1 KWG persönlich nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie den Schaden selbst durch
eine unerlaubte Handlung herbeigeführt haben, (Senatsurteile vom 14. Mai
1974 - VI ZR 8/73, NJW 1974, 1371, 1372; vom 29. September 1987 - VI ZR
300/86, NJW-RR 1988, 671; vom 5. Dezember 1989 - VI ZR 335/88, BGHZ
109, 297, 303 f.;vom 11. Juli 1995 - VI ZR 409/94, VersR 1995, 1205; vom
12. März 1996 - VI ZR 90/95, VersR 1996, 713, 714; vom 12. März 1996
- VI ZR 90/95, VersR 1996, 713, 714; vom 11. Juli 2006 - VI ZR 339/04, aaO
Rn. 28 und - VI ZR 340/04, aaO Rn. 26 und vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10,
VersR 2012, 1261 Rn. 24; BGH, Urteile vom 31. März 1971 - VIII ZR 256/69,
BGHZ 56, 73, 77; vom 5. Dezember 2008 - V ZR 144/07, NJW 2009, 673
Rn. 12; BGH, Urteile vom 31. März 1971 - VIII ZR 256/69, BGHZ 56, 73, 77;
vom 21. April 2005 - III ZR 238/03, aaO S. 1396 und vom 5. Dezember 2008
- V ZR 144/07, VersR 2009, 1376 Rn. 12; MünchKommGmbHG/Fleischer 2012,
§ 43 Rn. 339, 347; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG 2006, § 43
Rn. 202; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 93 Rn. 223), und zwar als Gesamt-
schuldner gemäß § 840 Abs. 1 BGB (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 2006
- VI ZR 339/04, aaO Rn. 28 und - VI ZR 340/04, aaO Rn. 26; BGH, Urteil vom
21. April 2005 - III ZR 238/03, aaO S. 1396). Dem Gesichtspunkt der Vorteils-
ausgleichung ist - entsprechend dem Begehren des Klägers in der Berufungs-
instanz - dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagten Zahlung Zug um Zug
gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers im Insolvenzverfahren schulden
(vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2005 - III ZR 238/03, aaO S. 1396).
- 19 -
2. Nach alledem hat das Berufungsgericht mit Recht die Berufung der
Beklagten zurückgewiesen. Ob die Beklagten dem Kläger auch wegen sitten-
widriger Schädigung haften, wie dies vom Landgericht angenommen worden
ist, bedarf keiner weiteren Entscheidung. Den dagegen vorgebrachten Angriffen
der Revision muss mithin nicht weiter nachgegangen werden.
Galke
Zoll
Wellner
Diederichsen
Pauge
Vorinstanzen:
LG Landau, Entscheidung vom 28.04.2011 - 4 O 32/10 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 12.01.2012 - 4 U 75/11 -
33