Urteil des BGH vom 01.10.2008
BGH (menge, heroin, anklage, annahme, einfuhr, teil, stgb, eigenkonsum, begründung, umfang)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 360/08
vom
1. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Oktober 2008 gemäß § 349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Koblenz vom 15. April 2008 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. B 6., 7.
und 9. der Urteilsgründe,
b) im Gesamtstrafenausspruch sowie
c) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit von der Unter-
bringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abge-
sehen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Han-
deltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen zu einer
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Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen
richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen
und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem
Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im
Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen II. B 6., 7. und 9. hat keinen
Bestand. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte im Fall II. B 6. (II. 6.
der Anklage) 30 Gramm Heroin, im Fall II. B 7. (II. 7. der Anklage) 30 Gramm
Heroin und 1 Gramm Kokain und im Fall II. B 9. (II. 9. der Anklage) 20 Gramm
Heroin aus den Niederlanden nach Deutschland eingeführt, um es „teilweise“
selbst zu verbrauchen und „teilweise“ an unbekannte Abnehmer weiter zu ver-
äußern. Nähere Ausführungen zum Verhältnis zwischen zum Eigenkonsum und
zum Verkauf bestimmten Betäubungsmitteln finden sich nicht. Damit ist das
Überschreiten des Grenzwertes der nicht geringen Menge von 1,5 g Heroin-
hydrochlorid nicht hinreichend dargelegt. Der Senat vermag entgegen der Stel-
lungnahme des Generalbundesanwalts der Gesamtschau der Urteilsgründe
nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte jeweils den überwiegenden Teil der
eingeführten Drogen gewinnbringend weiter veräußerte und nur einen geringen
Teil selbst verbrauchte. Diese Annahme ist mit dem Wortlaut der Urteilsgründe
in den betreffenden Fällen sowie den weiter gehenden Formulierungen in den
Fällen II. B 8., 10. und 12., in denen der Angeklagte die Betäubungsmittel nach
den Feststellungen „überwiegend“ gewinnbringend weiter verkauft hat, unver-
einbar. Darüber hinaus hat das Landgericht in den Fällen II. B 6. und 7. keine
Feststellungen zur Qualität des Heroins getroffen. Auch wenn mangels sicher-
gestellter Betäubungsmittel insoweit exakte Feststellungen nicht möglich waren,
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war das Tatgericht gehalten, anhand bestimmter Kriterien - Preis, Herkunft,
Bewertung durch Tatbeteiligte - die Wirkstoffkonzentration durch Schätzung zu
bestimmen (Senat, Beschluss vom 14. Mai 2008 - 2 StR 167/08). Soweit das
Landgericht im Fall II. B 9. von „zumindest durchschnittlicher Qualität“ ausgeht,
hat es nicht - wie grundsätzlich erforderlich (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Mai
2008 - 2 StR 167/08 und vom 8. August 2008 - 2 StR 277/08) - angegeben,
welchen Mindestwirkstoffgehalt es konkret hierbei zugrunde gelegt hat. Ange-
sichts dieser Versäumnisse und Ungenauigkeiten bieten die Urteilsfeststellun-
gen in den im Beschlusstenor bezeichneten Fällen keine hinreichende Gewähr
dafür, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge tatsächlich erreicht worden
ist.
2. Das Urteil kann ferner nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht
von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen
hat (§ 64 StGB). Die Begründung hierfür begegnet rechtlichen Bedenken. Das
Landgericht hat festgestellt, dass der im Jahre 2004 wegen unerlaubten Er-
werbs von Betäubungsmitteln in 77 Fällen zu einer Geldstrafe verurteilte Ange-
klagte in allen abgeurteilten Fällen das Heroin teilweise selbst verbraucht hat.
Die Anwendung des § 64 StGB hat es unter pauschalem Hinweis auf Ausfüh-
rungen des Sachverständigen abgelehnt, weil es „an einem beachtlichen Zu-
sammenhang zwischen etwaiger Sucht und Delinquenz mangelt“. Da das
Landgericht nicht mitteilt, auf welche Erwägungen des Sachverständigen es
sich dabei stützt, ist dem Senat eine revisionsrechtliche Überprüfung dieser Be-
hauptung verwehrt. Die vom Landgericht allein gegebene Begründung, „dass
das strafrechtlich relevante Vorgehen des Angeklagten zu einem beachtlichen
Maß von der Sicherung des Lebensunterhalts geprägt war und erst in unterge-
ordnetem Sinne zur Suchtfinanzierung diente“, trägt die Annahme, dass es an
einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeur-
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teilten Straftaten fehlt, gerade nicht. Sie deutet vielmehr umgekehrt darauf hin,
dass der Hang in allen Fällen jedenfalls neben anderen Umständen zur Bege-
hung der Anlasstaten beigetragen haben kann. Dies würde für die Annahme
einer Symptomtat ausreichen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 78). Darüber hinaus
spricht die enge zeitliche Abfolge der elf Betäubungsmitteldelikte, die der Ange-
klagte im Zeitraum von Juni 2007 bis 27. August 2007 im Abstand von teilweise
nur wenigen Tagen begangen hat und die nach den Feststellungen durchweg
zumindest teilweise der Beschaffung von Heroin zum Eigenkonsum dienten,
dafür, dass die Straftaten auch auf den Hang zu übermäßigem Genuss von
Rauschmitteln zurückzuführen sind.
Fischer Rothfuß Roggenbuck
Cierniak Schmitt